Auf dem Weg zur CEC Corporation
Alli hatte schlecht geschlafen. Seit ihrem gestrigen Gespräch mit Jack ging ihr einfach zu viel im Kopf herum.
Abends war sie noch einmal zum Strand hinuntergegangen und hatte sich ein ruhiges Plätzchen in den Dünen gesucht, von wo aus sie den phantastischen Sonnenuntergang beobachten konnte. Und während sie über die Sache mit Davids Entführung nachgrübelte, fiel ihr etwas ein. Etwas, das ihr vor ein paar Tagen im Büro aufgefallen war, das sie jedoch damals noch nicht zu deuten wusste.
Jetzt allerdings begann das Ganze einen Sinn zu ergeben...
Es war ihr erster Tag in der CEC gewesen, und sie wollte George Carrington um einen Termin für Selinas Vorstellungsgespräch bitten. Also ging sie hinüber zu seiner Bürotür, klopfte an und trat ein.
Er saß in seinem Chefsessel, hatte sich mit dem Rücken zur Tür gedreht und telefonierte. Anscheinend hatte er weder ihr etwas zaghaftes Klopfen noch ihre Anrede gehört, denn er sprach unbeirrt weiter.
„... natürlich bin ich daran interessiert, dass es bald geschieht! Je eher ich ihn loswerde, desto besser! ... Das ist mir egal, ich will nur nicht, dass dabei irgendein Verdacht auf mich fällt, haben Sie verstanden? ... Vergessen Sie es, die Zahlung erfolgt, sobald Sie Ihren Auftrag ordentlich erledigt haben!“
Jack und die Anderen verdächtigten George schon geraume Zeit. Und anscheinend hatten sie verdammt recht damit!
Jetzt, nachdem Jack sie in alles eingeweiht hatte, musste dringend mit Dylan über die Sache reden.
Bei dem Gedanken an ihn verfinsterte sich Allis Gesicht.
Dylan - David Edwards` Zwillingsbruder, der ihr, ohne jegliche Skrupel mit seinem merkwürdigen Verhalten und seinen hartnäckigen Flirtversuchen schlaflose Nächte bereitet hatte! Mit ihm hatte sie sowieso noch eine kleine Rechnung offen.
CEC Corporation
Alli war gerade damit beschäftigt, einige Akten in den Schrank zu sortieren, als Dylan das Büro betrat.
„Guten Morgen Brenda“, begrüßte er Georges Assistentin, während er keinen Blick von Allis langen, wohlgeformten Beinen ließ, die in dem modisch kurzen Minirock, den sie heute trug, hervorragend zur Geltung kamen. Ihr Haar war lässig aufgesteckt, und ein paar einzelne Haarsträhnen hatten sich wie zufällig daraus gelöst, eine Frisur, die ihm schlichtweg den Verstand raubte.
Ob Jack schon mit ihr gesprochen hatte? Wusste sie bereits, dass er nicht David war? Wenn nicht, dann musste er unbedingt heute noch einen seiner berühmt-berüchtigten Verführungsversuche starten. Die ganze Sache war einfach zu reizvoll! Und selbst wenn sie in das Verwechslungsspiel eingeweiht war, auch egal! Er hatte keine Angst vor Jack Bennett. Schließlich war Alli nicht dessen Eigentum, und er selbst war ebenfalls nicht gebunden.
„Hallo Engel!“
„Guten Morgen, David“, erwiderte sie, ohne ihre Tätigkeit zu unterbrechen.
„Kommen Sie doch bitte in mein Büro, meine Liebe, und bringen Sie uns beiden Kaffee mit.“
Alli verharrte einen Augenblick und wandte sich dann schließlich doch erstaunt nach ihm um. Zudem bemerkte er Brendas neugierigen Blick und fügte charmant lächelnd hinzu: „Ich habe etwas sehr Dringendes mit Ihnen zu besprechen.“
Medical Center
Aileen schaltete ihren Laptop ein und betrachtete höchst zufrieden die Bilder, die sich ihr boten. Oh ja, daraus ließ sich mit den richtigen Tricks ganz sicher etwas machen.
Neben ihrem Job als Ärztin war sie ein As auf dem Gebiet der Bildbearbeitung, und wenn das hier in Kürze fertig war, würde es garantiert bei gewissen Leuten für eine Menge Gesprächsstoff sorgen, dessen war sie sicher.
„Warum grinst du so?“, fragte Nick, der eben das Ärztezimmer betrat.
Aileen klickte die angezeigten Fotos weg, hob den Kopf und sah ihren Kollegen vielsagend an.
