»Fahren Sie mich zum Strandhaus«, sagte Kaèl, und Mister Scott nickte eilfertig.
Mit verschränkten Armen wartete Kaèl am Rand der Stallungen, während Mister Scott die Kutsche vorbereitete. Es war langweilig, und bald wurde er des Wartens überdrüssig, also spannte er seinen Sonnenschirm auf, und flanierte ein paar Schritte durch den Park. Es zog ihn in den kühlen Schatten unter den duftenden Pinien, mit dem sandigen weichen Boden.
Täuschte er sich, oder hörte er eine Stimme? Eine … unerfreulich vertraute Stimme.
Er trat näher und lauschte. Eine Gruppe Gärtner*innen stand beisammen und tratschte. Inmitten von ihnen war … Timanty. Er wandte Kaèl den Rücken zu, aber seine ungelenke Haltung hätte Kaèl unter tausenden erkannt.
»Timanty«, knurrte er.
Die Gärtner*innen verstummten. Alle Augen richteten sich auf Kaèl.
Timanty fuhr herum. Sein Mund öffnete sich leicht, er trat zwei Schritte zurück.
Kaèl stemmte einen Arm in die Hüfte. »Du arbeitest hier nicht mehr.«
Timanty hob die Hände. »Darf ein armer Magi nicht mehr seine Freund*innen besuchen?«
»Raus«, zischte Kaèl.
»Mylord«, sagte eine Gärtnerin und verneigte sich tief. »Timothy wollte nur …«
»Ich wiederhole mich ungern«, fuhr Kaèl ihr ins Wort. Er starrte Timanty nieder, bis dieser mit einem nervösen Lachen beiseite schaute.
»Ich wollte sowieso gerade gehen«, sagte er zu den anderen. Er nickte ihnen zu und lief Richtung Tor. Kurz davor drehte er sich noch einmal um. Er ballte die Faust und hob sie in die Luft. »Du bist wirklich das Letzte, Kaèl.«
Als er endlich verschwunden war, atmete Kaèl auf. Er wollte Timanty nicht hier haben. Er war eine Gefahr auf zwei Beinen, und er hätte mit seiner übertriebenen Missgunst fast Kaèls und Bendix’ Beziehung zerstört. Das wollte und würde Kaèl ihm nicht verzeihen.
Die Gärtnersleute starrten ihn immer noch an.
»Was ist?«, knurrte er. »Machen Sie sich an die Arbeit!« Genervt stapfte er zur Kutsche.
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Er war schlecht drauf, als er am Strandhaus anlangte, aber Bendix begrüßte ihn mit einem breiten Grinsen, das ihn ganz warm werden ließ. Kaèl schlang seine Arme um ihn und vergrub sein Gesicht in Bendix’ Haar. Die Anspannung fiel von ihm.
Bendix lachte atemlos. Er gab ihm einen hastigen Kuss auf die Wange und zerrte ihn in die Küche. »Ich wollte Kartoffelauflauf machen«, sagte er. Seine Stimme überschlug sich. »Mit Salat und einer Suppe, denkst du, das mögen sie?«
Kaèl lächelte. »Alles, was du kochst, schmeckt gut. Natürlich werden sie es mögen.«
Auf der Küchentheke hatte Bendix bereits das Gemüse aufgetürmt, daneben lag ein Schneidebrett und darauf ein beängstigendes Messer. Während er die Kartoffeln schnitt, plapperte Bendix unentwegt, von dem geplanten Essen und den Blumen, die er für die beiden Gäste gesammelt und auf dem Esstisch drapiert hatte. Seine Augen strahlten.
Auch Kaèl lächelte. Es war eine gute Idee gewesen, Margret und Kasimir einzuladen. Natürlich war die Idee gut gewesen, sie war ja auch seine, aber wenn er Bendix so betrachtete, dann war es wahrscheinlich sogar eine seiner besseren Ideen gewesen.
Übermorgen würden die Menschen aus Fukuòka abreisen und es war Bendix’ letzte Gelegenheit, ihnen Lebewohl zu sagen.
