Fingerübung, Stichwort: «Sanduhr»
Ein kurzer Ausschnitt aus dem entstehenden Manuskript der Jugendbuchreihe «Das Kuratorium des Verfalls» (Buch 1:Kapitel 14.1, -Ich packe meine Tasche-)
Mick schob den linken Stapel seiner Horrorcomics weiter auf das Kopfkissen. Nein, diese Hefte waren jetzt wirklich nicht hilfreich. In ihnen ging es ausschließlich um Aliens. Damit würden sie es heute Nacht bestimmt nicht zu tun bekommen. Dann war da noch der mittlere Stapel. Werwölfe und Vampire, eine Golem und andere Kreaturen der Nacht. Schon interessanter, unter Umständen sogar hilfreich. Diese Hefte sollte er später noch ein mal genauer durchsehen.
Und dann der rechte Stapel. Hier handelten die Geschichten von teuflischen Beschwörungen, von geisterhaften Wesen und einem Spukschloss. In anderen ging es um verrückte Wissenschaftler, um Voodoo und um auferstandene Tote. Frankenstein 1+ 2, ebenso wie Frankensteins Rückkehr und Die Erben des Frankenstein gehörte definitiv ganz oben auf diesen Stapel. Direkt darunter lagen Zombieattacke und Der Loa-Killer. Das war genau das Zeug, dem sie nachher entgegentreten würden. Mick brummte zufrieden. Mochten ihn die anderen für seine Sammlung belächeln, er war jedenfalls gut vorbereitet. Jetzt war noch die Frage zu klären, ob er die wichtigen Hefte auch einpacken sollte. Es wäre hilfreich, wenn man schnell etwas nachlesen musste. Kurz dachte er darüber nach, entschied sich jedoch dagegen. Wer wusste schon, was sie genau im Geisterhaus erwartete. Womöglich wurden seine Comics dort sogar nass. Sowas ging mal gar nicht, fand Mick. Einige der Ausgaben besaßen inzwischen einen hohen Sammlerwert. Außerdem waren sie sein Heiligtum, sein Schatz. Nein, so leid es ihm tat, sie mussten hierbleiben, für so einen Ausflug waren sie zu wertvoll. Er würde sie nach dem Abendessen noch einmal durchblättern und sich jedes Detail merken müssen, das ihn hilfreich erschien.
Als Mick grübelnd vom Bett sprang, landete er versehentlich mit dem Fuß im ausziehbaren Bettkasten. Dabei stolperte er, verlor das Gleichgewicht und segelte mit wild rudernden Armen auf die geöffnete Schranktür zu. Es gelang ihm, sich zur Seite zu werfen, so das nur sein Bein die Türkante streifte. Leider lauerte unter dem unordentlichen Kleiderstapel am Boden auch seine Hellboy-Actionfigur, die ihn prompt in die Rippen traf.
Mist! Nach Luft ringend rieb sich Mick das aufgeschürfte Schienbein. Dabei kam ihm eine entscheidende Idee. Pflaster! Er würde noch Pflaster einpacken. Wer wusste schon, ob die anderen beiden an solche wichtigen Dinge dachten.
Unheilvoll öffnete sich hinter ihm die Zimmertür. Seine Oma sah kurz auf ihn hinab, bevor ihr tadelnder Blick langsam durch das Zimmer schweifte.
«Was für ein Saustall! Hier kann man ja nirgends mehr treten.» Sie bemerkte das Blut an seinem Bein. «Das hast du dir ja wohl selbst zuzuschreiben. Wenn du Ordnung halten würdest, wäre das nicht passiert.»
«Ja, Oma», keuchte Mick kläglich hervor.
Sie griff kurz hinter sich und zog eine Sanduhr aus dem Dielenregal. Mit einem deutlichen «Tock» stellte sie sie oben auf Micks Schrank.
«So, junger Mann. Du hast fünf Minuten, um das Chaos hier zu beseitigen. Ansonsten fällt dein Abendessen für heute aus!» Sie wandte sich zum Gehen, ergänzte dann aber noch: «Und lüfte gefälligst, es stinkt hier erbärmlich! Hast du wieder dieses grässliche Zuckerzeug gefressen? Willst du so etwa fett werden wie dein Vater?»
«Mein Vater war nicht fett», dachte Mick traurig, nachdem sie gegangen war. Die Stricknadeln klapperten nun wieder nebenan. Dann begann er hektisch einige Dinge in seinen Rucksack zu stopfen.