☣Last Kids Standing☣: Kapitel 17
»Er soll was machen?« Mooni starrte die Frau entgeistert an.
»Es ist lediglich ein harmloser Botenflug«, verteidigte sich die Forscherin. »Nur kurz rüber zum Institut. Ich würde ja nicht fragen, wenn es nicht so wichtig wäre – oder wenn es hier noch einen anderen, freien Piloten gäbe.« Sie sah Shaun flehend an. »Bitte!«
Mooni zog ihren Freund zur Seite. Schützend legte sie einen Arm um seine Schultern. »No Chance, Nemo! Hast du auch nur eine Ahnung, was er die letzten Tage alles durchgemacht hat? Ich muss mir jetzt seinen Rücken ansehen und die Verbände wechseln. Und selbst wenn das Schicksal der Welt davon abhängen würde, er fliegt nirgendwo hin, Basta!«
Shaun spürte, wie seine Knie plötzlich weich wurden. Der Boden schwankte jetzt nicht nur, er veranstaltete regelrechte Bocksprünge. Warum konnten die anderen bloß noch so entspannt stehen? Halt suchend klammerte er sich an Mooni. Dieses ganze Gespräch rauschte wie Regen vorbei, die Worte erschienen ihm völlig sinnlos. Genauso gut hätten sie sich auch in einer fremden Sprache unterhalten können. Er bemerkte lediglich, dass seine Freundin schrecklich aufgebracht war.
»Können wir jetzt nach Hause?«, bat er kraftlos. Er hatte zwar keine Ahnung, wo das lag, doch er vertraute darauf, dass sie eine Lösung fand.
Mit Hartmuts Unterstützung gelang es Mooni letztlich, den halb bewusstlosen Shaun in ihr Häuschen zu schaffen. Bereits beim Auskleiden schwanden dem Jungen endgültig die Sinne. Daher hörte er auch Moonis erstaunten Ausruf nicht mehr, als sie die Verbände löste und seinen Rücken verarzten wollte.
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»Na, Schlafmütze, wie geht es dir heute?«
Shaun erwachte aus traumlosem Schlaf. Kurz sah er sich verwirrt im leeren Zimmer um, bis er die Stimme erkannte.
»Diamond Claw!«
»Klar, wer sonst? Also – Was ist? Bist du endlich bereit für ein paar neue Abenteuer?«
Zusammen mit ihrer Stimme projizierte die Libelle eine knisternde Unruhe in seinen Kopf. Sie selbst schien vor Unternehmungslust zu bersten.
»Du kannst es ja kaum noch abwarten«, feixte er.
Moonis blonder Haarschopf erschien im Türrahmen. »Ach, bist du auch endlich wach? Und was kann ich nicht abwarten?«
»Hi! Ich hab gerade mit Diamond Claw gesprochen. Sie möchte wieder fliegen.«
Das Mädchen zögerte, dann sagte sie: »Das sollten wir wirklich bald tun. Ich hab schon alles vorbereitet und gepackt. Wir könnten also quasi gleich los.«
»Wir?«, echote Shaun verblüfft.
»Selbstverständlich nehmen wir sie auch mit«, erklang die fröhliche Antwort der Libelle in seinem Kopf. »Ich kann euch locker beide tragen. Solange deine kleine Freundin nicht unter Höhenangst leidet, werden wir eine Menge Spaß haben. Ich spüre aber, dass sie dir vorher noch etwas Wichtiges sagen möchte. Und außerdem solltest du dringend etwas essen. Dein leerer Magen macht mich fast verrückt.«
Shaun sah Mooni fragend an.
»Die Prof hatte gestern recht«, begann diese auch schon. »Es ist echt dringend, dass wir diese Nachricht an die Quacksalber im Institut bringen. Vieles von ihrer Erklärung habe ich nicht kapiert, aber es scheint, dass dieses merkwürdige Moos vielleicht eine Art Schlüssel darstellt. Es kann eine Verbindung zu anderen Pflanzen herstellen und dadurch als eine Art Botschafter fungieren. Die Prof glaubt, die gesamten Organismen auf der Welt hätten womöglich ein höheres Bewusstsein entwickelt. Das dämliche Grünzeug genauso wie auch die Insekten. Aber der Rest ihrer Erklärung war mir dann zu hoch.«
»Aha, und was heißt das jetzt?«
Mit einem schiefen Grinsen sah sie Shaun an. »Machen wir doch einfach Urlaub am Meer und lassen die Eierköpfe sich darüber ihre Hirne zermartern.«
Er schob die Decke zurück und reckte sich ausgiebig. »Das klingt nach einem coolen Plan. Ich bin jedenfalls wieder fit.«
Mit Erstaunen stellte er fest, dass dies sogar der Wahrheit entsprach. Das Brennen zwischen den Schultern war über Nacht verschwunden. Er verspürte nicht einmal ein Kribbeln, wo gestern noch tiefe Risse gewesen waren. Auch schien ihn kein Verband mehr einzuengen. Erstaunt ließ er mehrfach seine Schultern kreisen. Er fühlte sich ausgeruht und voller Energie. Nur der Magen schmerzte, als ob er seit Tagen nichts mehr gegessen hätte.
