25. Kapitel
Die Zeit verging, wie im Flug und schliesslich war der Moment gekommen, da Jonathan und seine Indianerfreunde, ihren grossen Auftritt, in der beschaulichen Ortschaft Rheineck am Bodensee haben würden. Schon einige Tage zuvor, war Jonathan oft dorthin gefahren, um zu proben. Nathalie durfte jedoch nicht mitgehen, denn die Vorführung sollte eine Überraschung sein. Nathalie und Jonathan waren sich durch ihr enges Zusammenleben in den letzten Wochen, sehr viel nähergekommen und merkten, dass sie auch im Alltag wirklich gut harmonierten. Sie hatten sogar schon über eine mögliche Heirat gesprochen, doch noch gab es vieles zu erledigen und zu organisieren.
Am Samstag, dem 25. August, war es dann endlich so weit! Das Festival sollte das ganze Wochenende dauern. Das Interesse daran war so gross, dass die Indianer sich kurzfristig nach einer grösseren Lokalität hatten umsehen müssen. Unterstützt wurden sie bei der Planung und Organisation von einigen Indianervereinen aus der Schweiz.
Nathalies Herz klopfte wild, als sie bei der grossen Sporthalle ankam, in welcher das Festival nun stattfinden sollte. Es würde dort einige Darbietungen und Tänze geben. Ausserdem gab es mehrere Stände, an denen die Lakota ihre selbstgefertigten Waren, wie Schmuck, Kleider und andere Accessoires anboten.
Die junge Frau freute sich sehr, denn schon bald würde sie einige ihrer Freunde, die sie während ihres Aufenthaltes in South Dakota kennengelernt hatte, wiedersehen. Unter anderem ihr geliebter Mentor Wandernder Bär und den weisen Snakeman. Aber wenn Snakeman kam dann…! Auf einmal durchlief es sie eiskalt und sie verpasste beinahe die Einfahrt zum Festival Parkplatz. In letzte Sekunde bog sie noch ab und parkierte ihren weissen Renault Clio auf einem der Parkfelder.
Wenn Snakeman dort war…, dann war vielleicht auch Marc dort. Daran hatte sie ihn ihrem Glückstaumel, der letzten Wochen, gar nicht mehr gedacht. Wie nur sollte sie sich ihm gegenüber verhalten, nachdem er sich bei seinem letzten Besuch so danebenbenommen hatte?
„Nun…“ beruhigte sie sich jedoch sogleich selbst. „Hier an diesem Festival, wird er es wohl kam wagen, Jonathan und mich zu belästigen.“ Sie merkte auf einmal, wie übel sie Marc sein Verhalten doch eigentlich nahm. Er war wirklich unglaublich dreist gewesen, war auch nicht davor zurückgeschreckt, ihren Liebsten -Schwarzes Pferd aufs Übelste zu beleidigen. Darum würde sie Marc so gut als möglich ignorieren, falls er sich hier herumtrieb. Mit diesem Vorsatz betrat sie die Halle, in der das Festival stattfand. Als Partnerin eines der Statisten, besass sie natürlich eine Freikarte. Ansonsten kostete es Eintritt. Das war ja auch gut so, denn immerhin kam das Geld, dass die Indianer hier einnahmen, den Leuten in Pine Ridge zugute. Damit würde es möglich werden die Infrastruktur im Reservat, um einiges zu verbessern.
Erstaunt blickte sich die junge Frau um. Es waren wirklich sehr viele Zuschauer gekommen. Einige von ihnen trugen sogar selbst indianischen Gewänder oder zumindest indianischen Schmuck. Auch Nathalie hatte ihr Outfit ein wenig angepasst. Sie trug eine indianische Silber- Kette mit Türkisen und Korallen, dazu passende Ohrringe und in ihrem langen Haar, einen indianischen Federschmuck. Gekleidet war sie sonst jedoch normal.
Gegenüber der Tür, durch die sie gerade eingetreten war, befand sich eine ziemlich grosse, aus Bretter gezimmerte Bühne. Alles war passend zum Anlass geschmückt und im Hintergrund lief leise, indianische Musik. Ausserdem befand sich im hinteren Teil der Bühne eine mächtige Büffel- Trommel, an welcher mehrere Leute trommeln konnten.
