Du zerrst am Ruder und drehst den Bug des Schiffes auf die Welle zu. Todesmutig spannst du noch mehr Segel, obwohl die Seile zu reißen drohen. Der Wind greift sofort in das Tuch und das Boot macht einen Satz nach vorne. Du kämpfst um dein Gleichgewicht und die Kontrolle. Die Welle kommt jetzt doppelt so schnell näher. Du stellst den Bug schief, um seitwärts auf die Welle auffahren zu können. Wie beim Surfen. Obwohl du von dem Sport wenig Ahnung hast, und erst recht nicht weißt, ob dein kleines Segelboot sich zu dem Manöver eignet.
Aber eine andere Wahl bleibt dir nicht!
Es bleibt dir keine Gelegenheit, deine Entscheidung zu überdenken oder dich für deinen Wahnsinn zu verfluchen. Schon hebt sich der Bug an. Du klammerst dich ans Steuerrad und betest, dass deine Füße auf dem nassen Holz nicht rutschen. Ein Seil reißt mit einem lauten Knall und du siehst, wie eine Ecke des größten Segels zu flattern beginnt. Das gerissene Tau trifft dich am Kinn und prügelt dann unkontrolliert auf deinen Arm ein. Doch du kannst deine Hände nicht lösen.
Dein Boot dreht sich langsam waagerecht in den Wellentunnel. Der Mast bricht oben ins Wasser und ruft einen weißen Gischschauer auf dich herab. Im Salzwasser brennen die Schnitte vom Tau schmerzhaft.
Hinter dir bricht der schwarze Tunnel zusammen, und wie ein Vorhang sinkt zu deiner Seite der weiße Schaum nach unten. Du hältst den Blick starr nach vorne gerichtet, wo der Tunnel noch offen ist, sich aber stetig schließt. Dein Herz hämmert wie wild. Der Tunnel um dich herum wird immer enger. Du fragst dich unwillkürlich, wie viele tausend Kilo Wasser da über deinem Kopf hängen und in die Tiefe stürzen. In Anbetracht der Größe der Welle müssen es Tonnen sein. Einen solchen Aufprall würdest du nicht überleben!
Das Schiff schlingert. Wasser spritzt in den Kanal und in deine Augen. Du kannst nichts mehr sehen. Verzweifelst und blind versuchst du, wenigstens das Steuer gerade zu halten. Jeden Moment rechnest du damit, ins Meer geschleudert zu werden.
Endlich merkst du, dass kein neues Wasser auf dich fällt. Mit brennenden Augen blinzelst du. Der Kanal vor dir ist wieder etwas breiter geworden – du bist schneller gesegelt, als die Welle zusammenbrach. Mit klopfendem Herzen fasst du neuen Mut. Du siehst, wie die Welle vor dir kleiner wird. Irgendwo wird ein Ende der Monsterwelle sein!
Bereits jetzt befindest du dich deutlich näher an der Meeresoberfläche. Du richtest dich auf und entspannst dich. Du hast es fast geschafft!
Zu deinen Seiten huschen weiße Schaum-Delfine durch das dunkle Wasser und begleiten dich. Die Fahrt ist rasend schnell, und der Fahrtwind trocknet deine durchnässte Kleidung. Ein Blitz zuckt, und sein helles Licht taucht deinen Tunnel für Sekundenbruchteile in grün-blaues Dämmerlicht. Du fühlst dich wie in einem rasend schnellem Wunderland.
Endlich verlässt du den Tunnel und die Welle flacht endlich ab. Doch in diesem Moment gibt das malträtierte Ruder deines Schiffes nach. Das Krachen übertönt den Donner, und dir reißt der Ruck das Steuerruder aus der Hand. Du fällst zur Seite und schlägst mit dem Kopf gegen ein Hindernis.
Um dich wird alles schwarz.
Wache auf. Kapitel 777: