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Kapitel 28
Vergangenheit und Zukunft Teil II
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Vorsichtig klopfe ich gegen die Badezimmertür. Ilaria hat abgeschlossen und macht gerade einen Schwangerschaftstest. Es fühlt sich an, als wäre sie schon eine Ewigkeit im Badezimmer. Langsam mache ich mir Sorgen. „Prinzessin? Ist alles in Ordnung? Du bist jetzt schon ganz schön lange da drinnen.“
Es dauert einige Sekunden, ehe sie mir antwortet: „Ich kann nicht, wenn ich weiß, dass du da draußen sitzt und mir zuhörst. Ich habe eine schüchterne Blase.“
„Oh“, gebe ich überrascht von mir. „Gut, dann gehe ich ganz weit weg.“
„Meine Blase glaubt dir nicht. Du musst wirklich weggehen.“
„Alles klar, okay, ich gehe weg.“
Ich seufze und nehme Abstand zur Tür. Da ich nicht genau weiß, was ich machen soll, betrete ich den Wohnbereich von Ilarias Wohnung und schalte den Fernseher ein. Um meiner Prinzessin klarzumachen, dass ich nicht an der Tür lausche, erhöhe ich die Lautstärke. Ich erwische mich dabei, wie ich wieder nervös auf und ab gehe. Um mich zu beruhigen nehme ich einen tiefen Atemzug. Wenn ich an Gott glauben würde, würde ich jetzt dafür beten, dass dieser verdammte Test negativ ausfällt. Ich bin nicht bereit, mich um ein Kind zu kümmern. Ich könnte meinem Kind nichts bieten. Ich habe nicht einmal eine eigene Wohnung, wohin soll ich denn überhaupt mit so einem Kind?
Ich sehe auf, als Ilaria sich auf die Couch setzt. Sie wirkt aufgewühlt.
„Und?“, frage ich überraschend leise. Meine Stimme strotzt nur so vor Unsicherheit und Unbehagen.
„Zehn Minuten. Der Test muss liegenbleiben.“
Um Ilaria ein wenig Trost zu spenden, setze ich mich neben sie und lege einen Arm um ihre Schultern. „Ich würde dir gerne irgendetwas sagen, um dich aufzumuntern, aber mein Kopf ist leer.“
„Also mein Kopf denkt hauptsächlich daran, dass ich nicht fett und schwanger sein will.“ Sie macht eine ausladende Handgeste. „Es hat ewig gedauert, mein Selbstbewusstsein aufzubauen. Ich bin endlich zufrieden mit mir, meinem Aussehen und meinem Leben. Es ist vielleicht verdammt egoistisch, aber ein Kind würde mir das alles wieder kaputt machen. Ich will nicht aussehen, als würde ich eine Wassermelone schmuggeln.“
Ilarias Formulierung bringt mich zum Schmunzeln. „Also ich finde Wassermelonen gut.“
„Ich auch“, schmollt Ilaria. „Ich würde jetzt lieber eine Wassermelone verdrücken, anstatt die schlimmsten 10 Minuten meines Lebens durchzustehen.“
„Soll ich dir einen kleinen Snack machen?“
„Du könntest mir Schokolade bringen“, antwortet meine Prinzessin leise. „Ich könnte heulen.“
„Nein, nicht weinen“, bitte ich sie und drücke Ilaria sanft gegen meine Schulter. „Falls du schwanger sein solltest, finden wir eine Lösung, versprochen. Ich begleite dich zu jedem Arzttermin.“
„Hör auf, das zu sagen, das fühlt sich gerade so echt und überwältigend an.“ Ilaria steht auf, wodurch mein Arm von ihren Schultern gleitet. „Entschuldige, ich weiß, dass du es nur gut meinst, aber ich fühle mich, als müsste ich mich jede Sekunde übergeben. Oder heulen. Oder beides.“
Besorgt mustere ich Ilaria. „Ja, du siehst auch ein bisschen blass aus. Setz dich lieber wieder hin. Ich bringe dir ein Glas Wasser.“
„Danke.“
Ilaria setzt sich und ich küsse ihre Schläfe. Nachdem ich ihr beruhigend den Rücken gestreichelt habe, stehe ich auf, um ihr ein Glas Wasser zu holen. Als ich aus der Küche zurückkomme, hat Ilaria ihr Gesicht in ihren Händen vergraben. Weint sie etwa? Vielleicht wäre es besser, wenn sie heute Abend doch zu Hause bleibt, und sich ausruht. Selbst wenn der Test negativ ist, was ich mit jeder Faser meines Körpers hoffe, scheint trotzdem irgendetwas nicht in Ordnung zu sein.
„Hier, dein Wasser, trink etwas.“ Besorgt mustere ich meine Prinzessin.
Ilaria lässt ihre Hände sinken und atmet tief durch. „Danke.“ Sie nimmt das Glas Wasser an sich und trinkt einige kleine Schlucke, ehe sie es auf den Couchtisch stellt. Liebevoll streichle ich über Ilarias Kopf und setze mich wieder neben sie. „Du bist so gut zu mir, danke.“
„Nicht dafür. Sag' mal, bist du dir sicher, dass du mitkommen willst? Du siehst erschöpft aus. Vielleicht solltest du dich lieber ausruhen. Ein stickiger Club ist heute wahrscheinlich eher kein Ort, an dem du herumsitzen solltest.“
„Ich will aber mitkommen. Ich sehe dich viel zu selten auf der Bühne. Es geht mir bestimmt gleich wieder besser, sobald der Test fertig ist.“
„Okay, wenn du das sagst.“ Ich küsse Ilarias Stirn und streichle weiterhin ihren Rücken. Jede Sekunde, in der wir auf diesen Test warten, fühlt sich wie eine Ewigkeit an.
Ungeduldig zuckt Ilaria mit einem ihrer Beine. Um sie zu beruhigen oder es zumindest zu versuchen, lege ich eine Hand an ihren Schenkel. „Ich halte das nicht länger aus“, meint Ilaria, ehe sie schnell aufsteht, sich an meinen Beinen vorbei drängt und dann im Badezimmer verschwindet. Erst seufze ich, doch dann folge ich ihr.
„Sagtest du nicht, dass es 10 Minuten dauert?“, frage ich, als ich ins Badezimmer hineinsehe.
An die Theke gelehnt, betrachtet Ilaria den Schwangerschaftstest in ihren Händen. Sie sieht erleichtert auf und sieht mich an. „Er ist negativ“, gibt sie nun wieder deutlich ruhiger von sich. Ihre angespannte Körperhaltung wird augenblicklich leichter. Sie atmet durch.
„Sicher?“, frage ich und nehme die Gebrauchsanweisung aus dem Waschbecken. Ich überfliege die übersichtliche Anleitung und ziehe eine Braue hoch. „Ilaria, hier steht, dass er zwei Minuten braucht, um das Ergebnis anzuzeigen. Die zehn Minuten beziehen sich auf das Kontrollfenster, falls der Test nicht funktioniert.“
„Ach, tatsächlich?“, fragt sie, worauf sie dann mit den Schultern zuckt. „Das habe ich in meiner Aufregung wohl durcheinandergebracht. Ist ja auch egal. Er ist negativ! Killian, er ist negativ! Ist das nicht wunderbar?“ Freudig fällt mir Ilaria um den Hals und küsst mich. Ich bin erst überrumpelt, doch dann erwidere ich den Kuss. Zeit zum Genießen habe ich allerdings nicht. Ilaria lässt wieder von mir ab und hüpft zufrieden aus dem Badezimmer. An der Tür lässt sie den Test in den Mülleimer fallen. Etwas verdutzt sehe ich ihr hinterher. Sie hatte wohl recht, es geht ihr tatsächlich gleich wieder besser. Schmunzelnd schüttle ich den Kopf, lege die Gebrauchsanweisung weg und öffne die Schublade, um mein Bartöl herauszunehmen. Durch diesen Schock ist mir mindestens ein graues Haar gewachsen, da bin ich mir sicher.
Bevor wir gehen, kontrolliere ich meinen Rucksack. Da ich alles habe, schlüpfe ich in meine Schuhe. Ilaria betrachtet ihr Spiegelbild. Sie zieht sich ihre schwarze Lederjacke an und streicht durch ihr leicht gewelltes Haar. Ich kann ihr deutlich ansehen, dass sie sich besser fühlt. Ihre gesamte Ausstrahlung hat sich verändert. Mir wird auch endlich klar, wieso sie sich in den letzten Tagen mies gefühlt hat. Die Ungewissheit hat ihr aufs Gemüt geschlagen, doch jetzt scheint wieder alles in Ordnung zu sein.