Zufrieden lauschte er Bendix’ Monolog. Er liebte es, Bendix glücklich zu sehen. Bendix hatte es verdient, immer glücklich zu sein.
Ab und an, wann immer Bendix ihm irgendeine Frage zum Essen stellte, nickte er bedeutungsvoll, als habe er eine Meinung dazu. Natürlich hatte er keine Ahnung von derlei Dingen, aber er wollte wenigstens so tun, als interessiere es ihn.
»Kaèl?«, fragte Bendix.
Kaèl nickte lächelnd. Auf einmal wurde ihm bewusst, wie Bendix ihn anschaute, mit gerunzelter Stirn. »Ja?«, fragte er irritiert. »Was ist?«
»Ich hab dich gefragt, wie dein Morgen war.«
»Ah …« Kaèl zuckte mit den Schultern. »Unspektakulär … obwohl …« Ihm fiel der unerfreuliche Zwischenfall mit Timanty wieder ein. Das hatte er vor lauter Harmonie fast verdrängt. »Timanty war im Park. Er stand da, bei den Gärtner*innen und hat seelenruhig mit allen geplaudert.«
»Aha.« Bendix widmete sich wieder seinem Gemüse. »Und?«
»Nichts und.« Kaèl ballte die Faust. »Ich habe ihn fortgejagt. Er hat am Schloss nichts verloren!«
»Was ist so schlimm daran, dass er die Leute dort besucht? Hat er nicht jahrelang für euch gearbeitet?«
Kaèl warf ihm einen finsteren Blick zu. »Warum bist du so nett zu ihm? Ich habe mit ihm geschlafen. Du solltest eifersüchtig sein!«
Er zumindest wäre eifersüchtig geworden. Aber er war ja auch kein Mönch, der stundenlang täglich meditierte.
»Ich mag nicht, wie du die Leute behandelst, mit denen du zusammen warst.«
»Ich war nicht mit ihm zusammen«, protestierte Kaèl. »Das war nur ein kurzes –«
Bendix schnaubte. »Spar dir die Worte. Du machst es nur noch schlimmer!« Mit aller Kraft hackte er auf den Ingwer ein. Die arme Wurzel tat Kaèl fast schon leid, sie wurde mehr zermatscht als geschnitten. Dabei war es gerade noch so schön gewesen, wie konnte die Stimmung so schnell kippen? »Bendix …«, begann er kläglich. »Jetzt sei nicht böse auf mich. Aber er hat versucht, uns auseinanderzubringen, das kann ich ihm nicht durchgehen lassen.«
»Nicht er hätte uns auseinandergebracht, sondern dein schäbiges Verhalten ihm gegenüber! Wer sagt, dass du sowas nicht auch mit mir machst?«
Kaèl senkte den Kopf. Er ließ die Schultern bewusst dramatisch hängen und hoffte, dass Bendix sich von seiner jämmerlichen Pose erweichen lassen würde, aber der würdigte ihn keines Blickes. In seiner Verzweiflung griff er nach einem Stück Kartoffelschale und schleuderte es in Bendix’ Richtung. Es blieb auf seiner Schulter liegen, aber Bendix merkte nicht einmal auf.
»Fein«, rief Kaèl. »Ich habe vielleicht einen …«, er atmete tief durch, »… Fehler gemacht. Aber das ist jetzt irrelevant, jetzt bin ich mit dir zusammen. Wenn ich dich verletze, dann ist es, als würde ich mir ins eigene Fleisch schneiden. Ich könnte dich niemals so behandeln.«
»Hm«, machte Bendix.
Kaèl fasste sich ein Herz und lehnte sich gegen ihn. »Bendix. Jetzt sei nicht wütend auf mich.«
Bendix seufzte. »Ich bin nicht wütend. Aber manchmal bist du so …«
»… liebenswert?« Kaèl versuchte einen unschuldigen Augenaufschlag.
»Kaèl«, stöhnte Bendix, aber er lächelte ein wenig dabei.
