Tatsächlich haben wir es geschafft in dieser Woche das ganze Drehbuch durchzugehen. Einige Fragen sind entstanden, die wir notiert haben und zu einigen Szenen haben wir unsere Vorstellungen aufgeschrieben, wenn sie anders waren, als es der Autor vorgesehen hatte.
Zusammen sind wir dann zum Flughafen gefahren und haben uns am Gate verabschiedet. Jess ist in den Flieger nach Südfrankreich gestiegen. Sie musste einen Zwischenstopp in München machen um von dort mit ihren beiden Freundinnen weiter zu fliegen. Sie kamen aus LA erstmal dorthin.
Ich flog von Berlin nach Frankfurt und von dort aus weiter nach Dubai. Ich war so gespannt, was mir die Navy Soldaten dort erzählen werden. Maggie hatte alles für mich arrangiert. Ein US Flugzeugträger lag im Hafen von Dubai und ich durfte dort zwei Nächte übernachten, bevor ich dann ins Hotel wechslet. An Bord konnte ich mit Navy Seals sprechen und durfte an einer Übung teilnehmen. Das war wirklich mehr als ich erwartet habe.
Gerade sitze ich im Flieger von Dubai nach Frankfurt. Die Tage auf dem Flugzeugträger waren heftig. Aber die Gespräche mit den Navy Angehörigen und vor allem mit den Seals haben mir viel gebracht. Einen Einblick in deren Leben zu bekommen und einen Einsatz zu proben, wird mir für die Dreharbeiten viel bringen.
Eines weiß ich auch: Ich bin für das Leben an Bord eines solchen Schiffes nicht geboren.
Während all der Tage habe ich sehr viel mit Jess geschrieben, aber auch mit ihrer Mutter. Maggie kümmert sich gerade sehr aktiv um Projekte für mich in Europa. Dabei ist sie mehr als erfolgreich. Während der Dreharbeiten werde ich für ein paar Tage nach London fliegen. Sir Kenneth Brannagh will mich für einen neuen Film. Mehr weiß ich nicht. Aber alleine mit diesem Mann zu drehen, ist ein Traum. Jamie erzählt soviel Gutes über ihn.
Ich atme einmal tief durch. Die Wut auf mich selbst wird einfach nicht weniger. Und ich stelle mich innerlich schon mal auf mein Zusammentreffen mit Jess ein. Sie wird die Bilder auch gesehen haben. Alle haben sie gesehen. Wie konnte ich nur so blöd sein.
Von Maggie weiß ich, dass Jess und ich bereits am Flughafen aufeinander treffen werden. Also hab ich keinerlei Schonfrist mehr. Die Fahrt nach Baden-Baden wird die Hölle werden.
Wie soll ich etwas erklären, was ich selbst nicht verstehe? Wie dem liebsten Menschen, den ich kenne erklären, dass ich einfach ein schwanzgesteuertes Arschloch bin.
Nachdem ich den Flugzeugträger wieder verlassen hatte und im Hotel erstmal Stunden im Fittnessraum verbracht hatte, habe ich mich in irgendeiner Schicki Micki Bar voll laufen lassen und dann diese Frau mit auf mein Zimmer genommen. Die Bilder waren am nächsten Tag überall im Netz. Meine Hand auf ihrem Arsch, meine Zunge in ihrem Rachen, Brüste auf denen meine Lippen liegen. Ich kann froh sein, dass ich keine Anzeige am Hals habe. Die in Dubai finden das eigentlich nicht so toll. Aber außer diesen dämlichen Paparazzi hat uns wohl niemand gesehen. Den Namen der Frau kenne ich nur aus der Presse, wo sie lang und breit über unsere Nacht gesprochen hat. Ich bin geliefert.
Je länger dieser Flug dauert und je näher das Zusammentreffen mit Jess kommt, um so nervöser werde ich. Ich werde es ihr erklären und hoffen, dass sie mir verzeiht. Sie billigt dieses Verhalten sicher nicht und es würde mich sehr wurmen, wenn ich mir dadurch alle Chancen bei Jess kaputt gemacht habe.
Und nicht nur ihr werde ich Rede und Antwort stehen müssen, wohl auch Jamie. Der sieht solche Schlagzeilen auch sicher nicht gerne.