„Hey, nicht so respektlos, wenn ich bitten darf! Ich bin immerhin auf dem besten Wege, unsere Zukunft zu sichern. Zumindest, was das private Glück betrifft, das uns beide zurzeit etwas verlassen hat“, erwiderte sie geheimnisvoll und dachte daran, wie sie gestern bei Sonnenuntergang mit ihrer Kamera am Strand gewesen war. Ein paar wirklich gute Fotos waren dabei entstanden, und keiner hatte etwas bemerkt, am wenigsten die Person, auf die sie es abgesehen hatte. Die war so in Gedanken versunken gewesen, dass es eine Leichtigkeit war, sie abzulichten.
Nick schenkte sich eine Tasse Kaffee ein.
„Was hast du vor, Aileen?“, fragte er misstrauisch und runzelte skeptisch die Stirn.
Sie warf das lange Haar zurück und lächelte verschlagen.
„Lass mich nur machen, mein Lieber. Wenn das hier fertig ist...“ Sie tippte vielsagend mit dem Finger auf die Mattscheibe des Laptops „...dann wird Selina schon bald wieder in deinen Armen liegen. Und Jack Bennett in meinen. So, wie es sich gehört.“
Nick nippte an seinem Kaffee und betrachtete die junge Ärztin skeptisch über den Rand der Tasse hinweg.
„Du machst mich nervös, Aileen.“
„Vertrau mir einfach.“
Davids Büro
Nach einem kurzen Klopfen trat Alli ein und stellte den gewünschten Kaffee auf Dylans Schreibtisch. Dabei fiel ihr Blick auf die Mappe mit den zu unterzeichnenden Unterlagen.
„Kann das heute mit der Post raus?“, fragte sie und verkniff sich ein Grinsen, als sie sah, wie er sich auf die Lippen biss.
„Nein, ich bin noch nicht dazu gekommen“, erwiderte er schnell. „Das eilt aber nicht, das schicken wir einfach etwas später los.“
„Nun“, meinte Alli, lehnte sich an den Schreibtischrand und verschränkte die Arme vor der Brust, während sie Dylan beobachtete, wie er zur Bürotür hinüberging und diese schloss. „Allzu viel Zeit würde ich mir an Ihrer Stelle nicht damit lassen. Ich fürchte, der Abgeordnete des Stadtrates zum Beispiel, der Sie zur nächsten Sitzung eingeladen und diesbezüglich um eine Bestätigung Ihrer Teilnahme gebeten hatte, wird nicht sehr begeistert darüber sein, wenn er seine Antwort nicht rechtzeitig erhält, David.“
David... Sie wusste also noch nichts. Umso besser!
Er kam lächelnd auf sie zu.
„Der Abgeordnete wird mir verzeihen.“
„Ihnen vielleicht, mir mit Sicherheit nicht. Er wird denken, dass David Edwards` persönliche Assistentin absolut unzuverlässig ist.“
„Wer das zu behaupten wagt, bekommt es mit mir zu tun“, erwiderte er mit schleppender Stimme und ließ sie dabei keine Sekunde aus den Augen. Dicht vor ihr blieb er stehen und lächelte.
„Wann ist denn die Versammlung?“
„In zwei Stunden.“
„Tja, da wird der Stadtrat wohl ohne mich tagen müssen. Warum haben Sie sich keinen Kaffee mitgebracht, Allison?“
„Ich habe bereits gefrühstückt.“
„Umso besser, dann werden wir den Tag eben anders beginnen.“ Sein Gesicht war nur noch wenige Zentimeter von ihrem entfernt, doch diesmal wich sie nicht zurück.
Dylan deutete das falsch und lächelte siegessicher.
„Ich will ehrlich sein, ich hatte bei einem gemeinsamen Frühstück auch nicht unbedingt an Kaffee gedacht.“ Er hob eine Hand und strich sanft mit den Fingerspitzen über ihre Wange. „Ich finde dich bezaubernd, Alli. Du weißt ganz genau, dass du mich völlig verrückt machst. Deine Augen, dieser Wahnsinns-Body, oh ja, allein schon dein Parfüm kann einen Mann zum Wahnsinn treiben.“
Alli hielt seinem Blick aus diesen gefährlichen, nachtblauen Augen stand.
„Sagen Sie, David...“, meinte sie, jeden Buchstaben seines Vornamens betonend. „Denken Sie bei dem, was Sie da tun, gelegentlich auch mal an Kate?“
„Sieht es so aus, als würde ich in diesem Moment auch nur einen einzigen Gedanken an eine andere Frau verschwenden?“, erwiderte er mit rauer Stimme und ließ seine Finger langsam über ihren Nacken wandern, wo er sich an dem obersten Knopf ihrer Seidenbluse zu schaffen machte. Sein hungriger Blick lag unverwandt auf ihren verführerischen Lippen, die leicht geöffnet waren. „Vergiss Kate“, flüsterte er und beugte sich voller Verlangen vor, um endlich von diesem einladenden Mund zu kosten.
