In einem gemächlichen Tempo setzte ich eine Pfote vor die andere. War die Treppe gewachsen? Sie erschien mir länger als sonst. Fliegend wäre ich längst auf dem Bett in Caliquelas Schlafzimmer gelandet, eingerollt auf einem weichen Kissen. Doch dank Enrico und seiner tollpatschigen Truppe war ich dazu verdammt, zu laufen. Laut Tierarzt hatte ich mir einen Flügel gezerrt. Dieser heilte nur, wenn er Ruhe bekam. Ich seufzte leise. Wieso war niemand da, der ein hilfloses kleines Kätzchen an den Ort seiner Träume trug? Murrend hüpfte ich die ersten drei Stufen hoch. Kläglich maunzend hielt ich inne, wartete auf Hilfe. Meine Ohren drehten sich in alle Richtungen, lauschten angestrengt, ob jemand zu meiner Rettung eilte. Nichts. Nur das Ticken der alten Standuhr in der Eingangshalle. Wo trieben die sich wieder herum? Geldeintreiben? Einen Waffendeal überwachen? Grummelnd kletterte ich höher. Wie erniedrigend für eine Flugkatze! Oben klappte eine Tür zu. Leichte Schritte auf weichem Teppichboden, die sich mir unaufhaltsam näherten. Laut klagte ich mein Leid.
„Ciao Stella. Niemand von den Erwachsenen da?“ Clara sah mich abwartend an. Die wenigen Male, als sie versucht hatte, mich hochzuheben, hatten schmerzhaft für sie geendet. Jetzt vertraute sie mir dementsprechend nicht. Wie überzeugte ich das Kind, dass ich einmal brav sein würde? Mit großen unschuldigen Augen sah ich sie an, maunzte erneut kläglich. Langsam näherte die Tochter unseres Dons meiner Position. „Na meinetwegen, ich trage dich. Aber wehe, du beißt mich wieder. Dann kannst du zusehen, wie du in Caliquelas Zimmer kommst.“ Ich schnurrte leise beruhigend auf sie ein, bis sie mich endlich hochhob und zu dem Ort meiner Begierde trug. Begeistert knetete ich mit den Pfoten mein Lieblingskissen, das herrlich nach dem treulosen Italiener roch, der mich in diesem desolaten Zustand mutterseelenallein zurückließ. Dennoch vermisste ich ihn.
„Ich habe da eine Idee.“ Clara zog das Kissen unter mir weg. Mit weit aufgerissenen Augen beobachtete ich, wie sie es auf die breite Fensterbank legte. Dort, wo die Wärme der Heizung emporstieg. Abermals hob sie mich hoch, setzte mich am Fenster ab. „Jetzt kannst du auf Caliquelas Rückkehr warten.“ Zufrieden schnurrend sah ich hinaus. Dieses Kind verstand die Bedürfnisse einer Katze immer besser, seitdem sie für den kleinen Leo sorgte. Ihr neues Wissen war ein Silberstreif an meinem Horizont.