4. Angriff der Harpyien
Auf dem Gleis 9¾ herrschte wie zu Beginn jedes Schuljahres reger Betrieb. Mühevoll schoben sie sich durch das Gedränge von sich verabschiedenden Eltern, Geschwistern und Verwandten hindurch zum Zug. Mr Weasley half ihnen, die Koffer einzuladen, und Mrs Weasley konnte nicht widerstehen, jeden einzelnen von ihnen zum Abschied an sich zu drücken.
„Passt gut auf euch auf“, bat sie.
„Das werden wir schon, Mum“, versicherte Ron und kämpfte mit Pigs Käfig. Die kleine Eule hüpfte aufgeregt flatternd darin herum.
Gemeinsam machten sie sich auf die Suche nach einem freien Abteil. Der hintere Teil des Zuges, in den sie einstiegen, war schon zum Bersten voll, aber im letzten Abteil winkte ihnen Luna entgegen. „Hier ist noch Platz, wenn ihr wollt“, rief sie.
Die vier nickten und gesellten sich zu ihr in das Abteil. Nachdem sie ihr Gepäck verstaut hatten, gingen Ron und Hermine zum kurzen Treffen der Vertrauensschüler weiter nach vorne in den Zug. Luna hütete so lange Rons Eule. Harry hatte Krummbein auf dem Schoß und kraulte ihn. Der Kater schnurrte leise in seinen Umhang, während sein Fell vor Wohlbefinden Funken sprühte.
Es dauerte nicht lange, bis Hermine und Ron zurückkehrten. Ebenso dauerte es nicht lange, bis eine ihnen allen bekannte und verhasste Gestalt den Kopf zur Tür hereinsteckte.
„Was hatte ich mir gewünscht, keinen von euch Idioten dieses Jahr ertragen zu müssen“, schnaubte Malfoy. Crabbe und Goyle hinter ihm grienten. „Man müsste euch Punkte für eure bloße Anwesenheit abziehen.“
„Du kannst es ja versuchen“, grinste Harry zwischen fünf gezogenen Zauberstäben hindurch. „Wie willst du diesmal die Zugfahrt genießen? Vielleicht heute als Flubberwurm?“
Wütend zog sich Malfoy zurück und schlug die Tür des Abteils hinter sich zu. Ron grinste selbstzufrieden. „Langsam übt er sich in Respekt.“
Sie lehnten sich zurück. Luna las in der neusten Ausgabe des Klitterers, Hermine hatte eines der neuen Schulbücher auf dem Schoß, Ron zupfte Federhülsen aus Pigs Gefieder (was die Eule mit Protestlauten quittierte), und Ginny döste am Fenster ein. Harry starrte weiter auf die an ihnen vorbei fliegende Landschaft.
Sie waren knapp anderthalb Stunden unterwegs, als sich der Himmel zuzuziehen begann. Die Sonne verschwand hinter grauen Wolken, Wind kam auf und die ersten Regentropfen klatschten gegen die Fensterscheiben. In den Abteilen und Gängen gingen die Lichter an, während es draußen dunkler und dunkler wurde.
„Was für ein Wetter“, murmelte Hermine und fröstelte. „Und das im Spätsommer!“
Harry starrte in die dichte Wolkenwand. Irgendetwas beunruhigte ihn an diesem Wetter. In der Ferne zuckten Blitze und Donnergrollen erklang. Im Licht des nächsten Blitzes war ein großer Vogel zwischen den Wolken zu sehen, der direkt auf sie zuschoss.
„Was ist denn das?“ Ron war aufgesprungen und presste die Nase gegen die Fensterscheibe. Harry, Hermine, Luna und die nun wach gewordene Ginny folgten verwirrt seinem Blick.
Der Horizont hatte sich schwarz gefärbt, so angefüllt war er mit den Leibern eines riesigen herannahenden Schwarms, der zwischen den Wolkenbergen herausgebrochen war. Harry hatte so etwas noch nie zuvor gesehen. Wie eine bedrohliche, jedes Licht verschluckende Decke glitten die Vögel durch die Lüfte. Und die Schatten, stellte er überrascht fest, eilten ihnen voraus, um die Landschaft unter ihnen in vollkommene nächtliche Finsternis zu tauchen.
„Was sind das für Dinger?“, fragte er.
„Harpyien“, sagte Luna, als würde sie auf eine Quizfrage antworten. Ron neben ihr fröstelte.
