17. Neujahrsnacht
Die Weihnachtsfeiertage waren so ruhig, dass sie schon beinahe unecht wirkten. Eine gespenstische Stille herrschte im Schloss und Harry war zum ersten Mal froh darüber, Peeves zu sehen. Der warf im zweiten Stock laut kichernd mit Kreide nach Mrs Norris, die mit gesträubtem Fell und fauchend im Büro von Professor Leroux verschwand. Filch eilte zeternd herbei, um Peeves aus dem Stockwerk zu verjagen und tobte aus Leibeskräften, als der Poltergeist Unterstützung von Balduin bekam, einem weiteren Geist, der den Korridor in eine Bowlingbahn verwandelte und mit seinem Holzkopf Kegeln spielte, wobei ein Tisch in einer Ecke des Korridors getroffen wurde und gefährlich wankte. Mit einem lauten Scheppern krachte eine Vase, die zuvor darauf gestanden hatte, zu Boden und Filch war daraufhin den ganzen Tag damit beschäftigt, Balduin mit einem Teppichklopfer durch das Schloss zu jagen.
„Vierzehn“, zählte Ron, als Balduins Keckern erklang und der Geist kurz darauf an der geöffneten Tür vorbei in die gegenüber liegende Ahnengalerie zischte, dicht gefolgt von einem nach Atem ringenden Filch.
Sie saßen im Raum der Viribus Unitis zusammen und spielten Zauberschach oder lasen. Harry notierte Informationen zu Silberpelzen, die zu seinem Unmut nur schwer in den Büchern zu finden waren, die er hatte auftreiben können. Alles, was er über diese Tiere bisher herausgefunden hatte war, dass sie wie Vampire kein Sonnenlicht vertrugen und nur in der Dämmerung und der Nacht auf der Jagd waren. Zudem hieß es, sie würden Menschenfleisch dem Wild oder Nutzvieh vorziehen. Man schrieb den unheimlichen Wesen viele gruselige Fähigkeiten zu und unzählige Legenden rankten sich um sie und tapfere Zauberer, die es gewagt hatten, gegen sie anzutreten - aber nichts hatte wirklich Hand und Fuß. Deprimiert schob Harry nach einer Weile die Bücher von sich. Gähnend sah er sich im Raum um. Ron schrieb einen Brief an Amber. Colin und Violetta spielten Schach, ebenso Robert und Luna. Ginny und Dean saßen zusammengekuschelt auf einem der breiten Fenstersimse und Zacharias versuchte den Patil-Zwillingen irgendwelche Zauber beizubringen. Hermine saß mit Katherine, Lavender, Hannah, Terry und Anthony an einem Tisch, wo sie über die Ferienaufgabe in Kräuterkunde brüteten, kam nun aber zu Harry, als sie sah, dass er nicht mehr schrieb. Sie hatte sich gerade zu ihm gesetzt, als vier nicht willkommene Gestalten die Köpfe zur Tür hereinsteckten.
„Wie herzallerliebst“, säuselte Draco Malfoy mit kaltem Lächeln. „Der Club der Weicheier. Seid ihr inzwischen schon aneinander festgewachsen?“
Crabbe und Goyle in seinem Rücken grinsten dämlich und Pansy kicherte boshaft.
„Zieh Leine, Malfoy“, knurrte Ron, der von seinem Brief aufgesehen hatte. „Die Schlossluft tut dir nicht gut, du bist so launisch. Geh mal raus, Luft schnappen. Die Harpyien sehen mindestens so fröhlich aus wie du.“
„Schnauze, Weasley“, zischte Malfoy und starrte ihn vernichtend an. „Du hast wohl vergessen, dass ich Vertrauensschüler bin und dir Punkte abziehen kann.“
Ron zuckte mit den Schultern. „Schön. Bin ich auch. Kann ich auch. Also hau endlich ab.“
„Vertrauensschüler!“ Robert schnaubte über seinem Schachbrett. „Das bist du doch gar nicht mehr.“
Alle sahen auf und starrten Malfoy an. Tatsächlich, er trug nicht länger die Plakette dieses Amtes an seinem Umhang.