Erleichtert drückte Kaèl ihm einen Kuss auf die Wange. Er zupfte an seiner Tunika. »Hast du mich wieder lieb?«
»Ich hab dich immer lieb. Aber jetzt lass mich los, ich muss kochen!«
»Soll ich dir dabei helfen?«
»Nein!«
»Ich möchte mich nützlich machen«, schmollte Kaèl.
Bendix musterte ihn kurz, dann zuckte er seufzend mit den Schultern. »Na gut, wenn du unbedingt willst, dann kannst du das Wasser warmzaubern.«
Kaèl hob die Brauen. »Ich soll zaubern? Wirklich, Herr Hexenjäger?«
Bendix puffte ihn in die Seite. »Mach keine Witze über mich. Unsere Gäste kommen gleich, wir müssen uns ranhalten.«
»Natürlich, natürlich.« Schmunzelnd wandte sich Kaèl dem Topf zu. Monatelang hatte Bendix jeden seiner Zauber misstrauisch beäugt, aber jetzt nahm er Kaèl endlich als den an, der er war. Er akzeptierte seine Magie.
Das Leben mit ihm würde zukünftig so viel bequemer sein.
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Margret schloss Bendix fest in die Arme. Auch Kaèl presste sie so fest an sich, dass ihm die Luft wegblieb, dann musterte sie ihn von Kopf bis Fuß. »Ja, blond steht dir wirklich besser. Und auch die spitzen Ohren passen zu dir.«
Sie zwinkerte Bendix zu. »So ein gutaussehender, feiner Herr an deiner Seite.«
»Allerdings!«, sagte Bendix. Er strahlte so breit, dass es in Kaèls Brust angenehm prickelte und seine Ohren ganz warm wurden.
Kasimir verdrehte die Augen. »Wieso wusste ich, dass ihr eines von diesen unerträglichen Paaren seid, die alle mit ihrer Verliebtheit nerven?«
»Jetzt setzt euch erst mal«, sagte Bendix errötend. »Es gibt Kartoffelauflauf.« Er holte die dampfende Auflaufschüssel aus der Küche und platzierte sie in der Mitte des Tisches. Es duftete köstlich.
Bendix setzte sich neben ihn auf die Bank. Kaèl rückte ein Stückchen enger an ihn heran, enger als jegliche Etikette es zuließ. Triumphierend blickte er zu Kasimir. Sollte dieser Griesgram doch ruhig sehen, wie nah sie sich waren!
Margret lehnte sich zu Bendix. »Jetzt erzähl, wieso du hier bist, Bendix. Sie waren vor ein paar Tagen bei uns im Dorf und haben alles nach dir durchsucht. ›Du bist auf der Flucht‹ hieß es. Ich habe mir Sorgen um dich gemacht, besonders als ich von Kasimir gehört habe, dass sie deine Hütte entdeckt haben. Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass du dich ausgerechnet bei Carl versteckst … ihr wart doch seit Monaten auseinander.«
Bendix grinste verlegen. »Ja, das waren wir. Aber Kaèl hat mich aus der Hütte geholt, völlig überraschend.« Er lächelte Kaèl warm zu und stand auf, um allen aufzutun. »Na ja, genauer gesagt hat er mich in ein Reh verzaubert, und so konnte ich mit ihm fliehen. Zuerst wollte ich nicht mit, weil wir ja zerstritten waren, aber dann«, er warf Kaèl noch einen Blick zu, »haben wir uns ausgesöhnt.«
»Das sehe ich.« Sie lachte. »Und du bleibst jetzt hier?«
Bendix zuckte mit den Schultern.
