Marc zuckte zurück: „Was war das für ein Mädchen, dass ich da in deiner Baumhöhle eben gesehen habe?“
„Du hast ein Mädchen gesehen?“ fragte der Specht und es klang eher wie eine rein rhetorische Frage. „Ja,“ Marc beschrieb die junge Frau, die er erblickt hatte.
„Das war das Mädchen, das damals dafür gesorgt hat, dass dir Gerechtigkeit widerfuhr, nachdem dich ein Teil des Schlangen Klans, einst als du noch Kangi warst, ermordet hat. Sie hiess Katola, gehörte zum Specht- Klan, von dem auch ich ursprünglich abstamme und war schon ganz von Anbeginn in dich verliebt. Sie war eine Allessehende wie du und Nathalie bzw. Suna.“ „Aber… warum habe ich ausgerechnet sie gesehen?“
„Auf alles weiss ich die Antwort auch nicht, aber mir wurde aufgetragen, dir mitzuteilen, dass dieses Mädchen mittlerweile ebenfalls viele Inkarnationen durchlaufen hat und heute, hier in der westlichen Welt lebt.“
„Aber wo genau?“
„Das weiss ich nicht. Du wirst sie wohl allein finden müssen. Ihre Gefühle für dich, sind jedoch immer noch da, nach all den Inkarnationen hat sie die Sehnsucht nach dir bzw. nach deinem alten Ich- Kangi, niemals ganz verloren. Deine damalige, tragische Geschichte, hatte sie bis ins Innerste erschüttert und sie machte sich wegen vielem grosse Vorwürfe.“
„Vorwürfe? Aber warum? Sie hat mich damals ja nicht umgebracht, vielmehr sorgte sie ja scheinbar für Gerechtigkeit.“
„Ja, aber sie konnte dich dennoch nicht retten. Das verfolgt ihre Seele bis heute.“
Der Specht berichtete Marc nun in knappen Worten, was Katola einst erlebt hatte und Marc konnte es kaum glauben. „Dann habe ich sie deswegen vorhin in der Baumhöhle gesehen?“ fragte er.
„Ja. So wie sie einst deinen Tod durch eine Baumhöhle beobachtet hatte. „Das alles muss wirklich traumatisierend für sie gewesen sein. Und du sagst… sie war… in mich verliebt?“
„Richtig. Aber du hattest damals nur Augen für Suna bzw. Nathalie. Denn damals waren letztere und du ja noch ein Dualpaar. Jetzt jedoch… da Nathalie drauf uns dran ist ihre eigene Bruthöhle mit Jonathan zu bauen, eröffnen sich dir und auch Katola wieder ganz neue Möglichkeiten.“
„Aber… ich habe kein Interesse an irgendeinem anderen Mädchen. Diese… Katola oder wie sie auch immer heute heissen mag, kümmert mich nicht im Geringsten.“
„Ich dachte mir schon, dass du das sagen würdest. Du bist eben viel zu berechenbar.“
Erneut stieg Ärger in Marc auf. „Ich bin nicht so berechenbar wie du denkst!“ protestierte er.
„Oh doch, du bist für mich wie ein offenes Buch,“ erwiderte der Specht und stiess erneut sein keckerndes Lachen aus. „Was weisst du schon!“ rief der junge Mann zornig. „Du bist ja nur ein dummer Vogel!“
„Heh!“ rief gleich darauf eine zornentbrannte Stimme aus einem Fenster des naheliegenden Hauses. „Es gibt hier Leute, die schlafen wollen! Haltet endlich eure lauten Klappen oder verzieht euch, sonst rufe ich die Polizei!“
„O…o.“ sprach Marc nun einiges leiser. „Wir waren wohl etwas zu laut.“
„Vor allem du warst zu laut,“ piesackte ihn der Specht.
„Ach was, dein Keckern ist auch nicht unbedingt leise. Dabei solltest du doch schon längst schlafen. Ich übrigens auch.“
Marc kletterte nun wieder vom Baum herunter und der Specht setzte sich auf einen der unterstehen Äste. „Du kannst mich beschimpfen so viel du willst,“ sprach er. „Ich habe meinen Auftrag erfüllt und dir die Wahrheit gezeigt. Was du damit anfangen willst, liegt allein bei dir. So leb den wohl!“ der Grünspecht breitete seine Flügel aus und wollte gerade losfliegen, als Marc ihn nochmals zurückhielt. „Warte noch! Es… tut mir leid! Ich weiss, ich bin im Augenblick wirklich nicht der angenehmste Gesprächspartner.“
Der Vogel hielt nochmals inne und wieder richteten sich seine kleinen schwarzen Äuglein wissend auf den jungen Mann. „Ich danke dir auf jeden Fall für das was du mir da gezeigt hast,“ fuhr Marc fort. „Es ist schön zu wissen, dass es da irgendwo eine Frau gibt, die mich schon so lange liebt und welche mir damals Gerechtigkeit widerfahren liess. Weisst du denn, was damals genau geschah, als sie den Rat der Tiere über die Pläne dieser widerlichen Schlangenbrut unterrichtete?“
„Der Rat war natürlich überaus entsetzt und sandte sogleich Späher aus, welche sich selbst vom Wahrheitsgehalt der Geschichte Katolas überzeugen sollten. Ziemlich bald fanden sie den Leichnam deines alten Ichs und nachdem sie festgestellt hatten, dass du tatsächlich durch mehrere Schlangenbisse getötet worden warst, setzten sie sich sogleich auf die Fährte der boshaften Schlangen. Schon bald fanden sie diese und sie wurden allesamt gefangen genommen.
Bei der darauffolgenden Gerichtsverhandlung stellte sich heraus, dass Braunhaut und seine Anhänger dich tatsächlich ermordet hatten und sie geplant hatten, alle Sternenkinder auszurotten. Da diese Schlangen deshalb eine Gefahr für alle bedeuteten, musste man sie aus dem Verkehr ziehen. Man grub eine tiefe, dunkel Grube und warf sie dort hinein. Dort sollten sie den Rest ihres Lebens fristen. Es fiel dem Rat nicht leicht, solch rigide Massnahmen zu ergreifen, doch es blieb im schlussendlich nichts anderes übrig. Seit jenem Tag haben die verbrecherischen Schlangen nie mehr das Tageslicht gesehen und mit der Zeit wurden ihre Augen immer schlechter, beinahe blind. Man sagt, dass dies der Grund sei, warum heute noch viele Schlangenarten, nur sehr schlecht bis gar nichts sehen.“
„Geschieht ihnen recht!“ entfuhr es Marc, doch sogleich tadelte er sich selbst. „Die Nachkommen dieser unseligen Schlangen, die mich damals töteten, waren schliesslich nicht für die Taten ihrer Vorfahren verantwortlich.“
„Das stimmt,“ meinte der Specht. „Denn ein jedes Lebewesen, befindet sich stets in einer Evolution. Das darfst du nie vergessen! So, nun muss ich aber wirklich gehen. Viel Glück bei deiner weiteren, spirituellen Suche. Vielleicht findest du ja das heutige Ich von Katola doch noch… irgendwann und dann kannst auch du dir endlich eine Bruthöhle bauen. So leb denn wohl!“ Der Specht schwang sich in die Lüfte und war kurz darauf Marcs Blicken entschwunden. Der junge Mann schaute ihm noch eine Weile gedankenverloren hinterher, dann machte er sich ebenfalls wieder auf den Heimweg.