Die Hälfte der benötigten Zutaten war also gefunden.
Nach dem Erfolg war er wieder, wie auch die letzten Male, zurück Arbeitszimmer teleportiert worden.
Wie lange mochte er noch Zeit haben?
Etwas in ihm sagte, dass sie ihm davonlief. Und keiner wusste, wie viele von ihnen erfolgreich sein mussten, um das Unheil aufzuhalten.
Es war am ratsamsten, einfach weiterzumachen und auf das Beste zu hoffen. Durch diesen magischen Blutbeutel hatte er wenigstens eine Sorge weniger. Den Wunsch nach Schlaf und Erholung schob er dabei beiseite.
„Bring mich zum nächsten Ziel“, bat er dem Talisman, den er wie gewohnt in seiner Hand hielt.
Kaum hatte er seinen Satz ausgesprochen, verschwamm wie gewohnt die Umgebung, um Dark an einen bestimmten Ort zu bringen.
Alles nicht sonderlich überraschend – doch diesmal war es anders.
Er spürte ein seltsames Vibrieren oder Summen des Steines, ehe er sich auf einer belebten Straße wiederfand.
War der Stein kaputt? Oder er hatte etwas falsch gemacht?
Nachdenklich runzelte er die Stirn. Er hatte die Zutat nicht klar benannt, sondern abstrakt vom ‚nächsten Ziel‘ gesprochen. War es zu vage?
Noch immer den Talisman fest umklammert, forderte er ihn diesmal auf, ihn zum Maskenrauch zu bringen.
Nichts geschah! Offensichtlich konnte man seine Befehle nicht rückgängig machen.
Das war jetzt blöd!
Seufzend löste er seinen Griff und sah sich um.
Er stand direkt vor einem etwas altertümlichen Laden. „Dr. Erik Inkognitus – Kostümverleih“, prangte in verschnörkelten Buchstaben auf der Hausfront. Und darunter: „Der Beste in ganz Masquera.“
Trotz der bereits einsetzenden Dämmerung war der Schriftzug problemlos zu lesen. Vermutlich war hier irgendein Zauber im Spiel.
War jemand vertrauenserweckend, der betonte, die Nummer eins zu sein?
Der Vampir bezweifelte das.
Werbung war etwas, was ihn als Untoter oft grotesk anmutete. Wären die Umstände anders, würde er sich nach Alternativen umsehen – möglicherweise gab es anderswo eine bessere Auswahl.
Aber der Talisman hatte ihn hierhergeführt, also machte es vermutlich auch keinen Sinn, länger darüber nachzugrübeln, zumal sein Glücksbringer sich weigerte, ihn an einen anderen Ort zu bringen.
Nach kurzem Zögern klopfte er deshalb mit dem großen Eisenring, der an der Tür festgemacht war und offensichtlich auf altmodische Art die Funktion einer Klingel übernahm, gegen das schwere Holz.
Er wiederholte diesen Vorgang zwei Mal wiederholen, ehe sich drinnen etwas rührte.
Ein gedämpftes „Moment“, war zu hören, ehe hörbar ein Riegel auf die Seite geschoben und die schwere Türe quietschend und langsam geöffnet wurde.
Ein älterer Mann glotzte ihn aus dicken Brillengläsern entgegen: „Ja, der Herr?“
Dark räusperte sich. „Verzeihen Sie, Herr – Inkognitus?“
„Doktor, wenn ich bitten darf.“ Der Gelehrte lächelte arrogant. „Meister der Verkleidungen, Täuschungen und Illusionen. Was benötigen Sie?“
Sollte es tatsächlich so einfach sein?
„Eine Maske aus Masquera. Haben Sie so eine da?“
„Eine Maske aus Masquera?“, wiederholte der Herr kopfschüttelnd. „Ich glaube, Sie kommen erst einmal rein in meinen Laden, junger Mann.“
Ohne auf die Reaktion seines Gastes zu warten, drehte sich der Ladenbesitzer um und verschwand wieder im Innern des Gebäudes.
Kurz zögerte Dark, dann beschloss er, ihm zu folgen. Was blieb ihm auch anderes übrig?
Nachdem er die Türschwelle überquerst hatte bemerkte er überrascht, dass die Inneneinrichtung und der Verkaufsraum moderner waren, als er es erwartet hatte. Sie bildete einen seltsamen Kontrast zu der Außenfassade.
