Wie immer, nach einem mehr oder weniger arbeitsreichen Tag im Museum, kehrte sie nach Hause zurück. Es war jetzt wieder Samstag.
Sie streifte ihre warmen Winterstiefel aus braunem Leder ab und ging zuerst in die Küche um sich etwas Zwischenverpflegung aus dem Kühlschrank zu holen.
Ihre Wohnung lag im 3.Stock. Sie besass grosse schöne Räume, allerdings war ihre gesamte Ausstattung ziemlich alt. Die Böden waren aus groben Holzdielen, die nicht selten unter den Füssen knarrten, die Wände bestanden aus weissem Putz und die Fenster waren nur mässig isoliert.
Nathalie hatte alles im Ethno Stil eingerichtet. Da gab es eine Sitzgruppe aus ellastischem Korbgeflecht, Tische und Stühle aus dunklem Holz, teilweise verziert mit Schnitzereien. Verschiedene luftige Tücher als Raumabtrenner und Vorhänge aus verschiedenfarbigem Kunstseidenstoff, hingen von der Decke herab. Überalls standen Figuren und andere Gegenstände der verschiedensten Kulturen. Ein grosser Traumfänger, hing über dem dunkelrot bezogenen Futon, auf dem Nathalie jeweils schlief und überall hingen Bilder von Amerika, Australien und Afrika.
Nathalie war, wohl auch durch ihre Arbeit im Völkerkundemuseum, sehr interessiert an allen Völkern der Erde. Am liebsten hätte sie auch noch indische und asiatische Utensilien in ihrer Wohnung untergebracht, doch das Ganze war so schon zusammengewürfelt genug. Darum hatte sie sich für ihre drei Lieblingskulturen entschieden.
Ihr Bücherregal war der beste Beweis für ihre vielseitigen Interessen. Sie besass bereits soviel Bücher, dass wohl bald ein neues Gestell her musste.
Nachdem sie sich ein Brot mit Käse gemacht und eine Flasche mit Eis- Tee aus dem Kühlschrank genommen hatte, warf sie sich auf das Sofa, schaute die Post durch und stillte dabei ihren Hunger und ihren Durst. Dann begab sie sich ins Badezimmer um sich frisch zu machen.
Sie blickte in den Spiegel und fand, dass sie sehr bleich wirkte. Ihre braunen, glatten Haare, die sie meist zu einem Pferdeschwanz zusammenband, hingen ihr etwas wirr ins Gesicht. Sie besass eine schmale, spitze Nase, einen vollen Mund und erstaunlich dunkle Augen, welche von langen, ebensolchen Wimpern überschattet wurden. Die Brauen waren ebenso markant. Nathalies Teint war schon immer ziemlich hell gewesen, doch sie wurde im Sommer wenigstens schnell braun. Das war ein Vorteil. Der Körperbau des Mädchens war schlank, allerdings entsprach er nicht dem Magerlook, der heute überall so verbreitet war. Sie hatte wohlgeformte Brüste und auch ihre Hüften besassen gesunde Rundungen. Die andern Leute bezeichneten sie als hübsch, nicht zuletzt wegen ihrer Augenpartie, die sich auf angenehme Weise von ihrem Gesicht abhob. Viele fanden, sie hätte etwas Exotisches an sich.
Wie üblich schätzte Nathalie sich selbst etwas kritischer ein. Sie fand sich nicht so besonders, vor allem jetzt im Winter nicht, wenn sie so bleich war.
Während sie noch über ihren viel zu hellen Teint nachgrübelte, entledigte sie sich ihrer Kleider. Meist trug sie irgendwelche Jeans, einen bequemen Pulli oder pflegeleichte Blusen.
Das Mädchen stieg nun in die Dusche. Das warme Wasser floss über ihren Körper und ein wohliger Schauer durchlief sie dabei. Ahh tat das gut! Das Wasser schien alles Unreine abzuwaschen, das den Tag hindurch auf sie eingewirkt hatte. Es war eine Reinigung nicht nur von Körper, sondern auch von Geist. Während sie die Augen schloss und den warmen Strahl auch über ihren Kopf fliessen liess, sah sie vor sich ein wunderschönes weites Land mit sanften Hügeln, Tälern, Steppen und Wäldern. Ein einsamer Adler kreiste am tiefblauen Himmel... und wieder flog ihr Geist davon... in eine unbekannte Zeit, nach der sie sich so sehnte und die doch so unerreichbar schien...