»Eine Weile«, sagte Kaèl. »Bis mir etwas Besseres einfällt.«
»Hm«, machte Kasimir. »Das klingt riskant.«
»Natürlich ist das riskant«, sagte Kaèl. »Bendix ist ein gesuchter Schwerverbrecher. Aber hier werden sie als Letztes nach ihm suchen.«
Kasimir wirkte nicht überzeugt, was Kaèl ärgerte. »Und du«, wandte er sich an Margret, um von dem Thema abzulenken. »Hast du bereits alles gepackt?«
Sie nickte. »Das ging schnell. So viel Platz ist auf den Wagen nicht, ich habe mich auf das Nötigste beschränkt.«
Bendix öffnete den Mund, aber sie redete unbeirrt weiter. »Das ist aber nicht schlimm, dort drüben soll es einiges an Ausstattung geben, nicht wahr, Carl?«
Der machte ein zustimmendes Geräusch. »Das hat mir Yù– ich meine Lady Midòri versichert. Euer neues Dorf soll recht ansprechend sein, mit gepflasterten Wegen und Steinhäusern.«
»Steinhäuser?«, wiederholte Bendix.
»Na, das werden wir auch brauchen, bei den kalten Wintern dort«, sagte Kasimir.
Kaèl nickte. »Es ist kälter als hier. Aber für Aomòris Verhältnisse ist es immer noch mild – auf jeden Fall warm genug, dass ihr nächstes Jahr eine gute Ernte einfahren werdet.«
»Das beruhigt mich«, sagte Bendix leise.
Margret beugte sich zu ihm. »Du sollst dir nicht immer so viele Gedanken machen, Junge. Dein Liebster hat das bestimmt gut durchdacht.«
»Nein«, widersprach Kaèl. »Eigentlich hat das Lady Midòri getan, sie kennt ihr Land am besten. Ich habe sie lediglich inständig darum gebeten.«
Bendix drückte Kaèls Hand. »Wir sollten essen, bevor es kalt wird. Guten Appetit!«
Alle beugten sich über ihre Teller. Eine Weile hörte man nur das leise Klackern des Bestecks und ein paar zufriedene Essgeräusche.
»Monika hat das Kind bekommen«, sagte Margret. »Einen Jungen, sie hat ihn ›Benedikt‹ genannt.«
»Oh«, Bendix lächelte verlegen, »das ist zuviel der Ehre.«
»Ach was«, sagte Kasimir. »Nach allem was du für Markus getan hast, wollten die beiden ihre Dankbarkeit ausdrücken!«
»Markus?«, fragte Kaèl.
»Ihr Mann«, erklärte Margret. »Er ist unser Schmied. Vor knapp einem Jahr hat ihn eine Gruppe Magi verprügelt, als er mit seinen Eisenwaren nach Nishaì fahren wollte. Wenn Bendix nicht zufällig dort gewesen wäre, dann wäre er mit weitaus mehr als einer gebrochenen Nase und ein paar angeknacksten Rippen da raus gekommen. Sie hatten ihn schon zu Boden geworfen, und haben immer weiter auf ihn eingetreten! Bendix hat sie vertrieben.«
Früher hätte Kaèl solche Geschichten nicht geglaubt. Fukuòka galt als ›sicher‹, überall patrouillierten Wachposten, die genau solches verhindern sollten. Aber mittlerweile wusste er, dass diese ›Sicherheit‹ nur für Magi galt, bei Menschen schauten die Wachen weg. Er senkte den Blick.
»Aber jetzt geht es den beiden und dem Kleinen gut«, sagte Margret versöhnlich. »Es ist ein Prachtkerl, er hat fast zehn Pfund auf die Waage gebracht.«
»Die arme Monika«, sagte Bendix. »Das muss eine schwere Geburt gewesen sein.« Er seufzte. »Schade, dass ich den kleinen Benedikt nicht mehr sehen kann.«
Darauf sagte niemand etwas.
»Und Anna und die anderen Kinder?«, hakte Bendix nach. »Geht es ihnen gut? Trainieren sie auch fleißig?«
»Bendix!«, Margret lachte. »Du warst doch vor vier Tagen noch da!«
»Aber da wollte ich noch oft vorbeikommen, bevor ihr fahrt. Wenn ich damals gewusst hätte, dass das mein letzter Besuch ist, dann hätte ich alles anders gemacht!«
»Ach mein Junge. Das wissen wir doch alle. Es ist bestimmt keine*r böse drum, dass du nicht mehr da warst!«
Bendix nickte zögerlich. Aber er blieb daraufhin auffallend schweigsam, stocherte in seinem Essen herum und antwortete nur noch einsilbig auf Fragen.
