01. Mai
Nun will ich aber endlich zum eigentlichen Anliegen kommen, wenn man dies so nennen kann.
Vor vier Tagen war es wieder so weit. Unsere Kammer des Goldes war voll und wir bereiteten uns darauf vor, ein Schiff zu organisieren und einen Kapitän, der uns bei unserem Unterfangen half.
Schnell war ein Schmuggler mit Boot gefunden und noch am selben Tag machte sich Rory auf den Weg. Zum Abschied meinte er zu mir, dass wir, sobald er wieder zurückkommen sollte, einen Ausflug mit mir unternehmen wollte. Ein wenig war ich damals überrascht gewesen, doch Rory war schon immer der Freigeist von uns Beiden gewesen. Er war der, der die meiste Energie besaß und am Liebsten durch die Wälder streifte.
Wir hatten es uns angewöhnt, nicht auf den üblichen Pfaden zu verkehren und die abgelegeneren Häfen aufzusuchen. Alles der Sicherheit willen, denn trotz unseres Berufes wollten wir nicht in den Kerkern des Königs langen.
Wie jedes Mal betete ich zu Port, er möge Rory beschützen und unser Schiff sicher an die Insel der Loner geleiten.
In aller Dunkelheit schlich ich mich auf die Straßen, versuchte ein neues Haus zu finden, das perfekt für unsere nächtlichen Einstige geeignet schien.
Am folgenden Morgen war ich müde von der Arbeit, die ich bis weit nach Mitternacht betrieben hatte. Ich beeilte mich, an den Tempel zu gelangen. Zu spät war ich noch nie erschienen und Rory sollte sich bloß keine Sorgen um mich machen.
Nur noch wenige Schritte, dann hätte ich unseren Treffpunkt erreicht. Ich jedoch warf mich in letzter Sekunde in eine kleine Gasse, einen Kanaldeckel in den Augenwinkeln immer im Blick.
Am Tempel hatte sich eine Traube von Menschen gebildet. Menschen in Uniform, in Rüstung oder mit spitzen Säbeln in den Händen. Einige davon hatten meinen Freund an den Armen gepackt und zerrten an ihm. Manche schrien wild herum, gaben Befehle, brüllten Rory ins Gesicht.
Mein Herz schien in diesem Moment zu zerspringen vor Tatendrang, doch mein Freund hatte mich entdeckt und leicht mit dem Kopf geschüttelt. Nein, er wollte nicht, dass ich mich einmischte.
"Endlich haben wir dich!", schrie einer der Männer und boxte Rory unsanft in den Rücken, sodass er zu Boden fiel.
Dann trat der Größte aller vor meinen Freund und stierte ihn an. "Wenn du deinen Kumpanen verrätst, wird sich deine Strafe vielleicht lindern lassen", säuselte er, doch der Gefangene hatte nur den Kopf geschüttelt und mit den Worten "Ich habe keinen Komplizen. Ich habe alle Raubzüge allein begangen" den Mann beruhigt.
"Und diesmal werden wir dich nicht mehr entkommen lassen! Diesmal wanderst du in das tiefste Verließ des Königreiches und ich schwöre dir, du wirst es niemals wieder verlassen!", brüllte ein anderer.
Meine Augen füllten sich mit Tränen, als ich den Wachen hinterher sah, wie sie Rory grob an Händen und Schultern packten und ihn mit sich zerrten.
Vielleicht war es naiv von mir zu glauben, sie würden uns niemals erwischen, doch ich wollte es nicht wahrhaben.
Der Ausflug, den mir Rory versprach, hatte sich in ein Desaster verwandelt, das unser beider Leben verändern wird.
Vielleicht meines nicht so sehr.
Doch Rory wird nie wieder das Grün der Blätter erblicken können, das er so liebte.
Wie kann ich mir das jemals verzeihen?