2. Das Haus der Grangers
Obwohl Hermines Eltern Muggel waren, gehörten sie eindeutig zu der Sparte der nettesten Menschen, die Harry kannte. Damit, dass ihre Tochter in den Augen vieler ‚nicht normal’ war, hatten sie keine Probleme - genauso wenig wie mit der magischen Welt, in der sie lebte. Im Gegensatz zu Harrys Verwandten verboten sie Hermine nicht die ausführlichen Studien, sondern unterstützten sie. Harry hatte die beiden sogar schon einmal bei Flourish & Blotts in der Winkelgasse gesehen, wo sie mit Hermine neue Schulbücher gekauft hatten.
Der Nachteil des Ganzen war, dass Harry somit regelrecht dazu gezwungen wurde, tatsächlich alle restlichen Hausaufgaben zu erledigen. So fand er sich noch an diesem Nachmittag auf der Terrasse des Hauses der Grangers wieder, einen Stapel Schulbücher vor der Nase und die Schreibfeder in der Hand. Hermine saß neben ihm und las - irgendeinen dicken und sichtlich alten Schinken, der schon allein durch sein Äußeres ermüdend wirkte -, während ihnen Harriet Granger Tee und Scones servierte.
„Ich habe sie heute extra frisch für euch gemacht - Harry, ich hoffe, du magst Blaubeerfüllung. Ich habe auch noch einen Kuchen gebacken, den nehmt ihr morgen bitte mit zu den Weasleys, als kleines Geschenk. Wo sie doch schon so nett sind, euch beide mitzunehmen und zum Bahnhof zu bringen. Ian hat auch noch zwei sehr gute Flaschen Wein und...“ Sie hielt inne und überlegte, was wohl noch als kleines Präsent angebracht sein könnte. Harry grinste in sich hinein. In ihrer Geschäftigkeit erinnerte ihn Mrs Granger sehr an Molly Weasley, Rons Mum. Im Gegensatz zu ihr hatte Harriet allerdings eine eher tiefe und sehr angenehme Stimme.
Nachdem alle Teetassen gefüllt und auch reichlich Zucker verteilt worden war - ob die Grangers sich so neue Patienten für ihre Praxis sicherten? - ließ Harriet die beiden Jugendlichen allein.
Harry notierte wenig begeistert die Zutaten und deren Dosierung für einen Trank gegen Brand. Er hatte keinen blassen Schimmer, wozu er so etwas einmal brauchen sollte. Er wollte gerade das beschriebene Blatt zur Seite schieben, als Hermines Hand vorschnellte und es festhielt. „Du hast die Formel vergessen“, bemerkte sie.
„Formel?“ Harry starrte auf seine Notizen.
„Ja, die Sprechformel, die man beim Einflößen des Trankes aufsagen muss. ‚Brand, da ich dich fand, sollst du verschwinden, wie der Tau im Grase, wie der Tote im Grabe.’ Das steht doch auch da.“ Sie deutete auf das Kräuterkunde-Buch.
„Ja, aber da steht auch, dass nicht wirklich bewiesen ist, dass die Formel Einfluss auf die Wirkung des Trankes hat“, verteidigte er sich. „Also muss ich sie auch nicht aufschreiben.“
Hermine winkte ab. „Schreib sie auf und füge den Absatz über die Unklarheit darüber hinzu. Dann ist es komplett.“
Harry warf einen unwilligen Blick auf den Text. Nicht noch mehr Schreibarbeit.
„Ich werde dir deine Note nicht streitig machen“, erklärte er daher und klappte das Buch zu. „Außerdem denkt Professor Sprout sonst, ich hätte meine Hausaufgaben bei dir abgeschrieben.“ Er zwinkerte ihr zu und zog die Bücher für Zauberkunst heran. Hermine rollte nur mit den Augen.
