„Es tut mir leid, dass wir keine bessere Nachricht für dich hatten.“ Schniefend sah ich hoch. Tokalah zog die Augenbrauen zusammen, wischte sanft mit dem Daumen über meine Wange. Eine liebevolle Geste, bei der mir der nächste Schluchzer entfloh.
„Ich hätte es erwarten müssen“, nuschelte ich gegen seine Brust, an der ich das Gesicht wieder vergrub. „Die abwartende Haltung deiner Mutter. Deine Bemerkungen, dass du meinen Heimatplaneten nicht kennst. Das alles deutete bereits in die Richtung, doch ich war so dumm und habe mich an ein Fünkchen Hoffnung geklammert.“
„Hey, das will ich nicht noch einmal von dir hören.“ Tokalah setzte sich auf, zog mich in einer fließenden Bewegung mit hoch. „Du bist alles andere als dumm.“ Er rieb sich den Nacken. „Glaubst du nicht, dass meine Vorfahren sich auch an die Hoffnung geklammert haben, ihre Heimat nicht zu verlieren? Der Ort, an dem man aufwächst, bestimmt das spätere Leben.“ Der Mann schlang einen Arm unter meinen Kniekehlen durch und hob mich mühelos hoch. Er lief mit mir ins Bad als ob ich so leicht wie eine Feder wäre. „Frisch dich mal auf, dann zeige ich dir mehr von deinem neuen Zuhause. Zumindest, ich nehme an, dass du bei uns bleibst. Oder sollen wir dich zurück zu den Kindern des Lichts bringen?“
„Klar, ich wünsche mir nichts sehnlicher, als einen von denen zu heiraten und mit ihm in dieser staubigen Einöde zu leben.“ Ich hielt die Hände unter den Wasserhahn, wusch mir die Tränen vom Gesicht.
„Höre ich da einen Hauch Sarkasmus heraus?“ Tokalah reichte mir ein Handtuch. Ich trocknete mich ab, wischte danach über sein Shirt, um die Spuren meines Weinens zu entfernen.
„Wie kommst du nur auf die Idee?“, murmelte ich und genoss, wie er seine Muskeln unter meinen Fingerspitzen anspannte. Die Frustration, nicht mehr zu meiner Familie zurückzukehren, verblasste. Es bedeutete gleichzeitig, dass ich bei dem Mann blieb, der sich so liebevoll um mich kümmerte. Er und ... – ich verwarf den Gedanken direkt wieder. Keine Vermischung mit Menschen anderer Abstammung. Ich bemühte mich, mir die Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Was war nur los mit mir? Ich benahm mich kindischer als ein dreizehnjähriges Fangirl.
„Wohin gehen wir?“, fragte ich ihn wenige Minuten später auf einem der unteren Decks.
„Das wirst du gleich sehen“, erwiderte er geheimnisvoll, ein Lächeln auf seinen Lippen. Er berührte die Wand, zwei massive Türen glitten auf, enthüllten das Geheimnis, das sie verborgen gehalten hatten. „Wenn der Maschinenraum das Herz des Schiffes ist, dann ist dies die Lunge.“ Ich glaubte ihm direkt jedes Wort. Mit offenem Mund starrte ich auf das Gebiet, das sich schier endlos vor uns erstreckte. Sanft schob Tokalah mich hinein. Verwundert drehte ich den Kopf. Pflanzgefäße, Büsche, Bäume, wohin ich auch schaute.
„Wow.“ Sehr geistreich angesichts dieser Pracht, doch mir fehlten schlicht die Worte. Ich hatte nicht erwartet, dass die Lakota einen riesigen Garten im Bauch ihres Schiffes pflegten.