Stirnrunzelnd blickte Harry sie an, dann sah er wieder auf den gewaltigen Schwarm - und bemerkte, dass es sich bei den Tieren gar nicht um wirkliche Vögel handelte. Sie hatten weit ausladende Schwingen und kräftige Klauen, so wie zu groß geratene Adler. Doch ihre Köpfe waren eine grausame Kombination aus einem menschlichen Gesicht und dem einer giftigen Echse. Schrille Schreie - zuerst leise, doch mit jeder Sekunde lauter werdend - erfüllten die Luft.
Harry versuchte sich daran zu erinnern, was er über Harpyien gelesen hatte. Es waren männermordende und kinderfressende Bestien, die in den Bergen hausten. Ein Liedtext kam ihm in den Sinn, und so wie Ron vor ihm fröstelte er.
Einst war sie eine Frau, so jung und schön,
Wurd' von allen Männern begehrt,
Sie wollt mit ihnen in die Berge geh'n,
Und nie hat sich einer gewehrt.
Eines Tages in den Bergen, da war es so weit,
Den Tod bracht sie über einen Mann,
Er schrie so laut, klagt den Göttern sein Leid,
die Götter erhörten ihn dann.
Ihre Arme, sie wurden gefiederte Flügel,
Ihre Beine zu Krallen so lang,
Ihre Stimme, sie hallte schrill in der Stille,
Die Liebe wurd' grausamer Zwang.
Todesgeister. Dämonen. Und als eine gewaltige Armee zogen sie kreischend über den Himmel, direkt auf sie zu.
„Seit fast fünfzehn Jahren sind keine Schwärme mehr gesehen worden“, sagte Hermine leise. Ihre Hände krallten sich in den Sitz, so stark, dass sich die Knöchel weiß verfärbten. Sie konnten hören, wie in den Abteilen um sie herum Panik ausbrach. „Seit Voldemort...“
Der Hogwarts Express beschleunigte sein Tempo, doch die Harpyien behielten stur ihren Kurs bei. Von gewaltigen Schwingen getragen, kamen sie näher und näher. Harry konnte hunderte von rubinroten Augenpaaren in der schwarzen Masse aufblitzen sehen, die den Zug verfolgte wie ein Rudel Bluthunde das ihm sichere Wild. Der ihnen voraneilende Schatten fraß sich wie die klammen Finger des Todes über die Gleise und tauchte alles hinter ihnen in eine beängstigende Finsternis. Nur noch wenige Meter fehlten, dann würden sie den letzten Waggon des Zuges berühren.
„Wir müssen hier raus“, jammerte Ron. „Oder sie werden uns alle töten!“
Hermine hatte bereits die Tür zu ihrem Abteil aufgerissen. Draußen im Gang drängten schon panisch andere Schüler vorbei, um den letzten Waggon zu verlassen. Luna riss die Käfige von Pig und Hedwig auf, um die Eulen fliegen zu lassen. Sie konnten die Tiere in diesem Chaos unmöglich tragen.
Die Gruppe schob sich im selben Moment in den Gang wie auch Malfoy, Crabbe und Goyle neben ihnen. Unsanft rempelten die Parteien ineinander. Krummbein am Boden gab ein wütendes Fauchen von sich, hieb Crabbe seine Krallen ins Bein und schoss mit gesträubtem Fell in den nächsten Waggon.
„Geh zur Seite, Potter!“, schnappte Malfoy. „Bleib verdammt noch mal hier und lass dich von diesen Bestien zer-“
Er kam nicht dazu, auszusprechen. Ein gewaltiger Ruck ging durch den Waggon und riss sie alle von den Füßen. Das Licht über ihnen flackerte, bevor es vollkommen erlosch. Goyle quietschte wie ein panisches Schweinchen und krallte sich an Malfoy fest, der vor lauter Überraschung die Fensterbank losließ, an die er sich eben noch geklammert hatte. Der Waggon buckelte wie ein wütendes Pferd und schleuderte sie tiefer in den rückwärtigen Teil. Harry prallte gegen die Wand, Ron schlug gegen sein Bein. Auf der anderen Seite des Ganges versuchte sich Malfoy aufzurappeln. Crabbe und Goyle hatten sich mit blassen Gesichtern an zwei Stangen geklammert. Hermine saß in der Nische ihres Abteils und zog sich an der Tür hoch, an der sich auch Luna festgeklammert hatte und Ginny am Arm hielt. Die hatte ihren Zauberstab gepackt und richtete ihn auf ihr Gepäck im Abteil. „Mobiliarmus!“, brüllte sie, und die Koffer - teilweise schon am Boden verstreut - erhoben sich und schwebten aus dem Abteil hinaus in den Gang. Durch die Tür hindurch verschwanden sie im Nachbarwaggon, in den auch Krummbein geflohen war und aus seinem sicheren Versteck heraus protestierend miaute.