„Ich kann nicht glauben, wie du mit deiner Faulheit ständig durch jede Prüfung kommst“, knurrte sie. „Von Ron ganz zu schweigen...“
Damit vertiefte sie sich wieder in ihre Lektüre und Harry zog es vor, die Diskussion nicht noch mehr auszuweiten. Das Lästige an Hermines Tadeln war, dass sie tatsächlich dazu im Stande waren, das schlechte Gewissen in ihm zu wecken. Seufzend schlug er das Kräuterkunde-Buch wieder auf, notierte die Formel und schrieb eine Erklärung über dessen unbewiesene Wirkung hinzu.
Gekonnt ignorierte er Hermines triumphierendes Grinsen im Schutze ihrer Lektüre.
***
Am Abend kam ein Geschäftsfreund der Grangers zu Besuch - Vincent Marvers, ein Mann, der nicht älter aussah als vierzig, aber dennoch schlohweißes Haare hatte. Hermines Vater unterhielt sich angeregt mit ihm am Tisch, während seine Tochter und Harry Mrs Granger in der Küche behilflich waren. Für Harry war es selbstverständlich, anzupacken. Bei den Dursleys war dies eine Pflicht, hier eine freiwillige Hilfe, die von Mrs Granger mit einem dankbaren Lächeln belohnt wurde.
„Viel mehr Männer müssten im Haushalt helfen“, grinste sie und drückte ihm die Teller und Bestecke in die Hand. „Ich sehe Ian nur in diesem Raum, wenn einmal der Abfluss Probleme bereitet... oder er sich einbildet, die Spülmaschine tunen zu müssen. Die Sauerei danach hättest du sehen müssen... Da wünscht man sich wahrlich, zaubern zu können, anstatt den halben Tag damit verbringen zu müssen, die Wände und Böden zu schrubben. - Oh, Harry, warte, ich habe die Servietten vergessen.“
Gemeinsam trugen Hermine und Harry Geschirr und Besteck nach draußen und deckten den Tisch. Sie würden bei dem warmen Wetter auf der Terrasse essen. Harry genoss es, wie selbstverständlich bei den Grangers aufgenommen - und ebenso selbstverständlich in alle Familienaktivitäten integriert zu sein. Er konnte mit Überzeugung sagen, dass er sich in Hermines Familie richtig wohl fühlte.
Als sie am Tisch saßen, aßen und sich Marvers erkundigte, wer Harry sei und auf welche Schule Hermine denn jetzt ginge, antworteten die Grangers vollkommen unverkrampft. Sie verschwiegen selbstverständlich viel, was nicht in die Muggelwelt geraten sollte, erzählten, ihre Tochter besuche eine Schule in Schottland und es würde ihr dort sehr gefallen. Was Hermines Noten anging, mussten sie auch nicht lügen, ebenso nicht mit der Tatsache, dass Harry ein Schulfreund war und einen Ferientag hier verbrachte.
Ein spitzbübisches Grinsen formte sich auf Marvers’ Lippen. „Über Nacht, ja? Dann kann ich wohl davon ausgehen, dass er mehr als nur ein Schulfreund ist?“
Harry blickte verdattert ob dieser Annahme von seinem Steak auf, während Hermine in einer ihr typischen Geste das Haar in den Nacken warf und den Freund ihres Vaters missbilligend anblitzte. „So ist es, er ist mein bester Freund“, sagte sie spitz.
Zuerst sah Marvers sie etwas verdutzt an und Harry befürchtete schon, er könne sich über Hermines Benehmen mokieren - dabei war das seine durch seine vorangegangene Bemerkung wahrlich nicht besser, - aber dann begann Marvers in sich hineinzukichern. „Gut, dass wir das geklärt haben“, meinte er dann, zwinkerte ihnen zu und nahm sich einen Nachschlag.
Nachdem sie auch einen vorzüglichen Nachtisch - frische Kirschtorte von Harriet - verspeist hatten, vertieften sich die Grangers mit ihrem Gast in geschäftliche Gespräche. Hermine entschuldigte sich, stand auf und nickte Harry zu. Zusammen schlenderten sie den Garten hinunter.
