„Good Morning, New York City!“ klang die etwas zu hohe Stimme aus der kleinen schwarzen Box auf meinem Nachttisch.
Oh Shit, dieser verdammte Wecker. Noch im Halbschlaf versuche ich das Teil zu erschlagen. Gib bitte Ruhe.
„Hallo, Ihr Lieben da draußen. Raus aus den Federn. Der Wettergott meint es heute gut mit uns. Ein traumhafter Herbsttag erwartet uns.“ nervte die Stimme weiter und ich war versucht ihr eines sprichwörtlich aufs Maul zu geben.
Nee. Ich will nicht aufstehen.
„Soll ich Euch sagen, wer wieder in der Stadt ist? Dean, Augenschmauß, Harper. Gestern gesichtet im Central Park.“ verkündet die Stimme mit einem verschwörerischen Unterton.
Mist. Das auch noch. Hat man denn nirgendwo seine Ruhe? Ich drücke mir mein Kissen auf den Kopf. Warum nur sind alle so versessen darauf mich zu sehen? Gibt es nichts wichtigeres?
Beim Blick auf den Wecker, der endlich wieder ruhig ist, erschrecke ich ein wenig. Himmel, im Ernst? Ich hab über 12 Stunden am Stück geschlafen.
Auch wenn ich am liebsten in meinem schön warmen Nest liegen bleiben würde, überwinde ich meinen inneren Schweinehund und schwinge mich aus meinem Bett. Kurz duschen, Kaffee und ein Müsli. Und dann werde ich sehen, was dieser Tag so bringt.
Ich atme einmal tief ein und öffne meine Augen wieder. Wie ich diesen Ausblick genieße! Endlich wieder zu Hause. Das sind die Momente in denen ich wieder weiß, warum ich dieses Penthouse eigentlich gekauft habe. Obwohl ich im letzten Jahr, wenn es hoch kommt, maximal 4 Wochen am Stück hier war. Sonst immer nur tageweise, auf der Durchreise, immer auf dem Sprung von einem Projekt zum Nächsten. Aber das ändert sich ja nun hoffentlich. Mum hat wohl endlich eingesehen, dass ich nicht ununterbrochen drehen kann. Das laugt mich aus, macht nicht fertig. Ich brauche mal ein wenig Zeit zum Durchatmen. Genüsslich nehme ich einen Schluck aus meinem Kaffeebecher. Dieser original italienische Kaffee, frisch gemahlen ist einfach köstlich. Ich muss dringend Nachschub davon haben.
Hier auf der Dachterrasse fühle ich mich einfach frei und wohl. Sie war der Grund, warum ich mich für dieses Penthouse entschieden habe. Bis ich hier oben stand, konnte ich mir nicht vorstellen, das New York wirklich mein Ort werden könnte. In LA habe ich ein Strandhaus in Venice. Die erste große Anschaffung meines Lebens. Mein Traum: Ein Haus am Venice Beach mit Terrasse zum Meer und einem Whirlpool. Aber leider wissen in der Zwischenzeit zu viele Menschen wo ich wohne. Ich hab dort kaum mehr Ruhe. Hier in New York kann ich besser abtauchen. Ins oberste Stockwerk wird es wohl keiner schaffen.
Außerdem ist meine Mutter weit weg. Ich brauche den Abstand, mehr den je. Leider ist sie meine Agentin. Daher werde ich sie wohl weiterhin ertragen müssen. Sie macht ihren Job ja auch gut. Aber ich muss sie immer öfter in ihre Schranken weisen. Auch das ist ein Grund, warum ich meinen privaten Lebensmittelpunkt hier an der Ostküste sehe. Freunde hab ich nicht sehr viele. Dazu war nie Zeit. Seit meinem 15. Lebensjahr standen immer dann irgendwelche Fotoshootings oder Drehs an, wenn alle anderen Freizeit hatten. Da ist es schwer, wirklich gute Freundschaften zu pflegen. Unter diesen Umständen war es einfach für mich LA zu verlassen. Doch bisher hatte ich nicht wirklich Zeit die positiven Seiten des Lebens hier in New York zu genießen.
Während ich mit geschlossenen Augen auf meiner Hängematte liege höre ich ganz in der Ferne mein Handy klingeln. Egal wer das ist, ich werde nicht ran gehen. Die nächsten Wochen gehören alleine mir. Ich nehme einen großen Schluck Kaffee aus dem Becher in meiner Hand. Vielleicht verreise ich mal für längere Zeit. Europa. Das wünsche ich mir schon sehr lange. All die großen alten Städte sehen. In den Alpen wandern gehen. An der Côte d’Azur ins Meer springen. Die Küsten von Cornwall sehen. Schottland, Norwegen mit seinen Fjorden, die Schären in Schweden. Ich könnte mir ein Boot kaufen. Das alles vom Wasser aus erkunden. Hoch bis zum Nordkap. Gott, wie lange würde ich wohl dafür brauchen?
