21. Dracos Triumph
Der Januar verging unter dem Heulen kalter Winterstürme. Das Wetter schien sich ganz der Stimmung angepasst zu haben, die in ihrer Welt vorherrschte. Die Nachricht von Dumbledores Tod hatte sich sehr zum Missfallen von McGonagall und einigen anderen Lehrern herumgesprochen und partiell regelrechte Panik ausgelöst.
„Einige Familien werden Britannien bald verlassen und in andere Länder ziehen“, informierte sie Sesachar, als sie in der Bibliothek zusammensaßen. „Aus Angst vor Voldemort... Und den wird es freuen, dass der Widerstand flieht, statt gemeinsam in einem gestärkten Verband gegen ihn anzustehen. Albus’ Tod ist das Beste, was dieser Bestie passieren konnte. Die Angst im Land ist größer denn je. Und die Bereitschaft zum Kampf gegen den Dunklen Lord sinkt. Erschreckend, was ein einziger Mensch bewirken kann - durch sein Leben, sein Wirken und seinen Tod...“
Er sah Harry aufmerksam an, aber dieser hatte den Blick gesenkt und schwieg. Der Professor seufzte leise. Insgeheim hatte er eine ganz andere Reaktion von Harry erwartet - nein, erhofft -, als stumme Resignation. Aber Harrys Wut schien mit dem Tag verpufft zu sein, an dem er Snape noch am liebsten mit eigener Hand getötet hätte. Sein entschlossener Hass war erstickt unter einer schweren Leere, die ihn genauso ausfüllte wie viele andere im Schloss. Die Nachrichten, die von draußen in die Schule drangen, taten ihr übriges, um seinen Geist zu lähmen. Lange durfte es so nicht weitergehen - und niemand wusste dies so gut wie Pithormin Sesachar.
***
Jeden Tag saßen Azi McKenzie und seine Männer des Morgens am Tisch, um mit den Schülern zu frühstücken und dann das Schloss zu verlassen. Selten kehrten sie vor der einsetzenden Dämmerung zurück - und wenn sie es taten, waren sie zumeist übel zugerichtet. Madam Pomfrey war tagein, tagaus damit beschäftigt, die Männer ausreichend zu versorgen.
„Widerliche Harpyienbrut“, knurrte Xanthos Podarge, einer der Jäger, als er sich seinen aufgerissenen Arm mit einer von Pomfreys übelriechenden Tinkturen einreiben ließ. „Und dieses Zeug brennt wie Feuer!“, beschwerte er sich. „Ich werd mich nie dran gewöhnen...“
Die Tage waren hart für die wenigen Männer, doch sie verzeichneten Erfolge. Nach zwei Wochen hatten sie den Harpyienschwarm bedeutend dezimiert und auch zwei Silberpelze erwischen können. In der Schule begann sich das Klima langsam zu entspannen.
„Mehr Harpyien können es nicht mehr werden“, überlegte Sesachar, als er mit Harry, Hermine und Ron die Treppe in die Kerker hinabging. „Man schätzte den ursprünglichen Schwarm auf knapp siebzig Tiere. Eine gute Hälfte wurde inzwischen aufgespürt und vernichtet. Die Zahl der Silberpelze ist ungewiss, aber es müssten weniger sein. Ein halbes Dutzend sind dank euch schon weggeschafft worden, drei weitere in der Nacht des Angriffes und zwei von den Jägern. Ich denke, lange wird es nicht mehr lange dauern, und Professor McGonagall wird den übrigen Schülern die Rückkehr nach Hogwarts erlauben, um den Unterricht wieder aufnehmen zu können. Wir haben bereits drei wertvolle Wochen verloren...“
„Was, wenn Voldemort wieder angreift?“, fragte Harry beunruhigt.
Sesachar seufzte. „Dieses Risiko bleibt natürlich. Aber es besteht, seit du an dieser Schule bist, Harry. Wir werden alles tun, was wir können, um die Sicherheit der Schüler zu gewährleisten. So, wie es in Hogwarts schon immer war.“
„Vielleicht ist ihr-wisst-schon-wer auch nicht so dumm, eine Handvoll Todesser nach Hogwarts zu schicken, wenn ihnen eine Übermacht an Schülern gemeinsam entgegentritt“, überlegte Ron und grinste leicht. „Ich denke, wenn wir alle zusammenhalten, hätten wir ’ne Chance.“
„Keine allzu schlechte“, meinte Professor Sesachar. „Es gibt sehr viele fähige Leute, vor allem in den höheren Klassen. Was wir nicht gebrauchen können, sind Einzelkämpfer.“
„Wie Malfoy“, schnaubte Ron.
