Vondel fand sich in der aufgepeitschten See wieder. Um ihn herum trieben allerlei Wrackteile und wohl auch andere Schiffbrüchige. Den hölzernen Lukendeckel bekam er zur rechten Zeit zu fassen. Von da an unternahm er alles in seiner Macht stehende, um sich bäuchlings darauf fest zu klammern. Alles andere verschwand im Nebel des Vergessens.
Wie lange er den entfesselten Naturgewalten ausgesetzt war, konnte er unmöglich schätzen. Irgendwann jedoch verließen ihn die Kräfte. Ein gewaltiger Brecher riss Vondel in brodelndes Wasser. Sein Überlebenswille mobilisierte die letzten Reserven. Er kämpfte gegen den nassen Tod an. Und gewann.
Eine Welle warf ihn auf Land. Schwarz. Steinig. Hart. Und doch war es Land. Ablaufende Fluten drohten, ihn wieder ins Ryf zu ziehen. Also kroch er weiter den felsigen Strand hinauf. Fand eine Felsspalte, die ihn einigermaßen vor den Unbilden des Wetters schützte und fiel ihn einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Irgendwann kam Vondel zu sich. Stille. Lediglich ein dumpfes Rauschen nahm er wahr. Weit entfernt. Jedoch konnte er sich nicht darauf konzentrieren. Übermächtiger Hunger und Durst verhinderten jeden klaren Gedanken.
Völlig entkräftet kroch er aus seinem Versteck. Grelles Sonnenlicht empfing und blendete ihn. Zunächst sah er gar nichts. Langsam gewöhnten sich seine Augen an die Helligkeit. Verschwommene Konturen gewannen an Schärfe. Er erkannte Felsen. Der gesamte Strand war mit ihnen übersät. Da waren kleinere Steine, kaum größer als ein Fass. Und richtig schwere Brocken mit dem Umfang eines Hauses. Selbst jenseits der gewaltigen Brandung ragten sie schwarz und schwer aus dem Wasser. Einige schimmerten in merkwürdigen dunklem rot. Alle waren sie grün besprenkelt, wo Moose sich hatten festsetzen können.
Die Felsen waren unregelmäßig und vernarbt. Sonnenlicht glitzerte in Pfützen, die sich in ausgeprägteren Vertiefungen gebildet haben. Vondel taumelte zu dem ihm nächst gelegenen Felsbrocken, den er noch zu bezwingen imstande war und beugte sich über eine Wasserlache. Welch ausgemergelte Fratze ihm entgegen starrte! Mit maßloser Gier zerstörte er sein Spiegelbild. Trank. Erbrach alles. Trank weiter. Bis er nicht mehr konnte, auf dem warmen Stein liegen blieb und sich von der Sonne bescheinen ließ.
Vondels Lebensgeister erwachten. Schon bald gewann er den Willen und die Kraft, sich zu erheben und den Strand nach Brauchbarem abzusuchen. Zwischen Unmengen angeschwemmter Algen und reichlich Treibholz entdeckte er tatsächlich Wrackteile von dem Küstensegler. So barg er eine zusammen gerollte Hängematte aus den Trümmern. Durchnässt, aber in gutem Zustand. Zudem einen hölzernen Kübel und einige Klafter besten Seiles.
Ebenso stieß er auf den aufgequollenen Körper des Gelehrten. Er war völlig in Resten der Takelage verheddert, stumm und tot. Erstaunlicherweise trug er noch seinen Zwicker auf der Nase, in deren unversehrten Gläsern sich die Sonne spiegelte. Nur wenig weiter entfernt trieb der rattengesichtige Seeräuber im seichten Wasser. Seine Arme und Beine schienen mehrfach gebrochen, der Körper von tiefen Wunden gezeichnet. Beiden weinte Vondel keine Träne nach, obgleich er sich wünschte, wenigstens auf eine lebende Seele zu stoßen.
Die Sonne schickte sich an, hinter dem Horizont zu verschwinden. Vondel zog sich in sein Versteck zurück, wickelte sich in die zwischenzeitlich getrocknete Hängematte und suchte den Schlaf. Doch so einfach war es nicht, plagten ihn doch düstere Gedanken. Er war gestrandet. Irgendwo an eine ihm unbekannte Küste angeschwemmt worden. Ohne Begleiter. Ohne Nahrung. Ohne Wissen, Fertigkeiten und Hilfsmittel sah er nur zu deutlich ein schreckliches Ende. Jedoch wollte er nicht einfach so auf das Ende warten. Nicht mehr.
So krauchte er bereits mit den ersten Sonnenstrahlen wieder durch das Gewirr schwarzer Felsbrocken. Und tatsächlich war ihm das Glück gewogen. Er entdeckte einen mit Trümmerteilen übersäten Strandabschnitt. Zerborstene Planken und Spanten, zerfetzte Segel, undefinierbare Lumpen, Überreste von Schiffsausstattung und Ladung.
Vondel wühlte sich durch die Wrackteile. Stieß auf ein kleines Fass mit Pökelfleisch. Unversehrt! Ebenso ein Netz mit Erdäpfeln, von denen lediglich einige wenige böse zerquetscht waren. Beides kam ihm wie gerufen, wütete doch der Hunger in seinem Innersten.
Emsig sammelte er trockene Algen, Treibholz sowie ein paar Stofffetzen zusammen und verzweifelte beinahe während etlichen Versuchen, ein Feuer zu entzünden. Ein überraschender Gedankenblitz ließ ihn innehalten.
Vondel hetzte zu dem ertrunkenen Gelehrten. Nahm dessen Zwicker an sich. Experimentierte solange herum, bis es ihm gelang, mit Hilfe der Augengläser Sonnenstrahlen in einem Punkt zu bündeln und ein Stück Stoff in Brand zu setzen. Nur kurze Zeit später saß er an einem beeindruckenden Feuer. Gebratene Erdäpfel und Pökelfleisch füllten seinen Magen und ließen ihn - zum ersten Mal seit langer Zeit - zufrieden mit sich und der Welt einschlafen.