„Über aktuelle Bohrerpreise und neue Füllmethoden können sie sich am besten ohne uns unterhalten“, grinste sie. „Ein irgendwie sehr eintöniges Thema. Fast noch schlimmer als Geschichte bei Professor Binns.“
Harry lachte leise und ließ sich von Hermine durch den nächtlichen Garten führen. Die Grangers verfügten über ein großes Grundstück und schienen zudem einen äußerst üppigen Geschmack zu haben. Die Grasflächen beschränkten sich zumeist auf Pfade zwischen zwei Beeten, in denen viele Büsche und Sträucher blühten. Teilweise reichten die Pflanzen über drei Meter hinauf und bildeten überall Nischen, die selbst wie viele kleine Gärten wirkten. Eine Nische beherbergte einen großen Teich mit Wasserspiel, die nächste prächtige Rosenstauden, die dritte eine altertümlich wirkende Steinsitzgruppe um einen kleinen Brunnen. Hier ließ sich Hermine mit einem Seufzen auf eine Steinbank sinken. Sie verschränkte die Arme unter dem Kopf und starrte in den hell erleuchteten Nachthimmel hinauf. „Also hier dürften sie uns nicht hören... und Marvers keine Dinge aufschnappen, die ihn nichts angehen.“
Harry legte sich bäuchlings auf die andere steinerne Bank und streckte sich genüsslich aus. „Wie die Frage, inwieweit ich nur Schulfreund für dich bin?“, witzelte er und bereute diese Worte sofort. Wieso hatte er das jetzt bloß gesagt? Zum Glück schien der Mond nicht hell genug, um zu verraten, dass er errötete.
Hermine lachte leise und drehte den Kopf zu ihm. „Nun, inwieweit wärst du es denn gerne?“
Harry stieß einen überraschten Laut aus, der sie noch mehr zum Lachen brachte. Sie rollte sich von ihrer Bank und hockte sich vor ihm ins Gras, ihn dabei amüsiert anblitzend. Sie legte die Hände auf die Kante seiner Bank und bettete ihren Kopf darauf. Harry sah sie verblüfft an. Hatte sie diese Frage jetzt wirklich ernst gemeint? Wollte sie auch eine ernsthafte Antwort darauf haben?
„Also... ich...“, murmelte er und bemerkte, wie rau seine Stimme klang. Hermine legte ihren Kopf schief und sah gespannt aus. Wie sollte er sich ausdrücken ohne sie zu verletzen, sollte sie es ernst meinen, noch ohne sich lächerlich zu machen, falls sie im Scherz fragte? Wie sie vorhin am Tisch gesagt hatte, war sie seine beste Freundin. Kein anderes Mädchen auf der Welt konnte er so nennen. Hermine war die einzige, die ihn auch ohne Worte verstand, die seine Gedankengänge so gut kannte wie kein anderer und immer für ihn da war. Und so war es auch mit ihm. Er hatte gelernt, Hermine zu verstehen - sehr gut zu verstehen. Und wann immer es von Nöten war, beschützte er sie und würde es auch in Zukunft für sie tun. Und diesen Wert wollte er nicht durch irgendeine blöde Antwort aufs Spiel setzen.
„Ich möchte das sein, was du brauchst“, fand er schließlich passende Worte, die zudem auch das ausdrückten, was er empfand.
Hermine blinzelte. Der Schalk war aus ihrem Gesicht gewichen, sie sah nun sehr ernst aus. Harry begann schon zu befürchten, sich doch falsch ausgedrückt zu haben, als sie ihre Hand ausstreckte und ihm die Brille von der Nase nahm. „Ich habe sie mir in den ganzen Jahren nie so genau angesehen“, sagte sie leise und blickte ihm forschend in die Augen. „Sie sind wirklich smaragdgrün...“
„Das siehst du in der Dunkelheit?“, scherzte er. Dann bemerkte er, dass ihm der Mond nun ins Gesicht schien. Natürlich konnte sie es sehen... Aber dafür lagen ihre Augen für ihn im Dunklen.