Der Professor seufzte. „Ja. Dieser Junge macht mir durchaus Sorgen...“
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Pithormin sollte Recht behalten. Zwei Tage später verkündete Professor McGonagall, die Wiederaufnahme des Unterrichtes zu bewilligen. Am kommenden Wochenende sollte der Hogwarts Express in Hogsmeade eintreffen.
Die einzelnen Stockwerke wurden wieder zugänglich gemacht, nachdem sie ein letztes Mal prüfend abgegangen worden waren. Alles schien wieder in Ordnung zu sein und die Gemeinschaftsräume der Hufflepuffs, Ravenclaws und Gryffindors wurden noch am Freitag wieder freigegeben.
„Eigentlich will ich gar nicht mehr umziehen“, seufzte Hannah, als sie an diesem Abend in den Schlafräumen im Kerker ihre Sachen zusammenpackten. „Ich fühle mich wohl mit all den Leuten hier...“
Anthony nickte. „Ja, ich auch. - Können wir nicht hier bleiben und Malfoy und sein Pack rauswerfen?“
„Wieso müssen wir uns eigentlich untereinander in unseren Gemeinschaftsräumen vor dem Rest verschließen?“, grübelte Dean derweil.
Hermine schloss ihren Koffer. „Das ist ganz einfach: zu unserer eigenen Sicherheit. Falls jemand in das Schloss eindringt, kommt er nicht in unsere Räume, weil er das Passwort nicht kennt.“
„Aber wir untereinander-“, begann Cho, doch Max unterbrach sie: „Willst du, dass Malfoy euer Passwort kennt?“
Die Ravenclaw seufzte. „Nein... das sicher nicht.“
„Wir untereinander mögen uns vertrauen“, sagte Violetta leise. „Aber es gibt in jedem Haus Leute, bei denen dies nicht der Fall ist, oder?“
Sie schwiegen eine Weile und suchten ihre Räume nach eventuell vergessenen Habseligkeiten ab.
„Solange die anderen noch nicht da sind“, überlegte Neville, „können wir doch noch mal eine Nacht alle zusammen hier bleiben, oder?“
Über Rons Gesicht glitt ein Grinsen. „Klar. Wieso alleine in dem Turm rumhocken? Außerdem... es wird Pansy ärgern, wenn wir weiter die Mädchenschlafräume besetzen.“
„Soll sie doch versuchen, uns rauszuwerfen“, grinste Ginny. „Vielleicht stehen ihr die Pusteln genauso gut wie Malfoy...“
***
Auch wenn es ihnen leid tat, am nächsten Morgen endgültig in ihre eigentlichen Räume zurückzukehren und aus der Gemeinschaft herausgerissen zu werden, in der sie sich in den letzten Wochen sehr geborgen gefühlt hatten, so war doch die Freude groß, einige lang vermisste Gesichter wiederzusehen. Dennis Creevey winkte ihnen mit beiden Armen zu, als er mit den anderen Schülern in die Große Halle trat.
„Teufel noch eins, war Weihnachten langweilig ohne euch!“, rief er und begrüßte seine Freunde überschwänglich.
Ron schloss Amber mit einem scheuen Lächeln in die Arme und wurde rot, als Harry, Dean und Max ihn offen angrinsten.
„Kein Kuss?“, frotzelte Max.
„Kein ‚Ich hab dich vermisst’?“, schoss Harry hinterher.
„Wie unromantisch“, feixte Dean.
Ron sah die drei anklagend an. „Ihr seid so was von besch-“, hob er an, aber Amber brachte ihn ihrerseits mit einem Kuss zum Schweigen.
„Mädchen“, meinte Ginny stolz. „Nehmen immer alles selbst in die Hand. Was soll man bei euch Jungs auch sonst tun?“
Doch die Freude über das Wiedersehen hielt nur kurz an. Bald bemerkte man, dass einige Schüler nicht zurückgekehrt waren. Viele Familien hatten Angst um ihre Kinder - einige so sehr, dass sie ihre Söhne und Töchter aus Eigeninitiative weiter von Hogwarts ausschlossen, denn sie befürchteten weitere Angriffe im Laufe des Schuljahres.
