Kapitel 1 – Der Pferdeclub
«Lisa!» Laut hörte das Mädchen die Stimme ihrer Mutter.
«Was denn?» Genervt legte sie das Buch weg, in dem sie gerade gelesen hatte und stand auf.
«Pia und Lynn sind da!»
Als Lisa das hörte stand sie schnell auf und lief die Treppe in den Flur hinunter. Freudig riss sie die Türe auf und strahlte ihre beiden besten Freundinnen an.
Die drei waren schon seit dem Kindergarten unzertrennlich und seit neustem hatten sie sogar einen Club.
Sie waren der «Pferdeclub». Mit dem Namen waren sie noch nicht zufrieden, aber darum wollten sie sich heute kümmern.
Schnell liefen Lisa, Lynn und Pia in Lisas Zimmer zurück, wo sie sich auf ihre Lieblingsplätze setzten.
Lynn setzte sich auf Lisas Drehstuhl und Pia, die ihre braunen Locken zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte, liess sich einfach auf den Teppich plumpsen.
Lisa setzte sich im Schneidersitz auf ihr Bett und schaute ihre Freundinnen an: «Heute haben wir viel zu tun», begann sie. «Wir brauchen einen neuen Namen und dann müssen wir uns endlich um das grossen Problem kümmern!»
Pia nickte ernst.
«Dass wir ein Pferdeclub ohne Pferde sind, das geht wirklich gar nicht», stimmte auch Lynn zu. «Wir haben nicht einmal ein Plüschponny!»
Pia kicherte und deutete auf die kleinen Pferde, die auf Lisas Bettdecke gedruckt waren. «Da sind doch Pferde.»
Lisa verdrehte die Augen und warf Pia ein Kissen an den Kopf. «Nein wirklich! Wenn wir ein Pferdeclub sein wollen, dann müssen wir mehr über Pferde wissen, sonst wird das nichts.»
Lynn hatte sofort einen Plan: «Lasst uns doch einfach in den Buchladen in der Altstadt gehen. Da finden wir bestimmt ein Buch über Pferde, oder?»
Lisa und Pia waren sofort dabei. Gemeinsam rannten sie die Treppe wieder nach unten und zogen sich ihre Schuhe und Jacken an.
Lisa ging in die Küche, wo ihre Mutter gerade einen Kuchenteig in die Form goss.
«Mmh! Das riecht aber lecker! Darf ich mit Pia und Lynn in die Stadt gehen?»
Ihre Mutter schaute stirnrunzelnd von der Arbeit auf. «Was wollt ihr denn in der Stadt?»
«Wir möchten in den Buchladen von alten Hubert gehen und schauen, ob es da Bücher über Pferde gibt.»
«Na gut», Lisas Mama nickte. «Aber schaut, dass ihr in einer Stunde wieder da seid. Dann ist der Kuchen fertig.»
Schnell stimmte Lisa zu und zu dritt machten sie sich auf den Weg zu dem Buchladen, der in einer kleinen Seitenstrasse lag.
Als sie schliesslich vor den Eingang standen, war Lisa ganz aufgeregt. Sie liebte das Chaos und den Geruch der Bücher.
Die drei betraten den Laden und eine leise Glocke über der Tür bimmelte. Drinnen waren die Regale vollgestopft mit grossen, kleinen, dicken und dünnen Büchern. Am Boden stapelten sich weitere Exemplare und sogar auf der Ladentheke lag eine Beige.
Auf einem grossen, grünen Sessel im hinteren Teil des Buchlandens sass ein alter Mann und rauchte Pfeife. Als er die Ladenglocke hörte, stand er auf und kam zu den Mädchen nach vorne.
«Na ihr drei, was sucht ihr denn hier?» Der alte Hubert lächelte freundlich und seine Pfeife qualmte.
«Wir suchen ein Buch über Pferde», sagte Lisa.
«Aha, ein Pferdebuch also. Dann lasst mich doch mal schauen, ob ich euch da helfen kann.»
Flink verschwand er zwischen den Regalen und kurz darauf kam er mit einem Stapel verschiedener Bücher zurück.
«Schaut sie euch in Ruhe an», meinte er und ging zu seinem Sessel zurück.
