SUN CENTER
Als Jack erwachte, dämmerte es bereits.
Blinzelnd registrierte er, dass er noch immer am Küchentisch saß. Mit steifen, schmerzenden Gliedern erhob er sich und atmete tief durch. Dabei bemerkte er erstaunt, dass ihm eine weiche Wolldecke von den Schultern fiel. Er hob sie auf und überlegte, wer sie ihm wohl so fürsorglich übergehängt hatte, während er hier über seinen Unterlagen eingenickt war. Eigentlich hatten alle schon geschlafen. Alle, bis auf Alli...
Ein Lächeln zog über sein Gesicht. Natürlich, sie war sicher mitten in der Nacht heimgekommen und hatte ihn hier vorgefunden.
Er ging nach oben, duschte und rasierte sich und zog Jeans und ein dunkles Poloshirt an. Heute war einer der Tage, an denen er verschiedene Direktkurse und Seminare an seiner Universität in Los Angeles belegte. Eilig suchte er die nötigen Unterlagen zusammen, verstaute alles in einem Aktenkoffer und ging wieder nach unten, wo er sich schnell ein Frühstück genehmigte.
Im Haus war es still, alle schienen um diese Zeit noch fest zu schlafen.
`Schade!`, dachte er, während er im Hinausgehen seine Jeansjacke vom Haken neben der Tür angelte. `Ich sehe Alli erst heute Abend. Falls sie dann zu Hause ist.`
Auf dem Weg nach draußen suchte er umständlich nach seinem Autoschlüssel, schloss den alten klapprigen Chevy auf und warf seine Tasche auf den Beifahrersitz. Hoffentlich beeilte sich Brendon mit der Reparatur des Motorrades! Seine Maschine fehlte ihm.
Der Wagen jedenfalls hatte wohl seine Gedanken "hören" können, denn er schien beleidigt. Während Jack den Schlüssel im Zündschloss drehte, ertönte nur ein gelangweiltes Leiern, das wie höhnisches Lachen in seinen Ohren klang und dann langsam in ein undefinierbares hässliches Geräusch überging, bevor es ganz und gar verebbte.
„Ach komm schon, lass mich jetzt nicht im Stich!“ Jack verdrehte die Augen und schlug mit der Faust aufs Lenkrad. „Dämlicher alter Kasten!“
LA konnte er vergessen. Ausgerechnet heute.
Und was nun?
Während er noch in seinem streikenden Chevy saß und grübelte, wo er so schnell wie möglich einen Mietwagen oder ähnliches bekommen konnte, klopfte jemand an die Scheibe des Seitenfensters.
„Guten Morgen!“
Er drehte den Kopf und sah direkt in Allis Augen. Erstaunt öffnete er die Tür.
„Nanu, du bist schon wach?“
„Ja, ich möchte heute etwas früher im Büro sein. Durch das Mittagessen gestern ist einiges liegengeblieben.“
„Du warst zum Mittagessen?“, fragte Jack neugierig. „Etwa zusammen mit Brenda?“
Alli lachte.
„Nein, mit meinem Boss und dessen Bruder. David hat mich eingeladen, oder besser gesagt, er bestand darauf, dass ich ihn begleite.“
„So so.“ Jack nickte bedeutungsvoll, sagte aber nichts weiter dazu. Stattdessen stieg er aus und warf die Tür des Wagens zu. „Meine Fahrt zur Uni hat sich soeben erledigt. Mister Chevy streikt. Das ist dann wohl höhere Gewalt.“
Alli griff in ihre Tasche, zog zu seiner Überraschung ihren Motorradschlüssel heraus und hielt ihn Jack vor die Nase.
„Das eben werde ich nicht als Argument in diesem Prozess gelten lassen, Herr zukünftiger Anwalt“, meinte sie grinsend. „Allerdings plädiere ich für einen Sturzhelm während der Fahrt!“
„Du borgst mir deine Maschine?“, fragte er fassungslos.
„Warum denn nicht? Solange du sie mir in einem Stück zurückbringst!“
Jack sah auf den Schlüssel in seiner Hand und dann auf die Frau, die ihm so viel bedeutete und schüttelte ungläubig den Kopf. Da hatte er doch wirklich geglaubt, sie vertraute ihm nicht. Mit diesem Angebot jedoch überzeugte sie ihn vom Gegenteil.