„Wie du dir denken kannst, bauen wir hier Obst und Gemüse an. Des Weiteren spielen die Gewächse eine wichtige Rolle in der Sauerstoffversorgung.“ Der Indianer verstummte kurz. Ich hörte, wie er tief einatmete, und drehte mich zu ihm um. „Zu Beginn der Raumfahrt hatten wir nur die Möglichkeit, die Atemluft durch Filter zu säubern. Es stellte sich heraus, dass dieses auf Dauer ungesund war. Es fehlten die Vitalstoffe, die die Pflanzen an ihre Umgebung abgeben.“
„Aber wie funktioniert das? Brauchen die Pflanzen keine Sonne, damit sie wachsen?“ Da war doch etwas mit Photosynthese. Obwohl ich Blumen mochte und riesige Bäume liebte, hatte ich im Unterricht zum Thema nicht aufgepasst. Eine der möglichen Ursachen dafür lag in der Krankheit meines jüngsten Bruders zu dem Zeitpunkt. Mama hatte viel Zeit im Krankenhaus verbracht, während ich die Zwillinge und den Haushalt übernahm. Papa hatte sich mit den Worten, dass es Arbeit für Frauen war, nur mit seinem Job beschäftigt. Ob die Männer hier ähnlich dachten?
„Unsere Pflanzen sind an das Leben im All angepasst. Obendrein regen die Lampen, die du überall siehst, das Wachstum an. Kommen wir allerdings an einer der vielen Sonnen vorbei, fahren wir die Schotten hoch, damit die Strahlen durch die gepanzerten Scheiben hindurch zu den Gewächsen gelangen“, erklärte Tokalah mit seiner angenehm tiefen Stimme. Ich schlenderte zu zwei umgestülpten Gefäßen und setzte mich.
„Erzähle mir bitte mehr“, forderte ich ihn auf, als er neben mir Platz nahm. „Wie sieht es mit den Bäumen aus. Ist es nicht gefährlich, sie an Bord zu haben? Was, wenn ihre Wurzeln sich durch das Metall arbeiten?“ Dann bestand mit Sicherheit die Möglichkeit, dass die Stabilität des Schiffsrumpfs gefährdet wurde.
„Sorge dich nicht, Chumani. Da hier eine gleichbleibende Atmosphäre herrscht, benötigen die Bäume keine Wurzeln, die sich tief im Boden verankern. Abgesehen davon ist das Metall sehr strapazierfähig und mit Sensoren versehen. Sollte es zu einer Gefährdung kommen, weil sich das Wurzelwerk zu sehr ausbreitet, bekommen wir vom Computer eine Warnmeldung.“ Das klang beruhigend und logisch. Vor allem der Teil über die künstliche Beleuchtung weckte eine Erinnerung. Ich überlegte kurz. Hatte Mama nicht mal meinem Vater von einem Artikel in einer Zeitschrift erzählt, der vom Anbau von Gemüse am Nord- oder Südpol berichtete? Wenn es am Pol in einer Forschungsstation funktionierte, dann klappte es auch im Weltall.
„Und was ist mit Wasser? Werden davon nicht schon Unmengen benötigt, um die Lebewesen an Bord zu versorgen?“ Ein beklemmendes Gefühl breitete sich unaufhaltsam in meinem Brustkorb aus. Was, wenn wir nicht genug Flüssigkeit für alle Bewohner hatten? Würden Unruhen ausbrechen, die Menschen miteinander um etwas zu trinken kämpfen? Ich fing an, zu zittern.
