Weit, weit zurück, in einer vergangenen Zeit, erwachte die junge Allessehende Katola aus ihrem Schlaf. Erst vor kurzem waren sie und der Clan der Spechte, auch genannt „Die Chankatotola“, in der neuen Welt angekommen. Als einige der Ersten hatten sie das neu aus den Fluten auftauchende Land erblickt. Da sie zum Vogelvolk gehörten, hatten sie den Schiffen vorausfliegen können.
Katola war ein Sternenkind, so wie Kangi und Suna, nur dass ihre bevorzugte Tier- Gestalt, die eines Spechtes war.
Katola war ein lebensfrohes, hübsches Mädchen, mit leuchtenden, dunklen Augen, langem schwarzbraunen, leicht gelocktem Haar und weiblichen Kurven. In ihrer menschlichen Gestalt, trug sie oft ein Cape aus braunen und gefleckten Goldspecht- Federn, dazu braune Lederhosen und um den Kopf einen schmalen, aus roten Federn gefertigten Kranz. Ihre Ohren und ihr Hals waren vorzugsweise mit Schmuck aus Holz und ebenfalls Federn geschmückt.
Der Specht- Klan liebte alles, was mit Holz zu tun hatte. Auch waren sie begeisterte Trommler und Trommelbauer. Katola war da keine Ausnahme. Sogar in ihrer Vogelgestalt, konnte sie das Trommeln nicht wirklich lassen. Die Spechtklan- Leute waren bekannt dafür, stets neue Rhythmen auszutüfteln, mit denen sie schon so manches, rauschendes Fest, bereichert hatten. Ausserdem besassen sie die Gabe, durch die Höhlen, die sie jeweils mit ihren spitzen Schnäbeln in Bäumen bauten, Einblick in Geheimnisse zu erhalten, die jenseits der üblichen Wahrnehmung lagen. Manchmal konnten sie durch sie sogar in andere Zeiten blicken, manchmal erhielten sie jedoch auch Visionen, von sonstigen, wichtigen Begebenheiten. Wenn die Höhlen ihren spirituellen Zweck erfüllt hatten, dann wurden sie den anderen Geschöpfen der Natur, zur Verfügung gestellt oder gleich selbst bezogen. Katola allerdings, war ein Menschenkind und lebte lieber in einem, mit Lehm verputzten Rundbau. Dieser besass nur einer Öffnung, durch die man ihn jeweils verliess und auch betrat. Das fühlte sich ganz ähnlich an, wie eine Baumhöhle. Das Gerüst, welches die Rundbauten der Specht- Leute stützte, bestand ebenfalls aus Holz, meist aus dem Holz des Lieblingsbaumes, des darin lebenden Bewohners. Bei Katola war dies immer Psehtin die Esche gewesen, doch hier in der neuen Welt musste sie froh sein, wenn sie überhaupt irgendwo Holz fand.
Die junge Allessehende erhob sich und kleidete sich diesmal in ein schlichtes, braunes Ledergewand. Sie wollte heute die neue Welt in ihrer Specht Gestalt, etwas ausgiebiger erkunden. Die Stimmung war, seit der Ankunft an diesem Ort, ziemlich angespannt und bedrückend. Denn auf der Fahrt hierher, hatten es einige tragische Ereignisse gegeben . Diese Ereignisse hatten bewirkt, dass sich einige der Klans, so z.B. der
Berglöwen- Klan und ein Teil des Schlangenklans, von der grossen Gemeinschaft aller Klans losgesagt hatten. Vor allem zwischen den Sternenkindern und einigen Tieren, hing der Haussegen teilweise besorgniserregend schief.
Katola hatte alles miterlebt: Den Tod des stets in Kobraleder gekleideten Jungen, der von einem Schlangenhäuptling, namens Schwarzer Zahn, aus Eifersucht getötet worden war und der darauffolgende Tod von Schwarzer Zahn selbst, durch Kangis Hand. Die junge Frau erinnerte sich noch lebhaft an die erschütternde Ratsversammlung zurück, bei der einige Tiere sogar die Todesstrafe für Kangi gefordert hatten.
Katolas Gedanken reisten wieder zu jenem schrecklichen Moment zurück:
Der Rat der Weisen hatte damals alles versucht, um zwischen den verfeindeten Parteien zu vermitteln, doch es gelang ihm anfangs nicht. Katola erinnerte sich nur zu gut daran, wie wild durcheinandergerufen wurde. Die Ankläger, alles Tiere, sagten, dass sie sich vom Verbund der Klans lossagen würden, wenn Kangis Mordtat, nicht auf gerechte Weise gesühnt werde.
„Ein Leben, für ein Leben!“ schrie die Schlange Braunhaut, welche der Sohn von Schwarzer Zahn war. Der Anführer der Berglöwen, beschuldigte Kai noch zusätzlich der Aufwiegelung der Menschen, gegen die Tiere. Der Dachs stimmte ihm zu, ebenso auch der Luchs. Sie alle beschimpften Kai und meinten, dass sie das Vertrauen in die Sternenkinder endgültig verloren hätten.