Ohne weitere Worte zog er sie zu sich heran und küsste sie. Er spürte sofort, dass sie seinen Kuss erwiderte, doch kurz darauf befreite sie sich lachend aus seinen Armen.
„Nun fahr schon los! Die Dozenten warten nicht gern!“
CEC Corporation
Alli nutzte die morgendliche Ruhe in der Firma und machte sich unverzüglich an die Arbeit. Als David zwei Stunden später im Büro erschien, fand er alle erforderlichen Unterlagen wohlgeordnet auf seinem Schreibtisch vor.
„Sie sind ein Engel“, bedankte er sich und legte ihr mit charmantem Lächeln eine rote Rose auf den Schreibtisch. „Was habe ich nur die ganze Zeit ohne Sie getan?“
Bevor sie etwas erwidern konnte, öffnete sich die Tür des Lifts und George stürmte herein, gefolgt von einer atemlosen Brenda, die den Eindruck erweckte, als habe sie anstatt des Fahrstuhls die Feuertreppe genommen.
Grußlos rauschte George an seinem Geschäftspartner und dessen Assistentin vorbei in sein Büro.
Brenda warf hektisch ihre Tasche auf den Stuhl, murmelte einen kurzen Gruß und folgte ihrem Boss.
„Tür zu!“, hörte man Georges unfreundliche Anweisung, bevor die Tür hinter den beiden geräuschvoll ins Schloss fiel.
David und Alli warfen einander einen bedeutungsvollen Blick zu.
„Dürfte ein interessanter Tag werden“, grinste David, zwinkerte seiner Assistentin verschwörerisch zu und verschwand ebenfalls in seinem Büro.
Alli atmete tief durch und griff nach der Rose auf ihrem Schreibtisch. Einen Augenblick lang starrte sie die perfekt geformte, duftende Blüte nachdenklich an.
`Er wollte sich nur erkenntlich zeigen, weil ich umsichtig bin, mich inzwischen recht gut eingearbeitet habe und ihm hier im Büro den Rücken freihalte`, versuchte sie sich einzureden. Andererseits... `Welcher normale Chef dankte seiner Assistentin mit roten Rosen für die Arbeit, für die er sie ja schließlich bezahlte!` Merkwürdig war das schon irgendwie.
„Nun ja, langweilig ist es hier mit Sicherheit nicht“, murmelte sie schließlich kopfschüttelnd, bevor sie sich auf die Suche nach einer geeigneten Vase begab.
Highway One zwischen LA und Long Beach
Die Vorlesungen schienen Jack an diesem Tag endlos, und während er am Nachmittag auf Allis schneller Honda den Highway entlang heimwärts fuhr, überlegte er, ob er wohl in seiner zukünftigen Berufslaufbahn als Anwalt ständig ähnlich langweilige Fälle zu bearbeiten haben würde, wie sie der alternde Gastdozent heute stundenlang geschildert hatte. Nun ja, tröstete er sich und grinste, selbst der interessante Gerichtsprozess wirkte aus dem Munde dieses blasierten, vor sich hin nuschelnden Mannes wie ein Spaziergang durch die Wüste.
Jack fand es herrlich, Allis Bike zu fahren. Die Maschine hatte Power und war schnell und wendig. Er genoss das Singen des Motors und hätte das Tempo nur allzu gern noch gesteigert, doch die Highway-Polizei war allgegenwärtig. Eine weitere Strafanzeige konnte er sich nicht leisten, und David würde ihn diesmal bestimmt nicht herausboxen.
Nein, ganz sicher nicht.
Noch bevor er länger über David nachdenken konnte, bemerkte er erneut den dunklen Wagen, der schon die ganze Zeit hinter ihm fuhr. Das Fahrzeug war ihm vorhin bereits aufgefallen, als er LA verließ und plötzlich hinter sich ein wütendes Hupkonzert vernahm, weil eben dieser Wagen einigen Verkehrsteilnehmern an der Ampel die Vorfahrt geschnitten hatte.
Jack sah genauer in den Rückspiegel. Mit Mühe konnte er zwei Männer in dem Auto erkennen. Beide trugen dunkle Sonnenbrillen.
War das nur ein Zufall oder verfolgten ihn diese Leute?
Der dunkle Wagen war jetzt ganz dicht hinter ihm, und Jack verlangsamte absichtlich sein Tempo, um zu sehen, ob der Mann am Steuer nun überholen würde, was er bei dieser Geschwindigkeit mühelos hätte tun können. Aber der Unbekannte bremste ebenfalls sofort ab und blieb nach wie vor im Windschatten des Motorrades.
