CN: Kraftausdrücke/Beleidigungen, Erniedrigung, körperliche Gewalt
☣Last Kids Standing☣: Kapitel 20
Eine zweite Gestalt trat gebückt durch den niedrigen Eingang und blieb neben Johann stehen. Bereits am Hut erkannte Shaun in der Silhouette den Cowboy von vorhin.
»Na, hab ich dir zu viel versprochen?«, schnarrte der verkannte Westernheld heiser. »Wir haben dir nicht nur dein gewünschtes Reittier besorgt, sondern auch das Mädchen, von dem du uns die ganze Zeit vorschwärmst. Und das war nicht gerade einfach. Das dämliche Vieh hat sich nämlich übel gewehrt.«
Johann lachte meckernd. »Ja, ihr habt keine schlechte Arbeit geleistet. Aber das darf ich ja wohl auch erwarten, wenn ich euch dafür als Gegenleistung eine ganze Stadt übergebe.«
Der Cowboy grunzte. »Ziemlich arrogant, Bürschchen.«
Johann blickte ihn herausfordernd an. »Ach komm schon, Ronny. Ohne mich würdet ihr doch weiter als einfache Strauchdiebe durch die Gegend reiten. Ihr wisst ja noch nicht mal, wie man über das Wasser bis zur Stadt gelangt, geschweige denn an die geheimen Vorratslager. Oder willst du etwa sagen, mein Preis wäre nicht angemessen? Ein dämliches Insekt und ein Mädchen gegen eine ganze Stadt und genug Essen für Jahre?«
Mooni keuchte entsetzt auf. »Du elender Verräter!«
Johann grinste hämisch. »Hab noch ein wenig Geduld, Süße. Zu dir komme ich später.«
Verzieh dich, du Judas!«, fauchte Mooni und versuchte, nach Johann zu treten.
Der wich ihr allerdings geschickt aus. Er ergriff die Kette an ihren Handgelenken und riss sie mit einer Hand daran grob in die Höhe. Mit der anderen packte er ihr Haar und zog sie dicht an sich heran.
»Ich hab dir doch schon vor Tagen versprochen, dass wir noch viel Spaß miteinander haben werden. Wenn du dich damals nicht so verflucht zickig angestellt hättest, müsstest du jetzt nicht hier hocken. Aber das werde ich dir noch austreiben, das verspreche ich dir.«
Er näherte sich ihrem Mund. Shaun setzte schon zu einem Protest an, da zuckte Mooni Kopf vor. Johann jaulte auf. Er ließ sie zurück ins Stroh fallen und griff sich ins Gesicht.
Zwischen seinen Fingern quoll Blut hervor. »Du elendes Miststück hast mir in die Lippe gebissen!«
Mooni spuckte aus und bleckte die Zähne. »Ja, leider. Eigentlich wollte ich dir die hässliche Nase abbeißen, Arschloch.«
Sie trat erneut nach ihm. Diesmal war er nicht schnell genug. Sie traf sein Schienbein. Wieder jaulte er auf.
»Brauchst du Hilfe beim Bändigen eines kleinen Mädchens?«, fragte der Cowboy gehässig.
»Halt Maul, Ronny. Mit der werd ich schon noch allein fertig. Zunächst kümmere ich jedoch um die Libelle. Anschließend kommt diese Zicke hier dran.«
Johann trat nach Mooni, traf jedoch nur ein Holzbrett, als das Mädchen sich geschickt zur Seite rollte. Hasserfüllt blickte er auf Shaun: »Und dich werfen wir später den Spinnen zum Fraß vor.«
Dann wandte er sich um und humpelte schnell aus dem Schuppen.
Der Cowboy blickte noch einen Moment auf die beiden Kinder herab, bevor er Johann folgte. Krachend fiel die Tür hinter ihm zu.
Mooni sah Shaun entsetzt an. »Hast du das gehört? Die wollen in Sennestadt eindringen. Aber dafür müssten sie erst an den fliegenden Wachen vorbei. Und über den See voller Nymphen. Die lassen doch keinen Fremden durch. Glaubst du, dass Johann den Libellen oder den Wachen etwas antun will?«
Der Junge hatte jedoch gerade völlig andere Sorgen. »Was soll das heißen, er will Spaß mit dir haben?«, polterte Shaun los.
»Na was schon, Holzkopf? Aber das ist jetzt total egal, denn wir werden einfach es nicht so weit kommen lassen.« Mooni drehte sich auf die Seite und blickte Shaun fest in die Augen. »Genauso wenig, wie ich es jemals zulassen werde, dass du von irgendwelchen Spinnen gefressen wirst. Ich hab dich da doch nicht umsonst schon mal wegholen lassen. Auch, wenn es von diesem Arschloch da war.« Sie deutete mit dem Kinn auf den Ausgang.
»Und was hast du jetzt vor?«, fragte Shaun.
Mooni hob gerade zu einer Antwort an, da raschelte es in einer dunklen Ecke. Altes Stroh bewegte sich langsam. Etwas verbarg sich dort. Was konnte das sein? Ratten gab es in dieser Welt nicht mehr. Doch die meisten Insekten waren jetzt sowieso wesentlich gefährlicher, als es diese Nager je gewesen waren. Shaun wünschte sich fast, es wäre nur eine Ratte.
Beide Kinder starrten erschrocken in die Schatten.
Eine faustgroße, mit krebsrotem, flaumigem Haar bedeckte, siebenbeinige Spinnmilbe kam unbeholfen aus dem Stroh gekrochen.
