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Kapitel 17
Harte Realität
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Unmotiviert klicke ich mich durch die Stellenanzeigen. Ich brauche einen Job und zwar so schnell wie möglich. Einige der angebotenen Jobs bringen nicht genug ein, um meine Miete zu zahlen, für viele habe ich keine Qualifikationen und außerdem habe ich keine Lust, überhaupt für irgendjemanden zu arbeiten. Ich lasse einen tiefen Seufzer los und greife nach meiner Kaffeetasse. Das alles bringt nichts. Ich muss über meinen Schatten springen, weil ich sonst schlichtweg auf der Straße sitze. Es ist besser, bei Whole Foods im Lager Kisten zu stapeln und dafür eine Wohnung zu haben, als Musiker zu sein und dafür auf der Straße zu leben. Ich muss mich geschlagen geben. Mein Traum ist ausgeträumt…
Ich wende meinen Blick zu meinem Display, als mein Nachrichtenton erklingt. Ilaria hat wohl Mittagspause.
Ilaria: ‚Heute ist so ein bescheuerter Tag. Du fehlst mir!‘
Nickend stimme ich ihr zu. Der Tag ist vollkommen beschissen. Da ich nicht weiß, wie viel Zeit sie noch haben wird, schreibe ich ihr sofort zurück.
Killian: ‚Willst du darüber reden?‘
Sie tippt sofort an ihrer Antwort. Ich beobachte sie sozusagen dabei und warte. Da ihre Nachricht wohl etwas länger wird, stehe ich auf, um mir noch einen Kaffee zu machen. In der Küche fülle ich den Tank meiner kleinen Filtermaschine, werfe den gebrauchten Filter weg und fülle einen neuen mit frischem Kaffeepulver. Bevor ich den Knopf drücke, spüle ich noch die Kanne aus. Während die Kaffeemaschine ihre Arbeit macht, schlendere ich zurück ins Wohnzimmer und setze mich an meinen Tisch. Ich checke sofort meine Nachrichten.
Ilaria: ‚Es gibt nicht viel zu reden. Ich warte seit einer Stunde auf den IT-Guy, weil nichts funktioniert und ich nicht arbeiten kann. Ich habe meinen Kuchen aufgegessen und plündere jetzt ständig den Snackautomaten und trinke Kaffee, weil ich absolut nichts machen kann, mir aber die Zeit davonläuft. Eigentlich müsste ich eine Präsentation vorbereiten, aber ich komme nicht mehr ins System. Keine Ahnung, was da heute los ist.‘
Ich rümpfe die Nase. Ilarias Arbeitstag klingt stressig und anstrengend. Für heute Abend muss ich mir etwas Schönes einfallen lassen, damit sie sich besser fühlt. Schon während ich ihr eine Antwort tippe, überlege ich, was ich tun könnte.
Killian: ‚Tut mir leid, dass dein Tag so beschissen läuft, Prinzessin. Wir machen uns einen gemütlichen Abend, dann geht es dir bestimmt besser.‘
Ilaria: ‚Ich kann es kaum erwarten!‘
Da ich Ilarias Freude bildlich vor mir sehen kann, ziehe ich einen Mundwinkel hoch. Ihre gute Laune steckt mich an und das obwohl sie gar nicht bei mir ist. Sie schickt eine weitere Nachricht.