„Cassim Woramir ist unser neuer Vertrauensschüler“, informierte sie Max. „Nachdem Malfoy so viel Sportlichkeit beim Quidditchspiel gezeigt hat, hielt es Dumbledore für angemessen, ihn seines Amtes zu entheben.“ Er grinste und zog seinen Läufer vor. Sein Zug wurde unverzüglich von Luna gekontert. „Mist, Schach...“
Malfoy im Türrahmen derweil schäumte. „Ich bin rechtmäßiger Vertrauensschüler! Und ich werde euch-“
Padma richtete ihren Zauberstab auf ihn. „Pruritus totalus“, sagte sie und Malfoy zog eine Grimasse, als hätte er sich soeben in einen großen Ameisenhaufen gesetzt. Hektisch begann er sich an den Armen zu kratzen. In Anbetracht seines auf einmal mit Pusteln übersäten Gesichtes begannen alle im Raum zu lachen.
„Dieses Miststück hat mir Pickel angehext!“, knirschte Malfoy und kratzte sich an den Beinen.
Ron lachte lauthals. „Sicher, dass sie nur hingehext sind...?“
Vergeblich versuchte Malfoy das Jucken am ganzen Körper zu ignorieren und zerrte seinen Zauberstab hervor - während er mit der linken Hand fleißig weiter kratzte und sich seine Mitschüler vor Lachen schier bogen.
„Zacharias, dein Zauber ist klasse“, kicherte Parvati und klopfte sich die Schenkel.
Der rieb sich schmunzelnd das Kinn. „Was nehmen wir für Crabbe und Goyle? Einen Zwangsdiätzauber?“
Das Lachen schwoll weiter an. Malfoy richtete wutentbrannt seinen Zauberstab auf sie und seine drei Begleiter taten es ihm gleich - traten aber unverzüglich den Rückzug an, als die Viribus Unitis ihre Zauberstäbe zog.
„Ich würd’s mir zweimal überlegen“, grinste Max. „Also los, verschwinde.“
Der zahlenmäßig überlegenen Gegenpartei ergeben - aber brodelnd vor Zorn - stampfte Malfoy wieder aus dem Raum, sich hektisch an den Seiten kratzend. Erneut grölte die Gruppe im Raum los.
„Die roten Pusteln stehen ihm“, witzelte Terry. „Die geben so einen netten Kontrast ab.“
***
Es geschah am letzten Abend vor Neujahr. In der Dämmerung des sterbenden Tages erhob sich nahes Heulen und silberne Schatten huschten am Waldrand entlang. Schatten fraßen sich über das Land wie ein breiter Teppich und am Himmel leuchteten boshafte Augen zwischen lautlos schlagenden Flügeln. Sie waren rot wie Blut - und die Pupillen geschlitzt wie die einer Schlange.
Wie die Voldemorts.
Sesachar riss die Tür zur Großen Halle auf, wo man beim Abendessen saß.
„Sie kommen!“, rief er. „Ein riesiger Schwarm! Der Himmel ist schwärzer als die Nacht es sein könnte!“
Die Schüler sprangen in Panik von ihren Bänken auf, Snape riss den Zauberstab aus seinem Gewand und auch Leroux und McGonagall hatten sich erhoben. Die schrillen Schreie der Harpyien übertönten jeden Laut.
Und der Schatten ihrer Schwingen legte sich über Hogwarts...
„Alle Schüler in den Slytherin-Gemeinschaftsraum“, befahl Dumbledore. „In den Türmen und oberen Stockwerken ist es ab jetzt nicht mehr sicher. In den Kerker! Alle!“
Sie strömten aus der Halle hinaus in den Eingangsbereich. Einige schrieen auf, als sich von außen schwere Kreaturen gegen das Eichenportal warfen. In den oberen Stockwerken splitterten Fenster.
Sie hasteten die Stufen hinunter in den Kerker, vorbei an dem Klassenraum für Zaubertränke und hinein in den rechten Flur, der in einem scharfen Bogen herum in eine kleine Halle führte. Malfoy, Crabbe, Goyle und Pansy waren die ersten, und als Harry mit Hermine an der Hand um die Ecke in die Halle schoss, sah er nur noch, wie sich die Wand am gegenüberliegenden Ende mit einem Knirschen schloss.