„Du siehst bezaubernd aus“, mache ich ihr ein Kompliment.
„Meinst du?“, fragt sie und sieht an sich herunter. Sie dreht sich hin und her. „Das Kleid ist neu.“ Nun lächelt sie sogar noch breiter. „Und das Beste daran ist, dass es Taschen hat!“ Sie steckt ihre Hände in die Taschen und posiert noch einmal für mich. Ihr fröhliches Lächeln und der unschuldige Blick in ihren Augen verzaubern mich.
„Es steht dir ausgezeichnet“, antworte ich ihr und reiche ihr die Hand, um sie zu stützen, während sie in ihre Schuhe steigt.
„Ich hoffe, dass die Schuhe nicht auch neu sind. Nicht, dass dir heute die Füße wehtun.“
Mit ihrer freien Hand winkt sie ab. „Oh, nein, nein, die sind toll. Gut eingelaufen und ich habe eine Geleinlage hineingeklebt. Noch bequemer sind nur Kuschelsocken.“
„Perfekt“, antworte ich und ziehe einen Mundwinkel hoch. Ich öffne die Tür und verbeuge mich leicht. „Nach Euch, Prinzessin.“
Ilaria kichert und küsst meine Wange. „Vielen Dank, mein Liebster.“
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Im Club sorge ich dafür, dass Ilaria einen Sitzplatz bei meinen Freunden bekommt. Auch wenn sie sich besser fühlt, möchte ich sichergehen, dass es ihr gutgeht und jemand ein Auge auf sie hat. Aus dem Backstagebereich hole ich eine Flasche gekühltes Wasser, die ich an meine Prinzessin weitergebe. Ich beuge mich zu ihr und gebe ihr einen Kuss auf die Schläfe.
„Aww, seht ihn euch an“, gibt Ian breit grinsend von sich. „Is' er nich' süß?“
Luna, die neben ihm sitzt, stupst ihn mit ihrem Ellbogen an. „Bei so einer hübschen Freundin wird doch jeder süß“, antwortet sie, ehe sie lacht. Ich kann ihr ansehen, dass sie schon einige Drinks intus hat.
„Ich bin ziemlich sicher, dass Killian immer schon süß war“, meint Ilaria, als sie über meinen Arm streicht. „Hast du noch Zeit für uns oder musst du schon auf die Bühne?“
„Ein bisschen Zeit bleibt mir noch, ja.“ Ilaria steht auf und bietet mir ihren Platz an, doch ich winke ab. „Nein, bleib ruhig sitzen.“
„Ich setze mich auf deinen Schoß“, antwortet sie mir zuckersüß. Diesen Vorschlag kann ich natürlich nicht ablehnen. Ich setze mich und Ilaria nimmt auf meinem Schoß Platz. Sie lehnt sich an mich und küsst meine Wange. Zufrieden lege ich meine Arme um ihre Taille, damit sie nicht von meinen Schenkeln rutscht. „Sitzt du bequem?“
„Das ist mein absoluter Lieblingsplatz.“
„Ich will euch Turteltauben nur ungerne unterbrech'n, aber ich hab' 'ne Nachricht für dich, Killian.“ Während Ian spricht, gestikuliert er. „Also, pass gut auf, mein Großer. Heute Abend soll jemand herkommen, der ein paar Talente sucht.“
Ich schnaube. „Das ist nicht das erste Mal, dass ich das höre“, meine ich eher neutral, da ich mir schon lange keine Hoffnungen mehr mache. „Ich weiß gar nicht, ob ich das überhaupt noch will.“
„Das soll wohl ein Scherz sein“, gibt Luna fast schon empört von sich. „Du hast doch nur die Hosen voll.“ Sie streicht sich eine ihrer roten Haarsträhnen hinter ihr Ohr. „Geh auf die Bühne, mach dein Ding und danach unterhältst du dich mit dem Kerl.“
„Ich sehe das wie Luna“, meint nun auch Ilaria. „Was hast du zu verlieren? Gar nichts! Selbst wenn er dir keinen Vertrag anbietet, ist er bestimmt ein Profi und hat vielleicht den ein oder anderen Tipp für dich. Das könnte dir neue Möglichkeiten eröffnen. Sei nicht so stur.“
„Cleveres Mädchen!“, meint Ian und deutet auf Ilaria. „Hör auf sie.“
Seufzend ergebe ich mich. „Ja, schon gut. Falls jemand auftaucht, kann es nicht schaden, ein Gespräch zu führen.“
Ian steht auf, als eine unserer Freundinnen an den Tisch tritt. Sie stellt Luna einen Cocktail vor die Nase und setzt sich dann mit ihrem Glas an den freigewordenen Platz. Luna bedankt sich für ihren neuen Drink, indem sie sich gegen ihre Freundin lehnt. „Worüber reden wir gerade?“, fragt Jean und hebt nun ihr eigenes Glas an. Whisky, so wie ich sie kenne.
