„Da wären wir.“ Tokalahs Mutter hielt vor einer Tür inne, die ebenso aussah, wie all die anderen auf dieser Ebene. Wie die meisten, die ich bisher auf dem Raumschiff gesehen hatte. Schwarz, metallisch, mit irgendwelchen mir unbekannten Symbolen. Was mich daran erinnerte, dass ich den Namen meiner Begleiterin nicht kannte. Sie direkt zu fragen, gefiel mir nicht. Es war unhöflich, weil ich so viele Jahre jünger war. So hatten Mama und Papa es mir eingetrichtert. Vor allem Letzterer. Ich nagte an der Unterlippe. Eine Angewohnheit, die Vater abgrundtief hasste. Wie es ihnen wohl erging? Ergangen war? Ob ich es jemals erfuhr? „Lass das mal.“ Die Frau zog meine Lippe sanft unter den Zähnen hervor. „Sage mir stattdessen, was dich beschäftigt.“
„Nichts Besonderes“, wiegelte ich ab. Was kümmerten sie schon die Sorgen eines fremden Mädchens, das der Sohn von einem Ausflug auf einem Planeten angeschleppt hatte. Sie hatte wichtigere Aufgaben, die im Labor auf sie warteten. Ach, da war ja etwas. „Was hat eigentlich der Bluttest ergeben? Euer Clanoberhaupt hat mir gesagt, dass ich Sie fragen soll.“
„So förmlich? Mein Name ist Kimimila, das bedeutet Schmetterling. Du kannst mich allerdings auch Uncisi nennen.“ Erwartungsvoll sah ich sie an, doch sie schmunzelte nur, statt mir die Übersetzung des zweiten Namens zu verraten. „Was den Bluttest angeht, da können wir besser zu einem anderen Zeitpunkt drüber reden. Nichts, weswegen du dir Sorgen machen müsstest“, fügte sie schnell hinzu, als ich die Augen weit aufriss. „Komme aber bitte, nachdem du dich aufgefrischt hast, mit Tokalah zu meinem Labor. Ich möchte dich zur Sicherheit gegen einige Krankheiten impfen, die bei euch wohl nicht bekannt sind.“ Wieder keine direkte Antwort. Merkwürdig. Ich runzelte die Stirn. Verschwieg sie etwas? Andererseits war es womöglich kein Thema, um mal eben auf einer Türschwelle zu besprechen. Daher nickte ich. „Sehr schön, dann schicke ich ihn dir nachher rüber. Sein Quartier ist gleich nebenan. Wenn du etwas brauchst, kannst du dich immer an ihn wenden.“ Sie drückte auf ein kleines Feld neben der Tür, die leise zur Seite glitt, und wies in den Raum. „Bis später.“
„Bis später.“ Ich betrat meine temporäre Unterkunft und schaute mich in Ruhe um. Ein Bett, ein Schrank, ein Tisch mit zwei Stühlen und genügend Platz, um ein Rad zu schlagen. Wo war das Bad? Kimimila hatte erwähnt, dass jedes Quartier über ein eigenes Badezimmer verfügte. Da! Eine unscheinbare Tür. Ich lief darauf zu und runzelte die Stirn. Wieder keine Klinke oder ein Türknopf. Suchend tastete ich die Fläche daneben ab, bis ich das Schaltfeld erwischte. Es unterschied sich kaum von dem Rest der Wand. Wie lange würde es dauern, bis ich mich auf dem riesigen Raumschiff völlig selbständig zurechtfand? Ich schüttelte den Kopf. Dazu würde es höchstwahrscheinlich nicht kommen. Tokalahs Großmutter hatte recht zuversichtlich geklungen. Bald war ich mit Sicherheit wieder bei meiner Familie. Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Mama und die drei kleinen Teufel. Auf Papa konnte ich dagegen verzichten. Ihn interessierte eh nur sein Status. Je länger ich durch Raum und Zeit von ihm getrennt war, desto mehr realisierte ich, wie er mich nach seiner Pfeife hatte tanzen lassen. Fiel es mir auf, weil Tokalah und seine Familie so viel respektvoller miteinander umgingen?
