Dieser Text ist im Rahmen der Challenge „Die Villa - Unterweltchallenge“ entstanden ([https://belletristica.com/de/groups/586-die-villa-unterweltchallenge-eintritt-nur-fur-erwachsene#group]).
Der Prompt lautet:
Als sich ihre Blicke trafen, erkannte sie (er) das gleiche Begehren, das auch in ihr (ihm) tobte.
Es ist eine Fortsetzung zum vorherigen Kapitel „Strandgedanken“.
Ich wünsche viel Spaß beim Lesen.
* * *
„Hi, was für ein Schietwetter, was?“ begrüßte Sandra Markus im Eingang der Shoppingmall.
„Hallo Sandra, ja“, bestätigte er, „letzte Woche lag ich noch am Baggersee, heute hat die Arktis Einzug gehalten.“
Sie kniff ihn in die Seite, denn Markus beste Freundin wusste haargenau, an welchem Teil des Sees er sich am liebsten aufhielt. „Warst du auf der Jagd?“
„Wen soll ich bitte abbekommen?“ Die Erinnerung an den Tag hatte einen bitteren Beigeschmack, denn er fühlte sich bei dem Gedanken an den heißen Typen, der mit seiner Freundin da war, gleich noch fünf Kilogramm schwerer, als er wirklich war.
„Ah“, beruhigte sie ihn. „Ich werde dir noch einen Kerl backen. Aber heute ist erst einmal Shopping angesagt.“
„Was willst du eigentlich kaufen?“
„Schätzchen, Klamotten natürlich. In zwei Wochen bin ich zur Taufe meiner Nichte eingeladen und ich habe nichts zum Anziehen!“
„Ich kenne deinen Kleiderschrank, du hast mehrere Sachen zum Anziehen.“
„Ja, aber ich brauche was Reizendes.“
„Was Reizendes? Es ist eine Taufe, keine Party, bei der man Kerle aufreißt.“
„Und ob!“
Jetzt war Markus doch neugierig und hob eine Augenbraue an.
„Mein Schwager hat drei jüngere Brüder, von denen zwei nicht liiert sind, wenn ich meiner Schwester glauben darf. Es muss also noch artig genug für eine Taufe sein, aber auch ein klitzekleines bisschen“, sie deutete mit Daumen und Zeigefinger an, was sie meinte, „sexy.“
„Ok, dann weiß ich, wohin wir gehen.“
„Ich wusste, dass du der beste Einkaufsberater der Welt bist!“
Schon eine Stunde später saßen sie im Eiscafé der Mall und feierten ihren Einkauf. Sie bestellten und Markus meinte: „Bin gleich wieder da, die Biologie ruft.“
Er verschwand in der Herrentoilette. Belanglose Kaufhausmusik füllte selbst die Waschräume. Mit der guten Laune, die ihm das Shopping mit Sandra bescherte, schlenderte er um die Ecke und sah, wie ein schlanker Kerl am Urinal stand. War es Übermut, der ihn genau das Pissoir daneben wählen ließ? Der runde Hintern war die schönste Einladung, sich dazuzustellen. Doch kaum war der Reißverschluss der Hose offen, verließ ihn der Mut. „Egal“, dachte er, „ich muss ja nicht weiter gucken“. Er zog sein bestes Stück raus und ließ dem Wasser freien Lauf. Einfach mal durchatmen. Was war das? Immer noch blickte er nach unten, doch im Augenwinkel sah er, wie sein Toiletten-Nachbar den letzten Tropfen abschüttelte. Nein, er schüttelte nicht, dafür war es zu langsam, also schaute er genauer hin: Mann, der hatte einen Steifen! Und was für ein hübsches Exemplar. Sein Körper reagierte prompt und pumpte ebenfalls Blut in die Mitte. Erlebte er das tatsächlich oder träumte er? Wer war nur dieser heiße Kerl? Als er merkte, dass er auf das Gemächt seines Nebenmannes starrte, war es ihm doch etwas peinlich, und er schaute wieder runter auf sich. Der andere hustete kurz, und ein unwillkürlicher Reflex ließ ihn in das Gesicht seines Nachbarn schauen. Als sich ihre Blicke trafen, erkannte er das gleiche Begehren, das auch in ihm tobte. Er brauchte zwei weitere Sekunden, um zu erkennen, wer dieser andere war: Der heiße Kerl vom Baggersee!
Der hob einen Finger an die Lippen, ein Zeichen, nicht zu reden, und schob Markus in eine Toilettenbox hinein. So still, wie es hätte sein sollen, blieben ihre Aktivitäten nicht. Es gab Geräusche intensiver Küsse, leichtes Schmatzen sowie erlösendes Aufstöhnen. Eine Männerstimme nebenan kommentierte etwas belustigt: „Die Sauerei aber auch aufwischen!“ Darüber musste Markus dann doch laut lachen, worauf der heiße Kerl ihn fragend ansah.
„Hast du nicht gehört, was der eben gesagt hatte?“ flüsterte er.
Doch der andere hob nur den Finger, das Zeichen, dass er wohl verstand, kramte aus seinem Kragen die Halskette hervor, die Markus bereits am Baggersee gesehen hatte, und hielt ihm eine Art Soldaten-Erkennungsmarke vors Gesicht. Auf der stand: „Ich heiße Timo, ich bin taub.“ Dann drehte er sie um: „Hast du Lust auf ein Date?“ Wieder musste Markus lachen, dieses Mal über sich selbst, denn endlich kapierte er, warum der Kerl am See sich so intensiv mit den Händen verständigt hatte. Also war es auch nicht seine Freundin gewesen am See. Noch immer verstand Timo nicht und sah ihn fragend an.
Markus tippte auf das metallne Schild, nickte und küsste den Mann, von dem er nicht einmal zu träumen wagte. Jetzt lächelte auf der.
Sandras Eis war bereits leer gegessen und sie sah wütend aus, als Markus wieder an den Tisch kam: „Na du hast aber lange gebraucht, dein Eisbecher heißt jetzt ‚Verflossene Liebe’!“
Timo zögerte kurz, doch eine einladende Handbewegung von Markus veranlasste ihn, sich dazuzusetzen.
„Äh, hallo, wer ist das?“ Sandras Laune war immer noch angekratzt. „Moment, was hast du, was habt ihr eben auf der Toilette gemacht?“
„Ich war am See nicht auf der Jagd“, er schaute verträumt Timo an, „aber wir wollten uns nicht noch einmal im Leben verpassen.“
Sandra wollte etwas antworten, setzte mehrmals an, doch blieb sprachlos. Wer hätte gedacht, dass es einen tauben Mann braucht, um diese Frau einmal stumm zu erleben?