Ein erneuter kräftiger Ruck - lautes Scheppern und Splittern von Glas. Das Donnern des Zuges verstummte, Bremsen quietschten ohrenbetäubend. Ginny verlor die Kontrolle über das Gepäck und die Koffer schlugen zu Boden, begleitet vom Fauchen Krummbeins, der ihnen rasch hatte ausweichen müssen. Von einem schrillen, durch Mark und Bein gehenden Schrei begleitet, erschien eine schwarze Fratze am Fenster des Ganges. Bösartig blitzende rote Augen starrten in das Waggoninnere. Bei diesem Anblick ergriffen Crabbe und Goyle panisch die Flucht und hasteten schreiend durch die Verbindungstür hinaus.
„Elende Feiglinge!“, schrie ihnen Malfoy nach und versuchte aufzustehen. Ron krabbelte auf allen Vieren über den Boden hinauf zu Hermine, die ihren Zauberstab gepackt hatte und „Lumos!“ schrie. Licht fraß sich durch die Dunkelheit und erhellte das scheußliche Gesicht der Harpyie, deren Schnauze sich gegen das Fenster drückte. Der heiße Atem des Dämons beschlug das Glas. Durch das Licht geblendet riss die Harpyie den Kopf in den Nacken und die Schüler im Gang atmeten erleichtert auf. Doch plötzlich schwang der Schädel zurück und stieß mit einem lauten Krachen gegen den Waggon, der nun wieder heftig zu schwanken begann.
„Ich hoffe, dieses Ding ist stabil“, bibberte Ron, an der Stange festklammerte, an der zuvor noch Goyle gestanden hatte, und die Augen schloss. „Oh bitte, bitte...“
Ein zweiter Stoß, diesmal von der anderen Seite des Waggons, folgte. Die Federung ächzte unter der Wucht der Schläge.
„Die Viecher sind überall!“, schrie Malfoy. „Um den ganzen verdammten Waggon herum! Sie wissen genau, dass wir hier drin sind!“
Abwechselnd und rhythmisch erfolgten die Schläge, und der Boden unter ihnen hörte nicht auf zu wackeln. Hinzu kam, dass sich der Waggon immer weiter zu neigen schien. Harry streckte die Hand nach einem Griff aus, der sich am hinteren Abteil befand, und zog sich daran hoch. Neben jeder Tür befanden sich zu beiden Seiten diese Griffe. Sie wie eine Leiter benutzend, stieg Harry an ihnen zu seinen Freunden hinauf, sich jedes Mal verkrampft festklammernd, wenn ein neuer Stoß den Waggon erschütterte. Malfoy versuchte es ihm auf der anderen Seite des Ganges gleichzutun.
Der folgende Aufprall war so gewaltig, dass beide Jungen den Halt verloren. Harry riss die Arme hoch und spürte gleichzeitig, wie seine rechte Hand gepackt wurde. Luna hatte ihn gerade noch rechtzeitig greifen können, während Malfoy durch den Gang purzelte und an die rückwärtige Wand stieß. Der Waggon schwankte unter dem metallischen Kreischen der Federung. Die Harpyien brüllten und stießen noch einmal zu.
Harry bekam ebenfalls die Stange zu fassen und Luna streckte Hermine die Hand entgegen, die es bereits bis zur Zwischentür in den benachbarten Waggon geschafft hatte. Ginny stand hinter ihr. Ron zog sich neben Luna an einer Abteiltür hoch.
Ein weiterer Stoß. Krachend brach die Wand auf, wo sich jetzt spitzer Fels in das Metall bohrte. Der Waggon stand nun fast in der Senkrechten. Als er leicht zurückfederte, konnten sie durch die aufgerissenen Wände sehen, dass sich unter ihnen ein Abgrund auftat.
„Raus, raus, raus!“, schrie Ron und bekam die Zwischentür zu fassen.
