Du bist Arthrax Sundergeer.
„Natürlich können wir Euch das sagen!“, erklärst du großspurig. „Es war so: Wir hatten gerade einen lukrativen Job beendet und sind in ein Gasthaus eingezogen.“
Ohne Allyster zu beachten, der verzweifelt versucht, dich mit unauffälligen Gesten zum Schweigen zu bringen, schmückst du deine Geschichte mit Details aus. Du erwähnst die Bierqualität, die hübsche Hure und das Essen, während die Druiden dich zunehmend anstarren, als hättest du den Verstand verloren.
„Jedenfalls war noch eine Gruppe Söldner da. Oder eher Soldaten. Waren recht gut angezogen“, erklärst du weiter. „Wir hatten halt unseren Spaß, war’n vielleicht etwas lauter, und das gefiel den feinen Herrschaften nicht. Die haben im Laufe des Abends immer wieder böse rübergesehen. Am Ende stand aber einer auf und zog was raus. Irgendeinen Stein oder so, der aber plötzlich glühte. Muss irgend’nen Magie-Ding gewesen sein. Plötzlich tauchten überall Tote auf!“
Du merkst an dem Ruck, der durch die Körper der Druiden geht, dass du nun ihre volle Aufmerksamkeit hast.
„War wie in ‘nem Krieg“, fährst du schulterzuckend vor. „Überall klopften diese Leichen an die Wände. Die feinen Soldaten ham sich alle gegenseitig angeschrien und die Toten brachen ein. Wir sin‘ nach oben mit zwei, drei anderen, die es rausgeschafft haben, aber der Rest war ein reines Gemetzel.“
Allyster hat es aufgegeben, dich zum Schweigen bringen zu wollen, und starrt dich nur noch entgeistert an.
„Jedenfalls hat Aji irgendwie den Stein gefunden. Der Kleine is‘ ja nicht doof, der wusste, dass der irgendwas mit allem zu tun hatte, also hat er versucht, zu zaubern.“ Du wuschelst dem Jungen durch das Haar. „Hat auch geklappt, irgendwie. Die Toten sin‘ wech. Aber danach sah Aji halt merkwürdig aus. Einer von diesen Soldaten hat überlebt und gebrüllt, dass Aji ein Nekromant wäre oder son Quatsch. Also sin‘ wir abgehauen.“
„Und der Stein?“, fragt Schneebeere.
Du siehst zu Aji.
„Den habe ich verloren“, erklärt der Junge. „Der Soldat hat mich geschlagen, da habe ich ihn fallenlassen.“
„Oh.“
„Aber eine Frage“, meldet sich nun Tanndorn. „Wieso haben wir nie von diesem Vorfall erfahren? Eine Armee von Untoten mitten in Kalynor … davon müsste man doch wissen.“
„Hm, keine Ahnung. Außer uns war’n ja noch ein paar Leute da, der Wirt zum Beispiel. Es war aber nicht mitten in Kalynor, sondern in so einer Grenzland-Taverne. War nich‘ mal ein Kaff in der Nähe.“
„Warum wart ihr dann dort?“
Du stockst. Eigentlich wolltest du die Druiden darauf stoßen, dass der fiktive Soldat alle Zeugen umgebracht haben könnte. Die Frage trifft dich überraschend. „Über unsere Auftraggeber dürfen wir eigentlich nix sagen.“
Schneebeere nickt langsam, doch er wirkt misstrauisch. Doch immerhin fragt er nicht weiter nach.
„Gut, also kam Ajis Wandlung vom Kontakt mit dem … dem Stein“, murmelt Schattenkraut. „Das könnte vieles vereinfachen. Aber ich denke, hier hilft euch am besten wirklich jemand weiter, der sich mit Wandlingen auskennt. Nichts für ungut, Allyster, doch Ihr könnt dem Jungen da nichts beibringen.“
„Alles gut“, sagt Allyster mit einem dünnen Lächeln. Doch unter den dichten Augenbrauen wirft der dunkelhäutige Magier dir einen zornigen Blick zu.
Ihr brecht euer Mittagslager schließlich ab und zieht weiter. Der Wald um euch herum wird zunehmend düsterer. Ihr schlagt euer Nachtlager bei einer der letzten grünen Tannen auf, der Wald vor euch erhebt sich düster und rot. Am nächsten Tag reist ihr durch diesen Wald mit seinen Blutfichten, die sich mächtig und drohend auf einem steinigen Untergrund erheben. Der Boden wird steiniger und ihr nähert euch mächtigen, grauen Bergen, die mit dichtem, riesigem Moos überwuchert sind. Manche dieser Moospolster sind so groß, dass sie Melréd und Atesh bis an den Bauch reichen.
„Wohin reisen wir?“, fragt Allyster am Mittag, als ihr eine kleinere Pause einlegt, erneut bei Pilzen, diesmal mit Wasser als Getränk.