Ich bin noch keine 20 Meter aus der Sicherheitskontrolle raus, da sehe ich sie schon. Leger gekleidet in eine Joggpant und mit Hoodie, einen Wagen mit drei Koffer neben sich. Chucks an ihren Füßen machen ihren Look komplett und ich muss unweigerlich lachen. Wir sind uns in vielen Dingen so ähnlich. Denn auch ich trage Joggpant, Hoodie und Chucks.
Der Fahrer der Produktion erkennt mich und informiert die anderen, dass ich nun endlich da bin. Weil ich so fokussiert auf Jess war, habe ich gar nicht registriert, dass auch David neben ihr steht und…. Maggie. Na toll! Wenn ich in 10 Minuten noch eine Agentin habe, dann kann ich mich glücklich schätzen.
Ich nähere mich der kleinen Gruppe und versuche ein Lächeln aufzusetzen.
„Hey, da ist ja unser Casanova.“ höre ich David sagen, der mich gleich darauf in seine Arme zieht. „Ganz schön viel Wirbel, den Du da verursacht hast.“ meint er.
„Leider.“ knurre ich leise.
Vorsichtig versuche ich auf Jess zuzugehen. Doch diese dreht sich demonstrativ weg. Was habe ich auch anderes erwartet. Doch bevor ich was sagen kann geht Maggie dazwischen.
„Tag, mein Junge.“ Sie nimmt mich kurz in den Arm und flüstert mir ins Ohr: „Das wird schon wieder. Gib ihr ein bisschen Zeit.“
Ich kann nichts dazu sagen. Mich von Jess fern zu halten scheint mir unmöglich. Aber Maggie kennt sie besser als ich. Also sollte ich wohl auf sie hören.
Im Van wählen wir dann automatisch die beiden weit entferntesten Plätze.
„Erwartet nicht, dass ich zwischen Euch beiden vermittle. Diese Sache müsst ihr selbst hinbekommen.“ ermahnt uns nun auch David.
Den Rest der Fahrt war dann Schweigen angesagt.
Wie nicht anders zu erwarten hat die Produktion alles so eingeteilt, dass Jess und ich zwei Suiten beziehen, die am weitesten voneinander entfernt sind. Das ist ein deutliches Zeichen. Ich werde nicht mal heimlich zu ihr gehen können. Es macht mich rasend.
Für den Abend hat Jamie ein gemeinsames Abendessen angesetzt. Wir treffen uns um 19 Uhr im ehemaligen Restaurant des Schlosses. Ein schöner Raum mit einer riesigen Glasfront und tollem Blick über das Rheintal. Wie sehr habe ich mich auf diese Dreharbeiten gefreut. Wie sehr darauf mit Jess zusammen zu sein. Und nun hab ich alles vermasselt.
Ich sitze gerade an dem für mich reservierten Platz, da geht eine Nachricht auf meinem Handy ein. <gut gemacht mein Sohn> Meine Mutter. Wochenlang hat sie nichts von sich hören lassen und nun dieser Kommentar. Das hätte sie auch bleiben lassen können. Oder… ein Verdacht steigt in mir hoch. Das darf doch wohl nicht wahr sein? Oder?
„Sorry, Jamie. Ich bin sofort wieder da. Aber ich muss was regeln.“ Lasse ich meinen Freund stehen, der gerade auf mich zukam. Neben ihm steht Maggie, die ich am Arm nehme und mit mir
in einen der Salons hier im Erdgeschoss des Hotels ziehe. Er ist wohl als Garderobe vorgesehen. Überall stehen Kleiderständer. Hinten in der Ecke finde ich einen Sessel, auf dem ich Platz nehme. Ich zeige Maggie mein Handy. Und dann sprudelt es aus mir heraus.