„Ach, Killian wollte sich schon wieder drücken“, erklärt Ian, als er sich wieder hinsetzt.
„Vor dem Talentscout oder was der Kerl auch immer ist?“
„Genau vor dem“, meint Luna, ehe sie von ihrem mit Früchten verzierten Cocktail trinkt.
Jean mustert mich, dann schüttelt sie den Kopf. „Selbst wenn du nervös bist, macht das nichts. So ein Kerl hat bestimmt schon alles gesehen. Ich kann mir schwer vorstellen, dass du irgendetwas falsch machen kannst. Wenn du normal mit ihm sprichst, wird das gut laufen.“
Ilaria schmiegt sich gegen meinen Kopf. „Siehst du? Wir alle glauben an dich.“
Ich seufze. „Ja, ja, schon gut.“ Geschlagen winke ich ab. „Ihr dürft gerne wieder das Thema wechseln, ich muss jetzt ohnehin los.“
Bevor Ilaria von meinem Schoß klettert, damit ich aufstehen kann, gibt sie mir einen Kuss. Um mich von ihr für den Moment zu verabschieden, nehme ich sie in den Arm und küsse sie im Anschluss.
Ihr sanftes Lächeln ist wie immer ansteckend. Sie streicht über meine Wange. „Du hast nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen. Mach dir keine Sorgen, mein Liebster. Du schaffst das. Ich glaube fest an dich.“
Selbst wenn ich nicht reich und berühmt werde, verdiene ich vielleicht zumindest genug Geld, um mein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Wir könnten in eine größere Wohnung ziehen und ich kann Whole Foods wieder hinter mir lassen. Ich könnte mich wieder voll und ganz auf meine Musik konzentrieren. Das würde viel Druck von mir nehmen. Allerdings sollte ich mich nicht zu sehr in diesen Zukunftstraum verstricken. Hätte, wäre, könnte. Wer weiß, ob heute überhaupt jemand kommt. Auch wenn meine Freunde guter Dinge sind, lasse ich mich nicht von ihrer Zuversicht anstecken. Ich habe mir schon viel zu oft Hoffnungen gemacht, nur um mich dann zu fragen, warum niemand gekommen ist und woran es wohl scheitert. Solche Enttäuschungen sitzen besonders schwer, wenn man sich Hoffnungen macht.
„Amüsier' dich gut, ja?“, verabschiede ich mich von meiner Prinzessin.
Ilaria nickt. „Das werde ich. Ich besorge mir einen schönen Schirmchendrink und sobald du auf der Bühne stehst, kämpfe ich mich in die erste Reihe, um dich anzuschmachten.“
„Das ist perfekt, durch die Scheinwerfer sehe ich ohnehin nicht weiter.“ Ich zwinkere ihr zu.
Ilaria lacht. „Geh schon.“
„Bin schon weg.“ Zum Abschied nicke ich noch dem Rest der Truppe zu. Mit einem breiten Grinsen zeigt Ian mir zwei Daumen hoch.
„Ich halte für dich Ausschau!“, meint er noch aufmunternd, dann nehme ich schon Abstand von meinen Freunden.
Ich ziehe mich in den Backstagebereich zurück, um mich auf meinen Auftritt vorzubereiten. Da ich ziemlich durstig bin, schnappe ich mir eine der Wasserflaschen und trinke einen Schluck. Nachdenklich lehne ich mich gegen eine der vielen herumstehenden Kisten. Auch wenn ich es nicht möchte, mache ich mir Gedanken. Dass ein Scout im Publikum ist, der sich die heutigen Acts ansieht, um neue Talente zu entdecken, kann ich nur schwer glauben. In den letzten Jahren waren die Enttäuschungen viel zu groß, um mich nur auf den bloßen Gedanken einlassen zu wollen. Wer nicht mehr hofft, kann nicht mehr enttäuscht werden, oder?