Nachdenklich betrat ich das Badezimmer. Die Farbe schwarz überwog auch hier. Metall, wohin das Auge blickte. Ein vielseitiges Material, wie die Lakota erzählten. Rostete nicht, hielt ewig, strapazierfähig und gleichzeitig leicht. Ein Baustoff, der auf der Erde mit Sicherheit beliebt wäre. Leider stammte er von einem fremden Planeten, der nicht mehr existierte. Zerstört von selbstsüchtigen Menschen. Ein Schicksal, das meine Heimat ebenfalls treffen könnte. Kriege, Hass, Neid, sie waren den Erdbewohnern nicht fremd. Ich starrte ins Leere. War das alles hier doch nur ein Traum? Was, wenn das nicht die Realität, sondern die Folge eines Sturzes war? Lag ich womöglich im Krankenhaus im Koma? Hieß es nicht immer, dass Menschen sich dann wirres Zeug zusammenträumten? Es würde so vieles erklären.
Ich schälte mich aus der dreckigen Kleidung. Grasflecken, Schmutz, steif vom Schweiß, den ich literweise unter der Sonne des Westernplaneten vergossen hatte. Ich schmunzelte. Wenn ich die Namen der Planeten nicht kannte, dachte ich mir selbst welche aus. Ein Spiel, das ich in meiner Kindheit geliebt hatte. Unbekanntes bekam damals ohne Zögern eine Bezeichnung verpasst. Bevor die Zwillinge kamen und von mir erwartet wurde, Mama zu helfen statt sorglos zu träumen. Sand rieselte auf den Boden, kitzelte meine Haut. Ich runzelte die Stirn. Wo kam der denn her? Eine Dusche war längst überfällig, wie es schien.
Nur, wie funktionierte das Ganze? Wo waren die Regler, um das Wasser einzuschalten oder die Temperatur zu regulieren? Ich kniff die Augen zusammen, scannte mit meinem Blick das Metall ab. Gab es wie für die Türen einen versteckten Schalter? Wenn, dann war er ausgezeichnet getarnt. Ich beugte mich vor, die Füße außerhalb des Bassins, um die Wand abzutasten. Ein warmer Schauer traf mich ohne Vorwarnung von oben, bevor ich irgendetwas berührte. Ich prustete, zog mich lachend zurück. Die Haare klebten nass an meinem Gesicht, Wasser rann am Rücken entlang. Ein Sensor, der Bewegungen registrierte und die Dusche selbständig einschaltete. Wieso war ich nicht von selbst auf die Idee gekommen?
Wäre das geklärt. Doch wo hatten sie das Duschgel oder Shampoo versteckt? Prüfend sah ich mich im Raum um. Am Waschbecken, in einem Schälchen, lag ein Stück Seife. Keine Plastikflaschen weit und breit. Ich zuckte mit den Achseln. Besser als nichts. Mit dem Seifenstück bewaffnet stieg ich in die Duschwanne. Abermals schaltete die Dusche sich von selbst ein. Sanft massierte das Wasser meine Schultern. Ich seufzte wohlig, hielt die Seife kurz unter den Wasserstrahl und fing an, die Haut einzuseifen. Der Duft von Frühlingsblumen hüllte mich ein. Pfeifend wusch ich Kopf und Haar, befreite sie vom Staub.
Wenig später trocknete ich mich ab und starrte missmutig auf die dreckigen Sachen. Wo bekam ich auf die Schnelle etwas Sauberes zum Anziehen her? Ob meine Gastgeber daran gedacht und mir Kleidung in den Schrank gelegt hatten? Ich hängte das Badelaken an seinen Platz und lief, so wie ich war, ins Zimmer. Links von mir sprang etwas auf. Einer der Stühle fiel mit lautem Knall um. Meine Wangen brannten heiß, das Herz schlug mir bis zum Hals. Ich huschte zum Kleiderschrank, dessen Tür geräuschlos aufglitt und einige Kleidungsstücke offenbarte. Willkürlich zerrte ich Sachen heraus, rannte zurück ins Bad, wo ich zitternd auf den Boden sank. Verdammt war das eben peinlich. Ich atmete mehrmals tief durch. Stand Tokalah noch immer stocksteif da? Wenigstens hatte er sich sofort weggedreht, als ich nichtsahnend und nackt in den Raum spazierte. Jungen oder Männer auf der Erde hätten nicht so schnell reagiert oder sogar absichtlich gegafft. Ich raffte mich auf, warf einen Blick in den Spiegel. Mein Gesicht feuerrot wie eine Tomate. Warum öffnete sich nicht ein Loch und verschluckte mich mit Haut und Haar? Konnte ich ihm überhaupt noch unter die Augen treten? Zu gern würde ich das Badezimmer nie mehr verlassen. Ein Mann, den ich kaum kannte, hatte mich splitterfasernackt gesehen. So etwas gehörte sich nicht für ein junges Mädchen. Warum passierten solche Peinlichkeiten immer mir? Ich seufzte leise, zog erst das langärmelige schwarze Shirt, dann die Hose an. Papa hatte doch recht. Allein kam ich nicht zurecht.
