Dark hatte sich seinen Glücksbringer um den Hals gelegt. An dem schlichten Lederband hing ein perfekter Obsidian.
Er umfasste ihn fest mit der rechten Hand, so, wie ihn es die kleine Fee erklärt hatte.
„Zeige mir eine schöne Erinnerung zur Zeit der Veränderung“, flüsterte er.
Ob es funktionieren würde? Seine Finger waren feucht vor Aufregung und schmerzen leicht, so fest drückte er den Stein.
Kaum hatte er den Wunsch ausgesprochen, wurde alles um ihn herum schwarz. Nur für einen Augenblick – dann wurde die Sicht klar und er fand sich im Wohnzimmer seiner Familie wieder.
Die Szene jedoch, in der er hineinkatapultiert worden war, entsprach nicht der Gegenwart, sondern zeigte eine schon lang vergangene Begebenheit.
Eine Zeit vor seiner Wandlung.
Er mit etwa zehn Jahren half zusammen mit den Geschwistern, das selbstgebackene Gebäck in kleine handgenähte Säckchen zu verteilen. Seine Mutter war währenddessen damit beschäftigt, die diversen Kinderbekleidungen nach Größen zu sortieren.
Sein Vater saß scheinbar unbeteiligt im Schaukelstuhl. Dies aber täuschte – ihr Familienoberhaupt hatte die Wohlfahrt seiner Frau stets unterstützt, im Hintergrund manche Fäden gezogen und eine Liste der armen Kinder zusammengestellt. Vermutlich ging er in diesem Moment gedanklich alle Beschenkten durch und überlegte, wen er vergessen hatte.
Auch wenn seine Familie als Untote seit jeher ein zwiespältiges Verhältnis zur Amtskirche gehabt hatten, so nahmen sie die Weihnachtszeit stets zum Anlass, etwas Gutes zu tun.
Dark trat vorsichtig näher. Das hier war gruselig. Ob man ihn sehen oder hören würde?
Ersteres konnte er bereits nach wenigen Augenblicken ausschließen. Man ignorierte ihn, obwohl er mitten unter ihnen stand.
„Mutter?“, fragte er mit zitternder Stimme.
Wie erwartet und befürchtet wieder keine Reaktion, was ihn leicht seufzen ließ. Er kam sich vor wie Ebenezer Scrooge in Charles Dickens „Weihnachtsgeschichte.“
„Mama?“, hörte er plötzlich eine helle Stimme fragen. Es war die junge Ausführung seiner selbst, die den Blickkontakt zu der gut gelaunten Frau suchte.
„Ja, mein Schatz?“
„Weshalb gibt es das – arme Menschen?“
„Das ist schwer zu verstehen“, antwortete sie nachdenklich. „Und traurig. Deshalb versuchen wir als Familie, die Not ein wenig zu lindern.“
„Das finde ich gut“, nuschelte der junge Dark und schob sich zwei Kekse in den Mund, während er mit vollen Backen das dritte Plätzchen wieder brav zu den anderen in das Säckchen legte.
Bewegt betrachtete der Vampir dieses Bild. Die Adventszeit war stets eine besondere Zeit gewesen.
Aber was war das? In einer der leeren Stofftaschen schimmerte eine Substanz, die golden glitzerte und keine feste Form zu haben schien.
Das war kein Plätzchen!
Einer Eingebung folgend, öffnete er seine Tasche und holte das Fläschchen mit dem gelben Verschluss heraus.
Die zweite Zutat – offensichtlich hatte er sie gefunden.