"Nein!", sage ich zu Nick.
"Doch", sagt Nick Calm.
Eine Stunde später stehe ich in einem Helikopter, den dummen Schild auf dem Rücken, und starre auf einen verschneiten Wald. Die Rotoren beugen die Bäume, als das Fluggerät tiefergeht. Dann verharrt der Helikopter in der Luft.
Fragend sehe ich den Soldaten neben mir an. Er trägt eine relativ nichtssagende Uniform mit Helm und schusssicherer Weste. Ich habe natürlich nichts dergleichen bekommen.
"Du musst springen", fordert mich der Soldat auf.
"Was?!" Es sind mindestens zwanzig Meter zum Boden!
Verdutzt guckt der Soldat zurück. "Du bist doch ein Superheld."
"Ich? Ein Superheld? Nie im Leben. Erstens hat das mit den Superkräften nicht geklappt, und zweitens gehört zum Heldsein noch ganz anderes dazu, und ich glaube kaum, dass ..."
In diesem Moment fegt eine Böe durch den offenen Mittelteil des Helikopters. Der junge Soldat kann sich rechtzeitig festhalten, aber mir mangelt es definitiv an Daumen dafür.
Mit einem Schrei stürze ich in die Tannen.
Ungefähr so: Freier Fall. Ast. Freier Fall. Ast. Ast. Freier Fall. Stamm. Ast. Ast. Freier Fall. Boden.
"Uff." Ich quäle mich auf die Pfoten und zähle nach. Alle Beine noch dran, und wie durch ein Wunder bin ich unverletzt - kleinere Kratzer und Tannennadeln will ich mal großzügig nicht mitzählen. Der Schild hat einiges von meinem Sturz aufgefangen.
Der bestialische Lärm des Helikopters über mir wird leiser.
"He! Moment mal! Wo wollt ihr denn hin?" Ich renne hinterher, aber das dumme Ding ist natürlich viel schneller als ich, und außerdem viel höher. Hechelnd bleibe ich stehen, als mir klar wird, dass ich auf mich allein gestellt bin. Irgendwo im Nirgendwo! Das ist doch wirklich nicht wahr!
Ich fletsche die Zähne, dann schnaufe ich durch und kehre zu meinem Absturzpunkt zurück, um den Schild einzusammeln, der noch an meiner Absturzstelle liegt. Wenn ich meinen Nacken etwas verrenke - und mit 'etwas' meine ich den Albtraum eines jeden Chiropraktikers -, kann ich mir das Ding auf den Rücken schieben. Ich habe jetzt so eine schicke Lederschlaufe, die um meine Brust geschnallt ist, mit einem Bogen, der quer vor meinem Hals verläuft, sodass ein Bein in der Schlaufe steht, das andere frei. Hinten gibt es einen Magnet, an den sich der Schild heftet, sodass er fast schon bequem auf meinem Rücken liegt.
Ich würde Nick Calm dankbar dafür sein, dass er mitgedacht hat, wenn da nicht ein Problem wäre: Ich kenne diese Lederrüstung. Es ist meine Lederrüstung. Ein Prototyp, den ich gemeinsam mit Loki entwickelt habe, und der meine Begleitersteine fassen sollte. Vorne ist auch eine leere Fassung, wo der Saphir für Lyssa fehlt. Den hat Nick natürlich entfernt, vermutlich, weil Lys mich aus diesem Chaos befreien könnte.
Ich atme tief durch und hebe den Kopf. Es wird wohl Zeit, mit dem Jammern aufzuhören, und mein Ziel zu suchen.
Als ich mich umsehe, bemerke ich einige astlose Bäume im Wald, die sich als von Menschen behandelte Pfähle herausstellen. Sie stehen in regelmäßigen Abständen, und an ihren Spitzen verläuft eine Art Kabel. Offenbar Stromkabel - also muss ich diesem luftigen Fluss lediglich folgen.
*
Mein Ziel soll ein geheimes Hauptquartier irgendwelcher bösen Jungs sein. Um ehrlich zu sein, habe ich Nick nicht so ganz genau zugehört, weil ich damit beschäftigt war, immer wieder zu wiederholen, dass ich nicht tun werde, was er von mir verlangt. Aber so, wie ich das verstanden habe, nähere ich mich einem Bunker, in dem ich mehr erfahren werde. Dort sollen ein paar Handlanger herumsitzen und vermutlich Karten spielen, und die Oberbösewichte sind hoffentlich gerade ausgeflogen.
Weil die Oberbösewichte nämlich Superschurken sind - und mit denen möchte ich mich noch nicht herumschlagen. Sogar Nick hat zugestimmt, dass es tatsächlich besser ist, erst mal mit ein paar normalen Menschen zu üben.
*
Als ich mich nähere, erkenne ich einen kleinen, weißen Block. 'Klein' im Sinne von drei mal drei Metern, aber für einen Bunker ist das noch echt niedlich. An einer Seite gibt es ein offenes Fenster. Ich lege mich flach in den Pulverschnee und sondiere erst mal die Lage mit meinen durch das Serum nicht ein Stück gesteigerten, normalen Wolfssinnen.
Drinnen sitzen drei Männer. Und sie spielen Karten. Skat, wenn ich das richtig höre - sie reden jedenfalls ständig von Rehen und sagen Kontra. Ich glaube, das sind Indizien für Skat.
Und das war's dann auch. Ich bin etwas enttäuscht. Die Handlanger könnten sich ruhig mal an die Regeln halten und Interna ausplaudern oder sich über ihren Boss beschweren. In Filmen machen die das immer!
Ich verpasse noch einigen Chiropraktikern schlaflose Nächte, bis ich den Schild wieder von meinem Rücken heruntergewälzt habe. Dann packe ich dessen Griff mit den Zähnen, bete zur Göttin der Glasscherben, dass sie mich verschonen möge, und stürme voran. Mit einem mächtigen Satz springe ich gegen die Glasscheibe und ... pralle ab.
Phfump!
"Was war das? Habt ihr das auch gehört?"
Die Skatspieler springen auf. Wenig später öffnet sich die Tür und drei Männer mit Waffen im Anschlag kommen heraus. Sie stocken, als sie einen Wolf vor ihrem Fenster sehen. Einen kopfüber, mit dem Rücken an der Bunkerwand liegenden Wolf, der verzweifelt versucht, seine Zähne aus dem Riemen eines Schilds zu befreien.
Die Männer sehen mich an. Ich sehe die Männer an - so gut das geht. Ich muss das eine Auge, das zu ihnen weist, ein ganzes Stück verdrehen.
"Ähm. Hi! Im Namen der ... des ... ähh ... Gesetzes, glaube ich ... seid ihr festgenommen!"
"Das ist ein Agent von C.H.A.O.S.!", ruft einer der Männer. Alle drei reißen ihre Waffen hoch.
"Oh-oh ..."