„Ich…Ich….Ich wollte Jess nie weh tun. Nie Maggie. Keine Ahnung, was in dieser Nacht passiert ist. Ich kann mich an nichts wirklich erinnern. Ja, das auf den Bildern bin ich. Aber..“
„Du hast einen Filmriss?“
„Ja. Und um ehrlich zu sein: Ich glaube das ganze war inszeniert. Diese Nachricht von Mum. Irgendwas sagt mir, dass sie dahinter steckt. Warum sollte sie mir sonst quasi zu meinem Verhalten gratulieren?“
„Du meinst, sie hat diese Frau auf Dich angesetzt?“
„Könnte sein. Ich kann mich noch daran erinnern, dass sie ziemlich aufdringlich war. Aber ich hab sie abblitzen lassen. Wollte einfach nur ein paar Drinks an der Bar nehmen und dann auf mein Zimmer. Was dann passiert ist? Ich weiß es nicht.“
„Solltest Du Recht haben, was willst Du dann unternehmen?“
„Ich werde ein Statement abgeben.“
„Gut. Ich werde mal schauen, ob ich eine Verbindung zwischen dieser Schlampe und Deiner Mutter finden kann.“
„Danke Maggie. Und verzeih mir bitte. Ich..“ weiter komme ich nicht. Die Tränen kommen hoch. Das Jahr hat so gut angefangen und dann dieser ganze Mist.
„Hey.“ Sie nimmt mich in den Arm und läßt mich einfach weinen. Ich weiß nicht, warum ich gerade so bin. Aber Jess Gesichtsausdruck vorhin…Das macht mich fertig.
„Sie läßt mich gar nicht an sich ran.“ Oder dass ich ihren Namen nenne, weiß Maggie natürlich, dass ich Jessica meine.
„Wundert Dich das?“
„Nein. Aber es ist die Hölle.“
„Da musst Du nun durch.“
„Kannst Du…“
„Nein, ich werde kein gutes Wort für Dich einlegen. Das musst Du schon selbst schaffen.“
„Ja Mum.“ Hab ich das wirklich gerade gesagt?
„Alles gut Dean. Sie wird Dir verzeihen. Aber sie wird es Dir nicht leicht machen. Außerdem hoffe ich, dass Sie ….“
„Was?“
„Liebst Du sie?“ fragt sie nach einer kleinen Weile und ich weiß nicht, was ich ihr sagen soll. Deshalb wähle ich meinen Standard-Satz: „Sie ist wie eine kleine Schwester für mich.“
„Sicher. Deswegen laufen Dir auch die Tränen.“
„Normal oder?“
„Wenn Du meinst.“ Sie dreht sich ab und verschwindet irgendwo zwischen all den Kleidern hier. Ich bin noch nicht soweit. Erstmal brauche ich kurz frische Luft, daher trete ich auf die Terrasse raus. Aber da ich Jamie auch nicht verärgern will, mache mich auf den Weg ins Restaurant.
„Na endlich. Dann können wir ja jetzt beginnen.“ raunst Jamie mich an, nachdem ich mich wieder neben ihn gesetzt habe. Er nimmt sein Glas und einen Löffel und schlägt kurz an. Die Stimmen im Raum verstummen und alle lauschen gebannt seinen Worten.
„Morgen am Drehtag Nummer Eins, werden wir mit zwei Teams unterwegs sein. Eines wird hier auf dem Schloss die ersten Szenen zwischen der Prinzessin und ihrem Vater drehen, das andere geht mit Dean zum Flughafen. Ich wünsche uns allen, einen erfolgreichen ersten Tag. Morgen Abend treffen wir uns wieder hier zum Abschlussgespräch und Besprechung von Tag 2.“
Den ganzen Abend über geht Jess mir aus dem Weg. Wenn das die ganzen 3 Monate so geht, dann werde ich wahnsinnig. Irgendwann entscheide ich mich dazu auf meine Suite zu gehen. Da kann ich mich wenigstens in meinem Selbstmitleid suhlen.
Es dauert eine halbe Stunde. Ich bin schon geduscht und habe mich fürs Bett fertig gemacht, als es an meiner Türe klopft. Jess! Schießt es mir durch den Kopf. Doch als ich die Türe aufmache, ist sie nicht alleine, sondern Maggie ist bei ihr. Oh, je! Den Gesichtsausdruck kenne ich. Der verheißt nichts Gutes.
