mi-mi5:
Baum ist aber eigentlich nicht der richtige Begriff für dieses enorme Ungetüm. Die uralte Eiche auf der Pferdekoppel steht mindestens seit der letzten Eiszeit, also seit Millionen von Jahren. Der biblische Baum der Erkenntnis trug meines Wissens nach keine Eicheln sondern Äpfel, aber ansonsten könnten die beiden Geschwister sein. Das Ding ist jedenfalls unglaublich wuchtig, mächtig und urtümlich, der Urgroßvater aller Eichen. Und vermutlich auch der Uropa von Baumbart.
Klümpchens Blick wandert zum Schild "Naturdenkmal", dann weiter, immer weiter nach oben. "Und jetzt?" Er keucht sogar noch schlimmer als ich.
"Na, du bist doch die Katze", ich blicke ebenfalls hoch in die grüne Krone. Autsch! Die Bewegung tut meinem Kopf gerade nicht gut.
Das unerträgliche Eichhörnchen sitzt dort oben feixend zwischen den Ästen. Der verdammte Schlüssel blitzt vor seiner Brust auf.
Der Perserkater blickt mich konsterniert an. "Ja und?"
"Ich mein ja nur", versuche ich mögliche Fettnäpfchen zu umgehen, "mein Herrchen würde jetzt FASS! sagen und auf die Beute zeigen." Ich weise zum pelzigen, roten Fleck zwischen den Zweigen.
Zwei bernsteinfarbenen Augen betrachten mich belustigt. "Und wenn dein Herrchen auf einen Kaninchenbau zeigt und du schon vorher weißt, dein edles Gesäß ist viel zu breit für den Tunnel?" Er zeigt mir sein bestes Grinsen, lässt dabei den Blick abschätzend über meinen torpedoförmigen Körper schweifen.
Der Kater macht mich echt fertig. "Anstand und Ehre verlangen Gehorsam! Notfalls gräbt der Graf mich dort wieder aus."
"Aha!"
Sonst nichts, nur dieses dämliche Aha. "Boah! Was willst du mir jetzt damit sagen?" Langsam liegen meine Nerven blank.
Napoleon wird von diesem Irren gefangen gehalten, möglicherweise gequält und der Schlüssel zur Rettung hängt an diesem verdammten Schlüsselanhänger im Maul des Eichhörnchens. Der faule Kater ist wirklich keine Hilfe.
Neben mir erschallt ein schrilles Pfeifen. Klümpchen hat mir den Rücken zugedreht, daher kann ich nicht genau erkennen, wie er es bewerkstelligt hat, aber der Pfiff muss von ihm gekommen sein.
"Man muss nicht alles können", meint er gut gelaunt, "man muss nur wissen, wer es kann." Dann beginnt er sich entspannt zu putzen.
Ich würde ihn gerade am liebsten erwürgen, aber das ändert die Situation auch nicht. Aus seinen Andeutungen schließe ich, er ist ebenfalls nicht in der Lage den Baum zu erklimmen. Ganz einfach. Nur ist er zu eitel, es offen zuzugeben.
"Glaubst du, der Chihuahua würde es schaffen", schnurrt der Kater, während er sich gerade zwischen den hinteren Schenkeln säubert, "ich meine, dort hochzuklettern."
Bah! Sieht das bei mir auch so ekelig aus?
"Der Chihuahua", erinnere ich ihn, "sitzt gerade in einem verschlossenen Käfig und soll gekocht werden."
"Nur ein Gedankenspiel", wiegelt er ab.
Vermutlich sind es der Stress und Anspannung, gepaart mit den Kopfschmerz. Denn normalerweise bin ich nicht ganz so gemein. Aber ich gehe auf das Spiel ein: "Selbst mit einer Schleuder würden wir den Zwerg dort vermutlich nicht herauf bekommen. Aber wir sind hier auf der Pferdekoppel, vielleicht könnte eines der Tiere mit einem gezielten Tritt...?"
Wir beide prusten los, trotz der Todesgefahr, in der mein kleiner Freund steckt.
Klümpchen fängt sich als erster wieder. "Ich denke, dieser Höhenflug -man verzeihe mir den Wortwitz- wäre nicht gut fürs Ego der kläffenden Ratte."
Wieder schüttelt uns eine Lachsalve.