Weiser Adler der bisher alle Reden der verschiedenen Ratsmitglieder mit seinen scharfen, hellblauen Augen verfolgt hatte gab nun zu verstehen, dass er auch noch zu sprechen wünsche. Sein schneeweisses Gefider raschelte wie die Blätter von Canyah'u dem „Baum des Lebens“(Pappel).“ „Das was Vater Krähe sagt ist von grosser Wichtigkeit und ich will mich diesen Worten anschliessen. Tatsächlich werden die „Allessehenden“ einst wieder aufsteigen, doch vorher wartet eine grosser Leidensweg auf sie. Der Grosse Geist der in den Träumen zu mir spricht, liess mich Schreckliches erblicken. Ein neuer Feind wird einst diese Welt heimsuchen. So wie die Flut uns heimsucht und unsere Herrschaft beenden wird, so wird eine Flut von fremden Zweibeinern einst die Sternkinder heimsuchen. Doch wird deren Geist nie ganz gebrochen werden. Ihr Andenken und damit auch unser Andenken wird bewahrt bleiben und eines Tages wird die Welt ihnen die nötige Ehre zukommen lassen.
Die Zweibeiner die nach euch kommen werden, sprach Manitu zu mir werden verstockt sein und sie werden das Grosse Geheimnis nich mehr verstehen. Sie werden den Nachkommen der Sternkinder grosses Leid zufügen, ihnen ihr Land nehmen und sie versuchen von ihrem Glauben abzubringen. Obwohl ich ihnen eigentlich dieselben Lehren gegeben habe wie Euch. Die Fremden werden eine Haut haben wie Elfenbein und Rüstungen tragen, die an silberne Schildkrötenpanzer erinnern. Andere kleiden sich in verschiedenfarbige Röcke und Uniformen. Sie werden neue Waffen haben und viele von euch töten.“
Als Weiser Adler diese Worte aussprach stockte seine Stimme und ein Zittern durchlief die Mitglieder des Rates. Die Augen von Suna und den andern „Allessehenden“ waren ganz besonders vom Schreck geweitet. Ohne zu berücksichtigen das eigentlich Vater Adler noch immer das Wort hatte, rief Kai: „Aber das ist ja schrecklich! Müssen wir da nicht etwas unternehmen?“ Grosser Rabe, dessen Gefider ebenfalls wie frischer Bergschnee aussieht (die Legende spricht davon, dass die Raben einst weiss waren), wies ihn zurecht: „Wie kannst du den Rat auf diese Weise stören Cinksi (Sohn)? Du unterbrichs das Wort von „Grosser Adler“. Habe ich dich nicht gelehrt, dein jugendliches Ungestüm zu zügeln? In allem was geschieht liegt eine Weisheit. Der Grosse Geist tut nichts zufällig. Die Welt wandelt sich, wird sich immer wandeln. Tod und Leben gehören untrennbar zusammen. Wir Tiere wissen auch, dass uns kein glückliches Schicksal erwartet, doch wir nehmen es an.“ „Aber Ate (Vater)!“ widersprach Kai, was ihm einige tadelnde Blicke des Rates einbrachten, (was er allerdings wenig beachtete) „Das ist etwas anderes! Die Sinflut hat einen natürlichen Ursprung, aber diese Fremden, die uns einst alles nehmen werden, nicht. Von wem werden sie geschickt, von den Dämonen, einem unbekannten Feind? Was können unsere Nachfahren ihnen entgegensetzen? Können sie zulassen, dass sie unsere Kultur einfach vernichten? Wie sollen sie sich vehalten? Und wir? Was können wir tun?“ seine Stimme klang nun verzweifelt und ich hatte grosses Mitleid mit ihm. Darum sprach ich: „Wir müssen Kai und auch die andern „Allessehenden“ verstehen! Deine Nachricht Vater Adler ist schrecklich und es betrifft vor allem sie.“
„Ich kann das gut nachempfinden,“ sprach Weiser Adler verständnisvoll und blickte Kai mitfühlend an. „Doch es wird geschehen und wir müssen es annehmen lernen. Wir müssen von Tag zu Tag leben. Das Nichtstun in diesen Belangen mag schwer erscheinen, aber zuerst gilt es diese Sinflut zu überstehn. Das wird unser ganzes Denken und Handeln in Anspruch nehmen.“ Er wandte sich an Kai: „Du solltest bei allem was geschieht daran denken, dass auch das Leid ein Teil des Lebens ist. Diese Fremden die kommen werden, werden ihre Orientierung verohren haben. Sie können Recht und Unrecht nicht mehr unterscheiden. Doch wenn die Sternkinder Gleiches mit Gleichem vergelten, wird auch deren Seele von Hass und Zorn zerfressen werden. Es ist unendlich wichtig, dass die Sternkinder sich ihre innere Reinheit bewahren und ihr Erbe nicht vergessen. Dann wird nach der Zeit des Leidens wieder eine Zeit des Glücks folgen, denn nichts...währt ewig ausser das „Grosse Geheimnis“...“