Kaèl warf ihm hin und wieder einen besorgten Blick zu. Bendix hing an diesen Leuten. Er würde einsam sein, wenn sie fuhren, und Kaèl hatte keinerlei Idee, wie er sie regelmäßig besuchen könnte. An der Grenze wurde streng kontrolliert, Bendix konnte nicht einfach in einer Kutsche dorthin fahren. Und Kaèl könnte Bendix zwar in ein Reh verwandeln, aber die Strecke war zu weit, um sie zu Fuß zu bewältigen.
Vorsichtig legte er eine Hand auf Bendix’ Schulter. Bendix schaute kurz zu ihm, aber genauso schnell wieder auf seinen Teller.
Auch Margret und Kasimir waren einsilbig, also war es an Kaèl, die Stimmung zu heben. »Kasimir«, sagte er. »Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie alle meine Kleider entworfen und bearbeitet haben, und nicht Ihre Vorgesetzte?«
Kasimir nickte langsam.
Kaèl schnalzte mit der Zunge. »Ihren ›Assistenten‹ hat sie Sie immer genannt. Da bin ich ja gespannt, wie sie zukünftig ohne Sie auskommen wird.«
»Bitte denken Sie nichts Schlechtes von ihr. Sie war eine gute Lehrmeisterin, und ich bin dankbar, dass sie mir die Chance gegeben hat. Wer nimmt schon einen Menschen in die Lehre?«
»Was spricht dagegen?«, fragte Kaèl.
Kasimir seufzte. »Na, Magi sind bei vielen Aufgaben so viel schneller als wir, weil sie an den entscheidenden Stellen zaubern können.«
»Das mag sein«, überlegte Kaèl, »aber bei einem derart kreativen Handwerk scheint das keine so große Rolle zu spielen. Wie dem auch sei, in Aomòri werden Sie gute Chancen auf eine prestigeträchtige Anstellung haben. An Ihrer Stelle würde ich mich direkt in Tukàta bewerben – ich könnte Ihnen bei Bedarf Kontakte zu den dort ansässigen Adelsfamilien vermitteln. Sie könnten sich aber auch selbstständig machen. Bei Ihrem Talent werden sie sicher rasch an Kundschaft gewinnen.«
Ein Lächeln huschte über Kasimirs Gesicht. Es war das erste Mal, dass er Kaèl anlächelte. Vielleicht versteckte sich ja doch eine weniger grimmige Seite in ihm.
Kaèl seufzte theatralisch. »Für meine Garderobe wird ihre Abwesenheit auf alle Fälle ein herber Schlag sein.«
Jetzt hob Bendix den Kopf. Er verdrehte die Augen. »Dann gibt es für dich keine Robe mit 1024 Glühwürmchen mehr, die im Dunkeln blinken! Was für eine Katastrophe!«
»Ich weiß nicht, was du hast«, zischte Kaèl. »Genau diese Robe wurde auf dem Frühjahrsball sehr bewundert! Ich konnte mich den Abend über kaum vor Verehrer*innen retten!«
»Ach, das ist dir also wichtig? Dass dir alle zu Füßen liegen? Reicht dir nicht, dass ich –«
»Jetzt streitet nicht«, rief Margret.
Sofort drückte Bendix den Rücken durch. Schuldbewusst starrte er auf die Tischplatte. »Wir streiten oft, Nana. Aber das ist nicht so schlimm, meist vertragen wir uns wieder schnell. Kaèl ist nur immer so frech und dann –«
»Dann muss er mich bestrafen«, sprang Kaèl ihm bei. »So wie vorgestern am Stran–«
»Nein!«, rief Bendix. »Das meinte ich nicht!« Er warf Margret einen entschuldigenden Blick zu. »Ich meinte …« Er rang nach Worten, dann seufzte er tief. »Ach, ist ja auch egal.«
»So genau wollen wir es auch nicht wissen«, sagte Kasimir.
