»Wie sehe ich aus? Gut genug für den Hof Aomòris?«
Bendix ließ seinen Blick über Kaèl schweifen, ein wenig länger als nötig. Er grinste.
»Was?«, fragte Kaèl.
»Du siehst gut aus«, sagte Bendix. Er senkte die Stimme. »Da könnte ich fast schwach werden.« Seine Wangen glühten.
Kaèl rückte enger an ihn heran. »Warum nur ›fast‹?«, flüsterte er in Bendix’ Ohr. Mit einer Hand strich er über Bendix’ Brust und spielte an den Knöpfen seines Hemdes.
Bendix schloss die Augen, ließ die Berührung zu. Aber viel zu früh löste er sich. »Kaèl«, sagte er gepresst. »Wir müssen wirklich los.«
Kaèl grummelte. Bendix hatte recht – sie wollten heute noch über die Grenze kommen, und bis dahin war es ein mehrstündiger Ritt, aber das hielt Kaèl nicht davon ab, sich dennoch darüber zu beklagen.
Bendix verschnürte ihre Satteltaschen. Er biss sich auf die Unterlippe. »Muss ich dort dieses Gewand tragen, das du mir gekauft hast?«
»Es wäre angemessen.«
Bendix verzog das Gesicht, aber hier würde Kaèl nicht mit sich reden lassen. Dieser Besuch in Aomòri war Bendix’ und seine größte Chance auf ein normales Leben, sie mussten Yùna von ihrer Kompetenz überzeugen. Dafür mussten sie ordentlich aussehen.
Ihre neuen Roben waren entsprechend teuer gewesen. Kaèl hatte einen seiner Siegelringe dafür versetzt. Seinen Drittliebsten, den mit dem funkelnden Rubin, und seine linke Hand fühlte sich seltsam leer ohne ihn an.
Bendix holte zwei Blechbüchsen von der Feuerstelle. Er stopfte sie in die sowieso schon übervolle Satteltasche seines Pferdes. »Vielleicht sollte ich noch einen weiteren Wasserbeutel füllen …«
»Bendix!«, rief Kaèl. »Wir können auch in einer Gaststätte speisen. Ich muss sowieso Yùna per Hologramm kontaktieren.«
»Aber Essen in Gaststätten ist teuer. Und wofür haben wir das Zelt? Wir müssen doch nicht –«
»Mein Ring«, unterbrach ihn Kaèl, »hat genug Geld für solche Kleinigkeiten eingebracht.«
Zu Recht – der Ring war nicht nur hübsch anzusehen, er war auch Symbol seiner Herrschaftsansprüche über die südlichen Ländereien Fukuòkas gewesen. Kaèl hatte diesen Anspruch längst verloren, aber der Verkauf hatte ihm dennoch mehr zugesetzt, als er Bendix eingestehen wollte. Es fühlte sich so an, als wäre das alles erst mit dem Verkauf wirklich vorbei.
»Wir müssen doch nicht gleich wieder alles verschwen–«
»Shhh, ich will nichts mehr davon hören.« Unwirsch presste Kaèl die Lippen zusammen.
Bendix warf ihm einen langen Blick zu. »Wie du meinst.« Er drückte Kaèl ein Stoffbündel in die Arme, »und jetzt zieh’ dich um, sonst kommen wir nie los!«
Es war die schlecht sitzende Seidenrobe, die sie am Marktstand gekauft hatten. Kaèl verzog angewidert das Gesicht. »Ich hatte mich gerade daran gewöhnt, wieder etwas ordentliches am Leib zu tragen! Außerdem –«, er wackelte vielsagend mit den Augenbrauen, »meintest du, dass du mich in der edlen Robe am liebsten sofort –«
»Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.« Bendix grinste. »Spätestens wenn wir im weichen Bett dieser Gaststätte liegen … Und jetzt mach schon! Oder willst du, dass deine schöne neue Robe nach Pferd stinkt, wenn wir ankommen?«
Kaèl wollte protestieren, aber ein Blick in Bendix’ Gesicht ließ ihn verstummen. »Fein, fein.«
Hastig wechselte er die Kleidung und verstaute das festliche Gewand in seiner Satteltasche. Er machte eine klägliche Geste an sich herab. »Ist der Herr jetzt zufrieden?«
»Das ist er.« Lächelnd breitete Bendix die Arme aus, und Kaèl ließ sich mit einem kleinen Seufzer hineinsinken. Bendix zog ihn enger. Seine Brust war fest und warm, und er hielt ihn mit einer Bestimmtheit, die Kaèl erlaubte, schwach zu werden.
»Das ist nicht leicht für dich, von hier wegzugehen, oder?«, flüsterte Bendix ihm ins Ohr.