„Bin angezogen“, rief ich Tokalah zu, der mit dem Rücken zum Raum gewartet hatte. Die Röte stieg mir erneut ins Gesicht.
„Gut, dann lass uns bitte als Erstes zu meiner Mutter ins Labor gehen, damit du die Impfungen erhältst.“ Der Lakota drehte sich um, seine Wangen dunkler als sonst. Er hielt den Blick zum Boden gesenkt, vermied Blickkontakt. „Und tut mir leid wegen eben. Ich hätte nicht in deinem Zimmer warten sollen“, murmelte er, rieb sich dabei den Nacken und zupfte sein Shirt zurecht. Es lag hauteng an, wie ich schluckend bemerkte, betonte auf anziehende Weise seine Muskeln. Was war nur los mit mir?
„Kein Problem. Es ist meine Schuld, weil ich ohne Kleidung ins Badezimmer gegangen war.“ Ich starrte auf die dreckigen Sneakers, dann auf meine nackten Füße. „Äh, du hast nicht zufällig Schuhe für mich?“
„Ähem, ja.“ Er wandte sich zur Tür. „Folge mir bitte.“ Missmutig tapste ich ihm hinterher, das Metall kühl unter den Fußsohlen. Beim Fahrstuhl angekommen rieb ich sie abwechselnd an den Hosenbeinen. Tokalah beobachtete es stirnrunzelnd.
„Ich, äh.“ Er breitete die Arme aus, ließ sie dann wieder sinken und wandte sich ab. Was war auf einmal mit dem unerschütterlichen Mann passiert? Ich knabberte auf der Unterlippe herum. Hielt er Abstand, weil ich ihm zu hässlich war? Jetzt, wo er unplanmäßig meinen Körper gesehen hatte? Es musste so sein. Welche Erklärung gab es sonst für seinen Sinneswandel? Die Aufzugtür glitt zur Seite. Ich folgte Tokalah hinein, lehnte den Kopf an das schwarze Metall. Langsam verschwamm meine Sicht. Ich würde nie für jemanden gut genug sein!
„Nicht doch!“ Der Lakota strich mir über die Wange, schloss kurz die Augen. Als er sie wieder öffnete, hatten sie einen sanften, fast schon liebevollen Glanz angenommen. „Dann bekomme ich halt Ärger“, murmelte er, wobei er mit beiden Händen meine Hüfte fest packte. „Spring.“ Ich gehorchte. Halb springend, teils hochgehoben, landete ich an Tokalahs Brust. Wie ein Klammeräffchen schlang ich Arme und Beine um ihn. Mein tränennasses Gesicht versteckte ich an seiner Halsbeuge. Sein Brustkorb hob und senkte sich einmal auffällig, sein Atem strich mir über die Haare. Einen Arm um den Rücken geschlungen, eine Hand in meinem Nacken, hielt er mich zuverlässig fest, vermittelte mir ein Gefühl von Sicherheit. Ich hinterfragte nicht, weshalb ich seine Nähe genoss. Er spürte besser als Mama, wann ich Geborgenheit benötigte, und schien dem gegenüber nicht völlig abgeneigt zu sein. War dies nur seinem Beschützerinstinkt geschuldet? Weil ich mich wie ein kleines Kind verhielt? Ich drückte das Gesicht fester an seinen Hals. Ich war nur ein nutzloses Baby.
„Tokalah!“ Kimimila entrüstete Stimme ließ mich zusammenzucken. Noch verbissener klammerte ich mich an ihn. „Wozu habe ich dir beigebracht, wie man eine Frau respektvoll behandelt? Setze Chumani bitte dort drüben ab und dann verschwindest du.“ Seine Muskeln versteiften, seine Hand an meinem Nacken zitterte kurz. Er atmete tief ein, lief mit mir ein Stück weiter in den Raum hinein.
„Nein Mutter.“ Ich spürte die gepolsterte Liege unterm Hintern und wimmerte. Gleich würde er mich loslassen, hier allein zurücklassen. Doch statt loszulassen, schlang er zu meiner Erleichterung den zweiten Arm um meinen Rücken. „Ich werde Chumani nicht allein lassen. Sie braucht mich.“ Seine Lippen berührten flüchtig meine Schläfe. „Findest du nicht, dass du ihr langsam mal erzählen solltest, was der Bluttest ergeben hat?“