Die Sternkinder ihrerseits, beschimpften die Tiere und meinten, dass sie den Respekt vor ihnen verloren hätten und sie in Zukunft allein leben würden.
„Wir werden keine Rücksicht mehr nehmen, wenn ihr Kai das Leben nehmt!“ schrien sie. „Wir werden euch alle jagen und uns mit euren Fellen und Häuten schmücken! Wir haben gute Waffen, ihr könnt uns nicht aufhalten!“
Natürlich machte diese Feindseligkeit alles nur noch schlimmer und beinahe gipfelte die Zusammenkunft, welche eigentlich zwischen den Parteien hätte vermitteln sollen, in einem schrecklichen Gemetzel zwischen Tieren und Menschen.
Zum Glück jedoch konnte sich der Grosse Rat, bestehend aus den weisesten, aller weisen Tiere, dann aber doch durchsetzen und das Schlimmste verhindern. Bruder Bison sprach besonders kluge, beschwichtigende Worte und schliesslich lenkten einige der erzürnten Tiere zum Glück ein.
„Nun gut...“ sprach der Herr der Berglöwen „Wir werden Kais Tod nicht weiter fordern. Doch wir erwarten, dass er, sobald das Land gross genug geworden ist, verbannt wird. Wir haben ebenfalls getötet und werden deshalb von uns aus, genauso weggehen. Mein Klan und ich treten aus der Klan- Gemeinschaft aus. Wir werden in Zukunft unsere eigenen Wege gehen, als... Einzelgänger. Wir werden die Sternkinder von uns aus nicht mehr angreifen, doch wenn sie uns bedrohen, dann werden wir uns wehren.“
„Dasselbe gilt für uns,“ sprach Spitzohr- Anführer des Luchsklans. „Wir gehen in Zukunft ebenfalls unsere eigenen Wege. Wir sind den Sternkindern nicht von Grund auf feindlich gesinnt, doch wir trauen ihnen nicht mehr und werden auch nicht mehr ihre Lehrmeister sein.“
Der Dachs sprach: „Wir werden versuchen hier zu bleiben, doch sollten die Anfeindungen, von Seiten der Menschen, zu gross werden, werden wir ebenfalls von hier weggehen und nie mehr wiederkehren.“
„Was ist mit dem Klan der Schlangen?“ fragte die grosse, weise Schlange Goldenes Auge, welche Teil des Rates der Ältesten war. „Wird er hierbleiben, oder auch weggehen?“
Die zwei übriggebliebenen Schlangenbrüder, die mit Braunhaut gekommen waren, welcher die Ratsversammlung frühzeitig verlassen hatte, erwiderten: „Das ist für uns schwierig zu entscheiden. Einige sind derselben Meinung wie Braunhaut, andere wiederum, fühlen sich noch immer mit der Klanggemeinschaft und dem Rat verbunden, da du, Goldenes Auge, auch zu ihm gehörst. Letztere werden wohl hierbleiben und versuchen in Frieden mit den Sternkindern zu leben, andere aber werden gehen.“
Tatsächlich war es dann so gekommen, wie es beschlossen worden war. Kangi wurde nach der Ankunft in der neuen Welt verbannt und seine Liebste Suna folgte ihm.
Als Katola daran zurückdachte, zog ein leiser Schmerz ihr Herz zusammen. Der Gedanke, vor allem Kangi nie mehr wiederzusehen, stimmte sie sehr traurig. Schon seit langer Zeit, schwärmte sie im Stillen für den schönen, jungen Mann, welchen als Rabenklan- Mitglied stets eine unbeschreibliche, geheimnisvolle und magische Aura umgeben hatte. Sie wusste jedoch, dass er nur Augen für seine Liebste Suna hatte. Auch wenn die beiden eigentlich so verschieden waren. Dennoch schienen sie sich auf besondere Weise zu ergänzen und Katola sah in den Augen der beiden, die tiefe, innige Zuneigung, welche sie verband. Da war für sie einfach kein Platz mehr.
Damals nach dem Ereignis mit dem toten Sternenkind im Kobragewand und Schwarzer Zahn, der durch Kangi den Tod fand, hatte Katola eine neue Baumhöhle angefertigt und durch diese war ihr dann offenbart worden, was wirklich passiert war: Kangi hatte einst die Wahrheit gesprochen. Er hatte Schwarzer Zahn in Notwehr getötet, nachdem er beobachtet hatte, wie die boshafte Schlange das Sternenkind mit dem Kobragewand, grausam ermordet hatte. Dieser Junge würde nicht das letzte Opfer der grausamen Schlange sein. Auf einmal durchlief ein Schauder Katolas Körper und dunkle Vorahnungen bemächtigten sich ihrer.