»Purzel!«, lachte Shaun überrascht auf.
»Na, die hat mir jetzt aber einen fetten Schreck eingejagt«, sagte Mooni.
»Na, und mir erst.« Der Junge drehte lachend der Kopf zur Seite, als die Spinnmilbe zirpend begann, ihm die Wange und das Ohr vollzusabbern.
»Sitz - Platz - Aus!«, versuchte er den Liebesbekundungen seines Haustieres Einhalt zu gebieten.
Purzel knarzte enttäuscht, ließ aber gehorsam vom Gesicht ab und kuschelte sich stattdessen in seine Halsbeuge.
»Da könnte ich glatt eifersüchtig werden«, grinste Mooni, und robbte sich mit klirrenden Ketten näher an Shaun heran.
Gerade, als sie den Kopf vorstreckte, um ihn zu küssen, flog die Tür erneut auf. Erschrocken blickten sie auf.
»Nanana! Was ist das denn? Habe eure Eltern euch etwa nicht beigebracht, wie man sich anständig benimmt?«, gackerte der glatzköpfige Schatten, als er eintrat.
Der Dritte, dieser Räuberbande. Der Typ, der Shaun gegen den Kopf getreten hatte. In Shaun stieg Wut hoch. Hinter ihm folgte mit gesenktem Kopf eine zweite Person. Erst bei näherer Betrachtung erkannte Shaun in der schmalen, gebeugten Gestalt mit einem Tablett in den Händen eine Frau.
»Jetzt stell den kleinen Mistkröten schon ihren Fraß hin, Gesine«, kommandierte sie der Glatzkopf.
Die Frau schlurfte gehorsam vor. Dem Mann jedoch nicht schnell genug, denn er hob drohend eine Hand. Angstvoll zuckte die Frau zusammen und stolperte vorwärts. Als sie sich bückte, um das Tablett vor den Kindern auf dem Scheunenboden zu stellen, bemerkte Shaun mit Erschrecken, dass es sich bei der gebeugt gehenden, verhärmten Gestalt um keine alte Frau handelte, wie er zunächst angenommen hatte. Ganz im Gegenteil. Sie konnte nicht viel älter als Shaun und Mooni sein, höchstens 16 oder 17. Doch Dreck und Verzweiflung hatte tiefe Furchen in ihr Gesicht gegraben, so das sie um Jahrzehnte älter wirkte. Das formlose Kleid hing wie ein grauer Sack an ihr herab. Ihre Augen schienen ihm leer und ausdruckslos, als sich ihre Blicke kurz kreuzten.
»Trödle da nicht rum«, fauchte der Glatzkopf und trat von hinten nach der Frau.
Sie stolperte vor, stieß mit dem Kopf keuchend gegen einen Balken.
»Das bist du selbst schuld«, höhnte er. »Und jetzt verschwinde endlich wieder in die Küche. Oder denkst du, mein Abendessen kocht sich von allein?«
Er griff die Frau an der Schulter und schob sie grob aus dem Schuppen.
An der Tür blieb er stehen, sah auf Shaun und Mooni herab. »Ihr habt es zwar nicht verdient, aber der Boss meint, ihr solltet etwas essen. Besonders die blonde Puppe da braucht er wohl noch.«
Erneut gackerte er. Dann jedoch verengten sich seine Augen. Er stieß ein drohendes Zischen aus.
»Was ist das denn da?« Er deutete auf Purzel, die sich noch immer leiser schnurrend an Shauns Hals schmiegte.
Plötzlich hielt der Kerl einen Stock in den Händen. Bedrohlich kam er auf die Kinder zu, die Spinnmilbe dabei nicht aus dem Blick lassend.
»Nein!« Shaun fuhr hoch, trat nach dem Mann.
Purzel zirpte schrill auf und flüchtete zurück ins Stroh. Innerhalb von zwei Herzschlägen war keine Spur von ihr übrig. Der Glatzkopf hielt inne, starrte der Spinnmilbe verblüfft nach. Mit einer schmutzigen Hand kratzte er sich nachdenklich am Kopf.
»Na ja, was solls. Wenn dich die Viecher hier schon auffressen wollen, kann es mir auch recht sein.«
Er drehte sich und blickte grimmig auf Mooni herab. »Und du friss endlich deinen Scheiß-Eintopf. Ich hab keinen Bock, dass ich dich auch noch füttern muss. Hörst du?«
Doch Mooni reagierte nicht. Sie starrte bloß mit aufgerissenen Augen zur Decke.
»Hey«, der Glatzkopf stieß Mooni mit dem Stiefel an. »Stirb mir hier nicht weg, Mädchen. Der Boss killt mich sonst.«
Mooni blinzelte. Sie schüttelte langsam den Kopf, blickte sich benommen um und lächelte dann Shaun zu.
»Gute Nachrichten. Keith ist gleich da.«
Auch in Shauns Gesicht stahl sich ein Lächeln. »Keith kommt? Das ist gut.«
Der Glatzkopf blickte sie verständnislos an. »Was soll das sein? Keith? Versucht ihr, mich gerade zu verarschen? Ist das etwa eine Art Geheimcode unter Teenagern?«
Er betrachtete die Kinder kopfschüttelnd. »Aber egal. Ihr kommt hier nicht weg. Also macht doch, was ihr wollt. Euch wird das Lachen sowieso noch vergehen.«
Zum Abschied trat er Shaun in die Rippen, dann verließ leise gackernd er den Schuppen.