Kaèl blinzelte. »Wie kommst du darauf?«
»Weil du den ganzen Vormittag schon schlecht drauf bist, und versuchst, Gründe zu finden, nicht losreiten zu müssen.«
»Ich …« Kaèl schluckte. Warum brannten seine Augen so? »Ach was«, krächzte er gegen den Klumpen in seinem Hals an. »Sie wollen mich hier nicht, also gehe ich … ich hänge nicht daran.«
Bendix nahm sein Gesicht in die Hände und küsste ihn. »Natürlich hängst du daran. Aber jetzt kommt etwas Neues. Mit etwas Glück werden wir nach unserer Reise niemals mehr diese Sorgen haben. Vielleicht finden wir ein kleines Häuschen in Tukàta, und du arbeitest in der Akademie, hältst Vorträge vor wichtigen Leuten und machst neue Entdeckungen … und ich kümmere mich um unseren Garten. Und jeden Abend sitzen wir zusammen auf der Terrasse und schauen auf die Blumen.«
Bei der Vorstellung lächelte Kaèl durch die Tränen hindurch. »… und du machst ein Dojo auf und lehrst Kampfkunst, das wolltest du doch!«
Bendix’ Strahlen war Antwort genug. Auf einmal fühlte sich sein Inneres warm und leicht, als hätte Bendix etwas in ihm zum Schmelzen gebracht, von dem er nicht einmal gewusst hatte, dass es gefroren war.
Nach einem weiteren Kuss löste Bendix sich von ihm. »Wir schaffen das schon«, rief er und schwang sich auf sein Pferd.
Kaèl tat es ihm nach. Er drehte sich noch ein letztes Mal um, starrte in Richtung Nìshai, dann trieb er sein Pferd an.
oOOo
Kurz vor der Grenze hielten sie Rast. Sie verdrückten Bendix’ Proviant, während Kaèl das weitere Vorgehen erklärte. »Ich verwandele dich in einen Rehbock, bringe die beiden Pferde über den Grenzposten und du läufst … äh … hüpfst … ungesehen an den Kontrollen vorbei. Wir treffen uns dann kurz hinter der Grenze wieder.«
»Hm«, machte Bendix. Stirnrunzelnd rührte er in seinem Kartoffel-Karotte-Apfel Eintopf herum.
»Du bist ja nicht lang verzaubert«, versuchte Kaèl, ihn zu beschwichtigen. »Aber sie würden dich niemals über die Grenze lassen. Jetzt, nachdem meine Eltern dich gesehen haben, werden sie die Kontrollen überall verstärkt haben.«
Bendix stellte seine Schüssel beiseite. »Das weiß ich doch. Es ist in Ordnung mit der Verzauberung – aber ich mache mir Sorgen um dich. Was ist, wenn sie einen Haftbefehl gegen dich erlassen haben?«
»Warum sollten sie?« Fast hätte Kaèl gelacht, so absurd schien ihm Bendix’ Gedanke. Als könnte ihm, als Erzmagi, als ehemaligem Lord verweigert werden, zu kommen und gehen, wann immer er wollte! »Als Elb steht es mir frei, jederzeit die Grenze zu passieren. Das nennt man ›Privilegien‹.«
»›Privilegien‹.« Bendix’ Miene verfinsterte sich.
»Ja, es ist nicht fair, und wenn ich daran etwas ändern könnte, dann täte ich es. Aber dieses eine Mal werde ich es mit gutem Gewissen ausnutzen. Ich werde mein eigenes Land nicht wie ein getretener Hund verlassen.«
»Aber vielleicht will deine Familie –«
»Meine Familie«, unterbrach ihn Kaèl, »will mich nicht mehr sehen, das haben sie unmissverständlich ausgedrückt. Es gäbe keinen Grund für sie, mich in Fukuòka festzuhalten.« Wieder war da dieser Klumpen in seinem Hals, aber Kaèl ignorierte ihn. Er reckte das Kinn.
»Na gut, wie du meinst.« Bendix’ musterte ihn mitfühlend, und kurz verfluchte Kaèl, dass er ihn immer so gut lesen konnte.
Bendix versuchte ein Lächeln. »Es wäre schön gewesen, wenn du uns beide als Reh verzaubert hättest. Irgendwie romantisch.«
»Nur, dass ich ohne Hände den Zauber nicht mehr auflösen könnte. Dann müsstest du deine restliche Lebenszeit mit mir als Reh verbringen.«
»Hmm … Dann könntest du nicht sprechen, aber wir könnten …« Bendix machte eine vielsagende Geste und grinste. »Hört sich gar nicht so schlecht an!«
Kaèl hexte ihm einen Feuerball gegen die Brust, aber Bendix lachte nur.
oOOo
Der Magi am Grenzposten winkte ihn aus der Schlange heraus. »Sie da – Kommen Sie mit.«
Kaèl verkrampfte sich, versuchte aber, sich seine Nervosität nicht anmerken zu lassen. »Gibt es einen Grund«, fragte er mit fester Stimme, »warum Sie ausgerechnet mich untersuchen?« Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf.
»Sie sind doch Lord Hotàru!«, sagte der Wachmagi. »Das ist ein Befehl von ganz oben.«
Zu Kaèls gesteigerten Entsetzen wurden ihm beide Pferde abgenommen, und der Mann führte ihn in das Wachhaus. Wie betäubt trottete Kaèl ihm hinterher. Ein Trupp aus fünf Wachsoldat*innen folgte ihnen.
