di-vo:
Der zweite Kleingarten, vom Haupttor aus auf der linken Seite gelegen, ist seit dem Frühjahr neu verpachtet. Eine junge Familie aus Vorderhausen hat sich des verwilderten Grüns angenommen und es innerhalb weniger Monate in ein kleines Spießer-Paradies verwandelt. Jedenfalls, wenn man auf Salat, Paprika, Gurken und Tomaten steht.
Sie scheinen auch recht beliebt bei den anderen Kleingärtnern, sind fleißig und stets freundlich. Nur mit Rupert Ruppich gibt es kleine Differenzen, da er ihre ökologische Anbauweise und die Hochbeete gegen Schneckenfraß für völlig übertriebenen, modernen Schwachsinn hält, wie er immer wieder gerne betont.
Eines allerdings stört auch mich an dem leicht korpulenten Sparkassenangestellten, seiner überdrehten Frau und der quirligen Tochter. Sie scheinen keine Hunde zu mögen.
Es liegt vielleicht an der direkten Garten-Nachbarschaft zu Mandy und deren zwei unerzogenen Boxern. Ja, das kann ich sogar voll und ganz verstehen, ich mag die beiden Hunde auch nicht. Keiner mag sie, außer Mandy natürlich. Wobei ich im Stillen vermute, es ist eher eine Hassliebe. Eine Art Selbstbestrafung des solaraffinen Dauersingles. Aber ich schweife ab.
Meine Beweis für die Abneigung fußt auf der Tatsache, dass die junge Familie, gleich nachdem sie das verrottete Gartentor durch ein neues, blitzendes Edelstahltor ersetzt hat, daran auch ein ziemlich unübersehbares Schild anbrachte.
Rot umrandet auf gelbem Grund sieht man dort links abgebildet die piktografische Darstellung eines Hundes bei seiner Lieblingsbeschäftigung. Nein, ich meine natürlich nicht schlafend. Und nein, DAS auch nicht. Das viertbeste, nach fressen. Es gehört sozusagen als logische Konsequenz zum dritten Punkt dazu.
Genau, fäkalierend.
Diese Abbildung ist FETT umrandet und ROT durchgestrichen. Der Sinn ist somit klar. Aber der Text daneben übertrifft dann doch alles.
"HIER NICHT! Ich pinkel und kacke ja auch nicht vor ihr Tür!"
Keine Ahnung warum, aber dieses Schild nervt mich einfach ungemein.
Das Gehirn eines Hundes verfügt über durchschnittlich 530 Millionen Neuronen. Das des Menschen über geschätzte 86 Milliarden. Habe ich im Fernsehen gesehen.
Bisher vermutete ich immer, die kleine Differenz diene primär der Bedienung des Daumens und der zweibeinigen Fortbewegung. Aber bei diesem Schild kommt mir ein anderer, schlimmerer Verdacht. Wobei, Katzengehirne verfügen nur über durchschnittlich 250 Millionen Neuronen, und die können ja auch ein Katzenklo benutzen. Egal.
Man könnte also schlussfolgern, eigentlich kann ich gar nichts dafür, bin nicht der Herr meines Körpers.
Und so folge ich meinem inneren Drang, hebe mein Bein und lasse ein wenig Wasser ab, natürlich direkt UNTER dem erwähnten Schild. Genau auf die Stelle, die schon so schön nach mir und meinen Artgenossen duftet.
Kurz überlege ich, mein Bein noch ein wenig höher zu heben, um die Klinke zu treffen, aber nein. Schließlich sind Kinder anwesend.
Genau dieses sieht mich natürlich auch und schreit nach ihren Vater. Der rettungsringtragende Sparkassenangestellte schiebt seinen Kopf aus dem Gewächshaus. Er beginnt bei meinem Anblick ebenfalls laut zu schreien.
Wenn wir in der Savanne wären und ich ein Löwe, dann, aber nur dann wäre dieses Verhalten angemessen. So aber fühle ich mich gar nicht angesprochen. Seelenruhig schüttele ich noch ein paar letzte Tropfen ab, da trifft mich etwas weiches und matschiges in die Flanke.
Bäh! Tomate! Welch garstiges Gewächs.
Der Idiot bewirft mich gerade ernsthaft mit seinen frisch geernteten Fleischtomaten. Bevor er weitere, seiner mühsam gezüchteten Nachtschattenfrüchte als Wurfgeschosse missbrauchen kann, wende ich mich zum Gehen.
Vermutlich war das verdient. Unterschätze nie den gerechten Zorn des kleinen Mannes.