„Zu unserer Hauptstadt, dem Steinrund. Es steht im Gebirge, in einem geschützten Tal. Dort wohnen die Weisen, damit ihr Wissen nicht gestohlen werden kann.“
Allyster wirft euch unter den dichten Brauen hervor einen raschen Blick zu.
Du weißt, worauf er hinauswill, und seufzt wehmütig. Du hast dich gerade an die Gesellschaft der merkwürdigen Baumwesen gewöhnt, und nun musst du dich daran erinnern, dass ihr aus einem bestimmten Grund hier seid. Ihr wollt euch nicht mit den Druiden anfreunden. Ihr steht auf zwei verschiedenen Seiten in einem Krieg, der euch vernichten könnte.
„Ihr sagtet, eure Weisen wurden verwandelt“, sagst du, um dich von den düsteren Gedanken abzulenken, denn Allysters Gedanken scheinen nur noch darum zu kreisen, wie ihr an den Schöpferstein kommen sollt. „Was meintet ihr damit?“
„Nun, wir wurden alle verwandelt“, antwortet diesmal Schattenkraut, der sich sonst eher zurückhält. „Wir waren alle früher einmal Menschen oder Elfen oder Halblinge. Aber wir haben den Ruf des Waldes gehört und sind ihm gefolgt. Der große Baum hat uns akzeptiert.“
„Das … klingt wie ein Bann“, erklärst du ehrlich.
Schattenkraut lacht. „Das glaube ich dir, Arthrax. Aber es ist nicht, wie du denkst. Es ist ein Trost, vielleicht eher wie eine Religion. Der große Baum beschützt und liebt uns, er machte uns zu seinen Kindern. Er könnte auch euch annehmen, wenn ihr es wollt. Doch ihr müsst bereit sein, hinter euch zu lassen, was ihr vorher wart. Ich schätze, dieses Schicksals verlockt euch nicht, denn es kann natürlich auch beängstigend sein. Doch für mich und meine Geschwister war es der Weg zu absolutem Frieden. Hier gibt es keinen Streit. Elfen und Zwerge, Jenseitsvölker oder Kalynorer – das alles spielt für die Kinder des Baumes keine Rolle mehr.“
Du versuchst, dir das auszumalen. Aber obwohl die Druiden stark und groß und schnell sind – vermutlich auch unsterblich, wenn manche seit der Zeit der Wandlinge leben –, bist du doch lieber ein Mensch als ein merkwürdiges Baumwesen. Und Frieden? Wozu brauchst du Frieden? Du bist ein Söldner, ohne Krieg wärst du arbeitslos.
Ihr schweigt alle, sodass die Druiden bald aufstehen und weiterziehen. Ihr sattelt die Pferde erneut.
„Ist es noch weit?“, fragt Allyster.
„Kommt.“ Schneebeere winkt euch, und eilt mit großen Schritten voraus, ebenso der Rest. Ihr erklimmt einen Hügel. „Seht ihr die flache Kuhle zwischen den beiden Gipfeln? Dahinter beginnt das Tal.“
„Dann ist es ja nicht mehr weit“, stellt Allyster fest.
„Lass dich nicht täuschen, Zauberer. Der Weg dorthin führt durch zerklüftetes Land. Wir werden es erst morgen schaffen, solange euren Pferden keine Flügel wachsen.“
Die Druiden schreiten wieder länger aus, doch Allyster lässt sich zu dir zurückfallen.
„Wir müssen reden“, flüstert er dir unauffällig zu. „Was sollen wir jetzt tun?“
„Was meinst du?“
„Wenn wir mit den Druiden in die Stadt ziehen, werden alle dort von uns erfahren“, erklärt der Magier. „Dann können wir vermutlich nicht unauffällig nach dem Stein suchen.“
„Was schlägst du sonst vor?“ Aji sieht zu euch auf. „Wollt ihr etwa fliehen?“
„Nein, wir müssten schon dafür sorgen, dass niemand von uns erfährt.“
Du schluckst. „Du willst sie töten.“
„Vielleicht heute Nacht, wenn alle schlafen.“ Allyster zuckt mit den Schultern. Er scheint sich bei dem Gedanken ebenso wenig wohl zu fühlen. Ihr habt euch mit den Druiden angefreundet, ob ihr es wolltet oder nicht. „Sie sind misstrauisch geworden.“
„Und wenn wir als Freunde in die Stadt gehen? Vielleicht vertrauen sie uns und wir können herausfinden, wo der Stein ist“, murmelt Aji. „Wir müssen sie nicht töten.“
Allyster zuckt ratlos die Schultern. Aji wirkt ebenso wenig überzeugt.
Du überlegst. Was birgt das geringere Risiko? Von deinen Gefühlen solltest du dich hier nicht leiten lassen. Und ihr solltet auch nicht zu lange die Köpfe zusammenstecken, oder die Druiden schöpfen Verdacht.
Du grübelst und flüsterst schließlich …
- „Wir schlagen heute Nacht zu.“ Lies weiter in Kapitel 25.
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- „Wir tun nichts.“ Lies weiter in Kapitel 26.