Vielleicht sollte ich mich einfach mal an die Planung machen. Wenn ich genau weiß, wieviel Zeit ich dafür brauche, dann kann ich Mum bitten, mir die entsprechende Zeit frei zu schaufeln.
Kurz entschlossen entscheide ich mich für einen Spaziergang. Luft tanken, Seele baumeln lassen. Von hier kann ich auf den Central Park schauen. Da unten finde ich auch bestimmt eine Kleinigkeit zu Essen. Einen einfachen Hot Dog, einen Burger oder was weiß ich. Ich bin seit 72 Stunden hier und habe die meiste Zeit davon verschlafen. Und die anderen Stunden in der Klinik verbracht. Der Doc hat mich völlig auf den Kopf gestellt. Der Zusammenbruch am vorletzten Drehtag hat mir wirklich Angst gemacht. Mir war gar nicht klar, wie kaputt ich wirklich bin. Doch offensichtlich bin ich einfach nur sehr erschöpft. Sonst ist alles ok. Ich brauche einfach nur ein bisschen Ruhe.
Mein Handy in der Hosentasche, einen Hoody, Jeans und Steppweste an, Sonnenbrille auf der Nase steige ich in den Aufzug und fahre ins Erdgeschoss. Ich wage einen Blick auf meine Anrufliste. Natürlich hat Mum versucht mich anzurufen. Aber auch Jamie Dornan. Mit ihm hab ich schon lange nicht mehr gesprochen. Vielleicht ist er hier in New York. Ein Abend mit ihm, das wäre was. Er ist so ein super Typ. Und ein Super Daddy. Wie sehr ich ihn darum beneide. Er und Millie bekommen das ganze Trara um ihn so gut hin. Doch im Gegensatz zu ihm, habe ich die Frau, mit der ich mir Familie und Kinder vorstellen kann, noch nicht gefunden. Vielleicht geht es mir ja mal wie ihm: Ich sehe sie und weiß, dass ist sie, die werde ich heiraten. Das alles hört sich total kitschig an, aber er schwört, es war genau so.
Unten angekommen betrete ich aus dem Aufzug heraus die Halle des Hauses. Hier ist alles sehr edel gestaltet. Granit in schwarz gepaart mit dunklem Holz. Hinter dem Empfangstresen sitzt Paul. Er ist die gute Seele des Hauses. In Frankreich würde man ihn wohl einen Concierge nennen. Man kann wirklich mit jedem Anliegen zu ihm kommen. Er versucht alles möglich zu machen. Karten für Broadwayvorstellungen, Tischreservierungen im Sternerestaurant, Kinokarten. Einfach alles. Für ihn scheint nichts unmöglich. Jeder der hier hinein will, muss an ihm vorbei. Besuch sollte man bei ihm ankündigen, sonst muss er anrufen, sich die Genehmigung holen und der ganze Trara. Jemandem wie mir gibt das ein Stück Sicherheit. Man stelle sich vor, man bekommt heraus wo ich wohne und plötzlich stehen irgendwelche Fremden bei mir vor der Türe. Ne. Das hab ich in Venice, dass muss ich hier nicht auch haben.
„Hallo Mr. Harper. Schön Sie mal wieder zu sehen.“ begrüßt mich der Mann, der gerade 60 Jahre alt geworden ist.
„Guten Tag Paul. Ja, ich bin froh, wieder hier zu sein. Danken Sie bitte Ihrer Frau. Sie hat perfekt eingekauft.“ erwidere ich. Ohne die beiden wäre mein Kühlschrank immer noch leer und die Wohnung in eine dicke Staubschicht gehüllt.
„Werde ich ausrichten. Sie läßt fragen, wann sie vorbeikommen soll?“ Eine gute Frage, über die ich ehrlich noch gar nicht nachgedacht habe.
„Ich denke, einmal die Woche wäre gut. Wie es ihr am besten passt. Gut wäre auch, wenn sie einkaufen würde.“ Ich hoffe, die Bitte war nicht unverschämt.
„Das wird kein Problem sein. Ich bespreche das und sag Ihnen morgen Bescheid.“ verspricht er mir.
„Machen Sie das Paul.“ bestätige ich ihm.
„Werden Sie diesmal länger bleiben?“ Noch eine Frage, die ich ihm gar nicht wirklich beantworten kann. Bei mir weiß man nie.
„Geplant ist es, aber wer weiß das schon.“ Ich zucke mit den Schultern. Irgendwie hab ich das Gefühl, meine Mutter wird mir keine Ruhe lassen.
