Irgendwo in Mexico
„Verdammte Idioten!“
Der Mann mittleren Alters im noblen Hausanzug nahm seine dunkle Sonnenbrille ab und fixierte sein Gegenüber mit einem durchdringenden Blick voller mühsam verhaltener Wut. Seine eisgrauen Augen blitzten gefährlich auf, während er leise, aber dennoch für seinen Gast gut verständlich zischte:
„Wie lange, glaubt ihr Versager eigentlich, muss ich mich hier auf dieser gottverlassenen Hazienda noch verstecken müssen? Findet das Miststück endlich!“
„Ja aber…“ Man sah dem muskulösen jungen Mann in der schwarzen Lederjacke genau an, dass er den anderen fürchtete, obwohl dieser ihm nicht nur des Altersunterschiedes wegen körperlich weit unterlegen gewesen wäre. Doch es war eindeutig, wer hier das Sagen hatte, und so zog der Jüngere fast ängstlich den Kopf ein. „Die Behörden behaupten, sie sei…“
„Tot?“
Der Ältere hieb derart heftig mit der Faust auf den Tisch, dass sein Besucher unwillkürlich zusammenzuckte. „Mein Gott, bin ich denn von hirnlosen Vollidioten umgeben? Wofür bezahle ich euch eigentlich? Fürs Nachdenken ganz sicher nicht!“
Mit einer unwirschen Bewegung schob er seine Sonnenbrille wieder auf die leicht gekrümmte Nase, die an den Schnabel eines Raubvogels erinnerte, und fuhr sich anschließend mit den Fingern durch sein raspelkurzes, dunkles Haar, das vor allem an den Schläfen bereits leicht ergraut war. Dann lehnte er sich kopfschüttelnd zurück. Fast sah es so aus, als würde er vor der offensichtlichen Unfähigkeit seiner Männer resignieren.
Aber nur fast...
Wer ihn kannte, der wusste, dass er nicht so leicht aus der Fassung zu bringen war. Doch diesmal spürte sein Besucher die unverhohlene Wut, die in dem Älteren brodelte. Und dieser mühsam unterdrückte Groll war kreuzgefährlich. Unwillkürlich der junge Mann wie zum Selbstschutz die Schultern hoch und verharrte regungslos.
Nach kurzer unheilvoller Stille atmete sein Gegenüber jedoch tief durch, als hätte er soeben einen Entschluss gefasst.
„Maria, bring mir einen Drink!“, rief er in ungeduldigem Befehlston über seine Schulter hinweg hinüber zum Haus.
„Sí, por supuesto, Señor!“, erklang die Stimme einer jungen Frau aus dem Hintergrund.
„Klar haben die gesagt, sie sei tot“, nahm er den Faden wieder auf und in seiner sonoren Stimme schwang nun ein eisiger Unterton, der nicht zu überhören war. „Bei einem tragischen Verkehrsunfall ums Leben gekommen? Wie praktisch! Habt ihr Idioten vielleicht mal eine Sekunde darüber nachgedacht, dass das zu einfach gewesen wäre?“
Wieder beugte er sich vor und starrte seinen Besucher an, diesmal durch die dunkle Brille hindurch, was nicht weniger furchteinflößend auf diesen zu wirken schien.
„Hat einer von euch Volltrotteln jemals ihre Leiche gesehen?“
Unbehaglich zerrte der junge Mann am Kragen seiner Lederjacke.
„N…nein, Boss. Wir hatten Carlos damals ins Leichenschauhaus eingeschleust, aber da war es schon zu spät. Sie hatten die Leiche bereits weggebracht und eingeäschert.“
„Ah ja“, nickte der mit „Boss“ Angesprochene mit fast unbewegten Lippen. „Und das hat euch nicht stutzig gemacht?“
„Nein, Carlos hat sich die Papiere zeigen lassen, und darin stand…“
„Es ist mir egal, was darin stand, verdammt!“, brüllte der Ältere, dessen Geduld nun endgültig am Ende zu sein schien, unvermittelt. Wutentbrannt riss er sich die Sonnenbrille von der Nase und knallte sie auf den Tisch. „Ich will eindeutige Beweise!“
„Ja aber, wie sollen wir denn…, ich meine, die Sache ist immerhin schon fast zwei Jahre her!“
„Wem sagst du das“, schnaufte der Boss und fixierte sein Gegenüber mit einem weiteren bösartigen Blick. „Glaubst du etwa, ich weiß nicht, wie lange ich hier in dieser Einöde schon festsitze? Jeder Tag ist verlorene Zeit und verlorenes Geld. Meine Geschäfte gehen allesamt den Bach runter, wenn ich sie nicht bald wieder selbst übernehmen kann!“
Abermals atmete er tief durch, um sich zu beruhigen, lehnte sich zurück und beobachtete, wie eine junge, äußerst attraktive Mexikanerin die großzügig angelegte mit noblen weißen Bretten verkleidete Veranda betrat und ein gut gefülltes Glas mit einer goldgelben Flüssigkeit und in der Sonne verführerisch schimmernden Eiswürfeln vor ihm abstellte.
