☣Last Kids Standing☣: Kapitel 19
»Hey, habt ihr Typen etwa den Arsch offen?«, motzte Mooni, während sie verzweifelt versuchte, sich aus dem schweren Netz zu befreien.
»Halts Maul!«, rief einer der Männer und verpasste ihr eine kräftige Ohrfeige. Der Kopf des Mädchen ruckte zurück. Hasserfüllt starrte sie den Typen an. Es war der Gleiche, der eben noch so freundlich lächelnd seine Arme geschwenkt und sie damit auf den Hügel gelockt hatte.
»Alter! Wenn ich hier rauskomme, verpasse ich dir einen solchen Tritt, dass du in Zukunft mit deiner Vorderseite kacken kannst!«, versprach sie ihn zähnefletschend.
Zur Antwort traf sie lediglich ein weiterer, noch härterer Schlag.
»Provoziere ihn doch nicht noch weiter«, flüsterte Shaun leise. »Diese Typen sehen echt mies aus.«
»Dein kleiner Freund scheint wesentlich klüger als du zu sein. Du solltest auf ihn hören, Schätzchen«, riet ihr ein anderer Kerl.
Seine Kleidung war kaum weniger zerrissen und dreckig wie die des ersten, aber immerhin wusste er noch, wie man sich rasierte. Statt eines Vollbartes trug er lediglich einen gewaltigen, braunen Schnauzbart und einen breitkrempigen Hut. Auf Shaun machte er den Eindruck, als ob er in seiner Jugend zu viele Western gesehen hatte. Fast erwartete er, auch Revolver und Sporen an dem Mann zu sehen.
»Lass noch was von ihrem hübschen Gesicht übrig, Ingo«, sagte der abgehalfterte Cowboy zum Vollbärtigen, »schließlich ist sie später unser Zahlungsmittel.«
Ingo grunzte nur.
Der dritte der Bande – ein kleiner, schielender Glatzkopf – gackerte belustigt. Zielsicher kletterte er über das Netz auf Diamond Claw zu. Die Libelle bäumte sich auf. Doch je mehr sie sich umherwarf, desto weiter verfing sie sich in den Maschen. Ihre Kauwerkzeuge erzeugten bedrohliche, klackende Laute, als sie versuchte, das Stahlnetz zu durchbeißen.
»Versuch es ruhig, das schaffst du nie«, sagte der Glatzkopf. Gewandt wich er den zuckenden Krallen des Tieres aus und erklomm ihren Rücken. Er zog etwas Kleines aus seiner Tasche und schob es der Libelle von hinten zwischen die Tracheen.
»SHAUN!« Verzweifelt erklang ihre Stimme in seinem Kopf. »Was macht der da? Halt ihn auf! Mir wird plötzlich – ganz – komisch.«
Mit jedem Wort wurde sie leiser. Nach einem letzten, gehauchten »Shaun« verstummte die Stimme gänzlich.
»IHR SCHWEINE!«, begann der Junge zu toben. »IHR HABT SIE UMGEBRACHT! DAFÜR WERDE ICH EUCH ALLE ...«
Der Glatzköpfige kletterte langsam über die reglose Diamond Claw. Wie zufällig trat er Shaun dabei mit einem Stiefel kräftig gegen die Schläfe. Niemand erfuhr, was der Junge mit den drei Männern hatte anstellen wollen. Er versank in Schwärze.
Kopfschmerzen! Nein, weit mehr als das: Doppelter, höllischer Schädelschmerz, vielleicht sogar dreifacher! Nicht auszuhalten, eine unerträgliche Qual! Shaun fühlte sich unweigerlich an seine Zeit im Getränkemarkt zurückversetzt, als er allein und ausschließlich von Bier und Obst gelebt hatte. Doch selbst der erste Kater damals war nicht halb so schlimm gewesen, wie das, was nun oberhalb seines Halses tobte. Sein Gehirn pulsierte mit jedem einzelnen, verfluchten Herzschlag. Es schien ihm mit aller Gewalt aus den Ohren herausquellen zu wollen, so sehr drückte es gegen den Schädel. Shaun vermutete, auch seine Augen würden ihm aus dem Kopf ploppen, sobald er nur die Lider hob. Wilde Blitze tanzten über deren Innenseiten. Dazu gesellte sich ein schrecklicher Schwindel. Sein Magen begann rhythmisch zu hüpfen, gleich würde er sich überg...
»Hey, Holzkopf. Sag endlich was.«
Verblüfft riss Shaun die Augen auf – und schloss sie gleich wieder, als ihm grelle Lichtdolche in den Schädel stachen. Gepeinigt stöhnte er auf.
»Bist du endlich wach? Kannst du mich verstehen?«, donnerte die Stimme von Diamond Claw inmitten der flammenden Pein.