„Nathalie!“ vernahm die junge Frau hinter sich auf einmal eine begeisterte, jugendliche Stimme. Ellie, Jonathans Tochter kam ihr entgegengelaufen. Sie trug ein wunderschönes, weisses Hirschledergewand mit herrlichem Schmuck und weiche, mit Perlen bestickte Mokassins, dazu. Im Schlepptau hatte sie… Nathalie konnte es kaum glauben: Sally Blackbird! „Ellie! Sally!“ rief sie und schloss die beiden Mädchen freudig in ihre Arme. Sally war mittlerweile elf Jahre alt, doch noch immer war sie ziemlich mager und etwas bleich um die Nase. Auch sie trug sehr schöne, jedoch etwas buntere Gewänder, dazu passenden Schmuck und ein, mit farbigen Perlen besticktes, Stirnband. „Ihr seht so hübsch aus!“ rief Nathalie und hielt nun Sally ein Stück von sich weg. „Wie gross du geworden bist! Ich hätte nicht damit gerechnet, dass du auch in die Schweiz mitkommst.“
„Sie wollte unbedingt auch dabei sein,“ erklärte Ellie. „Gerade ist sie ein paar Wochen bei Grossvater untergekommen. So wie ich. Papa wollte ja unbedingt sogleich zu dir reisen, als er erfuhr, was euch beide schon seit Äonen verbindet.“ Weisse Feder seufzte träumerisch. „Hach! Das ist so eine romantische Geschichte.“
Nathalie nickte, wurde jedoch auch etwa nachdenklich. Wie fühlte sich diese Erkenntnis wohl wirklich für Jonathans Tochter an? Immerhin vermisste diese ihrer Mutter noch immer und nun war sogar noch herausgekommen, dass eine Frau aus der fernen Schweiz, eigentlich die Dualpartnerin ihres Vaters war.
Ellie wirkte jedoch so offen und glücklich, dass Nathalie die belastenden Gedanken wieder verscheuchte und sich erneut Sally zuwandte. „Und… mein Schatz… wie geht es dir denn so?“ Sally erwiderte etwas traurig: „Es geht… ich vermisse Mama und… auch Papa.“
„Das kann ich sehr gut verstehen,“ erwiderte Nathalie mitfühlend, beugte sich zu dem kleineren Mädchen herunter und umarmte es noch einmal tröstend. Sally kuschelte sich fest in ihre Arme und Nathalie spürte, wie sie dabei zu schluchzen begann. „Das alles tut mir so schrecklich leid,“ sprach sie mit ausgetrockneter Kehle. „Aber glaube mir, ich werde mich um dich kümmern. Ich habe mich entschlossen eine Patenschaft für dich zu übernehmen. Dann kann ich dich wenigstens etwas mit Geld unterstützen, bis ich wieder nach Pine Ridge zurückkomme.“
„Ja… Wandernder Bär hat es mir erzählt. „Danke Nathalie.“
„Ach, das ist doch selbstverständlich!“ Die Frau wischte dem Mädchen sanft die Tränen von den Wangen und sprach. „Aber jetzt freuen wir uns erst einmal auf das Festival! Machen du und Ellie eigentlich auch bei etwas mit?“
„Ja, wir tanzen und singen mit den Frauen!“ rief das 11- jährige Mädchen nun wieder etwas fröhlicher.
„Darauf freue ich mich sehr!“ sprach Nathalie. „Aber sagt, ist Jonathan irgendwo?“
„Ja, er ist dort drüben in dem kleinen Raum hinter der Bühne,“ antwortete Ellie. „Er muss sich bald umziehen.“
„Meinst du ich kann noch zu ihm?“
„Klar!“ rief Sally und zog die Frau an der Hand zu besagtem Raum. „Warte kurz! Ich rufe ihn!“ Sie verschwand hinter der Tür und gleich darauf kehrte sie mit Jonathan im Schlepptau zurück.
„Nathalie ist da!“ rief sie. Das Gesicht des Indianers erhellte sich sogleich und er kam lachend auf seine Liebste zu. Die beiden umarmten und küssten sich. „Schön, dass du hier bist!“ sprach Schwarzes Pferd liebevoll. „Es geht schon bald los. Leider habe ich nicht allzu viel Zeit. Ich habe dir aber ganz da vorne einen Sitz reserviert. Wenn du willst, kannst du schon Platz nehmen. Unglaublich wie viele Leute an unser Festival kommen. Ich hätte nicht gedacht, dass das Interesse so gross ist.“
„Oh doch,“ meinte Nathalie „eure Kultur stösst auf ausgeprägtes Interesse in unseren Breitengraden.“
„Schon unglaublich! Vielleicht werden die Prophezeiungen einst wirklich wahr und die Sternekinder werden sich irgendwann wieder ganz aus den Schatten der Zeit, ins Licht erheben.“
„Davon bin ich überzeugt!“ erklang nun eine weitere, Nathalie sehr vertraute Stimme, hinter Jonathan. „William!“ rief sie und umarmte ihren Meister, der nun zu ihnen trat. Er trug reiche mit Perlen und Ornamenten bestickte, bunte Gewänder. Verschiedenste, wundervoll gefertigte Accessoires, aus Fell und Leder, eine Federkrone aus bunten und auch naturbelassenden Federn, sowie zwei runde Feder-Fecher an der Hinterseite seines Körpers, rundeten das Bild ab.