Zwei Jungs einer weiteren Band leisten mir im Backstagebereich Gesellschaft. „Hey, Killian“, werde ich von einem der Jungs begrüßt.
„Hey, Michael.“
„Hast du zufällig Bobby gesehen?“, fragt Michael mich.
„Nein, noch nicht. Wieso? Brauchst du etwas?“
„Ich wollte ihn fragen, ob heute wirklich jemand vorbeikommt und sich die Bands ansieht. Meine Schwester hat das an der Bar aufgeschnappt und war ganz aus dem Häuschen“, antwortet er mir. Er öffnet eine Dose Redbull und trinkt daraus. Sein Bandkollege Luan stellt sein Bier neben mir ab und öffnet dann einen Spind.
„Wär cool, nicht?“, meint er, als er seinen Rucksack aus dem Spind zieht. „Schluss mit winzigen Backstage-Spinden. Sogar in meinem Arsch ist mehr Platz als in diesem Lager.“
Ich schnaube. „Das wäre tatsächlich eine willkommene Abwechslung. Macht euch aber nicht zu viele Hoffnungen. In den letzten Jahren haben sich dutzende Leute angekündigt und es war nur selten jemand da.“
„Die Hoffnung stirbt zuletzt“, meint Michael, ehe er auf seine Brust klopft und im Anschluss rülpst.
„Das hört man doch immer wieder. Von einem Tag auf den anderen wird man entdeckt und schon steht man im Studio und nimmt eine Hitsingle auf“, antwortet Luan fast schon verdächtig zuversichtlich. Vor ein paar Jahren war ich auch aufgeschlossener, was dieses Thema betrifft. Um den Jungs nicht die Laune zu verderben, sage ich jedoch lieber nichts mehr dazu.
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Verschwitzt steige ich mit meiner Gitarre von der Bühne. Ich mache mir große Sorgen, denn obwohl Ilaria versprochen hat, in der ersten Reihe zu stehen, konnte ich sie nicht entdecken. Hoffentlich geht es ihr gut. Ian nimmt mir meine Gitarre ab und drückt mir dafür eine Flasche Wasser in die Hand. Ich schraube den bereits geknackten Verschluss von der Flasche und trinke sie in einem Zug aus.
„Du warst-“
„Wo ist Ilaria?“, unterbreche ich ihn sofort, nachdem ich die Flasche wieder abgesetzt habe. Während wir uns durch die Gäste drängen, wird mir immer wieder anerkennend auf die Schulter oder den Rücken geklopft. Dem ein oder anderen nicke ich zu.
„Sie macht dir ein Date klar.“
„Witzig“, antworte ich, dabei rolle ich mit den Augen. „Sie hat sich heute nicht so gut gefühlt, ich mache mir Sorgen.“
„Was?“, fragt Ian, dabei beugt er sich in meine Richtung.
„Ich mache mir Sorgen, weil sie sich heute nicht gut gefühlt hat!“, wiederhole ich lauter.
„Ach so, nein, es geht ihr gut! Sie hat sich für dich umgehört und den Produzenten gefunden. Ich denke, dass es gut läuft, sie unterhält sich schon 'ne Weile mit ihm.“
Ich verenge meine Brauen, da ich mir nicht sicher bin, was ich davon halten soll, außerdem zerdrücke ich die leere Flasche in meiner Hand. „Ich zieh' mir eben ein anderes Shirt an. Wo sitzen die beiden?“
„Vorhin waren sie noch an der Bar, aber jetzt sitz'n sie da hinten an 'nem Tisch“, antwortet Ian mir und zeigt in die Richtung.
Er begleitet mich noch in den Backstagebereich. Dort bringe ich meine Gitarre unter und wische mir mit einem Handtuch den Schweiß aus dem Gesicht.