Mooni bemerkte seine Überraschung. »Alter, ich hab null Plan, wie das sein kann. Aber bis auf ein paar Narben sind deine Wunden über Nacht komplett abgeheilt. Entweder bist du ein Mutant oder du hast das weltbeste Heilfleisch.«
»Dieses Rätsel kann ich vermutlich lösen«, ertönte die Stimme der Libelle hinter Shauns Stirn. »Diese Löcher in deinem Rücken erschienen mir störend, daher habe ich das umliegende Gewebe gestern angewiesen, sich zu regenerieren.«
»Öhm, Danke?!«
»Was?« Fragend blickte Mooni ihn an.
Er deutete vage zur Tür. »Diamond Claw sagt, sie hätte da etwas mit meinem Rücken gemacht.«
Wie vom Donner gerührt wanderte ihr Blick zur Tür und zurück zu ihm. Ihr Mund öffnete sich, doch es kamen keine Worte hervor. Mooni war sprachlos.
»Jetzt guck doch nicht wie ein Auto!« Shaun stand auf. »Ich hab doch auch keinen blassen Schimmer, wie sowas geht.«
Er begann sich gut gelaunt anzuziehen. Mooni beobachtete ihn schweigend.
»Ich verstehe das übrigens auch nicht wirklich«, plauderte die Libelle munter in seinem Kopf. »Aber ich weiß ja ebenso wenig, wie unsere Gedankenverbindung funktioniert. Nicht mal mit anderen Libellen kann ich mich unterhalten.«
Zehn Minuten später verließen die beiden das kleine Haus. Shaun hielt in jeder Hand Stücke einer Wurzelknolle, die dick mit einer süßen Paste bestrichen ware. Kaum, dass sie ins Sonnenlicht traten, kam die Libelle bereits vom Dach heruntergeglitten und landete brummend vor ihren Füßen.
»Und jetzt?« Kauend blickte er zu Mooni. »Wo gehts hin?«
Sie grub in ihrer Leinentasche. »Die Prof hat mir außer der Nachricht noch ne Karte, einen Kompass und diese Wegbeschreibung mitgegeben.« Sie hielt ihm einen Zettel vor die Nase.
Shaun blinzelte. »Richtung NNO, etwa 300 Kilometer: quer über die Heide → Hamburg → Kiel → Laboe? Und hier steht noch etwas von einer letzten Ampelkreuzung und dem Marine-Ehrendenkmal, direkt am Meer.«
»Die Prof hat gesagt, das Ding wäre riesig, man könnte es gar nicht übersehen.«
»Die Ampel?«
»Das Denkmal, du Holzkopf!«
»Und dort soll dieses Institut dann sein?«
Mooni nickte. »So ungefähr jedenfalls. Die Forscher haben da wohl irgendein altes U-Boot vom Strand ins Wasser geschafft und es zu einer Forschungsstation umgerüstet. Das hat irgendwas mit den Sporen in der Luft und dem Salzwasser zu tun.«
»Na, worauf warten wir dann noch?« Die Libelle rieb ihre Flügel schabend aneinander. Shaun spürte erneut ihre Ungeduld.
»Komm, lasst uns los«, sagte er und stopfte sich den Rest seines Frühstücks in den Mund.
»Können wir vorher noch einen kurzen Stopp bei Keith einlegen?« Sie deutete vage auf die grüne Wand am Ufer.
Diamond Claw gab ihm zu verstehen, dass sie die Worte verstanden hatte und gerne dazu bereit war. Beide Kinder kletterten auf den glatten Insektenrücken und sofort schwirrte die Libelle in die Luft.