„Hey, ganz ruhig. Es kann dir hier nichts geschehen.“ Tokalah zog mich an seine Brust, drückte meinen Kopf an seine Schulter. „Ich wollte dich aufheitern, nicht in Angst und Schrecken versetzen“, murmelte er. „Wir haben riesige Wasserbehälter an Bord, füllen diese regelmäßig in sauberen Quellen auf den uns bekannten Planeten auf. Des Weiteren nutzen wir die Taubildung an den Pflanzen und verfügen wir über ein ausgeklügeltes Irrigationssystem, wodurch wir die Bewässerung haargenau steuern können. Filteranlagen reinigen das benutzte Wasser. Wenn du möchtest, kann ich dir den Bereich ebenfalls zeigen.“
„Nein, ist schon in Ordnung.“ Ich schloss die Augen, genoss die Nähe des Mannes, die Wärme, die von ihm ausging. „Wie viele Leute arbeiten hier? Oder übernehmen Maschinen dieses für euch?“
„Das machen wir alles per Handarbeit. Es gibt genügend Stammesmitglieder auf dem Schiff, denen der Garten Freude bereitet. Andere übernehmen dafür die Jagd, wenn wir uns auf einem Planeten aufhalten. Es gibt immer etwas, das einem Spaß macht. Jeder findet hier seinen Platz, jeder.“ Er verstummte für einige Atemzüge, kraulte mir den Nacken. Ich sank noch mehr gegen ihn an. „Früher, in der Vorzeit auf meinem Heimatplaneten, jagten die Männer das Wild und schützten ihre Familie vor Feinden. Die Frauen bearbeiteten die Jagdbeute, stellten Kleidung und Zelte her. Es gab keine Arbeitsspezialisierung, wie du sie hier auf dem Schiff siehst. Das Leben war einfacher und gleichzeitig anspruchsvoller. Jetzt können wir uns dagegen aussuchen, was wir machen möchten.“
„Kannst du es dir auch aussuchen?“ Ich war mir sicher, dass ich die Antwort bereits kannte. Dennoch sehnte ich mich danach, von ihm zu hören, dass er keine Wahl hatte. So wie ich nie eine hatte. Ein kleines Stück Gemeinsamkeit. Töricht. Verträumt. Was brachte es mir, dass er feststellte, wie ähnlich wir einander waren? Klammerte ich mich nur an eine weitere sinnlose Hoffnung? Ich löste mich von ihm, suchte in seinen Augen nach einer Antwort.
„Teilweise. Im Moment ist es mir noch erlaubt, jede Arbeit auszuüben. So wie die Jagd, auf der ich dich gefunden habe.“ Er legte eine Hand an meine Wange. „Allerdings habe ich noch nie zuvor solch eine interessante Beute mit nach Hause gebracht.“ In seinem Blick funkelte es schelmisch auf.
„Du sagtest, im Moment.“ Ich knabberte auf meiner Unterlippe. Wieso beharrte ich so auf eine direkte Antwort?
„Möchtest du etwa wissen, ob ich meine Träume für mein Volk aufgebe?“ Er knuffte mich spielerisch in die Seite. „Einerseits ja, andererseits nein. Es wäre möglich, dass die Rolle des Clanoberhaupts nicht in der Blutlinie weitergegeben wird. Allerdings hat meine Großmutter, nachdem sowohl meine Mutter als ihre einzige Tochter, sowie meine beiden älteren Schwestern von klein an gesagt haben, dass sie sich solch einer Aufgabe nicht gewachsen fühlen, dafür Sorge getragen, dass ich mit dem Wissen von Kindesbeinen an konfrontiert werde. Daher fürchte ich mich nicht davor, es eines Tages von ihr zu übernehmen und freue mich sogar darauf. Natürlich werden dann Jagdausflüge nicht mehr möglich sein, doch dafür haben wir unsere Jäger.“ Er seufzte leise. „Mein Vater war einer von ihnen. Eines Tages wurde er bei der Büffeljagd schwer verletzt. Seitdem bildet er die jungen Jäger aus, musste somit ebenfalls seinen Wunsch aufgeben und sich neuen Aufgaben stellen.“
„Es stört dich also nicht?“ Hätte ich den Wunsch meiner Eltern, hauptsächlich Papas ebenso klanglos akzeptiert? Ich überlegte kurz. Der Umzug war das geringere Übel, dem ich zugestimmt hatte, weil ich meine Familie liebte und Mama sich nicht allein um die drei kleinen Teufel kümmern sollte. Doch eine arrangierte Ehe mit dem Sohn eines seiner Geschäftspartner?
„Wie ich bereits sagte, ich freue mich darauf. Ich habe nur manchmal gefürchtet, dass ich dabei nicht die richtige Frau an meiner Seite haben werde, wegen der Zweifel von Großmutter an Chenoa. Doch das Problem scheint sich gerade zu lösen.“ Er lächelte mich abermals verschmitzt an. In meinem Bauch kribbelte es. Tausend weitere Fragen lagen mir auf der Zunge, doch verblassten angesichts seines mitreißenden Grinsens. „Komm, ich möchte dir weitere Bereiche des Raumschiffs zeigen.“ Zusammen liefen wir zum Fahrstuhl, wobei Tokalah einen Arm um meinen Rücken legte. Verschwunden waren die negativen Gedanken an Papa, an meine Vergangenheit.