Ilaria: ‚Oh, der IT-Guy ist da! Endlich! Ich melde mich heute Abend. Kümmere dich nicht ums Essen, ich bringe irgendetwas mit, das mich anlacht!‘
Es folgt noch eine Zeile roter Herzen, die mich nun endgültig zum Grinsen bringt. Ilaria ist ausgesprochen gut darin, meine Laune zu heben. Dummerweise kann sie mir bei meinen Problemen nicht helfen. Geknickt blicke ich wieder auf meinen Bildschirm. Auch wenn ich es weiter vor mir herschieben möchte, schicke ich einige Bewerbungen raus…
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Frustriert liege ich in meinem Bett, habe meinen Laptop auf dem Bauch und einen Teller mit Ilarias Apple Pie auf meiner Brust. Ich bin vollkommen begeistert von Ilarias Backkünsten, dennoch tröstet mich das süße Gebäck nicht im Geringsten. Meine unbezahlten Rechnungen aus dem Kopf zu bekommen, ist unmöglich. Während ich mich von Netflix beschallen lasse und mich und mein Bett mit Krümeln bekleckere, überlege ich, wie ich aus diesem finanziellen Loch wieder herausklettern kann. Einen weiteren Kredit aufzunehmen kommt nicht in Frage, meine Bank würde mir keinen gewähren. Ich bin nicht nur pleite, ich bin vollkommen am Arsch. Grummelig stopfe ich mir das letzte große Stück Kuchen in den Mund und kaue vor mich hin. Mir bleibt nichts anderes übrig. Ich muss meine Mom um Hilfe bitten. Sobald ich einen Job mit geregeltem Einkommen habe, zahle ich ihr alles zurück…
Ich klettere aus dem Bett, gehe rastlos durch meine kleine Wohnung und sitze irgendwann wieder geschlagen an meinem Schreibtisch. Ich zögere es hinaus, Mom anzurufen, nicht nur, weil es mir verdammt peinlich ist, sondern weil ich ihr nicht mehr zur Last fallen will. Sie hat genug mit mir durchgemacht, wenn ich sie jetzt auch noch darum bitte, mir Geld zu leihen, fühle ich mich wie der letzte Schnorrer. Auf meinem Display steht bereits ihre Nummer, außerdem ein Foto von uns, auf dem ich sie fest umarme und in die Kamera grinse. Ja, dieses Grinsen ist mir mittlerweile sehr vergangen. Anstatt sie anzurufen, sperre ich seufzend mein Display und lehne meinen Kopf auf die Tischplatte meines Schreibtisches. Ich lasse meinen Frust in murrenden Geräuschen heraus. Eigentlich hätte ich bereits vor Monaten aufgeben und mir einen Job suchen sollen. Jetzt sitze ich hier in der größten Scheiße, während mein Schuldenberg weiterwächst und ich nicht weiß, wie ich das Geld für meine Miete aufbringen soll. Nach einem tiefen Seufzen greife ich noch einmal zu meinem Smartphone und bringe es hinter mich. Mom wird nicht begeistert sein, da bin ich mir sicher.
„Hey, Killian“, begrüßt sie mich fröhlich.
„Hey.“ Ich setze mich aufrecht hin und reibe mir mit einer Hand über das Gesicht.
„Was ist passiert?“, fragt sie nun alles andere als fröhlich. „Bist du verletzt? Ist alles in Ordnung? Geht es dir gut?“
„Ich ähm, ja, alles gut, mach dir keine Sorgen. Ich habe ein anderes Problem.“
„Worum geht es?“
„Mom, ich kann mir meine Wohnung nicht mehr leisten. Ich habe mit meinem Vermieter telefoniert und gefragt, ob er mir etwas Aufschub gewährt, aber weil er weiß, dass ich kein regelmäßiges Einkommen habe, war er davon nicht begeistert. Ich war letzten Monat schon spät dran und seine Geduld ist jetzt leider ausgeschöpft“, erkläre ich deprimiert.
„Dann brauchst du Geld?“
„Ich zahle es dir zurück, versprochen“, antworte ich ihr schnell. „Ich habe den ganzen Tag Bewerbungen verschickt und ich bin ziemlich sicher, dass mich irgendwer nehmen wird.“
Mom seufzt. „Ich mache mir Sorgen um dich, Killian.“
„Ich weiß und ich fühle mich auch wie das letzte Stück Scheiße, weil ich dich anpumpe, aber die Bank gibt mir kein Geld mehr, mit meinen Einnahmen konnte ich gerade so ein paar Lebensmittel einkaufen. Ich bin vollkommen verzweifelt, Mom.“