Margret schmunzelte nur. »Du hast unseren Mönch ganz schön verdorben«, sagte sie augenzwinkernd zu Kaèl.
Bendix sackte noch mehr in sich zusammen.
Kaèl kicherte. Er tätschelte Bendix’ Schulter. »Komm schon, Bendix. Das ist doch nicht peinlich.«
»Dir sicherlich nicht«, murrte Bendix.
Er grummelte etwas Finsteres, aber das störte Kaèl nicht. Sollte Bendix doch wütend sein – Hauptsache, er verfiel nicht wieder in seine vorherige Apathie. So war er wenigstens bei ihnen in der Unterhaltung.
Bendix ignorierte Kaèl zwar immer noch, aber er taute sichtlich auf. Nach einer Weile neckte er sich sogar mit Kasimir, und als sie zum Nachtisch den Zitronenkuchen anschnitten, lächelte er sogar wieder Kaèl an, als sei nie etwas gewesen.
Nach dem Essen gingen sie hinaus auf die Terrasse, um den Sonnenuntergang zu bewundern. Margret zog ihn auf ihre Seite, während Kasimir sich neben Bendix stellte. Die beiden tuschelten leise miteinander, aber es drangen nur Wortfetzen zu ihm.
Kaèl rückte ein Stück näher und spitzte die Ohren. Menschen unterschätzten immer wieder, wie gut Elben hören konnten.
»Vielleicht solltest du mit uns mitkommen«, flüsterte Kasimir. »Wir finden schon einen Weg, dass du nicht erkannt wirst.«
»Wie soll das gehen?«, fragte Bendix.
»Dein Freund könnte bestimmt dafür sorgen, dass unsere Planwagen an der Grenze nicht kontrolliert werden. Wieso fragst du ihn nicht?«
Kaèls Herz gefror. Seine Hände krampften sich ums Geländer, aber er starrte mit möglichst unbeteiligtem Gesichtsausdruck geradeaus, als habe er nichts mitbekommen.
Seine Gedanken rasten. Kasimir hatte recht, es war eine Option. Bei all den Menschen, die gleichzeitig ausreisten, wäre Übermorgen an der Grenze Chaos, wahrscheinlich blieb den Wachen kaum Zeit, um die einzelnen Wagen zu inspizieren.
Außerdem hatte Kaèl seiner Mutter versprochen, die Kontrollen zu überwachen. Er könnte die Wachen im entscheidenden Moment ablenken, um Bendix zu decken.
In Aomòri wurde Bendix zwar wie überall in Finistère gesucht, aber wenn er sich dort nicht in den Städten blicken ließ und nicht mehr mordete, dann hatte er eine gute Chance, unentdeckt zu bleiben. Auf Dauer war er in Aomòri wahrscheinlich sogar sicherer als bei Kaèl im Strandhaus.
Aber dann wäre er viel zu weit weg von Kaèl. Sie würden sich höchstens alle paar Monate sehen.
Nach ihrer Trennung, nach allem was in der letzten Zeit passiert war, war Kaèl nicht bereit dafür, Bendix ziehen zu lassen. Nicht jetzt. Kaèl biss sich auf die Lippe. Wahrscheinlich wäre er niemals bereit dazu.
»Was meinst du dazu, Bendix?«, fragte Kasimir.
»Nein«, sagte Bendix.
Kaèl atmete auf.
»Wie ›nein‹?«
»Ich … will nicht soweit fort von ihm.« Bendix flüsterte, als wolle er nicht, dass Kaèl es hörte. Als wäre es nicht das Schönste, was Kaèl sich vorstellen konnte.
Jemand tippte ihn auf die Schulter. »Komm, wir gehen ein wenig herum«, sagte Margret. »Lassen wir die beiden in Ruhe reden.«
Kaèl nickte unwillig. Er bot ihr seinen Arm an, und sie stützte sich ab. Gemeinsam flanierten sie durch den Orangenhain. Margrets Gehstock klackerte leise über die Ziegel.