„Mach mal ein bisschen Platz“, sagte sie und erhob sich. Harry stemmte sich gehorsam auf der Bank auf und lehnte sich, jetzt in Sitzposition, gegen einen Baumstamm hinter sich. Hermine rutschte neben ihn auf die Bank. Sie hatte immer noch seine Brille in der Hand und spielte mit den Bügeln, dabei ihren Kopf auf seine Schulter lehnend. Harry wurde zunehmend warm und sein Herz schlug nervös und laut, dennoch genoss er gleichzeitig ihre Nähe. Und so saßen sie eine ganze Weile da, eng nebeneinander und vertieft in ihre Gedanken.
„Wie waren die Ferien?“, unterbrach Hermine dann doch die Stille. „Ich meine wegen... - Hast du viel an ihn gedacht?“
Harry wusste, dass sie von Sirius sprach, und er seufzte. „Viel zu oft“, gestand er. „Ich vermisse ihn so...“
Erinnerungen schossen durch seinen Kopf und er tastete nach dem Spiegel in seiner Hosentasche. Er würde Sirius nie damit erreichen können, aber er brachte es nicht über sich, ihn wegzulegen. Er war das letzte Geschenk seines Paten gewesen. Und auch wenn Harry ohne ihn nichts damit anfangen konnte, würde er keinen Schritt ohne ihn tun.
Nur kurz darauf vernahmen sie gedämpft von der Terrasse her, dass Vincent Marvers sich verabschiedete.
„Ich glaube, wir sollten zurückgehen“, murmelte Hermine. „Bevor Marvers noch seine Theorien verschärft.“ Sie hob den Kopf von Harrys Schulter und küsste ihn, bevor sie ihm die Brille zurückgab. Der Kuss war nur kurz und zart, dennoch reichte er aus, um Harry die Hitze in die Ohrspitzen zu treiben. Etwas benebelt setzte er die Brille wieder auf und sah, dass Hermine schon aufgestanden war, um die Nische zu verlassen. Hastig krabbelte er von der Bank, um ihr zu folgen.
Tatsächlich wandte sich Marvers gerade zum Gehen. Hermine verabschiedete sich kurz und selbstbewusst, und neben ihr kam sich Harry wie ein verlegener Trottel vor, der entweder etwas zu verbergen suchte oder ganz schlicht und einfach wirklich ein Trottel war. Zum Glück schien Marvers noch sehr mit den besprochenen neuen Behandlungsmethoden beschäftigt zu sein, denn diesmal machte er keine peinlichen Andeutungen. Ian geleitete ihn hinaus, während Harriet den Tisch abräumte. Harry und Hermine gingen ihr schweigend zur Hand.
„Ihr zwei seid sicher sehr müde“, deutete Mrs Granger die Stille. „Ich kann den Rest auch selbst abräumen, ihr könnt ruhig schon hoch aufs Zimmer gehen.“
Doch beide bestanden darauf, erst zu Ende abzuräumen. Nachdem Hermine die Tischdecke abgenommen und Harry die Gartenstühle unter die Markise gerückt hatte, scheuchte sie Mrs Granger allerdings ohne Widerworte duldend hinauf. Sie zeigte Harry das Zimmer, während Hermine im Bad verschwand. Der Raum war sehr groß und neben Hermines Bett und den obligatorischen Schränken fand darin auch eine ausziehbare Couch Platz, die vor einer kleinen TV-Einheit stand. Harriet hatte Kissen und Decken bereit gelegt und Harrys Gepäck stand fein säuberlich aufgereiht in der Nische zwischen Wand und Couch. Nachdem sie ihnen eine gute Nacht gewünscht hatte, ging Mrs Granger wieder nach unten, um noch die Küche in Ordnung zu bringen.