„Killian, ich liebe dich, aber ich kann dir kein Geld geben.“
Enttäuscht lasse ich mich in meinem Sessel zurücksinken. „War dumm zu fragen, entschuldige.“
„Nein, nein, nein, das war es nicht. Ich weiß, wie schwer es ist, auf eigenen Beinen zu stehen. Ich mache dir einen besseren Vorschlag, okay? Du packst deine Sachen und kommst zurück nach Hause. Du kannst solange bleiben, wie du möchtest.“
Ich streiche durch meinen Bart und überlege einige Sekunden, ehe ich ihr antworte: „Bist du dir sicher?“
„Ja“, bestätigt sie sich. „Mir ist es lieber, dass du in deinem alten Zimmer wohnst und ich weiß, dass es dir gut geht, anstatt dich weiter in Schulden hineinzureiten oder gar auf der Straße zu landen. Du zeigst mir all deine Belege und wir überlegen uns etwas.“
Meine Augen werden feucht, ich wische mir die aufkommenden Tränen sofort weg. „Danke, Mom. Ohne dich wäre ich echt verloren.“
„Mach dir keine Gedanken, wir schaffen das. Am Freitag nach der Arbeit mache ich dir Platz in deinem alten Zimmer. Telefonieren wir morgen?“
„Mhm, ich rufe dich an. Danke. Ich hab' dich lieb, Mom.“
„Ich dich auch, mein Schatz. Mach dir einen schönen Abend.“
„Ich versuche es. Bis morgen.“
Erleichtert atme ich durch. Mein schlechtes Gewissen ist allerdings immer noch genauso schwer wie vorher. Eigentlich sollte ich alt genug sein, um meiner Mom nicht wieder auf der Tasche zu liegen und trotzdem ziehe ich zurück in mein altes Zimmer. Mit 30 wollte ich eigentlich längst ein ganz anderes Leben führen…
Um nicht zu spät zu Ilaria zu kommen, schlüpfe ich in Schuhe und Jacke, schnappe mir mein Smartphone und meinen Schlüssel und verlasse meine Wohnung. Es ist zumindest ein kleiner Trost, dass ich nicht mehr single bin. Außer Ilaria erkennt, dass ich es wohl niemals weit bringen werde und schiebt mich ab. Das wäre die Kirsche auf dem Eisbecher aus Scheiße, der sich mein Leben nennt. Mit den Händen in den Taschen gehe ich die Straße lang. Meine Gedanken drehen sich schon wieder im Kreis. Wenn ich früher aufgegeben hätte, dann könnte ich wenigstens meine Wohnung behalten, aber dafür ist es jetzt zu spät. Das alles ist so ärgerlich.
Es überrascht mich fast, als ich an Ilarias Haus ankomme. Der Weg ist nur so an mir vorbeigezogen und eigentlich weiß ich gar nicht, wie ich hierhergekommen bin. Ich betrete das Gebäude und schließe Ilarias Wohnung auf.
„Killian!“, begrüßt sie mich freudig und springt mir schon entgegen. „Ich wollte dich gerade anrufen. Ich dachte schon, dass du vielleicht eingeschlafen bist.“ Sie drückt mir einen dicken Kuss auf die Wange und nimmt etwas Abstand von mir, doch ich packe sie an ihrem Arm, ziehe sie zu mir und verwickle sie in einen weiteren Kuss. Da ich ernsthafte Angst habe, sie zu verlieren, schlinge ich meine Arme um sie und drücke sie an mich. Ich kann deutlich spüren, dass sie sich erst überrumpelt fühlt, doch dann erwidert sie meinen Kuss. Ilaria lehnt ihren Kopf zurück, da sie mir nicht anders entkommen kann. Ihre dunklen Augen sind auf mich gerichtet. „Ist irgendetwas passiert?“
„Wir müssen reden.“
„Du machst mir Angst…“ Ich lasse von Ilaria ab, schlüpfe aus meiner Jacke und hänge sie auf. „Ist es etwas Schlimmes?“
„Kommt darauf an, von welcher Seite man es betrachtet“, antworte ich ihr, während ich aus meinen Schuhen schlüpfe.
„Komm, wir setzen uns auf die Couch.“
Und das tun wir auch. Ilaria nimmt eines ihrer Seesternkissen zur Hand und umarmt es fest. Der Satz ‚Wir müssen reden‘ macht offensichtlich jedem Menschen auf diesem Planeten große Angst.
„Ich komme ohne Umschweife zum Punkt.“ Nervös reibe ich mir den Nacken. „Ich werde umziehen.“
„Und jetzt machst du mit mir Schluss…“, gibt Ilaria kleinlaut von sich.