„Was ist mit Malfoy?“ Harry blickte zu dem Slytherin hinab, der eilig versuchte, an den Griffen hinaufzuklettern. Durch die Löcher drangen die wütenden Rufe der Harpyien, dunkle Schwingen zogen vorüber. Dann schoss urplötzlich ein scharfer Schnabel in den Gang. Er schnappte nach Malfoy und erwischte den Umhang. Vehement begann die Harpyie daran zu zerren.
„Halt mich fest!“, rief Harry und ließ die Stange los. Ron starrte ihn entgeistert an.
„Ich soll mein Leben aufs Spiel setzen, um Malfoy zu retten? Spinnst du?!“ Er sah zu Luna, die wortlos an ihm vorbei gekrochen war, die Stange erreichte und Harrys Hand packte. Auch Hermine schob sich an ihm vorbei und nahm nun die Hand des Ravenclaw-Mädchens. „Halt die Klappe und beweg dich, Ron!“, befahl sie.
Der stieg entgeistert zu seinen Freunden hinab und nahm seinerseits Hermines Hand. „Ihr seid alle drei so irre! So furchtbar irre... Ihr spinnt! Ihr seid von allen guten Geistern verlassen, der Waggon wird jeden Augenblick-“
„Ich sagte Klappe halten!“
„Seid vorsichtig!“, rief Ginny vom Türrahmen aus.
Mit Ron als letztem Glied bildeten sie eine Kette. Harry stieg - Lunas festen Griff spürend - langsam über die Griffe an den Türen zu Malfoy hinab, der sich verzweifelt festzuklammern versuchte. Der Stoff seines Umhanges riss und der Kopf der Harpyie ruckte jäh zurück. Harry nutzte den Moment.
„Reich mir die Hand, schnell!“, bellte er.
Malfoy reagierte wie mechanisch und Harry ergriff seine vor Angst kalten und schweißnassen Finger. Keine Sekunde später brach der Kopf der Harpyie erneut durch das klaffende Loch der Rückwand.
„Zieh, Ron!“, schrie Hermine und stemmte sich gegen die Tür, an der sie Halt gefunden hatte, um Luna hochzuzerren, die ihrerseits Harry höher zog, an dessen Hand Malfoy hing. Der scharfe Schnabel der Harpyie schloss sich mit einem lauten Krachen - der Dämon hatte ins Leere geschnappt. Wütend kreischend versuchte sich das Monster weiter durch das Loch in den Gang hinein zu zwängen.
„Beeilt euch!“, wimmerte Ron und starrte panisch auf den schwarzen zuckenden Leib der Harpyie.
Harry versuchte, Malfoy zu sich zu ziehen, doch diesmal war der Dämon schneller - er bekam Dracos rechtes Bein zu fassen und riss es mit einem Ruck zurück. Harry glitt Malfoys Hand durch die Finger und Hermine hinter ihm schrie vor Entsetzen.
Die Augen der Harpyie blitzten triumphierend auf und sie zog den vor Schreck gelähmten Malfoy mit sich zurück. Harry tastete hektisch in seiner Tasche nach seinem Zauberstab, bis er ihn endlich zu fassen bekam. Er zog ihn hervor und richtete ihn auf das Monster.
„Expecto patronum!“, rief er in einer Mischung aus Wut und Panik. Wabernder Nebel schoss aus der Spitze seines Zauberstabes und formte sich zu einem riesigen geisterhaften Hirsch, dessen Gestalt beinahe den gesamten Gang ausfüllte. Wild stieß der Schutzpatron mit dem Geweih nach der Harpyie, die nun vor lauter Überraschung von Malfoy abließ. Harry klemmte sich den Zauberstab zwischen die Zähne, um die Hand freizubekommen, und packte Draco. Während der weiße Hirsch immer wieder gegen das schwarze Ungetüm anging und es so von den Schülern fernhielt, zogen Harry, Luna, Hermine und Ron Malfoy zu sich nach oben.
„Das mit dem irre nehme ich zurück“, machte Ron seinem Ärger Luft. „Ihr seid allesamt vollkommen übergeschnappt! Meint ihr, Malfoy hätte euch da rausgeholt, wenn wir in seiner Lage gewesen wären?“
Draco starrte ihn nur wütend an. Sein Umhang hing in Fetzen an ihm herunter, das rechte Hosenbein fehlte fast vollkommen. Knapp über dem Knie hatte der scharfe Schnabel der Harpyie tief in das Fleisch eingeschnitten.