„So, keine Bange, ich werde wieder gehen. Aber erst, wenn ihr Beiden miteinander geredet habt.“
„Mum.“
„Nein, Jess. Ich hab es Dir vor Wochen gesagt. Noch Heilig Abend hast Du mir versprochen mit ihm zu reden. Aber das waren leeren Versprechungen. Du wirst ihm jetzt alles erzählen. Oder ich mache es.“ Was soll sie mir erzählen? Es muss was wichtiges sein, sonst würde Maggie nicht so ausrasten. Das sie laut wird muss Gründe haben, die ihr wichtig sind.
„Nein!“
„Du wirst es wohl nicht verhindern können.“
„Mum, wie…wie.“
„Fang einfach von vorne an.“
„Ich kann das nicht Mum.“ Mist, jetzt fängt sie tatsächlich an zu weinen.
„Was kannst Du nicht, Jess?“ Ich gehe auf sie zu. Nehme sie in den Arm. Sie zittert. Aber sie antwortet mir einfach nicht.
„Maggie, was kann sie mir nicht erzählen?“
Ich dreh hier gleich durch. Die Beiden machen mich verrückt. Maggie ist wütend und Jess am heulen.
Maggie geht wie ein wild gewordener Tiger in meiner Suite hin und her. Sie ringt mit sich. Aber aus Jess bekomme ich sicher auch nichts raus. Die Tränen sind inzwischen versiegt aber statt dessen scheint sie regelrecht erstarrt.
„Rede mit mir Maggie.“ Bitte ich. Fast schon flehe ich sie an.
„Ich hätte es nicht zulassen dürfen.“ sagt sie, aber eher zu sich, als zu mir.
„Was? Erklär es mir.“ Noch immer halte ich Jess. Streiche ihr über den Rücken.
Plötzlich rührt sie sich. Setzt sich auf.
„Ich erzähl es ihm Mum. Aber Du musst mir helfen.“
„Natürlich helfe ich Dir.“ Maggie nimmt ihre Tochter in den Arm.
„Hast Du was zu trinken?“
Ich schaue kurz in der Minibar nach. „Rotwein?“ frage ich die beiden Damen. Sie nicken und ich nehme noch 3 Gläser und schenke uns allen was ein.
Die Beiden Frauen scheinen sich mit den Augen zu verständigen. Und dann beginnt Maggie zu erzählen:
„Damals, nachdem wir Dich schweren Herzens haben mit Gloria gehen lassen, da haben wir alle Drei lange gebraucht uns mit der neuen Situation abzufinden. Mir ist es damals irgendwie am schnellsten, am Besten gelungen. Ich hatte Kind, Haushalt, meine Aufgaben als Agentin. Hab mich hinter all der Arbeit verschanzt. Die täglichen Tränen hat nie jemand gesehen. Selbst vor Peter hab ich sie versteckt.“
Man merkt ihr deutlich an, dass sie das alles immer noch mitnimmt. Nach all den Wahrheiten an Weihnachten sind die die heute kommen wahrscheinlich um einiges schwieriger zu verkraften. Ich stelle mich auf das schlimmste ein.
Maggie und Jess sitzen auf der Couch. Jess hat ihren Kopf in Maggies Schoss und wird von ihrer Mutter zärtlich über den Kopf gestreichelt. Dieses Bild ist so wunderbar. Die beiden haben eine so tolle Verbindung. Ich bin ehrlich gesagt ein wenig neidisch.
„Peter hat damals angefangen zu trinken. Täglich ein paar Gläser Scotch waren ganz normal. In all unserer Trauer haben wir erst gar nicht gemerkt, dass Jessica kein Wort mehr sprach. Es musste erst eine Lehrerin kommen, die uns ziemlich zusammen gefaltet hat bis Peter und ich aus unserem Selbstmitleid aufwachten.“
Sie macht wieder eine Pause und dann höre ich plötzlich Jess Stimme. Ganz leise und so unendlich traurig.