„Wow!“ rief die Frau. „Du siehst ja richtig festlich aus Ate (Vater)!“
„Tja, man tut was man kann.“
„Hast du dieses Gewand ganz allein angefertigt?“ wollte Nathalie beeindruckt wissen. „Ja, grösstenteils schon, nur bei den Näharbeiten halfen mir einige Frauen aus dem Reservat. Wir haben uns wirklich lange und intensiv auf dieses Festival hier vorbereitet.“
„Das sieht man. Ich freue mich schon sehr, euch bei eurem Auftritt zuzusehen.“ Die Frau wandte sich an Jonathan. „Hast du auch so ein festliches Gewand wie Wandernder Bär?“
„So ähnlich, aber etwas weniger bunt. Ich mag gedecktere Farben, wie sie einstmals unsere Ahnen trugen.“
„Was das betrifft, ist mein Sohn ein richtige Traditionalist,“ lachte William. „Dabei sollte ich als Schamane, ja eher so eingestellt sein. Allerdings finde ich diese bunten Gewänder aus modernen Stoffen ganz wunderbar, sie schlagen irgendwie eine Brücke vom Gestern ins Heute.“
„Ihr habt beide recht und ich bin sicher ihr werdet alle wunderbar aussehen,“ erwiderte Nathalie und drückte Jonathan nochmals einen Kuss auf die Wange. „Dann werde ich also mal an meinen Platz gehen und warten bis es losgeht.“ Das tat die Frau dann auch, während die Indianer wieder im Raum hinter der Bühne verschwanden.
Die Frau checkte noch kurz ihr Handy, wie sie es öfters unter Tages tat, als sich auf einmal eine warme Hand auf ihre Schulter legte. Sie drehte sich um und blickte in die Gesichter von Snakeman und… oh nein!... Marc!
Snakeman trug ähnliche Kleider wie Wandernder Bär, allerdings vorwiegend in Schwarz und Rottönen. Er lächelte die Frau freundlich an und sprach: „Schön schaust du an unserem Festival vorbei.“
„Das ist doch klar! Immerhin nehmen viele meiner Freunde daran teil, auch Jonathan.“ Während sie das sagte, blickte sie prüfend zu Marc herüber. Wie würde er wohl auf Jonathans Namen reagieren?
Marc lächelte sie etwas verlegen an und meinte: „Ja…“ Es nehmen wirklich einige teil, die wir kennen. Ich… wollte mich übrigens noch für mein unangebrachtes Verhalten, bei meinem letzten Besuch, entschuldigen.“ Snakeman nickte seinem Schüler wohlwollend zu. Es sah ganz so aus, als würde er dessen Entschuldigung angebracht finden, wenn er ihn nicht sogar selbst dazu angehalten hatte. Nathalie wusste nicht so recht, wie sie reagieren sollte. Marc hatte sich schon öfters bei ihr entschuldigt und sich dann doch wieder danebenbenommen. Voller Scham dachte sie an den Kuss zurück, den er ihr damals, als sie mit ihm nur etwas Essen gehen wollte, hatte geben wollen. Danach hatte er sich entschuldigt und kurz darauf, war er erneut völlig ausgeflippt. Aber jetzt war gerade nicht der richtige Augenblick, Marc noch einmal die Meinung zu geigen, so erwiderte sie: „Ist schon gut. Ich vermute mal, es wird nicht mehr vorkommen.“
Der junge Mann erwiderte zerknirscht: „Nein… es wird nicht mehr vorkommen.“
„Hoffen wir das Beste,“ sprach Snakeman an Nathalies statt. Dabei schwang ein ziemlich kritischer Ton in seiner Stimme mit und er bedachte Marc mit einem gestrengen Blick. Marc blickte zu Boden und man spürte die zwiespältigen Gefühle, die ihn in diesem Moment bewegten.