Also doch! Irgendwer schien hinter ihm her zu sein. Das war jetzt mehr als offensichtlich.
Jack überlegte fieberhaft, wer Interesse an solch einer Aktion haben könnte. Ob das mit dem Einbruch in der Firma am vergangenen Wochenende zu tun hatte?
Egal... Wer auch immer das sein möge, jetzt war Schluss mit diesem Unsinn!
Jack drehte auf und brauste mit Vollgas los, schlängelte sich geschickt zwischen einigen vor ihm fahrenden Fahrzeugen hindurch und preschte ein ganzes Stück mit fast 200 Meilen den Highway hinunter Richtung Huntington. Kurz vor der Abfahrt Long Beach verlangsamte er sein Tempo wieder und beobachtete den folgenden Verkehr.
Er brauchte nicht lange zu warten, denn er sah ihn sofort. Der dunkle Wagen musste alles gegeben haben, denn er tauchte nach ein paar Minuten hinter einigen anderen Fahrzeugen wieder auf.
Jack überlegte nicht lange, drehte erneut auf, legte sich waghalsig in die nächste Kurve und nahm im letzten Moment in rasantem Tempo die Abfahrt nach Long Beach.
Hinter ihm quietschten Bremsen, denn seine offensichtlichen Verfolger schafften es nur mit äußerster Mühe, den Highway an gleicher Stelle zu verlassen, ohne dabei in den Leitplanken zu landen.
CEC Corporation
Brenda und Alli hielten in ihrer Arbeit inne und starrten in unheilvoller Erwartung auf jene Tür, hinter der sich ihre Vorgesetzten wütend anbrüllten.
George war vor ein paar Minuten in Davids Büro gestürmt und seitdem hatten die beiden Geschäftspartner einen lautstarken Streit, der absolut nichts Gutes verhieß.
Als sich plötzlich die Tür des Lifts öffnete, fuhren die Frauen erschrocken zusammen.
Jeff Cabott betrat den Raum.
„Ich habe eine Verabredung mit David“, begann der smarte junge Mann, unterbrach sich jedoch angesichts der nicht zu überhörenden Auseinandersetzung seiner neuen Geschäftspartner, und räusperte sich diskret.
„Ähm… Vermutlich wäre es sinnvoller, wenn ich später nochmal hereinschaue“, grinste er und zwinkerte den Damen bedeutungsvoll zu. „Man sieht sich.“
„Er ist… süß“, schwärmte Brenda, als sich die Türen des Lifts hinter Jeff geschlossen hatten. „Er hat ein so unwiderstehlich niedliches Lächeln.“
Alli nickte geistesabwesend und starrte weiter auf die geschlossene Bürotür.
„Sollen wir den Sicherheitsdienst rufen?“, fragte Brenda besorgt.
„Ich glaube nicht, dass das nötig sein wird“, erwiderte Alli trocken, ohne den Blick abzuwenden. „Vermutlich dürfte es David nicht schwerfallen, George den Hals umzudrehen, wenn es ihm zu viel wird.“
Brenda schluckte und zog den Kopf ein.
„Ich hätte heute Morgen mein Horoskop nicht lesen sollen“, flüsterte sie resigniert. „Ich wusste gleich, das wird ein ganz mieser Tag!“
Long Beach
Long Beach war Jack bestens bekannt. Er fuhr durch einige enge Seitenstraßen und hielt schließlich in einer Toreinfahrt, von wo aus er die vorbeifahrenden Fahrzeuge gut sehen konnte.
Da waren sie wieder!
Aber anscheinend hatte er es hier mit Profis zu tun, denn sie hatten ihn ebenfalls entdeckt und stoppten sofort.
Nichts wie weg...
Jack fuhr quer durch einen Hinterhof, von dessen schmaler Ausfahrt er auf die nächstliegende Straße gelangte. Quietschende Reifen hinter ihm bewiesen, dass die beiden Unbekannten die Verfolgung wieder aufgenommen hatten.
Wohin jetzt?
Da vorne war doch... Luiccis Taverne!
Jack sauste mit Vollgas die Straße entlang, bremste, schlug einen waghalsigen Haken, fing die Maschine, die durch die Aktion etwas ins Schlingern geriet, gekonnt ab und war plötzlich aus den Augen seiner Verfolger verschwunden.