Bendix hatte doch recht behalten, dachte er reumütig.
Er war wütend auf sich selbst – warum hatte er so fahrlässig gehandelt? Wieso hatte er nicht auch die Pferde verzaubert? Wieso hatte er nicht die Unsichtbarkeit gewählt? Jetzt würden sie sicherlich die Satteltaschen durchsuchen und Bendix’ Sachen finden!
Kurz spielte er mit dem Gedanken, die Pferde links liegen zu lassen, sich in die Unsichtbarkeit zurückzuziehen und davonzulaufen. Aber dafür war es zu spät, sie brauchten die Pferde und ihre Sachen, um bis nach Aomòri zu kommen.
Der Wachmagi öffnete eine Tür, und Kaèl trat in einen karg ausgestatteten Raum mit hässlich-grünem Teppich und ebenso ungemütlichen braunen Vorhängen. Darin befanden sich drei Stühle und ein Schreibtisch, hinter dem ein riesiges Ölgemälde von Kaèls Mutter prangte.
Die Wachen postierten sich an der Tür.
Am Schreibtisch saß ein Magi, der missmutig von seinen Papieren aufschaute. »Was gibt es?«
»Wir haben Lord Hotàru gefunden.«
Die Augen des Magis weiteten sich. »Gut«, sagte er. Sein Blick fiel auf Kaèl. »Setzen Sie sich.« Er nickte in Richtung des Holzstuhls am Fenster.
Kaèls zwang sich zu einem Lächeln und trat näher an den Schreibtisch heran. »Ich bin mir sicher, das ist ein Missverständnis.« Er senkte die Stimme. »Wieso«, sagte er, während er den Wachen den Rücken zuwandte, in seinen Ärmel langte und dem Magi seine Geldbörse präsentierte, »sprechen wir nicht in aller Ruhe darüber?«
Der Mann schnaubte. »Wenn ich auf Ihr Geld aus wäre, würde ich es Ihnen einfach abnehmen lassen. Jetzt setzen Sie sich!«
Kaèl tat wie geheißen. Er legte die Hände in den Schoß und beobachtete fassungslos, wie der Magi die Wachen um ihn postierte und sogar nach Verstärkung rief. »Ist das nicht etwas übertrieben?«
»Bei einem Erzmagi wie Ihnen?« Der Magi lachte trocken. Er trat zur Tür. »Lassen Sie ihn nicht aus den Augen«, sagte er zu den Wachen. »Er ist gefährlich!« Mit den Worten ließ er Kaèl allein mit seinen Gedanken zurück.
Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit. Kaèl schwitzte. Er tappte mit dem Fuß auf und ab, hundert mal, tausend mal.
Endlich schwang die Tür auf.
Kaèl blinzelte. Es war Myriam! »Was zum –«, entfuhr es ihm, aber sie ließ ihn nicht ausreden. »Wen haben wir denn hier?«, sagte sie schneidend. Mit einer herrischen Geste drängte sie die Wachen beiseite und wirkte einen Stillezauber, nur über sie beide.
Sie wirkte wütend, aber unter ihrer entschlossenen Miene schimmerte Müdigkeit durch, als hätte sie seit längerem schlecht geschlafen.
»Myriam«, sagte er.
Myriam reagierte nicht auf ihn. Seelenruhig rückte sie den Stuhl zurecht und nahm ihm gegenüber Platz. Sie betrachtete ihn unverhohlen, von Kopf bis Fuß, ohne etwas zu sagen.
In der schäbigen Robe und ohne seinen Siegelring fühlte Kaèl sich nackt. Er verbarg die Hand hinter dem Rücken. »Was?«, fragte er, als ihm die Stille zu laut wurde. Genervt blickte er an sich herunter. »Ja, ich sehe schäbig aus. Musst du mich deshalb so anstarren?«
»Wo ist er?«, fragte sie unvermittelt.
»Wer?«
»Dein … Freund, der Hexenjäger.«
Kaèl verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich weiß es nicht. Ich habe ihn seit meiner Verstoßung nicht mehr gesehen.«
»Sicherlich«, sagte sie. »Und du führst nur ›zufällig‹ ein zweites Pferd dabei, mit Kleidung in den Satteltaschen, die nicht die deine ist.«
»Rein zufällig, ja«, sagte Kaèl ausweichend.