„Malfoy!“, brüllte er und schlug gegen die Mauer, die nun keinen Hinweis mehr darauf gab, dass sich hier eben noch ein Durchgang befunden hatte. „Mach sofort auf!“
„Die anderen Slytherins kennen sicher das Passwort“, versuchte ihn Hermine zu beruhigen, doch Violetta schüttelte den Kopf. „Das Passwort wurde heute geändert. Nur Lisa Lux als Vertrauensschülerin weiß es schon.“
„Wo ist sie?“ Ron sah sich suchend in der Menge der Schüler um. „Wo ist Lisa Lux?“
Auch die anderen blickten sich nervös an. „Sie saß doch noch eben mit uns am Tisch.“ Robert ergriff blanke Panik. „Was, wenn sie noch oben ist?“
„Wir müssen zurück!“, rief Colin. „Was, wenn die Harpyien-“
„Niemand von euch geht zurück!“, schrie ihn Harry an und schlug erneut mit der Faust gegen den Stein. „Mach auf, Malfoy, oder du wirst es bereuen! Du schuldest mir dein Leben! Und ich warne dich, ich werde-“
Mit einem leisen Rumpeln fuhr die Wand zurück und Malfoy sah ihnen voller Hass entgegen. Violetta schob Ginny und Dean vor sich her in den Gemeinschaftsraum hinein. „Los, beeilt euch!“
„Aber was ist mit Lisa?“, verlangte Max zu wissen.
„Ich will sie holen!“, sagte Robert bestimmt. „Ich kann sie nicht alleine lassen! Keiner von uns kann es. Viribus Unites, oder habt ihr alle das verdammt noch mal vergessen?“
Harry packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn. „Das haben wir nicht, Rob! Aber wir können nicht alle gehen - das ist viel zu riskant!“ Er sah, wie die letzten Schüler in den Gemeinschaftsraum traten. „Ich gehe mit dir nach Lisa suchen. Der Rest bleibt hier.“
Hermine wollte protestieren, aber er winkte ab. „Kein Wort. Wir passen schon auf uns auf. - Das Passwort, Malfoy.“
„Wozu müsst ihr das wissen?“, schnappte der.
Harry ballte die Fäuste. „Wir holen Lisa und wir müssen wieder hier reinkommen, auch wenn sie verletzt ist und nicht mehr sprechen kann. - Also, das Passwort!“
„Laureola“, presste Malfoy unwillig hervor.
Hermine schnaubte abfällig. „Wer sucht eure Passwörter aus?“
„Das geht dich verdammt noch mal nichts an, du dreckiges-“
„Petrificus totales!“, rief Robert und Malfoy krachte erstarrt zu Boden. „Und was dein schmieriges Gefolge angeht, Malfoy-“
Harry riss seinen Arm hinunter. „Später, Rob. Erst Lisa.“
Der Slytherin nickte. „Du hast Recht. Gehen wir.“
Sie traten von der Wand zurück, die sich rumpelnd wieder schloss. Harry hörte deutlich Hermines besorgtes „Seid vorsichtig!“, bevor sich das Mauerwerk wieder nahtlos ineinander schob.
Robert und Harry eilten in den Korridor zurück und die Treppe zur Eingangshalle hinauf. Sie wirkte wie ausgestorben - nur ein bläulich schimmernder Film lag über der Tür wie ein großes Schutzschild. Tiefe Risse zogen sich über das Eichenholz dahinter.
Sie rannten durch die Flügeltür hindurch in die Große Halle. Auch sie war leer. Die Lehrer waren wohl alle in den oberen Stockwerken, um die Harpyien abzuwehren, die dort tobten. Sie fanden Lisa halb unter dem Tisch der Slytherins liegend. Sie stöhnte leise. Harry und Robert wechselten einen kurzen Blick, bevor sie das Mädchen unter dem Tisch hervorzogen. Lisa hielt sich die Schläfe.
„Alles in Ordnung?“, fragte Robert besorgt.
„Jemand hat mich angerempelt, als ich aufstehen wollte“, murmelte sie und ließ sich von den beiden Jungen aufhelfen. Sie stand auf wackligen Beinen. „Ich muss auf der Tischkante aufgeschlagen sein...“
„Los, wir bringen sie raus“, orderte Harry und fasste Lisa unter den Arm. Rob packte gerade ebenfalls zu, als das rechte große Fenster der Halle splitterte. Ein hässlicher Schädel und eine gewaltige Pranke schoben sich in den Raum.
„Eine Harpyie!“, rief Robert entsetzt und wäre fast gestolpert.
Harry sah, mit welcher Vehemenz sich das Ungeheuer durch das gesplitterte Glas wand. Die scharfe Scherben schienen ihm nichts anhaben zu können. Und war das Wesen erst einmal im Schloss...
Er ließ Lisas Arm los und warf sich auf allen Vieren unter sie. „Steig auf, Rob, sofort!“, schrie er. Bevor der Slytherin ihn wegen seines rätselhaften Verhaltens anbrüllen konnte, stand ein schwarzes Pferd neben ihm, mit der erschöpften Lisa auf dem Rücken, die es nicht mehr schaffte, sich darüber zu wundern.