„Danke Maria“, sagte er gnädig und tätschelte ihr wohlwollend das runde Hinterteil, was sie mit einem deutlich aufgesetzten Lächeln quittierte.
„Soll ich für Ihren Gast auch etwas bringen?“, fragte sie höflich mit starkem spanischen Akzent und strich rasch eine der schwarzen Locken zurück, die sich aus ihrem langen dicken Zopf gelöst hatte.
„Nein, mein Gast möchte nichts. Ein Drink würde ihm den letzten Rest von Verstand rauben, den er vielleicht noch besitzt.“
Mit einer unwirschen Handbewegung gab er ihr zu verstehen, dass sie sich entfernen sollte. Dann griff er nach dem Glas und nahm einen tiefen Schluck. Dem Mann ihm gegenüber lief beim Anblick des Drinks das Wasser im Mund zusammen und ihm war deutlich anzusehen, dass er sich nur zu gern ebenfalls eine hochprozentige Abkühlung gegönnt hätte, aber das schien den Älteren nicht zu interessieren. In seinem harten, scharfkantigen Gesicht mit der markanten Hakennase regte sich kein Muskel, doch diese unerbittlichen, eisgrauen Augen schienen den Jüngeren förmlich zu durchbohren und bescherten ihm trotz der Hitze eine Gänsehaut.
„Hast du alles dabei, was ich bestellt habe?“
Sichtlich erleichtert über den abrupten Themenwechsel nickte der junge Mann und brachte hastig einen Umschlag aus der Innentasche seiner Lederjacke zum Vorschein.
„Geld und neue Papiere, genau wie Sie es wollten.“
Der Boss öffnete das Kuvert und schüttete den Inhalt vor sich auf den Tisch. Dem ansehnlichen Packen Geldnoten schenkte er kaum Beachtung, dafür griff er nach dem Pass und dem Führerschein. Er begutachtete beides genau und nickte dann.
„Na wenigstens etwas, das mein idiotischer Haufen von Lakaien zustande gebracht hat“, knurrte er etwas besänftigt. „Es ist wirklich ein Jammer, dass die besten meiner Leute hinter Gittern verrotten, und alles nur wegen diesem verdammten Weibsstück!“
„Falls sie noch lebt, finden wir sie, Boss!“, beeilte sich der Jüngere zu sagen, obwohl ihm deutlich anzusehen war, dass er keinen blassen Schimmer hatte, wie er das anstellen sollte. Er war nur froh darüber, dass die Wut des Älteren anscheinend abgeklungen war.
Doch er sollte sich irren.
„Ihr werdet mir ab sofort alle achtundvierzig Stunden Bericht erstatten“, verlangte der Boss mit einer Stimme, mit der man hätte Glas schneiden können. „Und als kleinen Anreiz lasse ich an jedem Tag, an dem ich nichts Neues höre, einen von euch umlegen.“ Er strich sich scheinbar nachdenklich mit der Hand übers Kinn. „Wenn ich es mir recht überlege, könnte ich eigentlich gleich damit anfangen.“
Bevor der Jüngere den Sinn dieser Worte richtig verstanden hatte, spürte er bereits kalten Stahl an seiner Schläfe. Sein Herzschlag schien sekundenlang auszusetzen, als er begriff, was ihm da an den Kopf gehalten wurde. Hinter ihm stand einer der Bodyguards des Bosses, und seine unbewegliche Miene ließ keinen Zweifel daran, dass er sofort von seiner Waffe Gebrauch machen würde, wenn man es von ihm verlangte.
„Los, steh auf!“
Mit zitternden Knien folgte er dem Befehl und hob zugleich abwehrend die Hände.
„Nicht doch, Mister Raves… Boss… Ich verspreche Ihnen, wir werden so schnell wie möglich herausbekommen, ob sie wirklich tot ist!“
„Zu spät“, flüsterte ihm der Bodyguard boshaft ins Ohr und entsicherte die Waffe. „Sag goodbye, schöne Welt!“
Das Letzte, was der junge Besucher zu sehen glaubte, war das grausame Lächeln seines Arbeitgebers, während er dem Revolvermann bestätigend zunickte.
„Fuck... oh nein, bitte…“
Das metallische Klicken, das darauffolgte, erschien ihm wie ein Donnerschlag in seinem Kopf und er sank auf die Knie, bevor sein Gehirn registrierte, dass er noch lebte, und der andere nur geblufft hatte.
„Lass es dir eine Lehre sein, mein Junge“, warnte ihn der Boss mit bösem Lachen, ein Lachen, dass seine Augen nicht erreichte. Ungerührt drehte er das halbvolle Glas in seiner Hand und schien die Szene vor sich sichtlich zu genießen. „Das nächste Mal ist die Waffe geladen. Und nun schafft mir diesen Versager aus den Augen! Raus hier, bevor ich es mir anders überlege!“