Mi-mo 0.5:
"So", wende ich mich wieder an die Schildkröte Erna, "der Chihuahua hier sollte jetzt aber durch die Katzenklappe passen. Jetzt erkläre uns bitte endlich, wie wir in Ruperts verdammten Keller gelangen können."
Napoleon schaut noch immer ziemlich verschlafen drein. Mit seinem Frottee-Hunde-Bademantel in modischem rot und gold wirkt er ein wenig wie ein verwirrtes Kind im Superman-Kostüm. Irgendwie schon putzig.
Susi rupft ihm das alberne Ding vom Körper, als sie mein süfisantes Grinsen bemerkt. "Du bist unmöglich. Er kann doch nichts dafür."
Im Stillen stimme ich ihr zu, auch wenn der neue Blaubeer-Vanille-Geruch an Nappi kaum zu ertragen ist.
"Also", beginnt die alte Landschildkröte in ihrer tiefenentspannten Art, "ihr seht dort an der Hintertür die alte Katzenklappe. Sie ist jetzt zwar zugenagelt, aber das ist sie in diesem Sommer schon seit 22 Jahren. Ja, damals, als die alte Gusti noch lebte... Ihr müsst wissen, Gusti war früher die Katze von Frau Tauber, eine hübsche weiße ... äh, wo war ich?"
Susi, Nappi und ich nicken zur Katzenklappe hinüber.
"Ah ja, kein Holz bleibt so lange stabil, jedenfalls nicht so wie...
Also jedenfalls, drückt doch einfach mal gegen die Bretter. Sie sind bestimmt schon lange morsch."
Sie unterbricht sich und blickt uns abwartend an.
Napoleon wird langsam wach. Aufgeregt trippelt er mit schwellender Brust zum vernagelten Eingang. "Macht mal Platz."
Zaghaft drückt er mit der Schulter dagegen.
Nichts rührt sich.
Ich trete neben ihn, schiebe grinsend ein Brett mit der Pfote zur Seite. "Ist schon offen."
Von der Wiese meldet sich die Schildkröte wieder: "Jedenfalls, hinter der Tür führt links eine Treppe in den Keller hinunter. Der Vorratsraum ist dann der erste Durchgang auf der rechten Seite. Dort steht die Kühltruhe vom Herrn Doktor. Aber in die solltet ihr vielleicht besser nicht reinschauen. Als seine Frau Tatjana nämlich noch lebt, sagte sie immer..."
Dem Tier fallen plötzlich die Augen zu und es schläft auf der Stelle ein.
Wir alle starren sie nur ungläubig an. Was ist das jetzt?
Susi reagiert als erste. Sie streicht dem alten Tier mit einem Haarbüscheln über die Nase. Die Wirkung übertrifft jegliche meiner Erwartungen. Erna reißt die Augen auf und niest explosionsartig. "Vermaledeite Fliegen, kriechen mir immer in die Nase", schimpft sie los. Susi lächelt nur unverbindlich.
Dann blickt Erna uns reihum an und grinst zahnlos. "Oh, Besuch. Das ist schön. Kommt ihr auf einen Salat vorbei?"
Betretenes Schweigen.
Die Erinnerung blitzt in den Augen des uralten Tieres auf: "Ach ja, ihr wolltet doch wissen, wo der zugemauerte Durchgang im Keller ist."
Wir seufzen alle auf.
"Wenn du so freundlich wärst", Susi ist bei solchen Dingen viel subtiler als ich.
"Ihr müsst wissen", holt die Schildkröte erneut aus, "früher, als die Kinder vom Doktor noch hier wohnten, da war das alles ein einziges, großes Wohnhaus, und..."
"Bitte!", unterbreche ich sie ungeduldig, "Unser Freund Klümpchen wird dort drüben gefangen gehalten. Wir müssten möglich schnell in Ruperts Keller!"
Erna blickt mich mit zusammengekniffenen Augen an.
"Junger Mann! Ich darf doch sehr bitten. Dein Benehmen ist heute wiedermal katastrophal. Du hast hoffentlich nicht vergessen, wie ich dir immer wieder in die Pfoten beißen musste, weil du mich als dummer Welpe rumkugeln wolltest!"
Ups, erwischt. Früher war sie mal so etwas wie eine Respektsperson für mich gewesen. Lange ist es her, jedenfalls für mich.
"Also, wenn ich jetzt bitte ohne eure ungebührlichen Unterbrechungen weiter erklären dürfte. Ich könnte nämlich schon lange wieder entspannt schlafen, wenn ihr mich nicht dauernd unterbrechen würdet. Entweder erkläre ich es jetzt auf meine Weise, oder gar nicht!"
Brav wie Erstklässler setzen wir uns alle vor ihr auf unsere Hinterteile und lauschen der weitschweifigen Ausführungen von Schildkröte Erna, als sie vom fehlenden Mauerstein und der Kriechverbindung zwischen den beiden Kellern, vom Haus der Doktors hinüber zu dem Rupert Ruppichs berichtet.
"Der kleine Hund hier", sie weist auf Napoleon, "kommt da problemlos durch. Du hättest es auch geschafft", tadelt sie mich, "wenn du ein wenig mehr auf deine Ernährung achten würdest. Der Kater sollte also auch hindurchpassen, wenn er nicht ganz so fett ist wie du. Vielleicht muss er sich etwas quetschen und ein Stück kriechen. Aber dein Hintern", sie blickt mich wieder tadeln an, "passt da garantiert nicht mehr durch."
Zum Glück kann man als Hund nicht rot werden.
Aber so ist Erna halt, direkt und ehrlich. Mit einem Panzer kann man sich das wohl auch erlauben.