»Schön habt ihr es hier«, sagte Margret. »Da kann ich verstehen, dass Bendix nicht fort will.«
»Ich hoffe, das liegt nicht nur an der Schönheit hier.«
Margret lachte leise. »Darüber musst du dir keine Sorgen machen, denke ich. Aber Carl, sei ehrlich mit mir. Ist er hier wirklich sicher?«
Kaèl schwieg ertappt. Unbewusst krampften sich seine Finger um ihren Arm.
Margret schaute zu ihm. »Ich sehe«, sagte sie langsam.
»Ich … « Er schluckte. »Werde nicht zulassen, dass ihm etwas passiert.« Es klang hohl in seinen Ohren.
Margret nickte, als würde die Antwort sie zufriedenstellen.
Sie wechselten das Thema. Kaèl gab vor, ihren begeisterten Kommentaren über den Strand und die Natur zu lauschen, aber seine Gedanken schweiften immer wieder ab. Er warf einen Blick zurück, zu Kasimir und Bendix, die jetzt beide laut lachten, und es gab ihm einen Stich ins Herz.
Er schämte sich. Die letzten zwei Tage hatte er verdrängt, in welcher Gefahr Bendix sich befand. Er hatte alles verdrängt, für ein paar flüchtige Momente der Freude. Es war egoistisch gewesen, nicht wenigstens Bendix’ Alternativen in Erwägung zu ziehen.
Als es Zeit war, sich zu verabschieden, schloss Bendix Margret fest in seine Arme. Sein Körper bebte.
»Ach Junge. Jetzt wein nicht«, sagte Margret. Aber auch ihre Augen glänzten feucht.
»Ja, Nana«, sagte Bendix folgsam und fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen. Mit hängendem Kopf stand er da.
Kaèl konnte es nicht nachvollziehen. In seinen Menschenbüchern weinten die Männer nie, egal was passierte, was ihm immer schon merkwürdig vorgekommen war. »Wieso darf er nicht weinen, wenn er traurig ist?«
»Weil ich dann auch weinen muss«, sagte Margret. Und dann weinte sie.
»Aber wir sehen uns doch wieder«, rief Kasimir. »Lord Hotàru hat bestimmt schon eine gute Idee, wie wir uns besuchen können!«
»Sicherlich«, log Kaèl. Eigentlich war es keine richtige Lüge. Ihm würde auf Dauer bestimmt etwas einfallen. »Immerhin muss ich auch Kasimirs neuen Laden inspizieren – vielleicht finde ich die eine oder andere Robe für meinen nächsten Ball!«
»Genau!« Kasimir lächelte. »Nach allem, was Sie für mich und meine Familie getan haben, werde ich immer ein paar Roben für Sie bereitlegen.«
»Na also, dann ist das ja geklärt!« Auch Kaèl versuchte zu lächeln.
Die beiden stiegen in die Kutsche und winkten aus dem Fenster.
Bendix winkte ihnen mit einem Taschentuch hinterher. Als die Kutsche um die Ecke verschwunden war, sackte er in sich zusammen. »Jetzt sind sie weg«, flüsterte er, als könne er es noch nicht glauben.
Bendix war höchstens einmal pro Woche im Dorf gewesen, aber jeder dieser Besuche war ihm wichtig gewesen. Er hatte Kaèl immer von seinen Erlebnissen dort erzählt, von den Übungen mit den Kindern und dem neusten Klatsch und Tratsch, so dass selbst Kaèl das Gefühl hatte, viele der Dorfleute zu kennen, als seien es alte Bekannte von ihm.
Ohne all das würde es in Bendix’ Leben einsam werden.
»Willst du darüber reden?«, fragte Kaèl.