Der dunkle Wagen hielt an.
Die beiden Männer stiegen aus und blickten sich eilig suchend um.
„Verdammter Mist“, fluchte der Fahrer, ein kräftiger junger Mann mit leicht südländischem Akzent. Wütend nahm er seine Sonnenbrille ab, um besser sehen zu können. „Dieses verflixte Biest scheint sich in Luft aufgelöst zu haben!“
Er fuhr sich nervös durch sein schwarzes Haar und auf seiner Stirn glänzten kleine Schweißtropfen, während der andere, ein drahtig wirkender Mittvierziger, ungeniert auf offener Straße seine Waffe zog.
„Sie kann nicht weit sein“, knurrte er und bedeutete seinem Kumpan mit einer eindeutigen Handbewegung, ihm zu folgen. „Na los, komm schon, schnappen wir sie uns!“
CEC Corporation
Kurz nachdem George sichtlich schlecht gelaunt die Firma verlassen hatte, bat David Alli über die Wechselsprechanlage in sein Büro. Ein paar Sekunden später betrat sie das Zimmer.
„Sie wollten mich sprechen?“
Er nickte.
„Schließen Sie bitte die Tür“, sagte er freundlich. „Wir wollen doch nicht, dass Brenda Ohrensausen bekommt.“
Lächelnd folgte Alli seiner Aufforderung.
„Alles in Ordnung?“, fragte sie, während sie vor dem Schreibtisch stehen blieb. „Mister Carrington schien vorhin ziemlich wütend!“
„Das hat nichts weiter zu bedeuten“, erwiderte David und wies auf einen der freien Sessel. „Bitte setzen Sie sich einen Augenblick.“
Sie folgte seiner Aufforderung, doch die Art, wie er sie ansah, verunsicherte sie erneut. David bemerkte ihr Zögern und lächelte.
„Hatte ich bereits erwähnt, dass Sie heute wieder hinreißend aussehen? Sie sollten Ihr Haar öfter offen tragen.“
Irritiert senkte Alli den Blick. Was war denn nur plötzlich mit ihm los? Warum machte er ihr ständig solche Komplimente?
„David, ich glaube nicht, dass…“ ´…dass es Kate gefallen würde, wenn Sie so mit mir reden!´ wollte sie sagen, doch er unterbrach sie mit einem Augenzwinkern.
„Tut mir leid, ich wollte Sie nicht in Verlegenheit bringen.“
Sie atmete unmerklich auf, doch ihre innere Spannung löste sich erst, als er sich zurücklehnte und das Thema wechselte.
„Nun ja, George war in der Tat etwas ungehalten, was ich ihm angesichts der gegenwärtigen Situation nicht einmal verübeln kann. Allerdings hat er sich mein Verhalten nach seinen jüngsten Eskapaden selbst zuzuschreiben.“ Er machte eine kurze Pause und drehte dabei nachdenklich den Stift zwischen seinen Fingern. „Ich weiß nicht genau, wie genau man unsere Auseinandersetzung bis ins Vorzimmer verfolgen konnte, aber es geht um Folgendes: Ich habe zwar, wie Sie ja wissen, gestern die Passwörter sämtlicher Rechner gegen neue ausgetauscht, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass ich an Georges PC nicht herankomme. Er plant irgendetwas Großes, das spüre ich. Allerdings fehlen mir bislang die Beweise dafür. Und nach seiner Pleite gestern wird er nur umso verbissener versuchen, seine Ziele zu verfolgen.“
Er stützte seine Ellenbogen auf die Schreibtischplatte und sah Alli offen an.
„Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich möchte Sie nicht auffordern, für mich zu spionieren, aber falls Brenda in ihrer... nun sagen wir... Nachlässigkeit irgendwann das Passwort zu ihrem und Georges Rechner verlauten ließe, wäre es sehr hilfreich, wenn Sie...“
Er unterbrach sich erstaunt, als er sah, wie Alli sich erhob, einen Stift von seinem Schreibtisch nahm und etwas auf einen Zettel schrieb.
„Was ist das?“, fragte er verständnislos.