„Eigentlich würde ich ihr gerne die gesamte Küche picobello zaubern“, meinte Harry, als Hermine - mit Zahnbürste im Mund - in ihrem Schrank nach einem Pyjama oder ähnlichem wühlte. „Kann das Ministerium nicht eine Ausnahme für gute Zauber während der Ferien machen?“
„Das hat schon seinen Sinn so“, nuschelte Hermine hervor und musste aufpassen, keine Zahnpasta herunterzuschlucken. Sie eilte ins Bad, um sich den Mund auszuspülen, und kehrte mit einem langen Nachthemd bekleidet wieder zurück. Harry schnappte sich Shorts und T-Shirt und ging seinerseits ins Bad. Noch immer hatte er dieses merkwürdige Gefühl in der Magengegend, das er nicht wirklich deuten konnte. Vor dem Spiegel blieb er eine Weile stehen und starrte hinein. Was war auf einmal so anders an ihm, dass sich Hermine so zu ihm hingezogen fühlte? Er hatte immer noch das gleiche strubbelige und niemals in Ordnung zu bringende dunkle Haar. Immer noch die gleichen Augen. Immer noch... na ja, seine Gesichtszüge hatten sich schon ein wenig verändert. Aber im Prinzip war er immer noch der Gleiche.
Eine Ahnung beschlich ihn, die seine Aufregung dämpfte. Verhielt sie sich so aus Mitleid mit ihm, da sie genau wusste, wie sehr ihn Sirius’ Tod mitgenommen hatte?
Diese Vermutung wurde zur Angst. Er beugte sich über das Becken und katapultierte sich einige Handvoll Wasser ins Gesicht. ‚Nicht Hermine’, schalt er sich. Das würde sie nicht tun. Oder doch? Oder machte er sich ganz schlicht und einfach viel zu viele Gedanken?
Als er ins Zimmer zurückkehrte, waren alle Lichter gelöscht - bis auf eine kleine Stehlampe neben seiner Schlafcouch. Hermine lag in ihrem Bett, und fast dachte er, sie sei schon eingeschlafen. Er hielt an ihrem Kopfteil inne und strich ihr eine Haarsträhne aus der Stirn, bevor er ihr beinahe schüchtern einen Kuss auf die Wange hauchte. „Gute Nacht“, murmelte er.
„Gute Nacht, Harry“, antwortete sie leise, ohne die Augen zu öffnen. Aber sie lächelte.
Er setzte sich auf die Couch und überlegte, ob Mrs Granger ihn für die Prinzessin auf der Erbse hielt, so viele Kissen flogen dort herum. Er suchte sich einige zusammen und ließ sich auf ihnen zurücksinken, nachdem er das Licht ausgeknipst hatte. Eine ganze Weile blickte er still in die Dunkelheit.
Er war gerade soweit, endlich einzuschlafen, als er ein kurzes Knarren, gefolgt von leisen Schritten hörte. Dann kroch Hermine zu ihm unter die Decke. Schweigend legte er einen Arm um sie und sie kuschelte sich an seine Seite.
„In Hogwarts würden sie uns für so was umbringen“, bemerkte Harry.
Hermine lachte leise. „Das befürchte ich auch... darum bin ich ja jetzt hier.“
Er musste ebenfalls lachen. Dann verfiel er wieder in Schweigen, bevor er nach einer Pause seinen nagenden Gedanken Luft machte. „Wieso ich, Hermine?“
„Wie meinst du das?“ Sie gähnte schläfrig.