»Aua!«, jaulte Shaun auf. Er warf sich herum. Etwas Spitzes stach ihm ins Gesicht. Der Geruch von Fäulnis und altem Mist drang in seine Nase. Es kribbelte, brannte wie Feuer. Verzweifelt riss er den Mund auf, rang nach Luft.
»Gleich wird es besser«, versprach ihm die gewaltige Stimme der Libelle. Sie wirkte wie ein riesiger, dröhnender Gong.
Shaun rollte sich herum, krümmte sich zusammen und erbrach sich stöhnend.
»Na danke!«, sagte Mooni dicht vor ihm.
Erneut öffnete er die Augen.
Diamond Claw hatte recht behalten. Die grellen Lichter waren wirklich etwas erträglicher geworden. Verschwommen erkannte er Mooni vor sich. Er schluckte schwer. Auch die widerliche Übelkeit und das Pulsieren in seinem Kopf gingen zurück.
»Hey, Sonnenschein.« Seine Stimme klang rau, kratzte im Hals.
»Mann ey, ich hab mir Sorgen um dich gemacht!« Mooni sah ihn vorwurfsvoll an. »Wie war das mit nicht provozieren?«
Er lächelte schief. »Wollte sie nur ablenken.«
»Na, das ist dir ja gelungen.«
Er blickte sich im Halbdunkel um. Holzwände und Stroh.
»Sie haben uns in einen alten Schuppen gesperrt«, sagte Mooni. »Vermutlich ein heruntergekommener Schafstall.«
Shaun dachte an das Stroh und den Mistgeruch, den er wahrgenommen hatte. Der ihm noch immer in der Nase kribbelte und brannte. Er wollte sich schnell zur Seite drehen, doch es war bereits zu spät.
Ein gewaltiges Niesen brach aus ihm heraus. Er wirbelte Staub, Stroh und getrockneten Schafskot wie rustikales Konfetti durch die Luft.
»Mist! Erst kotzt du mich fast an, und dann sowas. Mit dir wird es einem echt nicht langweilig.« Eine mit Dreck gesprenkelte Mooni funkelte ihn vorwurfsvoll an.
Er lächelte entschuldigend. »Sorry. Aber sag mal, weißt du, was die mit uns vorhaben?«
»Woher soll ich das denn wissen? Sie halten uns hier gefangen, doch sonst hat mir keiner was gesagt.« Sie hob ihre Hände und er bemerkte die Ketten, mit denen sie an die Wand gefesselt worden war.
Ein kurzer Blick verriet ihm, dass er auf die gleiche Weise an dieses nette Apartment gebunden war.
Mooni sah ihn an: »Was ist mit D.C.?«
»Mit wem?«
»Deine Libelle, Holzkopf. Glaubst du echt, ich sag jetzt jedes Mal Diamond Claw? Da bekomme ich ja nen Krampf in der Zunge. Also, was ist? Hast du Kontakt zu ihr?«
Shaun musste unweigerlich grinsen. Egal, wie verzweifelt ihre Situation auch war, Mooni war noch immer sie selbst. Das beruhigte ihn enorm.
»Ja. Und ich glaube, ihr geht es jetzt wieder besser. Sie hat mir eben schon gegen die Kopfschmerzen geholfen.«
»Klar, wer sonst?«, erklang die warme Stimme in seinem Kopf.
»Danke«, sandte er ihr seine schlichte Antwort.
»Kann sie uns hier irgendwie rausholen?«, wollte Mooni wissen.
Shaun gab die Frage weiter. Doch mit jedem übermittelten Wort sank seine Stimmung.
Kopfschüttelnd blickte er zu Mooni. »Sie sagt, sie ist irgendwo im Dunkeln in eine Kiste eingesperrt. Die Typen haben sie in weitere Netze und Seile gewickelt. Sie kann sich kaum bewegen und bekommt nur schlecht Luft.«
»Das tut mir leid«, sagte Mooni bedrückt.
Sie schwiegen eine Zeitlang, dann hellte sich die Miene des Mädchens auf. »Ich denke, Keith ist auf dem Weg hierhin. Er wird uns retten!«
»Echt?«
Sie nickte grinsend.
In diesem Augenblick wurde die Tür krachend aufgestoßen. Das grelle Licht ließ Shauns Augen erneut tränen. Ein dunkler Schatten bewegte sich auf die Kinder zu.
»Na wen haben wir denn da? Das Arschloch und die Zuckermaus. Wenn das nicht mal ein feiner Fang ist.«
Die Stimme, dachte Shaun, er kannte diese Stimme. Wer verdammt … ?
»Johann?«, fragte Mooni da verblüfft.