„Seid bloß froh, dass ihr im letzten Wagen wart“, knurrte er. „Sonst hätten sie den gesamten Zug auseinander genommen! - Los, raus hier!“ Er gab Harry einen Stoß Richtung Zwischentür. „Raus hier, verdammt! Bevor dieser Hirsch verschwindet und das Biest zurückkommt!“
Hintereinander krochen sie durch die Verbindungstür in den benachbarten Waggon, der noch auf festem Boden stand. Zwei Schaffner waren gerade herangeeilt.
„Ist noch jemand da drin?“, rief ihnen der erste entgegen.
Hermine schüttelte den Kopf. „Außer einer halben Harpyie niemand.“
„Die halbe reichte mir!“, schnaubte Ron.
„Dann beeilt euch, geht in den nächsten Waggon. Wir müssen den letzten hier abkoppeln.“ Der Schaffner winkte die Gruppe eilig durch. „Seid bloß froh, dass ihr noch alle am Leben seid! Ihr müsst ein Glück gehabt haben!“
Ron schnaubte erneut, aber Harry zog ihn weiter, bevor er losdonnern konnte. Gemeinsam zwängten sie sich durch die nächste Verbindungstür. Hier funktionierte das Licht noch. Luna deutete aus dem Fenster, und fassungslos starrten sie auf den tiefen Abgrund hinter sich, über dem der letzte Waggon baumelte. Die Brücke, die einst über die Schlucht geführt hatte, war mitten hindurch gebrochen. - Nun, gebrochen war das falsche Wort. Eher sah die Stahlkonstruktion so aus, als sei sie unter allerhöchster Hitze zusammengeschmolzen. Die schwarze Wolke aus Harpyien hatte sich entfernt. Ein weißer Hirsch donnerte den Dämonen hinterher durch die Lüfte.
Hermine schnappte nach Luft. „Das ist ja...“
„Es hätte genauso gut der Zug sein können, anstelle dieser Brücke“, zischte Malfoy.
„Du hättest genauso gut Harpyienfutter sein können!“, fauchte ihn Ron an. „Und ich schwöre dir, ich wäre da nicht runtergeklettert, bloß um dich aus dem Schnabel dieser Bestie zu zerren!“
„Nein, du sicher nicht“, fauchte Malfoy zurück. Er schnaubte abfällig und humpelte an ihnen vorbei nach vorn. „Es scheint, als habe Potter etwas mehr Anstand und Mumm in den Knochen. Und sogar ein vollkommen durchgeknalltes Gör und ein Schlammblut.“ Damit kehrte er ihnen endgültig den Rücken zu.
Ron kochte beinahe vor Wut über. „Los, wir schnappen ihn und werfen ihn zurück in den Waggon!“
„Zu spät“, meinte Ginny und deutete aus dem Fenster, wo besagter letzter Teil des Hogwarts Expresses gerade unter einem Feuerball im Abgrund verschwand...
***
Als sich der Zug wieder in Bewegung setzte, hatten sie ein neues Abteil gefunden. Bedrückt saßen sie über ihrem durcheinander gewirbelten Gepäck und versuchten es zu ordnen. Krummbein lag missgelaunt auf der Sitzbank, Hedwig hockte schweigend über ihm auf einer Gepäckstange. Neville kam mit Pig in der Hand herein. Er hatte ihn im Speisewagen gefunden.
„Meine Güte, was war da nur los?“, fragte er und betrachtete das Chaos. „Crabbe und Goyle sind weiß wie Schnee durch den Zug gerannt und haben gebrüllt, ein Monster wolle sie umbringen.“
„Schön wär’s gewesen“, knurrte Ron.
Neville setzte sich zu ihnen und ließ sich berichten, was im letzten Waggon vorgefallen war.
„Ich saß ziemlich weit vorne“, meinte er. „Aber ich habe die Harpyien auch gesehen. Großmutter hat mir oft genug von ihnen erzählt.“ Er schüttelte sich. „Sie sind schlechte Vorboten. Lord... nun, ihr wisst schon wer, hat sie hier und da recht gerne benutzt. Er hatte nicht nur Gefolge unter den Zauberern, sondern auch unter den magischen Lebewesen...“
„Ein Gefolge aus dem allerletzten Abschaum“, schimpfte Ron.
Hermine derweil sah sehr besorgt drein. „Die Harpyien waren seine Vorboten der Zerstörung. Die Schatten, die ihm vorauseilten, um ihn anzukündigen.“
„Wohin ist er denn dann unterwegs?“, wollte Neville wissen. Und in die darauffolgende Stille hinein fragte er leise: „Nach Hogwarts...?“