„Na ja... Wenn da noch ein berühmter Quidditchspieler ist, der an dir Interesse hat, oder ein Freund, der genau wegen diesem berühmten und interessierten Quidditchspieler unheimlich eifersüchtig wird...“
„Wegen Viktor brauchst du doch gar nicht fragen.“ Wieder schwang ein amüsierter Tonfall in ihrer Stimme mit. „Du wusstest doch mehr als Ron, dass ich das nicht ernst gemeint habe. Und Ron selbst... er... er ist doch auch auf dich eifersüchtig. Er ist auf jeden eifersüchtig, von dem er glaubt, dass er ihm etwas streitig machen könnte.“
„Dann wird er uns nun beide hassen“, stellte Harry etwas trocken fest. „Ich nehme dich ihm weg, du nimmst ihm mich weg...“
„Das ist Unsinn!“, knurrte Hermine. „Und das sollte er eigentlich wissen.“
Harry seufzte. „Ich hoffe, dass er es auch so versteht... Aber meine Frage hast du mir immer noch nicht beantwortet.“
„Muss ich das denn?“, fragte sie leise, während sie ihren Kopf tiefer in sein Shirt eingrub. „Weißt du es denn nicht?“
Harry begann zu überlegen. Gedanklich reiste er zurück in das erste Jahr, das er in Hogwarts verbracht hatte. Er und Ron hatten Hermine für eine zickige Streberin gehalten, da sie sich einfach überall ungefragt eingemischt hatte. Dabei hatte sie ihnen damit auch sehr viel geholfen... und war mit der Zeit zu einer unersetzbaren Freundin geworden. Sie war der schlauste Kopf der Gruppe gewesen und Harry und Ron diejenigen, bei denen sie in Angstsituationen Halt gefunden hatte. Doch gleichzeitig hatte sich Hermine immer um sie gesorgt. Und erst jetzt wurde Harry bewusst, wie oft sie ihm schon in den vergangenen fünf Jahren aus Besorgnis oder Freude heraus um den Hals gefallen war. Und wie viel Angst er gehabt hatte, als sie vom Basilisken versteinert worden war... und wie sehr er sich doch daran gestört hatte, dass Hermine mit Krum auf den Weihnachtsball gegangen war. Er erinnerte sich grinsend daran, wie er und Ron wie zwei gaffende Idioten auf Hermine gestarrt hatten, die in einem zauberhaften Ballkleid mit hochgestecktem Haar so fremd auf sie gewirkt hatte, dass sie sie zuerst gar nicht erkannt hatten. Denn beide hatten sie bisher immer als ihre beste Freundin gesehen, nie als sehr hübsches Mädchen, das sie war.
„Zumindest weiß ich, dass ich ein ganz schöner Idiot bin“, musste Harry nun schmunzelnd zugeben und zog sie näher an sich.
Hermine war immer da gewesen. Und er hatte es als selbstverständlich hingenommen, ohne darüber nachzudenken. Er war wirklich ein Idiot. Wie hatte er nur annehmen können, dass ihre Zuneigung reinem Mitleid entsprungen war?
Sie kicherte nur kurz, dann herrschte Schweigen. Es dauerte nicht lange, dann war sie eingeschlafen. Ruhig und gleichmäßig atmend lag sie in Harrys Armen und er konnte es noch immer nicht so recht glauben.
In dieser Nacht schlief er seit langem wieder einige Stunden lang tief und traumlos.
Es musste gegen vier gewesen sein, als die plötzliche Windböe den Vorhang des gekippten Fensters aufbauschen ließ. Für den Bruchteil von Sekunden schien draußen ein Sturm wie zur Hochzeit des Herbstes zu toben, begleitet von einem langgezogenen Heulen, bei dem Harry aus dem Schlaf schreckte - und einem dumpfen, brennenden Schmerz auf seiner Stirn. Er presste die Hand gegen seine Narbe und stöhnte leise. Der Vorhang peitschte nun regelrecht gegen die Wand, irgendwo da draußen splitterte Glas und ein Hund schlug laut bellend an.
Hermine hob erschrocken den Kopf. „Was ist los?“
Ein grüner Blitz zuckte durch das Dunkel der Nacht und ein markerschütternder Schrei zerriss die Stille...
Harry biss die Zähne zusammen und versuchte sich darauf zu konzentrieren, jeglichen Gedanken aus seinem Kopf zu vertreiben. Die Narbe schien unter seiner Hand zu pochen wie ein freiliegendes Herz in höchster Panik. In seinem Schmerz spürte er kaum, wie sich Hermine über ihn beugte und seine Wange befühlte. „Du bist ja ganz heiß. Harry...“ Sie starrte in sein verzerrtes Gesicht. „Die Narbe“, murmelte sie.