Ich schnaube. „Nein, das werde ich nicht“, antworte ich ihr und lege meine Hand an ihren Schenkel. „Es ist ziemlich peinlich und ich habe die letzten Tage darüber nachgedacht, ob und wie ich dir das alles erkläre. Meine nicht vorhandene Karriere ist gelaufen.“ Ich mache eine ausladende Geste. „Es ist unmöglich, von meiner Musik zu leben. Ich verdiene zu wenig. Ich habe Schulden und kann meine Miete nicht mehr zahlen. Heute habe ich die ersten Bewerbungen verschickt, um mir wieder einen regulären Job zu suchen.“ Geschlagen seufze ich und sehe auf meine Knie. „Meine Mom nimmt mich wieder bei sich auf, damit ich nicht auf der Straße lande.“
Ilaria überbrückt den Abstand zwischen uns und nimmt mich fest in den Arm. Sie küsst meine Wange, ehe sie mich noch fester drückt. „Das tut mir leid, Killian.“ Meine Prinzessin schmiegt ihren Kopf gegen meinen. „Und du bist dir sicher, dass du deinen Traum begraben willst?“
„Natürlich will ich das nicht, aber ich versuche es seit Jahren. Ich liebe Musik und sie wird immer ein großer Teil meines Lebens bleiben, aber ich muss mir eingestehen, dass ich davon nicht leben kann. Träume bezahlen nur Rechnungen, wenn man auch tatsächlich damit Geld verdienen kann.“ Ilaria lässt mir wieder etwas mehr Luft zum Atmen. Sie krault meinen Nacken, lehnt sich an meine Schulter und legt ihre freie Hand schließlich auf meine. „Tut mir leid, dass ich ein Loser bin, der zukünftig auch noch bei seiner Mom wohnt.“
Ilaria kichert. „Du bist kein Loser und du warst auch nie einer und noch wichtiger ist, dass du nie einer sein wirst.“ Wir sehen uns an und ich bekomme einen sanften Kuss auf die Lippen. „Materieller Besitz bedeutet mir nichts. Schulden sind bescheuert, das wissen wir alle, aber die Hauptsache ist, dass du bei deiner Mom unterkommst. Ich bin sicher, dass du bei ihr gut aufgehoben bist.“ Sie streicht durch mein Haar. „Das muss dir auch nicht peinlich sein. Denkst du, dass ich nicht zu meinen Eltern zurückgezogen bin, nachdem ich meine Verlobung gelöst habe? Das war mir auch nicht peinlich. Familie ist dazu da, einander zu unterstützen.“
„Ja, in den Zwanzigern ist das noch okay, aber ich bin jetzt 30 und es sollte an der Zeit sein, dass ich meinen Scheiß geordnet habe.“
„Das machst du doch jetzt, oder nicht?“ Dass Ilaria mir den Kopf krault, fühlt sich angenehm an. „Ich bin zwar traurig, weil ich sehe, wie sehr es dich mitnimmt, diese Entscheidung getroffen zu haben, aber ich bin auch stolz auf dich, weil du dir Hilfe suchst. Es ist schwer, sich einzugestehen, dass man alleine nicht mehr weiterkommt.“
„Dann willst du trotzdem mit mir zusammen sein?“
Ilaria schüttelt ungläubig den Kopf. „Was für eine Frage ist das denn? Ich mag dich nicht, wegen deiner Wohnung, sondern weil du ein herzensguter Mensch bist. Du bringst mich zum Lachen und du behandelst mich wie einen Menschen und nicht wie ein Stück Fleisch oder eine ahnungslose kleine Frau, die ihren Mann bedienen muss. Es gibt so viele Gründe, wieso Beziehungen in die Brüche gehen und dich zu verlassen, weil du einen neuen Job und einen Neuanfang brauchst, wäre ein sehr dummer Grund.“ Ein weiteres Mal werde ich fest von ihr umarmt, außerdem bekomme ich noch einen Kuss auf die Wange. „Lass uns etwas essen. Ich habe etwas vom Asiaten mitgenommen.“
„Essen klingt gut.“
„Ja, das finde ich auch.“ Bevor Ilaria sich nun ganz von mir löst, küsst sie meine Lippen, dann streicht sie noch durch meine Haare und tänzelt in die Küche. „Ich wusste nicht so recht, was du haben willst, deswegen habe ich einfach Nudeln mitgenommen.“
„Klingt super“, antworte ich, ehe ich ebenfalls aufstehe und ihr in die Küche folge.