„Emily 21. Das Passwort zu Georges Rechner“, erwiderte sie mit einem Lächeln, als hätte sie ihm soeben den Kaffee serviert. „Benötigen Sie sonst noch etwas?“
„Wow“, entfuhr es David. „Eins zu null für Sie. Das ist unglaublich!“ Seine Augen fixierten sie wieder auf eine Art, die sie nicht zu deuten wusste. „Sie sind fantastisch, Allison.“
„Gern geschehen.“ Sie trat unwillkürlich einen Schritt zurück. „War das alles?“
„Aber ja, für heute haben Sie mir mehr als genug geholfen. Nehmen Sie sich den Rest des Nachmittages frei. Gehen Sie noch ein wenig zum Strand, genießen Sie die Sonne und das Meer, Sie haben es verdient.“
Falls sie erstaunt war, so ließ sie es sich in diesem Augenblick nicht anmerken.
„Danke. Das werde ich gern tun. Bis morgen, David.“
Sie drehte sich um und verließ eilig sein Büro.
David blickte ihr nach, bis die Tür hinter ihr ins Schloss fiel. Ein siegessicheres Lächeln umspielte seine Lippen.
„Bis morgen, mein Engel. Ich kann es kaum erwarten.“
Eine kleine italienische Taverne in Long Beach
Luicci, der dicke italienische Wirt staunte nicht schlecht, als einer seiner Gäste plötzlich mitsamt seinem Motorrad in seiner gemütlichen Gaststube auftauchte.
„Miseria“, schimpfte er wild gestikulierend drauflos. „Nicht doch, Seniore, das ist ein Grande Italiano Restaurante, nix Tankstelle! Stelle deine Schaukelpferd gefälligst vor die Tür!“
Unbeirrt schob Jack die Honda bis zum Tresen und nahm den Helm ab.
„Mama Mia!“ Das entsetzte Gesicht des Wirtes erstrahlte förmlich, als er erkannte, wen er vor sich hatte. „Jacko Bennetto, meine Freund!“
„Luicci, du musst mir unbedingt helfen!“
Mit seinen kurzen Beinen kam Luicci um die Theke herumgeeilt und hieb Jack freundschaftlich seine Hand auf die Schulter.
„Si si, certo! Was hast du auf deine Herz, il mio Amico?“
Jack sah sich kurz in der Taverne um. Um diese Zeit waren zum Glück keine Gäste da, nur zwei alte Männer hockten am Tisch in der Ecke und spielten selbstvergessen Karten.
„Da sind zwei Typen hinter mir her, Luicci“, flüsterte er leise und wies zur Tür. „Kann sein, dass die jeden Moment hier auftauchen!“
Luicci zog die buschigen Augenbrauen hoch.
„Polizia? Hast was ausgefressen, vecchi truffatori?“
„Nein“, beruhigte ihn Jack. „Keine Polizei. Ich habe keine Ahnung, wer die Männer sind, aber so wie die sich bisher verhalten haben, werde ich sie ganz sicher nicht danach fragen.“
„Aaaah...“ Der Wirt lachte. „Hast vielleicht deine neue Seniorita einem anderen ausgespannt, und jetzt er will machen Lasagne aus dir, kann das sein?“
Jack biss sich auf die Lippen. Wenn sie hier noch länger diskutierten, würden seine Verfolger ihn bestimmt schnappen.
„Komm schon, Luicci, ich erkläre es dir später“, meinte er eindringlich mit einem vorsichtigen Blick zur Tür. „Wo kann ich hin?“
„Dort hinaus.“ Luicci wies auf eine Pendeltür neben der Theke. „Mach schon, spento!“ Er eilte nach hinten und hielt Jack die Tür auf. „Pass auf mit deine Pferdchen, strappo per niente! Die Tür geradeaus führt in Gemüsegarten von meine Señora, aber nix fahren über ihre bellissimi fiori, immer schön geradeaus, dann kommt Straße!“
Jack schob die Honda eilig durch den engen Gang in den Garten.
„Danke Luicci, ich bin dir was schuldig!“
Der Wirt war ihm bis zum Ausgang gefolgt und klopfte ihm lachend auf die Schulter.
„Komm bald zu mir mit deine bella Seniorita, mein Freund... Dann ich sie mir ansehen und dir sagen, ob sich Aufregung gelohnt hat!“
Jack startete die Maschine, winkte ihm noch kurz zu und fuhr davon.
Kaum war Luicci zurück in seiner Gaststube, als auch schon die Tür aufgerissen wurde und zwei fremde Männer hereinstürzten. Einer schwenkte hektisch eine Pistole in seiner Hand.