`Jetzt hab ich dich soweit, mein Engel`, dachte er triumphierend, `endlich...`
Er vermochte hinterher nicht mehr genau zu sagen, wie es geschehen war, denn er hatte nicht einmal eine Bewegung Allis wahrgenommen, als ihn plötzlich eine unsichtbare Kraft durch die Luft wirbelte und knallhart auf dem Boden aufschlagen ließ. Der unvermutete Aufprall nahm ihm für Sekunden die Luft, während vor seinen Augen tausend Sterne wild zu tanzen begannen.
„Was zum Teufel...“, begann er, als er einigermaßen wieder bei Sinnen war, doch ein einziger Blick auf die Frau, die er soeben hatte verführen wollen, ließ ihn sofort verstummen.
Sie stand, genau wie vorher, lässig an den Schreibtisch gelehnt, hatte die Arme verschränkt und blickte scheinbar ungerührt auf ihn herunter.
„Hoppla! Ich hoffe, Sie haben sich nicht wehgetan, David! Oder sollte ich vielleicht lieber Dylan sagen?“
Bevor Dylan etwas erwidern konnte, wurde die Tür aufgerissen, und Brenda stürzte herein.
„Was ist passiert? Was war denn das eben für ein...“ Ihr Blick fiel auf Allis Boss, der sich soeben ächzend wieder aufrappelte. „Mister Edwards!“, rief sie entsetzt, als sie ihn am Boden sah. „Um Himmels Willen, haben Sie sich etwas getan? Soll ich den Notdienst rufen?“
„Nein, zum Henker“, fluchte Dylan und rieb sich sein schmerzendes Hinterteil. „Was soll ich denn mit dem Notdienst!“
„Mister Edwards ist unglücklicherweise über dieses neue Einpflanzung dort gestolpert“, erklärte Alli seelenruhig und wies auf den schweren steinernen Bodentopf mit Palmen und Orchideen, der vor nicht allzu langer Zeit angeliefert worden war und die Besucherecke des Büros zierte. „Ich habe ihm bereits mehrfach zu verstehen gegeben, dass diese Blumenarrangements nicht ganz ungefährlich sind. Man sollte sie keinesfalls unterschätzen.“
Dylan schluckte, denn er verstand sehr wohl die an ihn gerichtete Zweideutigkeit ihrer Worte.
„Lassen Sie das“, fuhr er Brenda an, als diese ihm dienstbeflissen aufhelfen wollte.
Erschrocken über seinen grimmigen Tonfall trat sie zurück.
„Verzeihung“, murmelte sie verstört und wandte sich mit hilflosem Achselzucken an ihre Kollegin. „Nun stehen Sie doch nicht so herum! Tun Sie etwas! Schließlich ist Mister Edwards Ihr Boss!“
„Oh, ich bin sicher, Mister Edwards kommt ganz gut allein klar“, erwiderte Alli ungerührt. „Er ist recht hart im Nehmen, wie mir scheint.“
„Danke Brenda, mir fehlt nichts“, knurrte Dylan etwas versöhnlicher und rappelte sich auf. Ungeduldig wartete er, bis Georges Assistentin den Raum wieder verlassen hatte.
„Und nun zu Ihnen, Schätzchen…“, begann er wütend, doch ein Blick in Allis Gesicht ließ ihn verstummen. Sie besaß doch tatsächlich die Frechheit, schadenfroh zu grinsen!
„Sie wissen es also“, stellte er resigniert fest und humpelte zum Schreibtisch hinüber, sich sein schmerzendes Hinterteil reibend.
„Dass Sie nicht David sind?“, erwiderte sie amüsiert. „Allerdings. Das herauszufinden war nicht besonders schwer.“
„Ach ja? Und wieso, wenn ich fragen darf?“
„David Edwards ist ein absoluter Gentleman. Sie dagegen…“
„Ja?“, fragte er lauernd.
Alli hob gleichgültig die Schultern.
„Sie? Sie sind nur seine Vertretung.“
Dylan musterte sie mit zusammengekniffenen Augen. Er mochte Frauen, die sich zu wehren wussten, und nach dieser Auseinandersetzung schien sie ihm noch begehrenswerter als zuvor. Er würde sich seinen Kuss holen, und selbst, wenn sie versuchte, ihn erneut auf so unkonventionelle Art auszubremsen, diesmal würde es ihr nichts nützen. Jetzt war er auf Gegenwehr vorbereitet.
„Dann werde ich dir mal zeigen, was die Vertretung zu dieser Aktion zu sagen hat!“, knurrte er angriffslustig und kam langsam auf sie zu.
In diesem Augenblick öffnete sich schwungvoll die Tür und Jack betrat das Büro.
„Hallo zusammen! Störe ich?“