Blitzblank geputzte Regale aus Glas mit allen möglichen Kopfbedeckungen und Masken waren ebenso zu finden wie einzelne frei stehende Kleiderständer auf Rollen, die die unterschiedlichsten Kostüme in allen Farben zeigten. Nicht zu vergessen die vielen durchsichtigen Tische, die ebenfalls mit diversen Hosen, Rocke und Oberteile belagert waren.
Der Untote war noch damit beschäftigt, sich staunend umzusehen, als der Verkäufer das Wort ergriff: „Eine Maske aus Masquera suchen Sie?“
Er nickte bestätigend. „Ja. Dann können Sie mir helfen?“
„Ja und nein.“ Der Alte kicherte. „So ein Artefakt ist selten. Man sagt aber, man kann sie finden, wenn man am Tanz der Masken und Pseudonyme teilnimmt.“
„Tanz der Masken und Pseudonyme? Weshalb habe ich davon noch nie gehört?“, wunderte sich Dark.
„Der Zutritt ist normalerweise nur den Pseudonymen gestattet“, erklärte der Ladenbesitzer lächelnd. „Wie ich annehme, sind Sie keines, sondern im Gegenteil ein Erschaffer derselben?“
„Wenn Sie so wollen.“ Diese Auskunft gefiel ihm gar nicht. „Ich kann also im Augenblick gar nicht dorthin gelangen?“
„Das habe ich nicht gesagt“, war die leicht amüsierte Antwort. „Es gibt Gerüchte…“
„Was für Gerüchte?“, fragte der Vampir verwirrt. Konnte dieser Verrückte ihm nicht einfach direkt sagen, wie er an die Larve kam?
Er zwang sich, höflich zu bleiben und den anderen freundlich anzublicken. Bisher hatte ihn der Obsidian gut geführt und Dark nahm deshalb an, dass dieser Ort trotz allem der Schlüssel zu seinem Ziel war.
„Wie es heißt, wurde diese Beschränkung vom dunklen Lord aufgehoben. Eine Gefahr bestünde für die Erschaffer der letzten Pseudonyme, sogar für ganz Belletristica. Daher sei es wichtig, dass jeder überall hingehen könne.“
Wieder kicherte dieser Inkognitus.
Ob er verrückt war? Keiner von Verstand konnte dies lustig finden. Es sei denn, er war selbst mit den Winterdämonen im Bunde.
Offensichtlich hatte seine Mimik ihn verraten, denn sein Gesprächspartner wurde mit einem Male ernst.
„Schauen Sie mich nicht so entsetzt an, junger Mann. Ich gebe zu, dass es mich nicht kümmert. Ich werde weiter existieren, auch wenn Belletristica untergeht. Ich stehe über den Dingen. Dies heißt aber nicht, dass ich Ihnen nicht wohlgesonnen bin. Auch ich habe mich an die Regeln zu halten.“
„Die da wären?“
„Ihnen zu helfen und so im Sinne des großen Herrschers zu handeln. Sie benötigen eine Maskerade. Ich habe zwar auch ein Vampirkostüm vorrätig, aber das wäre nicht das Richtige. Sie sollen sich ja verkleiden, nicht als sich selbst gehen. Haben Sie schon irgendeine Idee, oder soll ich Ihnen etwas vorschlagen?“
Der Blutsauger versuchte, sich sein Erstaunen nicht anmerken zu lassen. War es so offensichtlich, was für eine Kreatur er war?
Auf jeden Fall würde er bei Gelegenheit mit Ben reden und ihn über diesen Verrückten ausfragen.
Im Augenblick waren andere Dinge wichtig. „Auf keinen Fall die Farbe Pink oder dergleichen. Etwas Düsteres, am liebsten in Schwarz, käme mir schon gelegen.“
„Sie wollen sich doch verkleiden, junger Freund? Dann wäre ein Farbwechsel angebracht. Wie wäre es damit?“ Der Mann deutete auf das vordere Kostüm an einem Kleiderständer zu seiner Rechten.
Ohne Zweifel, der Verkäufer war von Sinnen. Wie konnte er einem Vampir so etwas anbieten?
„Nie im Leben“, knirschte Dark zwischen seinen Zähnen hervor.