24. Kapitel
„Mein Gott!“ sprach Nathalie erschüttert „was ist nur in ihn gefahren? Es tut mir sehr leid, dass er sich so daneben benommen hat, Jonathan.“
Jonathan nickte nachdenklich und erwiderte: „Er scheint dich wirklich unbedingt für sich gewinnen zu wollen. Einerseits verstehe ich ihn ja auch. Du bist nun mal eine ganz besondere Frau und einst waren er und du sehr tief verbunden.“
„Und dennoch, muss er endlich begreifen, dass ich mich für dich entschieden habe! Er ist mittlerweile richtig fixiert auf mich. Wenn sich diese Obsession nur bald wieder legt!“
„Bestimmt,“ gab Schwarzes Pferd zuversichtlich zur Antwort.
„Hoffentlich! Das was er da gerade gemacht hat, grenzt an Stalking und er hat auch dich beleidigt. Wie konnte er nur so unverschämt sein? Dabei hatten du und ich so einen schönen Abend.“
„Den lassen wir uns auch nicht verderben,“ beschwichtigte sie Jonathan. „Komm, wir machen noch einen kleinen Spaziergang! Es ist eine wundervolle, sternenklare Nacht.“
Nathalie nickte und merkte, wie sich ihr rasender Puls langsam wieder beruhigte. Sie warfen beide eine leichte Jacke über und machten sich auf den Weg nach draussen.
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Marc war sehr aufgewühlt. In ihm waren erneut die unterschiedlichsten Emotionen im Widerstreit. Einerseits war er schrecklich wütend auf Jonathan und Nathalie, andererseits schämte er sich auch wieder für seinen Auftritt. „Ich hätte nicht solche Schwäche zeigen sollen, schon gar nicht vor diesem vermaledeiten Jonathan!“ ärgerte er sich. „Ich hätte diesem Mistkerl besser eins verpassen sollen! Aber… vermutlich hätte es das nur noch schlimmer gemacht,“ meldete sich wieder seine Vernunft. „Ich will es ja mit Nathalie nicht ganz verderben. Dennoch…, ich kann einfach nicht glauben, dass es das mit uns schon gewesen sein soll. Was würde das alles, was ich über ihre und meine Beziehung erfahren habe, sonst für einen Sinn ergeben?“ Allerdings hatte ihm Nathalie auch gesagt, dass Vater Krähe oder zumindest dessen Geist, ihr offenbart habe, dass Jonathan nun für sie bestimmt sei. Sein altes Ich hatte Nathalie damals gerettet, als Marc als Kangi einst von den Schlange getötet worden war. Unter diesen Umständen konnte Marc Nathalies Entscheidung auch irgendwie nachvollziehen. Wenn das alles überhaupt stimmte. „Verflucht noch eins!“ dachte er „All das lässt mir trotz allem keine Ruhe. Immerhin waren sie und ich einstmals so eng verbunden.“
Wieder kam Marc der Traum in den Sinn, den er vor kurzem von ihnen beiden geträumt hatte. Die Liebe zwischen ihnen war so tief gewesen, so wundervoll. Doch dann… war sie davongegangen und hatte ihn zurückgelassen und alles nur wegen diesem… Jonathan! Im Augenblick hasste er den jungen Indianer deswegen richtiggehend.
Schliesslich kam Marc an einer kleinen Baumgruppe vorbei und vernahm, unmittelbar über seinem Kopf, plötzlich ein trommeln und klopfen. Erstaunt blickte er nach oben. Irgendwie klangen die Geräusche nach einem Specht, bei der Arbeit. Aber es war doch schon so spät! Die seltenen Vögel waren um diese Zeit normalerweise schon lange nicht mehr aktiv. Und doch… im Zwielicht der blassen Strassenlaternen, entdeckte Marc jetzt tatsächlich einen Grünspecht, der mit seinem Schnabel gegen die Rinde einer alten Esche hämmerte. Als würde der Vogel bemerken, dass er beobachtet wurde, hielt er in seinem Werk inne und seine runden, schwarzen Augen begegneten denen von Marc. Doch anstatt, wie es die scheuen Spechte sonst immer taten, sogleich fortzufliegen, fixierte der Vogel den jungen Mann weiterhin und legte seinen Kopf leicht schräg, als würde er ihn eingehend mustern.
Und dann auf einmal, erklang eine Stimme in Marcs Innerem: „Ja, schau mir nur gut zu! Du kannst noch eine Menge von mir lernen!“
Gleich darauf setzte der Specht die Arbeit an seiner, bereits ziemlich grossen Baumhöhle, fort. Die Späne flogen dabei nach allen Seiten.
„Wer hat da gerade zu mir gesprochen?“ dachte Marc erstaunt.
Der Specht hörte wieder auf zu arbeiten und fixierte ihn. „Na, wer wohl!?“ erklang erneut dieselbe Stimme, wie vorhin, in Marcs Kopf.
„Bist du das etwa?“ fragte er an den Vogel gewandt.
„Natürlich! Sonst ist ja niemand hier.“
Der Specht trommelte mit seinem spitzen Schnabel mehrmals heftig gegen die Rinde der Esche, als wolle er seinen Worten noch mehr Nachdruck verleihen. Ab und zu hielt er inne und bewegte seinen Kopf zuckend hin und her, als wolle er sein Werk immer wieder begutachten.
„Baust du eine Höhle für dich und deinen Nachwuchs?“ fragte Marc schliesslich.