Harry schnappte nach Luft. „Er... hat... getötet“, presste er hervor. „Verdammt, er...“ Er biss ins Kissen, um unter der erneuten Schmerzwelle nicht laut aufzuschreien. Hermines Fingernägel bohrten sich vor Angst in seine Schultern, aber auch das nahm er kaum wahr. Es dauerte noch Sekunden - für ihn den Bruchteil einer Ewigkeit -, bis der Schmerz soweit nachließ, dass er wieder nach Luft schnappen konnte. Mit fliegendem Atem sank er in die Kissen zurück, noch immer eine Hand auf seine Stirn gepresst.
„Ist alles in Ordnung, Harry?“ Hermines Stimme war schrill vor Panik. Er winkte mit der freien Hand ab. „Geht schon wieder...“ Er tastete nach ihr und drückte sie, so als müsse er sie für das trösten, was er durchlebte. „Es ist... es...“ Er setzte sich auf und knipste die kleine Lampe neben der Couch an. Warmes Licht vertrieb die kalte Finsternis. Der Vorhang bewegte sich noch schwach, doch das kurze Sturmheulen war verklungen.
„Er hat irgendjemanden umgebracht“, murmelte er.
„Voldemort?“ Hermine hatte sich auch aufgesetzt und sah ihn verstört an.
Harry nickte. „Ja. Er hat... - Ich... ich habe es nicht richtig gesehen. Zum Glück...“
„Gesehen?“, schnappte sie. „Wieso gesehen? Du solltest doch deinen Geist vor seinen Einflüssen verschließen! Professor Snape hat dich doch-“
„Versuch das mal, wenn du das Gefühl hast, aufgespießt zu werden“, zischte er und rieb sich seine noch immer leicht pochende Narbe, tunlichst verschweigend, dass er bei Snape - zugegeben aus eigenem Verschulden - so gut wie gar nichts gelernt hatte. Harry schlug die Decke zurück und schaltete den Fernseher an. Ungeduldig zappte er durch die Kanäle.
„Glaubst du wirklich, dass du da“, Hermine nickte auf den Fernsehbildschirm, „etwas erfahren wirst?“
„Ich will auf Nummer sicher gehen. Vielleicht gibt es einen Bericht“, erwiderte Harry, ließ einen Nachrichtenkanal laufen und setzte sich wieder auf die Couch. Hermine rutschte neben ihn.
„Du spürst es immer, wenn er tötet...“
Harry nickte stumm.
„Und siehst es manchmal auch?“
„Ich sehe immer etwas“, sagte er leise. „Nicht viel, aber genug um...“ Er stockte und erschauderte. „Ich will, dass es aufhört.“
Hermine sah ihn an. „Das wird es erst, wenn Voldemort tot ist.“
„Das weiß ich“, antwortete er. „Diesen Gedanken hasse ich genauso wie die Tatsache, dass ich es immer weiß, wenn er mordet.“
Ihre Augen verengten sich leicht und er seufzte. All das, was am Ende des letzten Schuljahres an Informationen und Ereignissen über ihn hereingebrochen war, wirbelte durch seinen Kopf. Alles, was er jetzt wusste, teilte er bisher nur mit Dumbledore. Und wann kam er dazu, mit dem Schulleiter über alles, was ihn bewegte, zu sprechen? Er musterte Hermine, abwägend, ob er ihr nicht einfach alles beichten sollte. Die ganze Wahrheit, auch wenn ihm viele Details nur schwer über die Lippen kommen würden. Er wusste genau, dass sie ihm Vorwürfe machen würde, für einige Dinge, die er aus Dummheit - nein, dummer Sturheit - nicht getan und somit mitverschuldet hatte - unter anderem auch den Tod seines eigenen Patenonkels.
Würde sie, wenn sie alles wusste, immer noch zu ihm stehen?
Harry seufzte. Besser, er legte alle ihm bekannten Karten endlich offen vor sich auf den Tisch. Es gab außer Hermine keinen Menschen auf der Welt, mit dem er ernsthaft über alles sprechen konnte. Nicht einmal Ron würde alles verstehen können. Und eigentlich wollte Harry seinen Freund auch nicht damit belasten.