Als sich McGonagall von ihrem Platz erhob, herrschte bereits Schweigen in der Halle.
„Wie Sie alle wissen, hat es in Hogwarts einen Zwischenfall gegeben, der uns dazu nötigte, Sie für drei zusätzliche Wochen außerhalb der regulären Ferienzeit von der Schule fernzuhalten.“ Sie seufzte leise. „In besagter Nacht erfolgte ein Angriff eines großen Harpyienschwarms, wohl ausgelöst durch eine Gruppe von Todessern, die ebenfalls in das Schloss eindrang. Keiner der anwesenden Schüler kam zu Schaden, aber bedauerlicherweise starb Professor Dumbledore bei einer Gegenüberstellung mit den Eindringlingen.“
Leises verängstigtes Gemurmel war zu vernehmen und alle Augen der erst heute wieder neu eingetroffenen Schüler hingen an McGonagalls Lippen, so als hätten sie den alarmierten Schlagzeilen im Tagespropheten keinen Glauben geschenkt und würden erst jetzt wirklich realisieren, dass ihr von vielen geliebter Schulleiter nicht mehr unter ihnen war.
„Die Harpyien konnten vertrieben und drei Todesser gefasst werden“, fuhr McGonagall fort. „Das Ministerium schickte umgehend eine ausgebildete Gruppe von Jägern, denen es gelang, die Bestien stark zu dezimieren, so dass keine allzu große Bedrohung mehr von ihnen ausgeht.“ Sie nickte auf das Ende des Ravenclaw-Tisches, wo McKenzie mit seinen Männern saß. „Zu Ihrer aller Sicherheit ist es jedoch weiterhin untersagt, das Schloss ohne Begleitung einer Lehrkraft zu verlassen. Kräuterkunde findet fortan nicht mehr im Gewächshaus, sondern in der Bibliothek im fünften Stock statt, ebenso Pflege magischer Geschöpfe. In diesem Fächern werden Sie sich in den nächsten Wochen mit trockener Theorie abfinden müssen. Weitere Instruktionen zu verschärften Regeln zum Wohle Ihrer Sicherheit erhalten Sie von Ihren Hauslehrern.“
Ron stöhnte. „Noch mehr Regeln...?“
„Zudem werden sämtliche Quidditchspiele bis auf weiteres gestrichen“, endete McGonagall. „Auch das Trainieren ist Ihnen selbstverständlich untersagt.“
Harry, Zacharias und Terry seufzten, während Draco sehr zufrieden aussah. Zwar war Slytherin von den Spielen disqualifiziert, aber nun konnte auch kein anderer in diesem Jahr den Quidditch-Pokal gewinnen.
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In Zauberkunst begann Professor Flitwick am Montagmorgen sofort mit ihrem neuen Thema - Apparieren. Bis zum Schuljahresende würden alle Sechstklässler eine Prüfung dafür ablegen müssen, um eine offizielle Genehmigung vom Ministerium zu erhalten, die ihnen das Reisen auf diese - zugegeben sehr zeitsparende - Art erlaubte. Allerdings würden sie alle erst viele langweilige Theoriestunden absolvieren müssen, bevor sie damit beginnen durften, dieses magische Geschick selbst zu üben.
Pflege magischer Geschöpfe erwies sich als recht zäh, nun wo Hagrid keine seiner spektakulären tierischen Freunde vorführen durfte, die nicht durch die Tür passten oder allgemein einfach nicht in das Schloss zu schmuggeln waren. An einem äußerst hässlichen Horklump, der nicht einmal zu irgendetwas Besonderem zu gebrauchen war, hatte keiner der Schüler großes Interesse. Und der Augury, den Hagrid in der nächsten Stunde anschleppte, verursachte lediglich eine Massenflucht aus der Bibliothek, als der wie ein verhungerter Geier aussehende Vogel in langes, klagendes Schreien ausbrach. So sehr Hagrid auch zuvor versichert hatte, es sei vollkommener Humbug, dass dieser Vogel mit seinem Schrei einen baldigen Tod ankündige, einige schienen weiter an diesem Irrglauben festzuhalten - oder ertrugen schlichtweg den grauenvollen Laut dieses Geschöpfes nicht.
