18. Kapitel
Traurig sass Nathalie in dem kleinen Inlandsflugzeug und schaute gedankenverloren auf die weiten Steppen und schartigen Ebenen, unter sich. Ihr Herz war zentnerschwer und immer wieder musste sie von neuem weinen. Marc befand sich im selben Flugzeug, denn beide mussten heute nach Hause zurückkehren. So lange, hatte sich Nathalie noch an der Hoffnung festgeklammert, dass Wandernder Bär, Mondblume, oder vielleicht Snakeman, Jonathan noch erreichten und zur Vernunft brachten, doch Jonathan schien wie vom Erdboden verschluckt. Er ging nicht ans Telefon und auch zu Hause war er, laut Weisser Feder, noch nicht. Er tat alles, um Nathalie aus dem Weg zu gehen und das war es, was ganz besonders schmerzte. Ausgerechnet heute, wo sie wieder in die Schweiz zurück musste. Wie nur, konnte er sie so schlecht behandeln?
Nathalie lehnte ihren Kopf gegen das kleine Fenster des Flugzeuges, während ihr schon wieder Tränen über die Wangen rollten. Sie wurde einfach nicht damit fertig, dass zwischen Jonathan und ihr wirklich alles vorbei sein sollte. „Willst du etwas zu trinken?“ drang weit entfernt eine männliche Stimme an ihr Ohr und riss sie aus ihrer Lethargie. Die dunklen Augen von Marc musterten sie besorgt. Sie wischte schnell die Tränen weg und nahm einen Schluck aus der Mineralwasser Flasche, welche er ihr hinhielt. „Danke…“ murmelte sie leise und wandte sich dann wieder dem Fenster zu. Doch Marc meinte: „Es tut mir leid, dass es dir so schlecht geht. Ich weiss auch nicht, was in Jonathan gefahren ist. Er hätte nicht mit dir Schluss machen dürfen. Das war nicht in Ordnung.“ „So ist das jetzt einfach,“ versuchte Nathalie gleichgültig zu entgegnen. „Er wird es sich sicher nochmals überlegen.“ „Kann sein, ist ja jetzt auch egal!“ Die junge Frau hatte jetzt wirklich keine Lust, ausgerechnet mir Marc, über ihr Liebesleben zu reden. Marc merkte das und verlor kein weiteres Wort darüber. Stattdessen streckte er ihr ein Paket hin. „Peanuts?“ „Okay danke!“ sprach Nathalie erneut und fasste in die Tüte. Sie bemühte sich um ein Lächeln, aber vermutlich sah dieses eher aus wie eine Grimasse. Ihr war nun mal nicht ums Lachen. Den Rest des Weges nach New York schwiegen sie.
Jonathan wanderte unterdessen ziellos durch die Nacht. Sein Handy hatte er im Auto gelassen, dass er auf dem Heimweg vor einem Motel abgestellt hatte. In jenem Motel, würde er auch die Nacht verbringen. Nach Hause wollte er noch nicht. Er wollte gerade mit niemandem reden, schon gar nicht mit Nathalie. Er nagte immer noch an dem Entschluss, den er hinsichtlich ihrer Beziehung getroffen hatte. Eigentlich fühlte er sich miserabel, andererseits war da jedoch auch noch diese Stimme, die ihm sagte, dass ein Ende mit Schrecken besser war, als ein Schrecken ohne Ende. Er hatte die enge Verbindung zwischen Nathalie und Marc gespürt, sie war richtiggehend greifbar gewesen und darum waren die beiden wohl auch füreinander bestimmt. Sie waren beide Animalrider, seit Äonen gingen sie schon ihren Weg zusammen. Da hatte er nichts zu suchen. Er wollte einfach nicht, dass Nathalie sich schliesslich wegen ihrer Verbindung mit Marc von ihm trennte. Er durfte sich nicht der Illusion hingeben, dass sie sich für ihn entscheiden würde. Sie kam aus einer ganz anderen Welt als Jonathan. Aber warum fühlte es sich denn so an, als hätte irgendwer ihm das Herz herausgerissen? „Das wird auch vorbei gehen,“ versuchte er sich selbst einzureden. „Ich liebe Nathalie immer noch sehr, beim Grossen Geist, das tu ich wirklich, aber es ändert auch nichts an den Tatsachen.“