Sie schnaubte. »Ein netter Versuch, Kaèl. Aber ich bin mir sicher, würden wir dir nach der Grenze hinterherstellen, dann würdest du uns direkt zu ihm führen.«
Schweiß brach ihm aus. »Dazu seid ihr nicht berechtigt«, sagte er rau. »Deine Befugnisse reichen nur bis zur Grenze.«
Myriam hob amüsiert die Brauen. »Falsch. Die Suche nach dem Hexenjäger betrifft alle Länder Finistères. Außerdem hat mir deine Mutter Sonderrechte erteilt.«
»Hat sie das?« Kaèl fuhr sich durchs Haar. »Na wunderbar! Sie hat mir alles genommen, mein Heim, meine Ehre, sie hat mich finanziell ruiniert. Was will sie noch? Ist sie nie zufrieden?«
»Sie will den abgetrennten Kopf des Hexenjägers«, schoss Myriam zurück. »Sie hofft, dass du dann endlich wieder zu Vernunft kommst.«
Allein die Vorstellung ließ ihn erschaudern. »Sie denkt, dass ich willig zu ihr zurückkehre, wenn ihr Bendix tötet? Da kennt sie mich schlecht.« Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Wenn sie das tut, verhungere ich lieber auf der Straße, als von ihr gefüttert zu werden.«
»Mir musst du das nicht erklären. Aber Akàri sieht das anders. Sie hatte gehofft, dass ein paar Wochen ohne Luxus dir den Kopf waschen.«
Kaèl schnaubte belustigt. »Hat sie das?« Er musste zugeben, die letzten Wochen waren hart gewesen. Aber er würde sich eher die Zunge abbeißen, als das Myriam einzugestehen.
Sie verengte die Augen. »Ist das alles ein Witz für dich? Du hast sie, du hast uns alle vor den Kopf gestoßen! Denkst du, dass es einfach für Akàri war, dich ziehen zu lassen?«
»Ich weiß nicht, was ich denken soll«, sagte er gequält. »Die letzten Wochen habe ich mich bemüht, möglichst wenig darüber nachzudenken. Wenn ich den Gedanken einmal zulasse, dann …« Er zwang sich zu einem Lachen. »Ist ja auch egal. Wie sagt man so schön: ›Was dich nicht umbringt, macht dich stark.‹«
»Ach, Kaèl«, sagte sie, diesmal überraschend sanft. »Was dich nicht umbringt, gibt dir eine Reihe von ungesunden Bewältigungsmechanismen und einen dunklen Sinn für Humor, mehr nicht.«
Kaèl schluckte und blickte zur Seite. Er hatte fast vergessen, wie sehr er ihre Meinung früher geschätzt hatte. Wie oft er zu ihr gegangen war, wenn niemand anders am Schloss ihn hatte verstehen können. Es war erschreckend, wie Myriam gleichzeitig so feingeistig sein konnte und dann ganze Dörfer auslöschte, nur weil dort Menschen wohnten. Kaèl hatte die grausame Seite von ihr viel zu lange ausgeblendet, und selbst jetzt, wo er sie nicht mehr verleugnen konnte, war er überfordert von seinen widersprüchlichen Gefühlen. »Du fehlst mir«, sagte er leise. »Oder besser gesagt der Teil von dir, den ich in dir sehen wollte. Bei Akàri ist es ebenso.« Er lachte freudlos. »Sogar Va– Elìrios fehlt mir auf seine Weise.«
Lange sagte Myriam nichts. Kaèl betrachtete die Birke vor dem Fenster, fünf kleine Spatzen hatten sich darin versammelt und stritten lautstark. Die ersten Blätter färbten sich gelblich.
»Sie … würde es nicht zugeben, aber sie vermisst dich auch.«
Nicht genug, um etwas an der Situation zu ändern, dachte Kaèl, aber er verkniff sich den Kommentar. »Und dennoch … habe ich das Richtige getan«, sagte er, mehr zu sich selbst als zu ihr. »Ich konnte nicht weiter lügen, es hat mich von innen zerfressen. Es wäre ungerecht euch gegenüber gewesen, das fortzuführen.«
Myriam nickte langsam. »Du hättest ihn verlassen können.«
»Ich liebe ihn«, sagte Kaèl. »Ja, er hat dich verletzt und andere getötet.« Er schaute ihr in die Augen. »Aber das hast du auch. Mehr noch, du hattest die Wahl, während er …«, er suchte nach Worten. Notwehr passte nicht, schließlich war es Bendix gewesen, der die Attacken begonnen hatte … aber ohne die feindlichen Umstände hätte er nichts dergleichen getan. »… während er nur auf eure Gewalt reagiert hat«, komplettierte er deshalb. »Ja, ich verurteile seine Taten, aber ich kann sie nachvollziehen.«
»Hm«, machte sie, und Kaèl konnte nicht einordnen, was sie damit meinte.
»Elìsa und ich werden bald in ein eigenes Heim nahe dem Schloss ziehen«, sagte sie unvermittelt.