Am Nachmittag begann es zu regnen - was Hagrid in seiner eigentlichen Theorie über den Augury bestätigte, denn diese sagte aus, der Vogel sei ein zuverlässiger Wetterprophet, der nur bei aufkommendem Unwetter schrie. Unter tief hängenden grauen Wolken und einem wahren Wolkenbruch verwandelte sich der Schnee, der Hogwarts über die ganzen Wochen wie ein weißes Tuch bedeckt hatte, in braun gefleckten Matsch.
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Bis spät in die Nacht hinein saßen sie an ihren Hausaufgaben für Wahrsagen und Geschichte der Zauberei. Alle Lehrer schienen im Rekordtempo aufzuholen wollen, was sie in den letzten Wochen versäumt hatten.
„Mir graust vor Zaubertränke“, grummelte Ron, der an seiner Feder nagte. „Snape wird diesen Massen von Hausaufgaben sicher noch das Sahnehäubchen aufsetzen...“
Hermine notierte bereits die zweite Seite an Berechnungen für Arithmantik. „Dann schreib den Aufsatz über Augurys gleich heute fertig“, wies sie ihn an. „Du hast ihn noch nicht. Das habe ich gesehen.“
„Das schaffe ich nicht mehr!“, beklagte sich Ron. „Habt ihr mal auf die Uhr geschaut? Ich bin froh, wenn ich mit Geschichte fertig werde. - Außerdem hat Harry den Aufsatz auch noch nicht.“
Sein Freund hielt sein Pergament hoch, nachdem er die Feder zur Seite gelegt hatte. „Doch. Hab ich.“
Ron brach zusammen. „Wunderbar. Bin ich jetzt der Langsamste hier, weil ihr beide mich mit Vergnügen ausbootet?“
„Als Vergnügen empfinde ich das eigentlich nicht“, knurrte Harry und schüttelte seine vom Schreiben schmerzende Hand. Hermine streckte die ihre nach Rons Geschichtsaufsatz aus. „Überlass mir das, ich les es durch und vervollständige es. Beantworte du den Fragenkatalog für Pflege magischer Geschöpfe.“
„Wahrsagen hab ich aber auch noch nicht“, hüstelte Ron und Harry rollte mit den Augen. „Gib den Mist schon her!“
Ron strahlte sie an und verteilte auf beiden Seiten Pergament. „Ihr seid echte Freunde!“
„Oder wahre Esel“, murmelte Harry und begann erneut zu schreiben.
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Zu ihrem Erstaunen halste ihnen Snape am nächsten Tag nicht mehr an Arbeiten auf wie die anderen Lehrer. Das von Ron befürchtete Sahnehäubchen präsentierte ihnen Professor Leroux, die ihnen eine Zusammenfassung zwei vollständiger Kapitel aufbrummte, die sie in den letzten beiden Wochen hätten durcharbeiten müssen. „Mein Zeitplan ist schon wieder vollkommen durcheinander geraten“, seufzte sie und schien in Gedanken schon ihr gesamtes Unterrichtskonzept umzuwerfen. Frustriert verließ sie zum Ende der Stunde den Klassenraum, gefolgt von ebenso frustrierten Schülern, die sich lieber nicht ausrechnen wollten, wie viele Stunden intensiver Arbeit sie mit den Aufgaben würden verbringen müssen.
Hermine begann bereits in der Mittagspause mit dem Lesen. Ron und Harry sahen sich seufzend an und taten es ihr gleich, während sie abwesend ihr Essen löffelten.
Der Nachmittag war - wie jeden Dienstag - ganz mit dem Fach Certamensis ausgefüllt. Professor Sesachar bemühte sich um keine langen Reden, um sie darauf aufmerksam zu machen, dass ihre praktischen Übungen nun sehr an Schwierigkeit und Verletzungsgefahr zunehmen würden.