„Nein,“ war die Antwort. „Diese Höhle ist für jemand anderen.“
„Für andere Vögel oder vielleicht für irgendwelche Nagetiere?“
Der Vogel erwiderte. „Nein! Deswegen würde ich doch nicht auf meinen wohlverdienten Schlaf verzichten.“
„Was meinst du damit?“ fragte Marc im Geiste und kam sich dabei ziemlich dumm vor. Der Specht musterte ihn, einmal mehr, mit seinen kleinen Augen, die wie schwarze Perlen glänzten. Sein rotes Kopfgefieder leuchtete dabei durch die Dunkelheit. „Du warst schon immer ein wenig schwer von Begriff,“ meinte er dann.
Marc wurde wütend. „Bist du nur hier, um mich zu beleidigen?“
„Nein, eigentlich bin ich hier, um dich wachzurütteln.“
„Wachrütteln?“ echote der junge Mann. Der Specht trommelte nun noch heftiger gegen den Stamm, so dass es weit herum hörbar war. „Ich habe auf meinen eigenen Schlaf verzichtet, um dich aufzuwecken,“ sprach er und wirkte leicht verärgert.
„Aber… ich muss gar nicht aufgeweckt werden.“
„Natürlich nicht!“ die Stimme des Spechts klang spöttisch. „Du gehörst ja bereits zu den Erwachten, habe ich recht?“
„Das habe ich nicht gesagt. Aber ich bin sicher wacher, als gewisse andere Menschen und schwer von Begriff bin ich auch nicht. Das war ich nie. Ich konnte immer alles auf Anhieb und blicke auf ein erfolgreiches Leben zurück…“
Der Specht liess einen lauten, lachenden Ruf ertönen. „Hört, hört! Unser junger Animalrider glaubt, sein Leben sei erfolgreich! Warum hast du dann noch immer keine eigene Bruthöhle und warum muss ich dir eine bauen?“
„Du weisst also, dass ich ein Animalrider bin?“ wollte der Mann wissen.
Wieder liess der Vogel ein Art Lachen hören. „Selbstverständlich, sonst würdest du mich doch gar nicht verstehen!“
„Auch wieder wahr,“ musste Marc zugeben. „Aber was meine eigene Bruthöhle betrifft…, bisher hatte ich noch keinen Grund, mir eine zu bauen. Ich habe noch nicht die richtige Partnerin dafür gefunden und jene, die vermutlich die Richtige wäre, ist gerade noch mit einem anderen zusammen.“
„Ach ja, Nathalie…,“ sprach der Vogel beinahe schwärmerisch. „Sie wird ihre Bruthöhle schon bald bauen. Sie hat den Richtigen dafür bereits gefunden.“
Marc wurde aufgeregt und wollte etwas fragen, doch der Specht kam ihm zuvor. „Aber…, das bist leider nicht du, junger Padawan!“
„Padawan?“ fragte Marc erstaunt. „Woher kennt ein Vogel wie du, so einen Ausdruck? (Padawan wurden in Star Wars jene genannt, die von einem Jedimeister ausgebildet wurden)
„Ach,“ erwiderte der Specht. „Wenn die Menschen beim TV schauen ihre Fenster offen lassen, bekommt man als Vogel schon so einiges mit. Mir gefiel das Wort. Es ist so… modern.“
„So modern nun auch wieder nicht. Star Wars gibt es schon seit den 70- er Jahren. Aber fraglos gibt es davon, auch heute noch, eine grosse Fangemeinde.
Doch Spass beiseite! Du sagst…, ich bin nicht jener der mit Nathalie eine Bruthöhle bauen wird?“
Der Specht schüttelte den Kopf. „Nein…, das bist du nicht.“
„Aber warum sollte ich dann eine Bruthöhle bauen wollen, bzw. warum glaubst du, du musst eine Bruthöhle für mich bauen?“
„Weil eine solche Bruthöhle deinen Horizont erweitern wird, junger Padawan,“ erwiderte der Vogel salbungsvoll.
Marc wusste nicht so recht, ob er weinen oder lachen sollte und fragte: „Wie genau…, soll so eine Höhle meinen Horizont erweitern?“
„Schau einfach mal hinein!“ Der Specht neigte seinen Kopf in Richtung der Höhle, die er gerade angefertigt hatte.
„Hineinschauen? Aber diese Baum- Höhle ist viel zu hoch oben.“
„Dann musst du eben ein wenig klettern. Nicht alles fällt einem einfach so in den Schoss.“
„Also gut,“ Marc seufzte, griff nach den untersten Ästen der Esche und hangelte sich vorsichtig zu der Höhle empor. „Das alles ist doch völlig verrückt,“ ging es ihm dabei durch den Kopf.
Der Specht hüpfte etwas zur Seite und sprach: „Jetzt schau ganz tief in die Höhle hinein und sag mir, was du siehst!“
Marc machte es sich auf einem stabilen Ast bequem und neigte sich dann vor, um in die Höhle, die der Specht für in angefertigt hatte, hineinzuschauen. Sie war wirklich erstaunlich tief und gross. Doch er sah nichts ausser Schwärze darin.
„Schau genauer hin!“ befahl der Vogel.
„Das alles hat doch keinen Zweck!“ sprach Marc resigniert. „Das ist eine ganz normale Höhle, wenn auch eine sehr gelungene…, normale Höhle,“ fügte er noch schnell hinzu, um den Specht nicht zu beleidigen.
„Das ist sie eben nicht! Schau noch genauer und versuche dich an deine Erlebnisse in der Schwitzhütte zurückzuerinnern!“
Woher um alles in der Welt, wusste dieser Vogel bloss alles von ihm?
Doch tatsächlich gelang es Marc, sich durch diese Aufforderung, in einen anderen Bewusstseinszustand zu versetzen und… auf einmal…, erkannte er tatsächlich etwas!