Rob sprang auf die Bank, als die Harpyie gänzlich durch das Fenster brach. Der schwarze Hengst wieherte schrill und Robert glitt auf seinen Rücken. Harry widerstand dem Drang, sich aufzubäumen, und stürmte los. Der harte Steinfußboden zitterte unter seinen Hufen. Es war schwerer auf ihm voranzukommen, als auf weichen Wiesen. Dennoch schossen sie durch die Flügeltür nach draußen, bevor sich die Harpyie mit einem schrillen Kreischen und ausgebreiteten Schwingen auf den Slytherin-Tisch stürzte, wo sie eben noch gestanden hatten.
In der Eingangshalle kam Snape die Treppe hinuntergeeilt, wohl vom Lärm der Harpyie alarmiert. Fassungslos starrte er auf seine beiden Schüler auf dem schwarzen Pferd, das gerade an ihm vorbeigaloppierte, gefolgt von der kreischenden Harpyie.
„Comburito!“, brüllte Snape und ein feuerroter Strahl traf das Ungeheuer mitten in die Brust. Die Harpyie bäumte sich im Flug auf und ihr Kreischen schwoll zu einem schrillen Crescendo an, bis sie ein aufflammendes Feuer zerriss und zu schwarzer Asche zerfallen ließ.
„Was suchten Sie hier draußen?“, brüllte Snape los und stampfte die letzten Stufen der Treppe hinunter. „Sie sollten im Gemeinschaftsraum sein! Haben Sie denn keine Ahnung, in welcher Gefahr... - und wo kommt der schwarze Gaul schon wieder her?“
Das Pferd riss den Kopf herum und wieherte dumpf und drohend. Snape musterte es von oben bis unten und seine Augen verengten sich urplötzlich zu schmalen Schlitzen. „Ich bin mir Ihrer Antipathie bezüglich meiner Person bereits durchaus bewusst - aber vielen Dank für den erneuten Hinweis, Mr Potter.“
Die erstaunt in die Höhe schießenden Ohren des Pferdes entlockten ihm ein kaltes Lächeln. „Ich hätte es mir gleich denken müssen! Granger und Weasley auf Ihrem Rücken auf der Flucht vor den Silberpelzen, und dann laufen sie mit Ihnen an mir vorbei. Und das schwarze Pferd in Ihren Gedanken, das Sie aus Angst in ein Einhorn umgedacht haben, um-“
„Severus!“
Snape fuhr herum und starrte auf Dumbledore, der auf der obersten Stufe stand und seinen Zauberstab auf die Flügeltür zur Großen Halle richtete, wo nun drei dunkle Gestalten erschienen waren, die ihre Gesichter unter Kapuzen verborgen hielten. Sie mussten durch das zerbrochene Fenster hindurch der Harpyie gefolgt sein. Hinter ihnen schlichen zwei Silberpelze mit drohendem Knurren durch den breiten Korridor.
Der leuchtende Strahl traf den vorderen der drei Männer und warf ihn zurück. Als er fiel, riss er seine beiden Hintermänner mit sich, doch einer der beiden war schnell genug.
Giftgrünes Licht erfüllte die Halle und verfehlte Snape, schoss haarscharf an ihm vorbei und traf vollkommen überraschend auf Dumbledore, der gerade auf der vorletzten Stufe stand.
Ohne den geringsten Laut ging er zu Boden.
Harry schrie, und sein Schrei - als der eines Pferdes viel lauter als der eines Menschen - hallte an den Wänden wieder. Er bäumte sich auf, spürte Robert auf seinem Rücken nach seiner Mähne fassen und daran reißen - und den heftigen Schlag, den ihm Snape versetzte, bevor er seinen Zauberstab auf den Todesser richtete, der sich gerade vom Boden erheben wollte. Seine Kapuze war im Fall zurückgeglitten und Harry erkannte Goyles Vater.
Ausgerechnet Goyle!
Harry spürte, wie ihm ein emotionales Chaos aus schierer Verzweiflung und aufkeimenden Hass die Kehle zuschnürte. Erst Sirius, jetzt Dumbledore...
Snapes Blick war so kalt wie der seines ehemaligen Verbündeten. „Avada Kedavra!“, zischte er und der Todesfluch ließ Goyle leblos zurück zu Boden sinken. Mit einem Seilzauber fesselte Snape die beiden anderen Todesser, die noch betäubt vom Aufprall waren.