„Es wird Zeit für das Proben ernsthafter Duelle, bei denen von euch keine Gnade erwartet wird, solange ihr euch mit dieser einem Risiko aussetzen würdet. Demnach möchte ich für diese Übungen keine Schüler, die es über ihre Freundschaft vergessen, zu welchem Zweck dieser Unterricht dient. Also vergesst für die Dauer eures Übungsduells bitte, dass ihr einem Klassenkameraden und Freund gegenübersteht. Ich will keine übertriebene Rücksichtsnahme sehen, die euch bei einem wirklichen Gegner euer Leben kosten würde.“ Sein Blick wanderte suchend über die Köpfe der anwesenden Schüler. „Fähige, entschlossene Leute. Meldet sich jemand von euch freiwillig für ein erstes Exempel?“
Draco hob ohne zu zögern die Hand.
Sesachar nickte. „Nun gut, Mr Malfoy. Ich denke, es wird nicht schwer sein, einen Gegner für Sie zu finden.“
Draco entging die Spitze des Lehrers und er starrte Harry auffordernd an, die Mundwinkel zu einem teuflischen Grinsen verzogen. Professor Sesachar blieb dieser Blick nicht verborgen. „Ms Granger?“, fragte er an Hermine gerichtet, Harry dabei vollkommen außer Acht lassend, als würde er überhaupt nicht existieren. „Interesse?“
Hermine warf einen kurzen verächtlichen Blick auf Malfoy und nickte. „Ja, Professor.“
„Sehr schön.“ Sesachar stand von seinem Pult auf. „Harry, ich brauche dich jetzt wieder. - Der Rest geht auf die Bänke.“
Verwirrt folgte Harry dem Professor, Hermine und einem grummelnden Malfoy zu der Bühne.
„Stell dich hinter Malfoy“, orderte Pithormin leise. „Ich werfe einen Blick auf Hermine. Notfalls werden wir eingreifen müssen und es ist immer besser, wenn auf beiden Duellierenden ein aufmerksames Augenmerk liegt. - Außerdem möchte ich nicht gleich einen Halbtoten aus diesem Raum bringen müssen... egal, ob Malfoy oder dich. Daher erachte ich euch beide nicht gerade als die glücklichste Kombination für ein Duell. Verstanden?“
Harry nickte und Sesachar wandte sich zur rechten Seite der Bühne, wo Hermine stand. Malfoy stieg auf das gegenüberliegende Ende und Harry trat hinter ihn.
„Wieso soll Potter ausgerechnet auf mich aufpassen?“, beschwerte sich Draco. „Ich brauche seine Hilfe nicht!“
„Er soll nicht darauf aufpassen, dass Ihnen nichts geschieht“, erwiderte der Professor lächelnd. „Er soll Sie stoppen, sollte es angebracht sein.“
Draco schäumte und zückte seinen Zauberstab. „Schön, Potter. Dann pass mal auf, wie man mit kleinen, wertlosen Schlammblü-“
Sesachar hob eine Hand an. „Ah, ah, ah! Sprechen Sie aus, was Sie sagen wollten, Mr Malfoy, und ich werde Ihnen dafür Punkte abziehen. Solch niveaulose Beschimpfungen dulde ich in meinem Unterricht nicht. Außerdem sollen Sie sich mit Ihren Kräften duellieren, und damit meine ich nicht ein loses Mundwerk. - Also gut, seid ihr bereit?“
Das Duell begann und Harry ließ Malfoy nicht aus den Augen. Der Slytherin versuchte einige Male zu tricksen, aber Hermine hatte ein gutes Reaktionsvermögen. Es gelang ihr immer wieder, den Flüchen auszuweichen oder rechtzeitig einen Schildspruch anzubringen. Sie schien hochkonzentriert und ruhig, während Draco, je länger das Duell dauerte, ungeduldiger und wütender wurde. Noch während er einem von Hermines Flüchen auswich, zielte er mit dem Zauberstab auf sie. „Impedimenta!“, brüllte er - und diesmal traf er auch.
Harrys Hand zuckte, als Hermine nach hintern geworfen wurde und Draco sofort nachsetzte wie ein Repetiergewehr: „Imperio!“
Der Fluch erfasste Hermine - die keine Gelegenheit gehabt hatte, aufzustehen - in seiner vollen Wucht und zwang sie erbarmungslos dazu, am Boden liegen zu bleiben, so als hätte sich ein unsichtbares schweres Gewicht auf ihren Körper gelegt. Draco hob seinen Zauberstab an wie ein Marionettenspieler seine Fäden.