„Madonna mia...!“ Luicci riss erschrocken beide Hände bis zum Anschlag in die Höhe.
„Hast du jemanden mit einem Motorrad hier gesehen?“, fuhr ihn der Fremde unwirsch an.
Der Wirt schüttelte verständnislos den Kopf und wandte sich dann an die beiden Kartenspieler.
„Sergio... Paolo... per un momento... Wer von euch ist heute mit eine Motorrad hergekommen?“
Zahnlose Gesichter starrten ihn verständnislos an.
„Was sagst du da? Wer hat ein Motorrad gewonnen?“, fragte der eine und hielt sich die Hand ans Ohr, um besser zu verstehen.
Die Männer an der Tür musterten Luicci und seine beiden Gäste einen Augenblick lang verdattert, warfen einander dann einen hilflosen Blick zu und verließen die Taverne genauso schnell, wie sie aufgetaucht waren.
„Arrivederci, Señores“, grinste Luicci und deutete eine Verbeugung an. „Beehren Sie meine bescheidene Lokal bitte nie wieder!“
Auf dem Highway zwischen Long Beach und Destiny Beach
Die ganze Heimfahrt über grübelte Jack nach, aus welchem Grund man ihn verfolgt hatte. Seine Verfolger war er zwar los, denn auf Luicci konnte man sich verlassen, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass ihm jemand hartnäckig auf den Fersen gewesen war. Ein Glück, dass bei seinen Aktionen Allis Motorrad unversehrt geblieben war.
Moment mal…
Allis Motorrad?
Plötzlich fiel es Jack wie Schuppen von den Augen. Was war, wenn diese Kerle gar nicht ihn verfolgten, sondern sie? Es war ihre Maschine, und es war offensichtlich, dass sie vor irgendwem auf der Flucht war. Sicher kannten ihre Verfolger, wer auch immer die waren, das Nummernschild ihrer Honda.
Wieder einmal wurde ihm schmerzlich bewusst, wie wenig er eigentlich von Alli wusste. Aber egal, wer auch immer es auf sie abgesehen hatte, er würde ihr helfen. Auf seine Weise, und wenn es nur durch Kleinigkeiten war.
Soeben hatte er die Einfahrt nach Destiny Beach genommen. Kurzentschlossen bog er zu Brendons Werkstatt ab.
Jerry, Brendons Mitarbeiter, schraubte geschäftig an einem alten klapprigen Ford herum.
„Hi“, begrüßte er Jack und schob sein Basecap in den Nacken. „Dein Maschinchen ist aber erst morgen fertig.“
Jack nickte.
„Kein Problem. Aber deswegen bin ich nicht hier.“
Er stellte die Honda ab und sah sich kurz um. Brendon schien nicht da zu sein, aber auf Jerry war genauso Verlass wie auf seinen Boss.
„Ich brauche eure Hilfe.“
„Lass hören, was gibt’s denn?“
„Kannst du mir so schnell wie möglich ein neues Nummernschild für diese Maschine hier besorgen?“ Er sah Jerrys prüfenden Blick und grinste. „Keine Angst, Mann, sie ist weder geklaut noch sonst irgendwas Verbotenes. Eine Freundin von mir hat einen hartnäckigen Verehrer, der braucht nur das Nummernschild an der Maschine zu sehen, schon ist er hinter ihr her. Das nervt furchtbar. Eben hat er mir förmlich am Allerwertesten geklebt, weil er glaubte, ich wäre sie.“
Jerry lachte und kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf.
„Verehrer, ja? Mann oh Mann, manche Leute haben vielleicht Probleme." Er maß die Honda mit einem prüfenden Blick und verzog dann etwas bedenklich das Gesicht. „Das Vögelchen ist in Texas zugelassen. Das wird allerdings ein wenig schwierig.“
„Kein Problem“, beeilte sich Jack zu sagen. „Meine Freundin hätte sie sowieso irgendwann ummelden müssen, denn sie wohnt jetzt hier.“
„Okay, lass die Papiere da und geh inzwischen nebenan einen Kaffee trinken. In einer halben Stunde habe ich alles erledigt.“
Jack klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter.
„Danke Jerry, du hast was gut bei mir.“
„Klar doch. Ich werde dich beim nächsten Treffen im DESTINYS daran erinnern!“