Snakeman fragte nun, um das Thema zu wechseln: „Und, wie geht es dir sonst so Nathalie?“
„Oh mir geht es gut. Danke! Und dir?“
„Ich bin noch ziemlich erschlagen von all den Eindrücken hier. Besonders das so viele Leute sich für unsere Kultur interessieren, beeindruckt mich tief und lässt mich hoffen, dass eines Tages die Unterschiede zwischen den verschiedensten Rassen und Religionen, wahrlich aufgehoben sein werden.“
„Das ist auch meine Hoffnung,“ erwiderte die Frau.
„Du als eine der Allessehenden wirst dabei bestimmt einen wichtigen Beitrag leisten. Wie geht es eigentlich so mit deiner Ausbildung voran?“
„Ich denke, es geht ganz gut voran, auch wenn ich sicher noch einen langen Weg zu gehen habe.“
„Vielleicht ist dieser Weg gar nicht mehr so lange,“ sprach Frank.
„Oh doch, ich denke schon,“ gab Nathalie zu bedenken.
„Ich… hörte allerdings, dass du unserem Ur- Vater Krähe begegnet bist, diese Gnade wird nur wenigen Auserwählten zuteil…“
Snakeman blickte Nathalie eindringlich an. Marc fühlte sich auf einmal fehl am Platz und murmelte: „Ich schaue mich dann noch ein wenig um, bis später,“ dann ging er schnellen Schrittes davon.
Nathalie und auch Frank beachteten das jedoch kaum. Der Indianer fuhr fort: „Wenn Vater Krähe nicht ein ganz besonderes Potenzial in dir erkannt hätte, hätte er sich dir bestimmt nicht auf solche Weise offenbart. Ich glaube du solltest etwas mehr an dich glauben.“
„Nun… ich weiss nicht. Ich hatte ja bisher nicht einmal einen Vision Quest. Marc hingegen schon. Er ist vermutlich schon weiter in seiner Ausbildung als ich.“
„Ach Marc! Er ist manchmal etwas zu sehr von sich selbst überzeugt. Zweifellos ist sein Potenzial gross, doch er verschliesst sich auch oft vor den schlichtesten Wahrheiten, anders als du.“
„Schlichte Wahrheiten? Was meinst du damit?“
„Du öffnest dich für die unterschiedlichsten Wunder, ohne dabei irgendein besonderes Ziel anzustreben. Du bist bescheiden und bodenständig, aber zugleich sehr offen für neue Erkenntnisse und die Wunder des Daseins. Darum fliessen dir auch mannigfaltige Geschenke einfach so zu, ohne dass du es willst. Du lässt es geschehen, aber wenn es geschieht, dann vertraust du auf dein Herz. Bei Marc ist es etwas komplizierter. Sein Verstand ist ihm noch oft im Weg und manchmal will er Dinge erzwingen. Nur wenn er ebenfalls in des Modus des „Geschehenlassens“ eintaucht, passieren auch bei ihm Zeichen und Wunder. Dennoch musste er zuerst fast an einem Schlangenbiss sterben, bis er sich wirklich mit den wichtigsten Aspekten seines Lebens, auseinandersetzte.“
„Ja, das stimmt tatsächlich! Allerdings hat das Erlebnis, welches er damals hatte, seine Obsession für mich erst so richtig entfacht. Darüber bin ich nicht sonderlich glücklich. Jedenfalls nicht mehr. Als ich ihn frisch kennenlernte, da glaubte ich wirklich er sei der Mann fürs Leben, doch er hat sich nicht wirklich für mich interessiert. Nun habe ich meinen neuen Dualpartner in Jonathan gefunden und Marc läuft Amok, weil er glaubt, ich gehöre zu ihm, weil ich… scheinbar seine Sonne sei.“
„Und genau das ist manchmal das Problem bei Marc,“ seufzte Frank. „Er sieht oft nur das was er sehen will. Allerdings sieht er nicht das ganze Bild oder er will es einfach nicht wahrhaben. Doch das soll nicht mehr deine Sorge sein, mein Kind!“ Er erhob sich wieder und legte Nathalie nochmals die Hand auf die Schulter. „Du hast deinen Platz gefunden. Marc wird seinen Platz wohl erst noch finden müssen, aber ich glaube, er ist auf einem guten Weg. So nun muss ich aber gehen! Mein Auftritt steht unmittelbar bevor! Bis später!“