„Ich war so wütend auf die Beiden. Hab sie regelrecht gehasst. Aber weil ich auch nichts falsches sagen wollte, hab ich halt einfach das Reden eingestellt. Es interessierte sie ja eh nicht. So dachte ich. Ganze 8 Wochen hab ich das durchgehalten.“
„In diesen Wochen habe ich alles daran gesetzt, das Gloria wenigstens erlaubt, dass Jess Dich besuchen kann. Aber sie ist nicht darauf eingegangen.“
„Und ich hab Dir unzähligen Briefe geschrieben. Das hab ich Dir ja schon erzählt.“
„Ja, die ich leider nie bekommen habe.“
„Nachdem keine Antworten auf diese Briefe kamen, da hat Jess mich gelöchert, warum das so ist und weil ich sie nicht traurig oder böse machen wollte, hab ich ihr gesagt dass es schon mal sein kann, das die Post Briefe verliert. Und was macht mein super schlaues Kind? Sie kramt in meinen Unterlagen, bekommt Deine neue Adresse raus und fährt alleine durch die ganze Stadt um Dir ihren Brief persönlich zu bringen.“
„Aber Du warst nicht da. Das hat jedenfalls Deine Mum gesagt. Und dann bin ich wieder zurück und hab den Einlauf meines Lebens bekommen. Dad war nie wieder so sauer auf mich.“
„Und zurecht.“
„Dann warst Du also doch da.“ sage ich mehr zu mir selbst. Just in dem Moment, in dem sie es erzählt fiel mir ein, dass ich damals doch zu Hause war. Ein Fotograf war da und schoss Fotos von mir. Für meine Mappe, die Mum dann an sämtliche Casting-Agenturen geschickt hat. Es klingelte und ich dachte ich hätte Jess Stimme gehört. Wollte schon nach draußen laufen und sie in meine Arme nehmen. Aber ich wurde von irgend so einer Frau festgehalten. Meine Mutter stritt damals ab, dass es Jessica war.
„Von Amanda wusste ich, dass Du zu Hause warst. Das Gloria die Frechheit besaß Jessica nicht einmal ins Haus zu bitten….“ Man kann spüren, wie sehr sie meine Mutter verachtet.
„Ich hab Dir ja schon erzählt, was ich alles veranstaltet habe um mal irgendeine Reaktion von Dir zu bekommen.“
„Mum muss die Briefe alle entsorgt haben. Als ich sie darauf angesprochen habe, hat sie es nicht abgestritten, aber auch nicht bestätigt. Sie hat das Thema gewechselt.“
Maggie scheint irgendwo an der Decke etwas zu suchen. Manchmal schließ sie die Augen kurz. Dann redet sie weiter. Dabei liegen ihre Hände auf Jessicas Armen.
„Deine Mutter hatte ziemlich schnell Erfolg damit, Dich in Fernsehproduktionen für kleine Rollen unter zu bringen. So wurden die Studios, die Produzenten auf Dich aufmerksam und dann bekamst Du mit 16 Deine erste größere Rolle. Immer wieder tauchten auch Fotos von Dir auf und innerhalb von einem Jahr wurdest Du zu einem richtigen Teeniestar. Und Jess wurde Dein größter Fan. Sie sammelte alles, was sie irgendwo von Dir bekommen konnte. Jeder Artikel in Zeitschriften wurde ausgeschnitten und in ein Album eingeklebt. Ihr Zimmer war voll von Bildern von Dir, die sie im Internet fand und sich dann ausdruckte.“
„Ich war damals auf der Schule nicht unbedingt beliebt. Meine Figur war eher pummelig und ich war in vielen Fächern besser als die anderen.“
Wieder übernimmt Maggie die Erzählung.
„Irgendwer hat dann heraus bekommen, dass Du für Jess so eine Art Bruder bist. Das Mädchen, sie war zwei Jahre älter als Jessica, kam immer öfter zu uns nach Hause. Sie versuchte alles um ihre Freundin zu werden. Mit der Zeit kamen noch einige andere Mädchen dazu. Irgendwann bekam ich heraus, dass sie eigentlich nur wegen Dir mit Jess befreundet waren.“
„Wir saßen alle gerade in meinem Zimmer und ich zeigte den Mädchen ein Fotoalbum mit Bildern von Dir. Mum kam herein und hat die Drei gefragt, ob sie nur wegen Dir bei uns sind. Da….“
Jess Stimme bricht. Wie gerne würde ich sie jetzt in meine Arme nehmen.
„Das eine Mädchen grinste mich frech an und fragte ob ich geglaubt hätte, sie wären wegen Jessica da. Danach folgten ein paar unschöne Sätze, die ich hier nicht wiederholen möchte. Ich kann Dir gar nicht sagen, wie unsagbar leid mir mein Kind damals tat. Doch das schlimmste folgte erst noch: Bald machte sich die ganze Schule über Jess lustig und sie wurde als Lügnerin bezeichnet. Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass Sie sich danach sehr zurückzog.“
Das kann ich auch.