Die Mädchen setzten sich rund um den Stapel herum auf den Boden und betrachteten neugierig das oberste Buch. Es zeigte eine Frau, die ein schneeweisses Pferd umarmte. Lynn öffnete das Buch kurz und schlug es gleich wieder zu.
«Das hat nicht mal Bilder», meinte sie und rümpfte die Nase.
Gemeinsam durchstöberten sie weiter den Stapel, bis Pia plötzlich ein kleines Buch in einem dunkelroten Umschlag in der Hand hielt.
«Was ist das denn?», fragte Lisa neugierig.
«Ich weiss es nicht. Es sieht aus, wie eine Art Lexikon. Aber das sind keine normalen Tiere hier, sondern Fabelwesen.»
«Wirklich? Zeig her!» Ungeduldig zerrte Lynn an dem Buch.
Pia drückte das Buch an ihre Brust und quietschte: «Nein! Jetzt bin ich dran»
«Beruhigt euch, ihr zwei. Pia, zeig doch mal her, was du gefunden hast.»
Etwas widerwillig legte das Mädchen das Buch zwischen sich und ihre Freundinnen auf den Boden. Gemeinsam bewunderten sie die Zeichnungen von Drachen, Meerjungfrauen und seltsamen Pflanzen, die keine Blätter, sondern Augen hatte.
Als Pia eine Seite weiterblätterte starrten die drei auf das Foto eines alten, grossen Hauses. Es hatte ein gigantisches Eingangstor und einen Turm, der weit in den Himmel ragte.
«Das ist wunderschön!», hauchte Pia und deutete auf das Gebäude, das etwas aussah, wie ein Schloss.
Lynn und Lisa nickten begeistert.
Vorsichtig strich Lisa mit dem Finger über die Fotografie seufzte schwer. Sie würde auch gerne in so einem grossen Haus leben.
«Schaut mal! Da steht etwas unter dem Bild!» Aufgeregt zeigte Lynn auf den unteren Rand der Buchseite, wo ein paar krakelige Wörter standen.
«Das…das ist ein Gedicht.» Pia begann zu strahlen. Schnell zog sie das Buch etwas näher an sich heran und begann vorzulesen:
Getrennt, gegangen, fort ist fort!
Geschwind getragene an einen andren Ort!
Wo Legende zum Leben erwacht,
Fantasie erblüht in voller Pracht!
Schutz und Liebe wartet da,
wohl, sind die Geschichten wahr,
von Drachen, Feen Trollen.
Kannst auch du an diesen Ort kommen?
«Was das wohl heissen mag….», begann Lisa laut zu überlegen, als sich das Bild vor ihr plötzlich zu bewegen begann. Es sah aus, als ob sie nicht auf ein Foto, sondern auf einen Film schauen würde.
Mädchen und Jungen in Uniformen liefen über den Hof und die Blätter an den Bäumen bewegten sich im Wind.
«Seht…seht ihr das auch?» Überrascht zeigte Lisa auf das Buch auf dem Boden. Pia und Lynn nickten nur.
Auf einmal drang auch das Gewirr von Stimmen und das Klappern von Rädern durch das Bild und im nächsten Moment rochen die Mädchen eine Mischung aus Pferd und Kirschblüten.
Als Lisa die Hand nach den Bild ausstreckte trafen ihre Finger nicht auf das raue Papier, sondern glitten einfach durch das Buch hindurch in diese fremde Welt hinein.
Ein Windhauch liess die Seiten des Buches rascheln und blies Lisa eine blonde Haaresträne ins Gesicht.
«Was passiert hier?» Erschrocken sah sie zu Pia und Lynn hinüber, die aber nur auf ihren Arm starrten, der jetzt schon bis zum Ellenbogen verschwunden war. Panisch zog und zerrte Lisa daran, aber es brachte nichts – er versank weiter.
«Hilfe! Schnell, helft mir!» Eilig hielten ihre Freundinnen sie fest und zusammen zogen sie an Lisas Arm.
Plötzlich gab es ein lautes schlürfendes Geräusch, wie wenn man mit einem Strohhalm versuchte, aus einem leeren Becher zu trinken.
Einen Moment später wirbelte die Welt um Lisa herum in bunten Farben, bevor es dunkel wurde.