Bendix schüttelte den Kopf. »Lass uns einfach ins Bett gehen.«
Es klang so mutlos. Kaèl hätte gern etwas Aufmunterndes gesagt, aber ihm fiel nichts ein. Es war unwahrscheinlich, dass Bendix hier neue Leute kennenlernte. So bezaubernd er auch war – welche*r Magi würde sich freiwillig mit dem Hexenjäger anfreunden?
Nein, Bendix hatte nur noch ihn. Aber Kaèl würde diese Leere nicht füllen können. Was konnte er ihm schon bieten? Sie durften ja nicht einmal offiziell zusammen sein.
Und auf Dauer wollte Kaèls Familie sicherlich …
»Bendix«, sagte Kaèl rau. Er schluckte. Er wollte die Worte nicht aussprechen. Aber es durfte keine Halbwahrheiten mehr zwischen ihnen geben, nicht, wenn so wichtige Entscheidungen anstanden. »Ich werde irgendwann heiraten müssen.«
»Warum sagst du das?«, fragte Bendix eine Spur zu laut.
»Weil …« Kaèl seufzte. »Ich eure Unterhaltung gehört habe. Vielleicht solltest du über Kasimirs Vorschlag nachdenken.« Jedes Wort fühlte sich an wie ein Messerstich.
Bendix blinzelte heftig. »Wie bitte?«
»Noch sicherer wäre es natürlich, wenn du nach Lindenreich oder Dinstermor gingest.«
»Willst du das?«, fragte Bendix.
Kaèl schüttelte den Kopf. »Nein. Ich will, dass du niemals gehst. Aber …«
»Kaèl«, unterbrach ihn Bendix sanft. »Ich weiß doch, dass du irgendwann heiraten musst. Ich weiß nur nicht, was das für uns bedeutet. Wenn ich jetzt bei dir bleibe, und du dann heiratest, was ist dann mit uns?«
»Dann … würde ich meine Angetraute mit freundlicher Distanz behandeln, bis sie aufgibt und sich eine*n Geliebte*n zulegt.« Er hob den Blick und linste zu Bendix. »Denn eins weiß ich. Ich werde niemals jemand anderes lieben als dich. Sie und ich … wir würden bequem nebeneinander her leben und uns unsere Freiheiten lassen. Das ist nichts Ungewöhnliches für eine hochadelige Ehe. Und dich würde ich besuchen, wann immer sich die Gelegenheit dafür bietet. Wahrscheinlich jedes Wochenende.« Er verdrehte die Hände ineinander. »Ich … verstehe aber, wenn dir das nicht reicht. Vielleicht ist es besser, wenn du etwas Eigenes …«
»Es wird reichen«, sagte Bendix. »Es muss reichen.«
»Bist du sicher?«
Bendix löste Kaèls ineinander verschränkten Hände und küsste sie. »Ich will in deiner Nähe sein. Wenn ich mit nach Aomòri gehe, wie oft könnten wir uns dann sehen? Alle paar Monate?«
»Wahrscheinlich«, flüsterte Kaèl. »Aber da hättest du Margret und Kasimir. Du wärst nicht allein.«
»Das ist mir zuwenig. Als wir getrennt waren …« Bendix’ Augen wurden feucht. »Diese ganze Zeit ohne dich, es war …«
Kaèl schwieg. Er wartete darauf, dass Bendix noch etwas sagte, aber der machte nur eine hilflose Geste.
»Ich weiß«, sagte Kaèl schließlich. Er lehnte sich an Bendix und atmete seinen Duft ein. Zuhause.
»Es ist riskant, aber es wird schon irgendwie gehen«, murmelte er in Bendix’ Haar. Seine Finger verhakten sich im Saum von Bendix’ Tunika. »Und warte nur, wenn ich erst einmal Lord bin, dann werden hier auch wieder Menschen leben. Dann wird alles einfacher werden.«
Bendix zog ihn in seine Arme. »Hauptsache, wir bleiben zusammen. Das ist das Wichtigste.«
»Das ist das Wichtigste«, wiederholte Kaèl.
Und für den Moment fühlte es sich an, wie das einzig Richtige.