Als ich nach draußen gehe bemerke ich den typischen Geräuschpegel. New York ist eben die Stadt, die niemals schläft. Just in dem Moment klingelt mein Handy. Ein Blick und ich entscheide, dass ich jetzt keinen Bock auf meine Mutter habe. Ich seh vor meinem inneren Auge, wie sie in ihrem Büro am durchdrehen ist. Sie hat keine Kontrolle mehr über mich. Das fällt ihr schwer. Aber Hey, ich bin 30. Groß und alt genug, selbst auf mich aufzupassen, selbst Entscheidungen zu treffen.
Statt mit meiner Mutter zu telefonieren, greife ich zum Handy, nachdem ich eine kurze Runde um den See im Central Park gedreht und mir einen ersten Hot Dog gegönnt habe. Ich wähle Jamies Nummer und freue mich bereits darauf, seine Stimme zu hören. Sollte er zu Hause sein, dürfte es noch nicht zu spät sein für eine Störung.
„Hey, Dean, Welcome Back.“ begrüßt er mich.
„Was heißt hier Welcome Back? Bist Du etwa in New York?“ frage ich nach.
„Ja, seit einer Woche. Ein paar TV-Termine. Aber übermorgen fliege ich wieder nach Hause.“ antwortet er mir.
„Wie geht’s Deinen Damen?“
„Bestens. Sie sind froh wieder in unserem Haus zu sein. Die Zeit in LA war einfach sehr lange.“ mit jedem Wort merkt man den Stolz auf seine Mädchen und die Liebe, die er für sie empfindet.
„Kann ich mir vorstellen. Hab gehört Millie macht den Soundtrack zu meinem letzten Film.“
„Ja, sie ist völlig aus dem Häuschen. Diese Chance ist riesig für sie. Es kribbelt in ihren Fingern. Das spüre ich. Sie ist gespannt auf den ersten Schnitt.“ Das kann ich mir vorstellen. Geht mir nicht anders.
„Ich bin sicher, sie wird das toll machen. Sie ist einfach eine der Besten.“ Ich weiß, wie sehr Lob für seine Frau ihn freut.
„Das wird Sie gerne hören. Aber mal zu Dir: Du bist zu Hause?“
„Ja, seit drei Tagen. Ich brauche einfach eine Pause.“
„Lust auf einen Männerabend?“
„Wir beide, oder noch wer?“ frage ich rein aus Interesse.
„Eddie und Andrew sind auch in der Stadt. Wir wollten uns morgen treffen, zusammen was Essen. Einfach mal wieder zusammen abhängen. Bier trinken. Was man halt so macht.“
Eigentlich eine gute Idee, aber ich hab so gar kein Bock auf Restaurant, Club oder so.
„Was würdet Ihr sagen, wenn ich Euch zu mir einlade? Wir kochen zusammen. Trinken, Reden, Zocken.“ Er zögert einen kleinen Moment.
„Hört sich nach einer Idee an. Ich bespreche das und melde mich bei Dir.“
„Gut, mach das. Ich müsste dann noch einkaufen.“ Wir verabschieden uns voneinander und nachdem er aufgelegt hatte, machte sich ein Grinsen auf meinem Gesicht breit. Männerabend mit drei der nettesten Kerle die ich kenne. Manchmal beneide ich die drei um ihre gemeinsame Vergangenheit. Teil dieser Gruppe junger Schauspieler zu sein, die damals zusammen in LA gelebt haben, die ihren Traum von einer Karriere in Hollywood angegangen sind. Und was ist aus Ihnen geworden? Oscar-Preisträger. Stars die jeder kennt und schätzt. Schauspieler, die sich ihre Rollen aussuchen können. Einfach beeindruckend.
Ich weiß, dass die drei zusammen mit Rob Pattinson eine eigene Produktionsfirma gegründet haben. Sie wollen Projekte realisieren, die ihnen am Herzen liegen. Selbst schreiben, Regie führen, produzieren, hin und wieder selbst mitspielen. Das ist zwar keine neue Idee, aber die vier machen das zusammen, verteilen den Druck einer eignen Filmproduktion auf acht Schultern.
Eine Stunde später, ich sitze gerade auf einer Bank am Rande des Central Parks und beiße genüsslich in eine Bratwurst geht eine Message ein: <Räum auf. Sind gegen 19 Uhr bei Dir. Lebensmittel werden 17 Uhr geliefert. Du sorgst für Flüssignahrung. Alkohol ausdrücklich erwünscht. Bier würde zum Essen passen. JD>
Ich hab gerade mit einem 'Daumen hoch' geantwortet, da ruft wieder meine Mutter an. Jetzt muss ich wohl ran gehen, sonst nervt sie einfach immer weiter.