„Hier, das ist mit Rindfleisch.“ Ilaria schiebt mir eine der Boxen zu. „Du isst bei mir immer Fisch oder Vegetarisch, ich dachte, dass ich dir damit durch die Blume vermittle, dass du wegen mir nicht mit dem Fleisch aufhören musst.“ Ich ziehe einen Mundwinkel hoch, lege einen Arm um meine Prinzessin und küsse ihre Schläfe.
„Danke.“
Ilaria sieht mich an und lächelt. „Ich würde heute gerne den Fernseher auslassen und noch reden.“
„Dann machen wir das.“
Wir bringen das Essen ins Wohnzimmer. Ilaria füllt unsere Gläser mit Wasser. Bevor meine Freundin sich mir gegenüber hinsetzt, zündet sie eine Kerze in der Mitte des Tisches an. „Ich weiß, dass es dir unangenehm ist, aber verrätst du mir, wie hoch deine Schulden sind?“
Ich räuspere mich. Mit meinen Stäbchen stochere ich in meinem Essen herum, um es etwas aufzulockern. „Mehrere Tausend Dollar. Mein Kreditrahmen war nicht besonders hoch, mit festem Einkommen bin ich in einem Jahr wieder schuldenfrei und kann vielleicht sogar ein wenig Geld für einen Neustart ansparen. Vorausgesetzt, ich kann in der Zwischenzeit bei meiner Mom wohnen und meine Ausgaben auf ein Minimum reduzieren. Keine Ahnung, wie wir die Kosten aufteilen werden.“
„Was ist denn das Ziel auf lange Sicht? Behältst du den Job und suchst dir eine Wohnung, sobald du die Schulden abbezahlt hast?“
Ich zucke mit den Schultern. „Ich will Mom nicht ewig auf der Tasche liegen, also ja.“
„Oh.“ Ilaria hadert etwas mit den Stäbchen, doch sie schafft es, einige Nudeln zu ihrem Mund zu führen. Ich bin fast sicher, dass sie normalerweise zur Gabel greift. „Und deine Musik? Du hast gesagt, dass sie ein großer Teil deines Lebens bleiben wird. Du hörst damit nicht auf, oder?“
„Nein, das will ich nicht. Ich muss alles irgendwie unter einen Hut bringen. Es kommt darauf an, wie meine zukünftigen Arbeitszeiten aussehen, dementsprechend muss ich die Auftritte planen. Den Gitarrenunterricht muss ich wohl auf andere Tage verschieben, wenn nicht sogar ganz einstellen. Ich kann nicht alles am Wochenende machen, sonst habe ich keine Zeit mehr für dich. Im Moment bist du das Beste in meinem Leben, wenn ich das jetzt vernachlässigen würde und dir dadurch wehtue, dann würde ich das für immer bereuen.“
Ilaria streckt ihr Bein aus und fährt damit über meinen Unterschenkel. „Mach dir um mich keine Sorgen. Solange du mich nicht betrügst oder mich absichtlich verletzt, laufe ich nirgends hin.“ Sie lächelt mich an. „Das Wichtigste ist, dass du dich jetzt darauf konzentrierst, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.“
Ich nicke leicht. „Es tut mir trotzdem leid, dass ich dich in mein Chaos hineinziehe.“
Sie zuckt mit den Schultern und trinkt dann aus ihrem Glas. „Es ist ja nicht so, als würdest du dich bei mir einnisten und mich dazu zwingen, an der Stange zu tanzen, um deine Schulden zu bezahlen.“
Ilarias Aussage überrascht mich so sehr, dass ich mich verschlucke und anschließend anfange zu husten. Ich lasse die Stäbchen sinken und huste vor mich hin. Ilaria springt auf und klopft mir sanft auf den Rücken, dann reicht sie mir mein Glas Wasser. Ich nehme einige Schlucke und räuspere mich mehrmals. „Danke.“ Da das Kratzen in meinem Hals nicht verschwindet, trinke ich das Glas leer. Ilaria nimmt es mir ab und nimmt es mit in die Küche, um es noch einmal aufzufüllen. Als sie wieder sitzt, trinke ich noch einen Schluck, außerdem wische ich mir über die Augen.
„Geht’s wieder?“, fragt Ilaria mich besorgt.