Überrascht blickte er wieder zu ihr. »Weiß Mutt– Akàri davon?«
»Noch nicht.« Myriam schloss die Augen. Sie schien nach Worten zu suchen. »Es ist im Moment … schwierig, zu ihr durchzudringen.«
Unangenehm berührt betrachtete Kaèl seine Handflächen. »Das glaube ich dir.«
»Aber ich werde es ihr erzählen. Das von Elìsa. Wenn ich eines von deiner Geschichte gelernt habe, dann, dass es immer besser ist, die Dinge früher anzusprechen, auch wenn sie weh tun.«
»Es ist schade, dass es so mit uns enden musste«, flüsterte er. »Ich weiß, du bist enttäuscht, weil ich es dir nicht erzählt habe, obwohl wir früher über alles gesprochen haben.« Er machte eine hilflose Geste. »Es gab ein paar Momente, in denen ich das nur zu gern getan hätte. Aber dann hätte ich Bendix in Gefahr gebracht. Und die Menschen. Das konnte ich nicht zulassen.«
Es gab eine Pause, die ihm wie eine Ewigkeit vorkam.
»Nun denn …«, sagte Myriam irgendwann. Sie räusperte sich und löste den Stillezauber. »Miss Wilson!«
Wenige Augenblicke später öffnete sich die Tür. »Madame Treverer?«
Myriam zeigte auf Kaèl. »Dieser Elb hier ist nicht Kaèl’thas Hotàru. Sie haben ihn verwechselt.«
»Ist er nicht?«, fragte Miss Wilson. »Und ich hätte schwören können …«
»Geben Sie ihm seine Pferde zurück«, unterbrach Myriam sie barsch. »Er darf passieren!«
Miss Wilson verbeugte sich und verschwand.
»Du lässt mich ziehen?«, flüsterte er.
»Ich werde dich nicht aufhalten.« Sie machte eine unwirsche Handbewegung. »Jetzt geh’ schon, bevor ich meine Meinung ändere.«
Kaèl erhob sich. Er nickte ihr zu, und wollte zur Tür schreiten, da zögerte er. »Wer sagt mir, dass ihr mir nicht folgt, sobald ich hier herausreite?«
»Denkst du, ich würde dir meine Überlegungen unterbreiten, wenn ich vorhätte, euch zu verfolgen?«
Erleichtert stieß er die Luft aus. »Auch wieder wahr.«
Auch Myriam erhob sich. Sie standen voreinander, ohne sich direkt anzusehen. Kaèl wusste nicht wohin mit seinen Händen. »Na dann«, sagte er verunsichert.
»War er das wirklich wert?«, fragte sie leise.
Kaèl dachte an Bendix. Wie sie miteinander gekämpft, und Bendix ihn immer wieder verschont hatte. Wie sie zusammen im Meer geschwommen waren, und wie er Kaèl gehalten hatte, als seine Verzweiflung am größten gewesen war.
Er nickte ernst. »Ich würde mich immer wieder so entscheiden.«
Ein gequältes Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Dann hoffe ich, dass ich nie wieder etwas über neue Verbrechen des Hexenjägers hören muss.«
»Das wirst du nicht«, versprach er und trat durch die Tür.
»Du hast lang gebraucht«, sagte Bendix, als Kaèl ihn endlich gefunden und wieder zurückverwandelt hatte. »Sie haben doch Probleme gemacht, hab ich recht?«
Kaèl schüttelte den Kopf. »Keine Probleme. Ich hatte einen kleinen Ausflug in die Vergangenheit, mehr nicht.«
»So?« Bendix’ Stimme klang alarmiert. »Bist du … traurig?«
Kaèl schaute Bendix ins Gesicht. Der schaute zurück. Er wirkte besorgt, sein Mund war zu einen schmalen Strich zusammengepresst. Sein Blick jedoch war so typisch Bendix, gleichzeitig aufgeweckt und liebevoll. Kaèl wurde warm ums Herz.
»Nein«, sagte Kaèl. Er lächelte. »Ich bin sehr glücklich.«
oOOo
Am dritten Tag ihrer Reise begann es zu regnen. Zuerst war es nur ein sommerlicher Sprühregen, der sie kaum störte, dann fiel die Temperatur und es regnete Bindfäden. Ihre Kleidung und Haare saugten sich voll, und Kaèl zitterte am ganzen Leib.
Als ihnen dicke Tropfen und Hagelkörner entgegen prasselten, gab er auf. Er konnte sich und Bendix nicht so schnell trockenzaubern, wie neues Wasser nachkam, und sie waren bis auf die Haut durchnässt.
»Wir müssen uns eine Unterkunft suchen!«, rief er zähneklappernd.
Bendix nickte, und sie trieben die Pferde zu Eile an.
Sie waren bereits im Süden Aomòris angelangt. Davor hatten sie alle Ortschaften vermieden, aber hier fühlte Kaèl sich sicher, sich offen zusammen mit Bendix zu zeigen. Hier würde niemand etwas dagegen haben, dass ein Elb und ein Mensch zusammen waren.
»Dort ist Licht! Lass uns dorthin reiten, da ist bestimmt ein Dorf.«
Er trieb sein Pferd an und nach wenigen Minuten erreichten sie eine kleine Stadt. ›Alàriel‹ stand auf dem Schild. Kaèl hatte noch nie davon gehört, es musste eine der weniger bedeutenden Ortschaften Aomòris sein. Dennoch war sie hübsch anzusehen – sie hatte kleine Häuschen mit Holzbeschlägen unterschiedlichster Farben und überall blinkten ihnen Laternen entgegen wie Sterne am Himmel.