„Hast du dir den Kerl angesehen?“, erkundige ich mich neugierig. „Was ist das für einer?“
„Ja, er hat sich aber nicht viel anmerken lassen, als du auf der Bühne warst. Er trägt 'n schickes Hemd und 'n Jackett und er hat 'ne richtig dicke Uhr am Handgelenk. Er sieht aus, als wäre er zu aufgebrezelt für den Laden. Man kann ihn also nicht wirklich übersehen.“
Ich nicke. „Wo sind denn Jean und Luna? Die habe ich auch nicht in der ersten Reihe gesehen. Normalerweise heizt ihr immer die Leute für mich an.“
„Ja, heute lief gar nichts wie immer, sorry. Luna hat zu viel getrunken, also sind sie nach Hause gefahren. Aber Jean meinte, dass sie dir von Zuhause aus fest die Daumen drücken. Du sollst in die Gruppe schreiben, wies gelaufen ist.“
„Okay.“ Ich ziehe mein verschwitztes Shirt aus und wische mir mit dem Handtuch über Brust und Rücken. „Ich bin gerade ziemlich nervös. Das fühlt sich echter an, als es sein sollte.“
„Du dachtest nicht, dass jemand kommt, hm?“
Ich zucke mit den Schultern und mache dann eine ausladende Handgeste. „Denk mal darüber nach, wie oft wir schon enttäuscht wurden und wie still danach die Fahrten nach Hause waren.“
Ian nickt. „Ja, da hast du nicht Unrecht.“ Er stupst mich mit seinem Ellbogen an. „Aber heute hast du deine Chance. Vermassle das nich', okay?“
„Ich versuche es.“
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„Killian! Komm her, setz dich zu uns!“ Ilaria winkt mich zu sich und steht auf. Auch der Kerl neben ihr steht auf. Meine Prinzessin gibt mir einen Kuss und legt ihre Hand an meine Schulter. „Killian, das ist mein neuer Freund Dan. Wir haben uns an der Bar kennengelernt.“
„Ach, wir sind schon Freunde?“, fragt der Kerl amüsiert.
„Selbstverständlich!“, antwortet Ilaria mit einem breiten Lächeln auf den Lippen.
„Oh, okay?“ Als Dan mir die Hand reicht, strecke ich ihm auch meine entgegen. Er hat einen festen Händedruck. „Hi, ich bin Killian.“
Ilaria schiebt mich sanft Richtung Tisch. Ich gebe dem Wink nach und setze mich neben Dan. Ilaria nimmt sofort neben mir Platz und lehnt sich an mich. Ein bisschen schräg fühlt sich das schon an, außerdem weiß ich gar nicht richtig, was ich sagen soll.
Dan lächelt mich an. „Ich hab' dich vorhin auf der Bühne gesehen. Du warst gut, sehr gut sogar.“
„Oh, ich weiß nicht, die Woche war hart, ich war bestimmt schon besser.“
Dan winkt ab. „Wir selbst sind unsere größten Kritiker. Wenn ich mir meine Performance in einem Video ansehe, bin ich auch nie mit mir zufrieden.“ Er hebt sein Glas an und trinkt einen Schluck. „Was hast du noch drauf? Schreibst du deine Songs selbst?“
Unsicher werfe ich Ilaria einen Blick zu. Der emotionale Stress nimmt heute gar kein Ende mehr. Ich habe nur eine Chance, diesen Kerl zu beeindrucken. Wenn ich das hier in den Sand setze, kann ich meinen Traum in eine Kiste packen und von der Golden Gate Bridge werfen. Ilaria legt ihre Hand auf meine und küsst meine Wange. „Er ist ein bisschen schüchtern, aber das legt sich bestimmt, sobald er dich richtig kennenlernt.“
Dan lacht, ehe er ihr antwortet: „Ach, kein Problem. Viele meiner Jungs und Mädls sind privat schüchtern, blühen dann aber durch die Musik auf.“ Er wendet sich wieder an mich. „Bleib am besten locker und ganz du selbst. Du hast nichts zu befürchten. Mir hat gefallen, was ich gesehen habe, Killian.“ Er fasst in die Innentasche seines Jacketts und reicht mir eine Visitenkarte. Stumm sehe ich die Karte an. Ich kann kaum glauben, dass das gerade passiert. „Wenn du Lust hast, können wir uns einen Termin ausmachen und in Ruhe über deine Musik reden. Bei einem guten Steak zum Beispiel?“
Ich sehe von der Karte auf. „Äh, ja, ja, klar, gerne. Ich liebe Steaks.“ Ich sehe zu Ilaria, die mich anlächelt, ehe ich mich wieder ihm zuwende. „Das ist gerade ziemlich überwältigend. Ich weiß nicht, ob das hier wirklich passiert. Ich bin nicht von der Bühne gefallen und habe mir den Kopf angeschlagen, oder?“
Meine Frage bringt Dan dazu, breit zu grinsen. „Nein, nein, dein Kopf ist in Ordnung“, antwortet er mir, ehe er anfängt zu erklären: „Ich fände es klasse, wenn du mir in den nächsten Tagen eine Mail schreibst. Kurzer Lebenslauf, was du schon alles gemacht hast, vielleicht ein paar Events, deine Social Media Präsenz.“ Er macht eine ausladende Handgeste. „Dann wühle ich mich durch deine Musik und wir überlegen, wie wir loslegen.“
„Loslegen?“, frage ich überrascht.