„Finite incatatem!“ Harry war auf die Bühne gesprungen, seine Schultern bebten vor Zorn. Mit noch immer gezücktem Zauberstab ging er auf Malfoy los. „Ein Unverzeihlicher Fluch! Bist du denn nicht mehr ganz bei Trost, verdammt noch mal?“, schrie er ihn unbeherrscht an.
Draco war auf einmal die Ruhe selbst. Kühl starrte er zurück, seine Stimme war glatt und ölig. „Nun, da draußen gibt es genug Zauberer, die sie nutzen. Und sollen wir nicht realistisch sein...?“
„Das mag sein, Mr Malfoy“, mischte sich Professor Sesachar ein und fasste Harry an der Schulter, um ihn von seinem Mitschüler zurückzuziehen, bevor er für einen erneuten Nasenbruch verantwortlich werden konnte. „Aber diese Flüche sind verboten. Sie sind immer noch ein Schüler und unterstehen somit dieser Schule und ihren Regeln, welche Ihnen ausdrücklich eine Anwendung dieses Zaubers verbieten. Zwanzig Punkte Abzug für Slytherin. - Und Harry, steck den Zauberstab weg, bevor du etwas ähnlich Dummes tust und ich auch dir Punkte abziehen muss!“
Mit einem unwilligen Laut ließ Harry den Arm sinken, drängte sich an dem Professor vorbei und trat zu Hermine, die sich gerade wieder aufrappelte. Ihr Körper war noch schwach unter der Nachwirkung des Imperius-Fluches, und Harry half ihr auf die Füße. „Du wirst nicht weiter machen“, knurrte er. „Egal, wie hämisch dich Malfoy anschauen wird, du wirst nicht-“
Hermine funkelte ihn an. „Würdest du denn aufhören?“
Harry schwieg schuldbewusst und sie schob ihn zur Seite. „Gut, dann lass mich ihn gefälligst fertig machen!“
Sesachar blickte zwischen den beiden Schülern und Harry hin und her und nickte schließlich. „Okay. Beendet das Duell. Und ich will keinen einzigen der Unverzeihlichen Flüche mehr hören, haben wir uns verstanden, Mr Malfoy?“
Über Sesachars Gesicht huschte ein Lächeln, als er sah, wie Harry grimmig die Zähne zusammenbiss. Die Emotionslosigkeit, die ihn über die letzten Wochen so oft beherrscht hatte, schien für diesen Moment vollkommen von ihm abgefallen zu sein. Die grünen Augen waren nicht länger betrübt und leer, sondern blitzten entschlossen und gefährlich in Malfoys Richtung.
Draco derweil schnaubte, erneut seinen Zauberstab auf Hermine richtend. „Die kann sich ja eh kaum noch auf den Beinen halten, also wieso-“
„Collabator!“, sagte Hermine kalt und er fiel rücklings wie von einem unsichtbaren Faustschlag getroffen zu Boden. Mit dem Entwaffnungszauber nahm Hermine seinen Zauberstab an sich und trat über ihn. „Noch fesseln, vielleicht?“, knurrte sie auf Draco hinunter.
Sesachar blinzelte überrascht. „Oh, diesen Zauber beherrschen Sie, Ms Granger?“ Er unterdrückte nur schwer ein Grinsen. „Lassen Sie sehen.“
Und bevor Malfoy protestieren konnte, schlangen sich Seile behände um seinen Körper.
Viele Schüler, die ihnen zusahen, kicherten bei diesem Anblick mehr oder weniger leise vor sich hin.
Schließlich beendete Professor Sesachar das Duell und entließ einen - im wahrsten Sinne des Wortes - entfesselten Draco. Harry sah den Slytherin drohend an, als der an ihm vorbeirauschte. „Du willst scheinbar weiter Punkte für dein Haus verlieren, was?“, konnte er nicht widerstehen, zu provozieren.
Malfoy wandte sich zu ihm um. „Punkte interessieren mich schon lange nicht mehr“, zischte er boshaft. „Was scheren mich Punkte für einen kurzen Moment vollster Befriedigung?“ Er senkte die Stimme unter einem triumphierenden Blick. „Und für einen Moment war sie mein, Potter.“
Harry starrte ihm fassungslos hinterher und mit Ingrimm stellte er fest, dass er Draco Malfoy trotz allem unterschätzt hatte.