„Was ich jedoch nicht mitbekam war, dass man sie in der Schule nicht nur wegen dieser Sache anmachte, sondern auch wegen ihrer Figur. Unbemerkt von uns fing Jess an abzunehmen. Sie hatte sich beim Tanzen in der Schule angemeldet. Damals war sie 12 Jahre alt.“
„An diesem Weihnachten hatte ich einen besonderen Wunsch. Ich wusste, Mum würde es irgendwie möglich machen: Ich wollte eine kleine Rolle in Deiner Serie.“
„Das war für mich relativ einfach zu organisieren. Allerdings verpflichtete ich alle dazu, Dir und vor allem Deiner Mutter nichts zu sagen. Und tatsächlich machte Jessica das Casting und alle waren sehr beeindruckt von ihr. Aber am Ende bekam sie die Rolle nicht, weil sie einfach noch zu jung war. Die Rolle bekam Bea. Ihr Vater hatte als Produzent ein bisschen seine Verbindungen spielen lassen. Jess war entsprechend enttäuscht.“
„Wieder hatte ich keine Chance Dich wieder zu sehen.“
„Bea war eine Mitschülerin von Jess und wieder musste sie sich einiges anhören. Vor allem aber auch, dass so ein - ich zitiere: fettes Baby - niemals eine Rolle an Deiner Seite bekommen würde.“
„Gott wie fies.“ kommentiere ich.
Maggie macht weiter: „Blöder Weise waren alle Frauen, bzw. Mädchen mit denen Du abgelichtet wurdest alle samt von der Sorte super schlank und lange Haare. Jess mit ihrem Kurzhaarschnitt und etwas mehr auf den Hüften konnte in ihren Augen da einfach nicht mithalten. Also beschloss sie neben dem Tanzen auch noch täglich zu joggen. Gewichtskontrolle und Sport waren fortan fester Bestandteil von Jess Leben. Peter und ich sind fast verzweifelt als sie dann auch noch auf Fleisch verzichtete und meinte vegetarisch essen zu müssen.“
Sie trinkt und schließt dabei die Augen. Ich kann ihr ansehen, dass sie versucht die Tränen aus ihren Augen zu vertreiben.
„Vor unseren Augen wurde unser Kind immer weniger.“ Und doch kommen die Tränen. Jess weint ebenso.
„Am Schluss wog ich weniger als 40kg. Ich war 15 und schon so groß wie heute.“
Heilige Scheiße. Ich selbst muss auch auf mein Gewicht achten. Daher kenne ich mich mit BMI und so aus. Und dieses Gewicht bei ihrer Größe ist eindeutig Untergewicht.
„Mum und Dad ließen mich in die Betty Ford Klinik einweisen. Dort hab ich ein halbes Jahr verbracht und wieder gelernt zu essen. 15 Kilo hatte ich am Ende mehr.“
„Nachdem Jess wieder gefestigt war wiederholte sie ein Jahr in der Senior High und machte dann mit 18 ihren Abschluss. Während der zwei Jahre machte sie gleichzeitig schon eine Schauspielausbildung bei einer privaten Lehrerin.“
„Mein Wunsch war es immer Schauspielerin zu werden. Bzw. Ich wollte das tun, was Du tust.“
„Du bist so talentiert.“ versichere ich ihr und sie sieht mich mit einem Lächeln an.
„Danke, Dee.“
„Kurz bevor Jess nach New York auf die Schauspielschule ging, bekam ich mit, dass für Deinen neusten Film eine Rolle zu vergeben war. Ich fand, dass es ideal für sie sein könnte als Einstieg. Zumal das ganze über eine Agentur lief, also die Gefahr, dass Deine Mum quer schießen konnte, sah ich als nicht gegeben. Du musst wissen: Jess hat in all den Jahren immer wieder versucht Kontakt mit Dir aufzunehmen. Aber Gloria hat alles unterlaufen. Einmal hat sie sich heimlich in einen Club geschlichen, wo Du angeblich an diesem Abend sein solltest. Natürlich hat man sie nicht reingelassen und Deine Bodyguards haben Dich vor dem Club so abgeschirmt, dass sie es einfach nicht schaffte an Dich ranzukommen.“
„Ich war mir damals sicher, dass ich nur über die Schauspielerei wieder Kontakt zu Dir aufnehmen kann.“
„Wie gerne hätte ich Dich getroffen.“ gebe ich zu. „War das die Geschichte mit Mum?“ frage ich Jess.