„Ja, deine bezaubernde Freundin sagte, dass es dein Traum wäre, von deiner Musik leben zu können. Wenn wir ins Geschäft kommen und du bereit bist, hart zu arbeiten, dann können wir deinen Traum verwirklichen.“
Skeptisch ziehe ich eine Braue hoch. „Sorry, das kommt mir so erschreckend einfach vor. Da muss es einen Haken geben.“
Dan schmunzelt. „So schnell geht das nicht, keine Sorge. Nach deiner Mail meldet sich mein Assistent bei dir, wir treffen uns zum Lunch oder Dinner und lernen uns kennen, dann treffen wir uns im Studio und machen eine lockere Jammsession. Wenn du das Gefühl hast, dass die Chemie stimmt, dann können wir einen Vertrag aufsetzen. Das müssen wir dann natürlich nicht auf der Stelle machen. Dafür kannst du dir selbstverständlich einen Anwalt nehmen, der den Vertrag prüft, aber lass uns die Details in Ruhe besprechen, ja? Hier ist es für solche Gespräche viel zu laut und viel zu voll.“
Ich nicke. „Okay, gut, dann danke. Ich weiß gar nicht, was ich sonst sagen soll.“
„So geht es den meisten, man gewöhnt sich daran, Leute sprachlos zu machen.“ Ilaria kichert. Dan leert sein Getränk und sieht dann auf die große, vermutlich unbezahlbare Uhr an seinem Handgelenk. Ian hat nicht übertrieben, sie ist tatsächlich sehr groß. „Ich muss jetzt ohnehin los. Hat mich gefreut, Killian.“ Er reicht erst Ilaria und dann mir die Hand. „Meld' dich so schnell wie möglich, ja? Ich kann’s kaum erwarten, mehr von dir zu hören. Diese tiefe, rauchige Stimme ist genau das, was ich schon ewig suche. Ich bin wahrscheinlich mindestens so aufgeregt, wie du selbst.“
Nun ziehe ich einen Mundwinkel hoch. „Danke.“
„Habt noch einen schönen Abend.“
„Du auch, Dan“, verabschiedet Ilaria sich. Dan verlässt den Tisch. Zum Abschied hebt er noch einmal seine Hand. Ich sehe ihm noch nach. Er wird schnell von Bobby in Beschlag genommen, doch dann verliere ich die beiden aus den Augen. Ilaria nimmt mich stürmisch in den Arm, was ihr sofort wieder meine volle Aufmerksamkeit garantiert. „Hast du gehört? Du wirst berühmt! Das ist so unglaublich. Ich wusste, dass du es schaffst, mein Liebster!“
Vorsichtig löse ich Ilaria von mir und blicke wieder auf die Visitenkarte. DRS Records. Das ist so verrückt. „Ich ähm... Ich weiß nicht, was ich sagen soll. So nah war ich noch nie an einer richtigen Karriere als Musiker.“
„Genieß es, du hast es verdient.“ Ilaria küsst meine Lippen, dann streichelt sie meine Wange.
„Ganz ruhig. Zum Feiern und Genießen ist es noch viel zu früh. Noch habe ich keinen Vertrag in der Tasche. Wer weiß, ob es überhaupt klappt.“
Ian nimmt den Platz ein, auf den Dan eben noch gesessen hat. „Wie lief’s?! Du musst mir alles erzählen!“
Etwas überrumpelt sehe ich Ian an. „Keine Ahnung, ich bin vollkommen überfordert.“