Nach kurzem Zögern fasste er Hermines Hand und sah ihr fest in die Augen. „Ich muss dir etwas erzählen... über mich. Und Voldemort... Und einige andere Dinge. - Wenn du es hören möchtest.“
Hermine schluckte, nickte aber sogleich. „Alles, was du erzählen kannst“, sagte sie leise.
Und Harry, ihre Hand noch immer in den seinen, begann zu erzählen...
***
Es war kurz vor halb sieben, und der Vogelgesang erfüllte das Zimmer bereits seit einer ganzen Weile. Die Morgensonne stahl sich durch den Vorhang hindurch auf die ausgeklappte Couch, auf der die beiden noch immer saßen, Harry mit dem Rücken zur Wand und Hermine quer über seinen Beinen liegend, beide nachdenklich vor sich hinstarrend. Abwesend glitten seine Finger durch ihr buschiges Haar, während er die flimmernden Bilder auf dem noch immer laufenden Fernseher verfolgte. Er hatte sich davor gefürchtet, über alles zu sprechen. Wieso er sich von Voldemort in die Irre hatte führen lassen und Sirius deswegen den Tod gefunden hatte. Die Gegenüberstellung mit Bellatrix Lestrange in der Eingangshalle des MinisteriuMs Voldemorts und dann Dumbledores Erscheinen. Tante Petunia. Die Prophezeiung... Schweigend hatte sich Hermine alles angehört. Jedes Detail, ohne ihn auch nur einmal zu unterbrechen. Und sie war noch immer hier, neben ihm. Sie hatte sich nicht abgewandt, trotz all seiner dummen Fehler. Trotz der Offenbarung, dass er entweder morden oder sterben musste.
Harry hatte sich lange nicht so erleichtert gefühlt. Im Nachhinein hatte es gut getan, über alles zu sprechen, so als hätte er einen Teil der großen Last von sich abwälzen können.
Er war nicht mehr allein. Und er fühlte sich gut - bis die gerade laufende Werbesendung unterbrochen wurde und eine Nachrichtensprecherin verlas, worauf Harry gewartet hatte.
„Soeben ereilte uns die Nachricht über eine am Stadtrand von Little Whinging, Surrey, aufgefundene junge Frau...“
Harry schreckte so unverhofft hoch, dass er Hermine dabei fast von der Couch katapultierte. Sie warf sich herum und starrte nun ebenfalls auf den TV-Schirm. Eine Straße war zu sehen, gefüllt mit Polizei- und Ambulanzwagen. Eine Straße, die Harry gut kannte. Sie verlief zur linken Hand des Ligusterweges.
„... bargen die Leiche um 6:07 Uhr Ortszeit. Die Todesursache ist bisher unbekannt. Es wurden keine Spuren gefunden, die auf einen Überfall, Vergewaltigung oder Misshandlung hinweisen. Die Polizei ist zurzeit ratlos. Eine Obduktion wird hoffentlich bald Klarheit verschaffen.“ Die Reporterin im Bild warf einen kurzen Blick auf die Seite, wo eine Bahre, bedeckt mit einem großen gelben Tuch, vorbei getragen wurde. „Laut Polizeiangaben handelt es sich um keine ortsansässige Person. Woher die junge Frau kommt, ist ebenfalls unbekannt. Man hat keinerlei Papiere bei ihr gefunden. Wir bitten daher jeden Mitbürger inständig darum, die jetzt unten eingeblendete Telefonnummer der örtlichen Polizeidienststelle zu wählen, sollten Sie diese Frau kennen. Jede ernstgemeinte Hilfeleistung ist willkommen.“
Eine wohl schnell angefertigte Zeichnung der Toten wurde eingeblendet - auch wenn einige Details fehlten, so war ihr Gesicht doch unverkennbar.
Harrys Gesicht wurde aschfahl vor Entsetzen. Hermine konnte den spitzen Schrei, der ihr entfuhr, kaum unterdrücken.
Bei der unbekannten Toten handelte es sich um Nymphadora Tonks.