Ich nicke. Mit kratziger Stimme antworte ich ihr: „Diese Liebesgeschichte würde nicht gut enden.“ Ich schüttle den Kopf. „Ich hoffe, dass du weißt, dass ich nicht so ein Kerl bin. Ich bin zwar arm, aber kein Arschloch.“
„Das sollte eigentlich eher ein Witz sein“, meint sie mit einem Schmunzeln. „Wenn ich an der Stange tanze, dann mache ich das, weil ich es selbst tun will und es mir Spaß macht.“ Sie zwinkert mir frech zu.
Überrascht ziehe ich meine Brauen hoch. „Kannst du das tatsächlich? Hast du einen Poledance-Kurs gemacht?“
Sie lacht. „Ja und das war ein fürchterlicher Skandal in unserer kleinen Stadt. Die extrem religiösen Leute fanden es nie gut, dass meine Kleider in ihren Augen zu kurz waren. Da entstehen schnell Gerüchte, über die man entweder weinen oder mit den Augen rollen kann.“ Sie zuckt mit den Schultern und stochert mit ihren Stäbchen in ihren Nudeln herum. „Mein neues Hobby hat die Gerüchteküche ziemlich angeheizt. Es hat diese spießigen Kleinstadt-Idioten wohl sehr beleidigt, dass ein Mädchen gerne kurze Kleider trägt, sich die Brüste vergrößern lassen hat und dann auch noch die Frechheit hatte, einen neuen Sport auszuprobieren, um fit zu bleiben.“
„Du skandalöses, kleines Flittchen“, scherze ich, worauf sie fast stolz grinst.
„Dir gefällt es, also mache ich etwas richtig“, antwortet sie, worauf sie lacht. Mit ihrem Fuß streicht sie wieder über mein Bein, dabei sieht sie mich an. „Ich wollte immer ich selbst sein. Als Teenager suchen wir doch alle unsere Identität und wir alle experimentieren. Wir suchen den Sinn unseres Lebens, wir suchen nach Freundschaft, Liebe, nach unserem Traum. Es hat lange gedauert, bis ich so weit gefestigt war, dass mir die Blicke und die Gerüchte nichts mehr ausgemacht haben. Naja, vielleicht verletzen sie mich immer noch, aber ich kann besser damit umgehen.“ Sie zuckt mit den Schultern und isst weiter.
„Echt blöd für diese Idioten, dass sie dich nach deinen kurzen Kleidern beurteilt haben, anstatt sich die Zeit zu nehmen, dich kennenzulernen.“ Ich ziehe einen Mundwinkel hoch. „Innerlich bist du noch schöner als äußerlich.“
Verlegen senkt Ilaria den Blick. Sie hält sich die Hand vor den Mund, da sie noch kaut. „Bei dir klingt es immer so, aber ich bin nicht perfekt.“
„Das ist keiner von uns. Sieh mich an, ich bin ein fetter, mittelloser Kerl, der bei seiner Mom wohnt.“
Ilaria lacht erneut. „Hör auf, das so zu sagen. Erstens bist du ein sehr attraktiver Mann und zweitens ist das alles nur temporär. Du gehst durch eine schwierige Phase. Wir alle haben Zeiten, in denen nicht alles glatt läuft. Das geht vorbei.“
„Naja, aktuell bin ich nicht besonders zuversichtlich“, gestehe ich mutlos. Ich reibe mir den Nacken.
„Es wird wieder bergauf gehen.“ Ilaria beugt sich über den Tisch und legt ihre Hand auf meinen Unterarm. „Ich bin für dich da, sowie du für mich da warst, versprochen. Du darfst nur nie wieder sagen, dass wir reden müssen. Das hat mir Angst gemacht. Ich dachte schon, dass ich irgendetwas falsch gemacht habe.“
Ich schnaube. „Danke, Prinzessin. Ich verspreche, dass ich mir für die Zukunft eine andere Phrase ausdenke.“
„Danke.“
Nach kurzer Überlegung fällt mir auch schon eine ein. „Wie wäre es damit: Ich beantrage ein Meeting.“
Ilaria lacht herzlich. „Das gefällt mir. Ich beantrage übrigens auch ein Meeting und die Couch ist unser Konferenzraum.“
„Was steht auf der Tagesordnung?“, frage ich grinsend nach.
„Kuscheln, um diesen blöden Tag mit etwas Gutem enden zu lassen.“
„Das kann ich problemlos in meinem Terminplan unterbringen.“