Am Marktplatz, der wegen des Unwetters mehr einer Matschgrube ähnelte, fanden sie eine Gaststube, aus deren Fenstern ein warmer Feuerschein drang. Die Stube war angenehm warm, und der Preis, den der Wirt für das Zimmer nannte, erschwinglich – ihr Geld reichte sogar für eine warme Mahlzeit und ein Frühstück. Selbst Bendix hatte keine Einwände, also zogen sie sich auf ein gemeinsames Zimmer zurück.
Nachdem sie ein warmes Bad genommen hatten, setzten sie sich unten im Gemeinschaftsraum auf einem Platz neben dem Kamin und ließen sich die Speisen bringen.
Der Wirt war ein Elb mittleren Alters. Er trug eine grüne Schürze, war pausbäckig und hatte Augen, die fröhlich funkelten. Sofort fielen Bendix und er in ein lockeres Gespräch. Vor wenigen Monaten hätte Bendix einen Elb wie ihn ignoriert, jetzt plauschten sie über die Nichten und Neffen des Wirtes, gaben sich Ratschläge, was alles in eine gute Gemüsesuppe gehörte und beklagten das Unwetter.
»Seit wann sind Sie denn zusammen?«, fragte der Wirt neugierig.
Bendix und Kaèl tauschten einen Blick. »Seit einem dreiviertel Jahr«, sagte Kaèl.
»Nein«, korrigierte Bendix, »kürzer.«
»Unsinn«, rief Kaèl. »Letzten Herbst habe ich dir schon –«
»Shhh«, machte Bendix und puffte ihn in die Seite. »Das will der nette Herr gar nicht so genau wissen!« Seine Ohren glühten.
Verdutzt blickte der Wirt von Bendix zu Kaèl.
»Er war lange Mönch«, sagte Kaèl und unterdrückte ein Kichern.
Der Wirt lachte. »Ich verstehe.« Er lächelte warmherzig. »Aber Sie scheinen ihn ja von sich überzeugt zu haben.«
Bendix griff Kaèls Hand und drückte sie, die Ohren immer noch rot. »Das hat er.«
Nach dem Essen orderte Bendix einen Tee, der mit weiterem Geplapper serviert wurde – der Wirt und Bendix schienen nicht müde zu werden. Bendix’ Wangen färbten sich rot, und er lehnte sich bequem zurück und gestikulierte immer ausschweifender.
Kaèl lächelte. Der Inhalt ihres Gesprächs interessierte ihm nicht – es war das übliche Gerede, wenn einem sonst nichts miteinander verband – aber es freute ihn, dass Bendix in seinem Element war. Er hatte es immer gewusst: So sehr Bendix den Wald auch liebte, er war ein soziales Wesen. Er brauchte den Kontakt zu anderen – und mit etwas Glück würde er genau das in Aomòri ausleben können. Mit Kaèl. Sie konnten endlich das sein, was Kaèl sich immer gewünscht hatte: Ein ganz normales Paar.
Und mehr als das, der Wirt war ein Elb, also offensichtlich ein Magi, aber Bendix schien das nicht zu kümmern.
Ein gutes Zeichen, dachte Kaèl. Bendix war anders geworden, seit er mit Kaèl zusammen war, er schien reif, mit ihm unter Magi zu leben.
Er löste sich aus seinen Gedanken. »Gibt es hier einen Hologrammpunkt?«, fragte er den Wirt.
Dieser nickte. »Im Nebenzimmer. Sie können ihn gern nutzen.«
»Wunderbar.« Kaèl erhob sich. Er legte Bendix eine Hand auf die Schulter und drückte sie. »Ich werde Lady Midòri über unsere Ankunft informieren. Wir sehen uns dann im Zimmer?«
»Hm«, machte Bendix abgelenkt.
Kaèl gab ihm einen Kuss auf die Wange und lief ins Nebenzimmer.
oOOo
»Kaèl?«, fragte Yùna. »Wo bist du gerade? Ich versuche seit Wochen, dich zu erreichen!«
»Ich …«, Kaèl zögerte kurz, »wohne nicht mehr am Schloss.«
Ihre Brauen hoben sich.
»Du weißt es nicht?«, hakte er ungläubig nach. »Meine Familie hat nichts verkündet?«
»Verkündet?«, wiederholte sie. »Was sollen sie verkündet haben? Hast du geheiratet?«
»Geheiratet?« Kaèl lachte müde. »Verstoßen haben sie mich.«
»Aber …« Sie fasste sich an die Stirn. »Nein, sie haben nichts dergleichen gesagt … dabei habe ich deine Mutter letzte Woche noch gesprochen. Ich habe sogar nach dir gefragt, aber sie war einsilbig.«
Das war überraschend. Er hätte geschworen, dass Akàri ihn vor allen anderen Adelsfamilien an den Pranger gestellt hätte. Vielleicht baute sie immer noch darauf, dass er des ›armen Lebens‹ überdrüssig würde, wie Myriam gesagt hatte. Aber da konnte sie lange warten! »Ich bin in Aomòri, kurz nach der Grenze.«
Yùnas Augen weiteten sich. »Du bist hier?«
»Ich erhalte in Fukuòka keine Anstellung mehr, dafür sorgt meine Familie. Deshalb wollte ich mein Glück bei Aomòris Akademien versuchen.«
Yùna schwieg.