„Hinaus, Potter“, zischte er. „Sofort! Bringen Sie sie in den Kerker!“
Harry, der seine Pferdegestalt verlassen hatte, kniete über Dumbledore. Er schien alles andere als gewillt zu gehen. Nicht jetzt. „Nein, ich-“
„Hinaus!“, brüllte Snape. „Sie können ihm nicht mehr helfen, von den Toten aufzuerstehen. Aber Sie können noch Lebende vor dem Tod retten.“ Er starrte ihn voller Rage an. „Gehen Sie!“
Harry gehorchte wie in Trance. Er fasste nach Lisas Arm und brachte sie zusammen mit Robert zurück in den Kerker.
„Laureola“, rief Robert und die Wand vor dem Gemeinschaftsraum der Slytherins fuhr zurück.
Mehr als zwanzig blasse Gesichter starrten ihnen entgegen...
***
Madam Pomfrey erschien kurze Zeit später, um nach Lisa zu sehen. Im Schloss war es ruhiger geworden.
„Die Harpyien sind abgezogen“, informierte sie die Schüler, während sie Lisa einen übelriechenden Trank gegen den Schock verabreichte. „Die Lehrkräfte sind jetzt damit beschäftigt, den größten Schaden, den diese Monster angerichtet haben, zu beheben und das Schloss zu durchsuchen, falls sich ein Todesser oder Silberpelz eingeschlichen hat, der noch nicht bemerkt wurde.“
„Was ist mit Professor Dumbledore?“, frage Harry und seine Stimme war rau.
Madam Pomfrey senkte den Kopf und schraubte die Flasche mit dem Trank wieder zu. „Ich hatte mir gewünscht, diesen Tag niemals zu erleben...“ Sie stand von Lisas Bett auf und machte Anstalten, den Gemeinschaftsraum zu verlassen. „Ihr solltet jetzt schlafen - ihr alle.“
„Aber Madam Pomfrey-“, begann Harry erneut und sie drehte sich um. Müde sah sie ihn an. „Er ist tot, Mr Potter.“
Bedrücktes Schweigen kehrte ein und sie verließ den Raum durch die Wand hinaus in den Kerker. Die Schüler wechselten schockierte, zum Teil ängstliche Blicke.
Langsam verteilten sie sich in den Schlafräumen. An Regeln dachte heute niemand. Parvati, die am ganzen Leib zitterte, kroch zu ihrer Schwester ins Bett. Robert legte sich neben Lisa auf den Boden, um sie im Auge zu behalten. In gemischten Häusern suchten sich die übrigen freie Betten.
Aber niemand von ihnen konnte einschlafen.
Harry drückte Hermine an sich und starrte in den von wenigen Kerzen schwach erhellten Raum.
Professor Dumbledore war tot. Und mit ihm war ein großes Stück Wärme aus Hogwarts gewichen - und damit verbunden das zuvor beruhigende Gefühl der Geborgenheit und unerschütterlicher Sicherheit... Harry schluckte. Albus Dumbledore galt als einziger Zauberer, den Lord Voldemort jemals wirklich gefürchtet hatte. Er war der sprichwörtliche Fels in der Brandung gewesen, der einzig wahre starke Widerstand gegen den Dunklen Lord. Derjenige, der den Orden zusammengehalten und stets um die ihm Anvertrauten besorgt gewesen war. Derjenige, der vehement gegen die Ignoranz des Ministeriums angekämpft hatte, um die ganze Zaubererwelt um die Gefahren wissen zu lassen, welche die Behörden aus Mangel an Beweisen und aus Angst vor Panik verschwiegen hatten.
Was würde nun geschehen? Würde der Orden des Phönix zerbrechen? Würde Dumbledores Tod eine Apathie unter den Zauberern und Hexen auslösen, die daraufhin keinen aktiven Widerstand gegen Voldemort mehr wagen würden? War heute, in dieser Nacht, nicht auch der Mut gestorben, in dem sie alle eine tröstliche Hoffnung gefunden hatten? War Voldemort der entscheidende Schritt gelungen, um seine alte Macht zurückzuerlangen?
Es gab nur noch einen einzigen wirklichen Dorn im Auge des Dunklen Lords. Und dieser Dorn war ein junger Mann, der verloren in die Dunkelheit starrte und realisierte, wie schnell er die Menschen verlor, die er liebte und die versuchten, ihn zu beschützen, und der eine tiefe, an seiner Seele fressende Leere in sich spürte, die nichts als Trostlosigkeit hinterließ.
Noch nie zuvor war das Schloss so kalt gewesen wie in dieser dunklen Nacht...