„Ja. Die Agentur und auch die Produzenten und der Regisseur wollten mich alle. Es stand nur noch die Probeaufnahmen mit Dir an. Aber dann kam Deine Mum.“
„Was hat sie damals zu Dir gesagt?“
„Sie kam vor der Aufnahme in die Maske. Schickte alle anderen heraus. Sie druckste herum. Meinte es würde ihr so leid tun. Sie würde ja verstehen, dass das hier meine erste große Rolle werden könnte.“
„Aber?“
Da Jess viel zu aufgewühlt ist übernimmt Maggie: „Du hättest sie geschickt. Sie solle ihr ausrichten, dass Du auf keinen Fall mit ihr spielen wirst. Du seist so enttäuscht von ihr, weil sie sich nie wieder bei Dir gemeldet hat. Sie nicht auf Deine Nachrichten geantwortet hat.“
„Welche Nachrichten denn? Ich habe nie eine Nachricht an Jess geschrieben. Am Anfang war ich viel zu wütend auf Euch und dann hab ich mich nicht mehr getraut. Außerdem hat Mum mir ja immer gesagt, ihr wolltet mich loswerden. Warum sollte ich ihr dann Nachrichten schreiben.“
„Wie auch immer. Sie sagte, Du seist böse auf mich. Das hat mich so sehr getroffen, dass….ich fiel wieder in mein altes Muster. Sport, Tanzen, wenig essen. Nahm in kürzester Zeit wieder 10 Kilo ab.“
„Da hab ich die Notbremse gezogen und habe Jess zu meiner Schwester nach Deutschland geschickt.“
Ich muss das gehörte erstmal verdauen. Laufe rum und raufe mir die Haare.
„Das heißt, es kann jederzeit wieder passieren?“
„Ja! Jederzeit. Die Psychologin geht davon aus, dass es nie auszuschließen ist. Jede tiefe seelische Verletzung kann sie wieder aus der Bahn werfen. Und Du, Dean, Du bist der Mensch der sie am schwersten verletzen kann. Daher hatte ich Jess gebeten, mit Dir zu reden.“
„Und jetzt bist Du hier, weil ich sie verletzt habe.“ spreche ich es aus.
„Nein, aber ich bin hier, weil ich denke, Du solltest wissen, was Dein Verhalten verursachen kann.“
„Haben mich Jamie und Lynn deswegen gewarnt?“
„Ja, denke ich jedenfalls.“
„Woher wissen die beiden davon?“
„Lynn, weil ich damals mit ihr gedreht habe, als ich in kürzester Zeit wieder so abgenommen habe.“
„Jamie habe ich es erzählt als er bei mir vorbei kam und mir von seiner Idee erzählte Euch Beide als Hauptcast für diesen Film zu buchen. Ich wusste, wenn Du sie wieder ablehnst, dann würde sie das nur schwer verkraften.“
„Deshalb damals die Heimlichkeiten.“
„Ja, ich dachte, wenn Du ihr Auge in Auge gegenüber stehst, dann fällt es Dir schwerer sie abzuweisen. Und falls doch hatte ich die Hoffnung, dass Jess es dann endlich versteht.“
„Ein gewagtes Spiel.“
„Ja, sicher. Aber irgendwas hat mir immer gesagt, dass Du sie nie abgewiesen hast. Das das alles Gloria war.“
Eine ganze Zeit ist es ruhig in der Suite. Jeder von uns muss erst einmal das gehörte verarbeiten.
„Mum.“ unterbricht Jess die Ruhe „Du kannst in meiner Suite schlafen. Ich würde gerne hier bei Dean bleiben. Wenn es Dir Recht ist.“
Wie könnte ich Nein sagen.
„Natürlich kannst Du hier bleiben, Kleines.“