Er versuchte, ihre Miene zu lesen, aber sie war eine viel zu geübte Politikerin, um sich ihre Reaktion anmerken zu lassen, wenn sie das nicht wollte.
»Sofern du damit einverstanden bist«, schob Kaèl nach, »ansonsten reisen wir weiter nach Lindenreich.« Nervös verdrehte er die Hände ineinander. Vielleicht hätte er sie nicht so überfallen sollen, andererseits … welche Option blieb ihnen noch?
Yùna lächelte diplomatisch. »Jede unserer Akademien würde sich geehrt fühlen, wenn ein Magi deines Kalibers dort lehrt. Allerdings …« Sie verstummte, und suchte seinen Blick.
»Allerdings?«, fragte Kaèl, die Brust eng. Was kam jetzt? Das Übliche: ›aber wenn deine Mutter dies erfährt, sind unsere Beziehungen zu Fukuòka in Gefahr‹?
»Du hast es sicherlich während deiner Flucht nicht mitbekommen, aber meine Generalsekretärin ist kürzlich verstorben.«
»Aha«, sagte er verwirrt. »Das … äh … tut mir leid.«
»Die Stelle ist vakant, und ich denke, dass du hervorragend darauf passen würdest.«
Das war …
Kaèl starrte sie an. »Du bietest mir die zweitwichtigste Position des Landes an?«, wiederholte er, fassungslos. »Einfach so?«
»Meine rechte Hand, ja. Ich habe über die letzten Monate beobachtet, wie schnell du dich in Sachverhalte einarbeitest. Du hast mich mit deiner Zielstrebigkeit und Lernfähigkeit überrascht, und du würdest frischen Wind hier hineinbringen. Immerhin hast du in Fukuòka selbst die störrischsten Ratsmitglieder überzeugt, genau das würde uns hier guttun.«
Das war Nyòko, dachte er, nicht ohne Wehmut. Ohne sie hätte ich das nicht geschafft. Er verkniff sich aber den Kommentar. Wo immer Nyòko jetzt weilte, sie würde es ihm gönnen.
Er nickte.
»Vor allem aber schätze ich«, fuhr sie fort, »dass du deine Entscheidungen reflektierst und dir deine Fehler eingestehst. Ich habe lange über unser letztes Gespräch nachgedacht und ja, du hast recht: Grundrechte sind nicht verhandelbar.«
Wieder nickte er.
»Ich bin mir sicher, dass du dich rasch in die hiesigen Verhältnisse einarbeiten wirst. Würde dich der Posten interessieren?«
»Ja«, rief Kaèl. »Ja«, wiederholte er euphorisch. »Das wäre wunderbar, das wäre …« Er riss sich zusammen. Wo war seine gute Kinderstube geblieben? »Es wäre eine herausfordernde Aufgabe, derer ich mich mit Freuden annehmen würde.«
Yùna lächelte. »Wunderbar. Dann besprechen wir die Hintergründe, sobald du hier bist. Wann kommst du ungefähr an?«
»Ich …« Kaèl stockte.
Er hatte irgendwann einmal angedeutet, dass er schwul war, aber Yùna wusste nichts von Bendix. Aber in einer derart exponierten Position wäre er gezwungen, offizielle Feierlichkeiten zu besuchen, Bälle, Teezeremonien, um die Beziehungen zu den übrigen Adelsfamilien aufrecht zu halten. Auf Dauer konnte er dort nicht als ewiger Junggeselle auftreten. Vor allem aber wollte er Bendix nicht mehr verleugnen. Sie hatten beide ein anderes Leben verdient, eines, in dem er Bendix nicht mehr verstecken musste. »Wir«, sagte er deshalb mit Nachdruck, »sollten in zwei Tagen ankommen.«
»Wir?«, wiederholte sie.
»Mein Freund und ich.« Er hielt den Atem an.
Zu seiner Erleichterung musterte sie ihn mit demselben, warmen Ausdruck. »Ist das der Grund, warum deine Familie dich verstoßen hat? Weil du jetzt einen Freund hast?«
»Unter anderem«, sagte er vage.