„An welchen Tatsachen denn, bitte schön?“ hörte er auf einmal eine Stimme aus seinem Inneren aufsteigen. Er hielt inne. Als Sohn eines Schamanen, war ihm das Sich-nach- innen- wenden, nicht fremd und so schloss er seine Augen und tauchte hinein in sein tiefstes Ich, um den Ursprung der Stimme zu ergründen. Vor ihm stand auf einmal ein weiss-leuchtender Fuchs und sogleich wusste Jonathan, dass dieser vorhin zu ihm gesprochen hatte. „Was ist das für eine Frage Sungila (Fuchs)? Es sind die Tatsachen, dass Nathalie und Marc füreinander bestimmt sind, ich habe in ihrer Welt nichts verloren.“ „Ich sehe, schon, du siehst nicht unbedingt klar,“ erwiderte Sungila spöttisch und seine blau leuchtenden Augen, musterten ihn kritisch. „Was soll das heissen? Ich sehe sehr klar, wohl klarer, als jemals zuvor.“ „Ach ja? Dass ich nicht lache! Dein Verstand vernebelt dir wohl deine anderen Sinne was?“ Jonathan ärgerte sich irgendwie, doch er wusste, dass die inneren Bilder oft sehr wichtige Antworten bereithielten. „Und warum glaubst du das?“ „Weil du dich bei dieser Entscheidung vom schlimmsten Feind der Menschen hast leiten lassen und zwar… von der Angst! Und so einer trägt den Namen Schwarzes Pferd, du solltest mutig sein, aber ein Feigling bist du! Dabei solltest du doch stets aus Liebe handeln.“ „Ich habe aus Liebe gehandelt!“ begehrte der junge Mann auf. „Aus Liebe? Zu wem?“ „Aus Liebe zu Nathalie natürlich, ich will ihr nicht im Weg stehen, wenn sie sich auf ihren Pfad als Animalrider begibt, denn ich kann ihr dorthin nicht folgen. Nicht so wie Marc, der selbst ein Allessehender ist.“ „Tatsächlich, du bist KEIN Allessehender!“ spottete Sungila weiter. „Das habe ich auch nie behauptet, darum musste ich mich ja eben zurückziehen.“ „Und aus welchen Gründen genau hast du das getan?“ bohrte der Fuchs weiter. „Um Nathalie nicht im Weg zu stehen, wie ich bereits sagte.“ „Ach was, mach dir doch nichts vor! Du hast es aus egoistischen Motiven getan, du hast es aus Angst getan, du hast es deinetwegen getan, um möglichen Schmerzen auszuweichen. Schmerzen, die noch nicht einmal Realität geworden sind. Ist es nicht stumpfsinnig Nathalie und auch dir selbst, so unermessliche Schmerzen zuzufügen, nur um einem Schmerz zu entgehen, der nur vielleicht eintreffen könnte? Toll gemacht, das muss ich schon sagen!“
Jonathan spürte plötzlich Zorn auf den Fuchs, in sich aufsteigen. „Ach was weisst du schon Sungila! Lass mich doch einfach in Ruhe!“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung und wollte nicht weiter mit dem Tier sprechen. „Du bist ein wahrlicher Meister der Selbsttäuschung,“ sagte der Fuchs noch. „Du weisst so vieles noch nicht.“ „Du etwa? Dann sag mir doch, was du weisst!“ „Du weisst, dass ich dir das nicht sagen kann, so lange du nicht auf dein Herz hörst!“ „Ich hörte viel zu sehr auf mein Herz. Ich hätte es besser wissen müssen und mich gar nicht mit Nathalie einlassen dürfen. Mein Grossvater hat mich davor gewarnt. Doch ich wollte nicht hören.“ „Und doch tust du jetzt genau das was er dir gesagt hat.“ „Weil er recht hatte. Das ist mir klar geworden, als ich Nathalie zusammen mit Marc sah. Und jetzt lass mich in Ruhe, ich will schlafen gehen!“
Jonathan verliess den Tempel seines innersten Ich‘s und machte sich auf dem Rückweg zum Motel. Dort warf er sich auf das alte, leicht knarrende Bett und versuchte einzuschlafen. Es fiel ihm jedoch sehr schwer und als er schliesslich doch endlich einschlief, wurde sein Schlaf von unruhigen Träumen gestört. Das alles nahm ihn wohl doch mehr mit, als er sich eingestehen wollte.
Auf einmal schreckte er jedoch hoch und war sogleich hellwach. Gerade hatte er Nathalie ganz deutlich vor sich gesehen, sie blickte ihn durch das Fenster eines Flugzeuges, direkt an und in ihren Augen lag tiefe Trauer und tiefer Schmerz. Ihre Lippen formten ein verzweifeltes „Warum? Warum… Jonathan…?“ Das Herz des jungen Indianers klopfte heftig. Es war ein Traumbild gewesen, flüchtig und doch so voller Intensität, dass er die Hand nach Nathalie ausstreckte, bis er merkte, dass sie gar nicht da war. Und auf einmal überkam auch ihn tiefste Trauer und tiefste Verzweiflung und er begann heftig zu schluchzen.