Kaèl konnte ihr, nein, er konnte niemandem erzählen, dass Bendix der Hexenjäger war, aber zumindest wollte er so nah wie möglich an der Wahrheit bleiben. »Er ist ein guter Kerl«, improvisierte er. »Er ist ein Mensch und stammt nicht aus gehobenen Verhältnissen, aber er hat mir für viele Probleme der Menschen und der ärmeren Bevölkerung die Augen geöffnet. Wenn ich diesen Posten wirklich antreten sollte, dann muss er mitkommen, als mein Gefährte.«
»Warum sollte ich etwas dagegen haben?« Sie lächelte. »Ich freue mich für –«
»Kaèl!« Bendix stürmte in den Raum. »Etwas Schlimmes ist passiert! Wir müssen sofort –« Er verstummte, rieb sich die Augen und starrte perplex auf Yùnas Hologramm. »Was ist das?«
»Du meinst wer ist das«, korrigierte ihn Kaèl.
Bendix starrte immer noch, mit offenem Mund.
Kaèl seufzte. Bendix hatte noch nie ein Hologramm gesehen, und Kaèl verstand seine Verwirrung. Aber Bendix war manchmal so unfassbar unbeholfen und geradeheraus. »Yùna, das ist mein Freund Bendix – Bendix, das ist Lady Midòri, Herrscherin Aomòris. Wir sprechen gerade über dich.«
»Aha«, machte Bendix. Er schaute flehend zu Kaèl. »Aber gerade ist es ganz schlecht, hier –«
»Das ist dein Freund?«, fragte Yùna. Sie trat näher heran, nestelte an ihrer Brusttasche und holte eine kleine Brille daraus hervor. »Er ist kein Magi, hast du gesagt?« Ihr Blick bohrte sich erst in Bendix, dann in Kaèl.
Da war etwas in ihrem Blick, das Kaèl Angst machte. Sie war nicht nur neugierig, da lag kalte Berechnung in ihren Augen, sie suchte nach etwas.
»Kaèl«, insistierte Bendix. »Wir brauchen deine Hilfe!« Er trat von einem Fuß auf den anderen, die Fäuste geballt.
»Diese Tätowierungen …«, sagte Yùna langsam. »Diese Haltung.«
Die Tätowierungen. Kaèls Magen verkrampfte sich. Er blickte zu Bendix. Wieso, verdammt, hat er ausgerechnet jetzt seinen Strohhut nicht auf?
»Bendix, wir reden gleich.« Mit einem Kopfnicken wies er Bendix an, den Raum zu verlassen, aber der verschränkte störrisch die Arme vor der Brust.
»Kaèl, es geht um Leben und Tod!«
Gleichzeitig sog Yùna scharf die Luft ein. »Nein!«
»Nein?«, wiederholte Kaèl. Sein Atem ging nur noch stoßweise. »Was, nein?«
»Ist das …«, sie zeigte auf Bendix, »ist dein … Freund … der Hexenjäger?«
»Nein, er …«, wollte er widersprechen, aber ein Blick in Yùnas Gesicht ließ ihn verstummen. Es war zwecklos, er konnte sie nicht täuschen.
Also wappnete er sich. Trotzig hob er das Kinn und erwiderte ihren stechenden Blick. »Ja«, sagte er. »Ich bin mit dem Hexenjäger zusammen.«
Ihr Gesicht entgleiste. »Ihr dürft nicht nach Tukàta reisen, nie«, sagte sie tonlos. Sie kappte die Verbindung, und Kaèl starrte ins Nichts.
Ihm wurde schwindelig. Das war sie gewesen, ihre letzte Chance auf ein normales Leben. Verspielt, weil Bendix in seinem Überschwang alle Vorsichtsmaßnahmen über den Haufen geworfen hatte! Er hätte Generalsekretär werden können!
Frustriert fuhr er herum. »Bist du jetzt zufrieden? Sie hat mich fallen gelassen! Weil du nicht einmal diskret –«
Er stockte.
Bendix schien seine Worte nicht wahrzunehmen, er stand zitternd vor Kaèl, mit weit aufgerissenen Augen.
»Was ist?«, fragte Kaèl, halb genervt, halb beunruhigt.
»Das Unwetter … Der Stausee ist gebrochen. In wenigen Minuten spült es uns alle hier weg! Du musst was tun.« Bendix verdrehte die Hände ineinander. »Du kannst doch was tun? Du kannst doch irgendwas zaubern?«
»Der Damm ist gebrochen?«, wiederholte Kaèl. Das ging ihm gerade alles zu schnell.
»Oben in den Bergen, sagt der Wirt.« Bendix’ Stimme zitterte. »Wir werden alle ertrinken.«
»Der Stausee«, murmelte Kaèl. Er starrte auf Bendix’ bebende Unterlippe, einen Atemzug lang, zwei. Die Wassermassen würden sie unter sich begraben, sie würden die komplette Stadt fortreißen. Sie waren hier im Tal eingekesselt, ihnen blieb keine Zeit, zu fliehen.
Er blinzelte. Jetzt erst wurden ihm die Schreie bewusst, die aus dem Fenster drangen. Auf den Straßen flackerten Lichter, die ganze Stadt schien auf den Beinen zu sein.
Wir werden alle ertrinken.
Kaèl fuhr hoch. Er packte Bendix am Arm und zog ihn zur Tür. »Komm mit, ich habe eine Idee!«