Medical Center
Nach der Besichtigung der Brandstelle fuhr Selina direkt zum Oceanside Memorial, um sich nach Carla und Eliot zu erkundigen.
In der Klinik wurde ihr jedoch ein Besuch bei den beiden mit dem Hinweis verweigert, dass die Patienten dringend Ruhe benötigten, und ihre behandelnden Ärzte vorerst keine Besuche gestatteten. Auch über Art und Schwere ihrer Verletzungen durfte die Schwester keinerlei Auskunft geben und bat die Besucherin mit Nachdruck, irgendwann am nächsten Tag noch einmal wiederzukommen. Unverrichteter Dinge verließ Selina das Memorial und fuhr zum Strand, um mit Jason zu sprechen. Sie fand ihn in der Lifeguard-Station, wo er sich seit seinem Dienstbeginn aufgehalten hatte.
Schockiert über das, was Selina ihm berichtete, versprach er, sich sofort telefonisch nach seinen beiden Freunden zu erkundigen, wenn er am Mittag seinen Dienst in der Klinik antrat.
Redaktion des SENTINEL
Schließlich fuhr Selina zurück in die Redaktion, um den gewünschten Bericht auszuarbeiten. Doch sie konnte sich nicht so recht konzentrieren. Immer wieder wanderten ihre Gedanken zurück zu dem zufällig gehörten Gespräch zwischen den beiden Feuerwehrmännern.
Was, wenn es tatsächlich Brandstiftung gewesen war?
„Hört auf, mit eurem Essen das Ungeziefer an unseren Strand zu locken. Verschwindet, bevor es zu spät ist!“
Dieser Zettel, den Carla in ihrem Briefkasten gefunden hatte, war eine offene Drohung. Vielleicht hätte sie damals gleich zur Polizei gehen sollen.
„Wie weit sind Sie mit Ihrem Bericht?“ drängelte Sullivan von seiner Bürotür aus. „Das Ganze soll nachher gleich in Druck gehen!“
„Fast fertig, Dave“, erwiderte Selina und schrieb eilig weiter. Sie würde sich vorerst auf die Fakten konzentrieren und später in aller Ruhe ihre Nachforschungen anstellen. Dazu gehörte auf jeden Fall die Befragung von Carla und Eliot, aber auch eine telefonische Nachfrage bei der Staatsanwaltschaft zum Stand der gegenwärtigen Ermittlungen.
Und dann waren noch diese beiden Feuerwehrmänner, die angeblich etwas Verdächtiges gesehen hatten und deren Namen glücklicherweise auf ihrem Notizblock standen.
Selina beendete ihren Bericht und atmete tief durch.
Wenn an dieser Sache etwas faul war und es sich hier wirklich um Brandstiftung handelte, dann würde sie das schon herausfinden!
SUN CENTER
„Hast du inzwischen etwas von Carla oder Eliot erfahren können?“, bestürmte Selina Jason sofort, als er spät abends aus der Klinik kam. „Wie geht es Ihnen?“
„Eliot hat eine schwere Rauchvergiftung und liegt noch immer auf der Isolierstation unter dem Sauerstoffzelt“, berichtete er und setzte sich zu ihr auf die Couch. „Und was Carla betrifft, das ist eigenartig...“ Er unterbrach sich und starrte nachdenklich vor sich hin.
„Was meinst du?“, fragte Selina erstaunt und sah ihn erwartungsvoll an.
„Nun ja, ich bin direkt nach meinem Rettungs-Dienst am Strand nach Oceanside gefahren, aber als ich in die Klinik kam, sagte man mir, sie habe nur eine leichte Rauchvergiftung und ein paar Brandblasen an den Händen, die allerdings unbedenklich wären. Man wollte sie eigentlich bereits morgen nach Hause schicken.“
„Und?“
„Ich war dann kurz bei ihr und habe ihr angeboten, sie könne vorübergehend hier im SUN CENTER wohnen, wenigstens so lange, bis Eliot wieder gesund sei. Sie war auch einverstanden und schien sehr erleichtert über diese Lösung, da man ihr bereits mitgeteilt hatte, dass ihr Haus von dem Feuer völlig zerstört worden sei. Und sie hat mir noch etwas gesagt...“
„Und was? Erzähl schon!“
„Sie war überzeugt davon, dass es kein Zufall gewesen ist, dass das Feuer ausbrach. Jemand war im Haus, sie ist davon aufgewacht. Und die Ursache für den Brand war auch keine vergessene Kochplatte, wie der Brandschutzbeauftragte behauptete, der sie kurz vor mir in der Klinik aufgesucht hat.“
„Eine vergessene Kochplatte soll den Brand ausgelöst haben?“
„Ja, so behaupten die Verantwortlichen zumindest. Aber Carla ist absolut sicher, dass sie den Hauptschalter ausgestellt hatte. “
„Das ist wirklich eigenartig.“
„Wieso?“
Selina überlegte kurz und berichtete Jason dann von dem Gespräch der beiden Feuerwehrmänner, das sie zufällig gehört hatte.
„Kennst du die Namen der beiden?“
„Allerdings.“
„Das ist gut, dann können wir dort nachfragen. Irgendetwas an dieser Sache stinkt gewaltig, das kann ich förmlich riechen.“
„Ja, immerhin ist es offensichtlich, dass Jemandem die Armenküche ein Dorn im Auge ist. Denk bloß mal an die Drohung auf dem Zettel, den Carla mir gezeigt hat, als wir dort waren!“ Selina besann sich kurz und schüttelte dann ungläubig den Kopf.
„Das wäre ja...“
„...Brandstiftung, du sagst es.“ Jason nickte verbittert. „Aber ich habe dir noch nicht alles erzählt.“
„Was denn noch?“
„Als ich eben nach Schichtschluss noch einmal im Oceanside Memorial drüben war und nach Carla sehen wollte, war sie weg.“
„Weg? Wohin?“
„Ihr behandelnder Arzt meinte, ein Krankenwagen vom LA County habe sie auf Anweisung eines Arztes zu zusätzlichen Untersuchungen abgeholt. Nur kennt die Unterschrift des Arztes in der Klinik keiner.“
Irgendwo auf einer einsamen Landstraße
„Wo bringen Sie mich hin?“, fragte Carla zum wiederholten Mal, während der Wagen, der sie abgeholt hatte, bereits seit geraumer Zeit durch eine ihr unbekannte Gegend fuhr.
„Halt endlich die Klappe, Süße“, erwiderte der Fahrer unfreundlich und schob das Trennfenster zur Fahrerkabine zu. Er trug eine Sonnenbrille und ein Basecap, das er tief in die Stirn gezogen hatte.
Carla sah sich verzweifelt um. Der Wagen hatte äußerlich ausgesehen wie ein Krankentransport, aber innen war es nur ein gewöhnlicher Lieferwagen. Dazu auch noch mit abgedunkelten Fenstern und ziemlich dreckig.
Plötzlich war die Fahrt zu Ende. Jemand riss die Tür auf.
„Endstation! Los, aussteigen, Lady!“
Ihre Knie zitterten und ihr Kopf schmerzte von den Gasen, die sie heute Morgen eingeatmet hatte. Mit ihren verbundenen Händen konnte sie sich nicht richtig festhalten und stolperte linkisch aus dem Wagen.
Sie befanden sich irgendwo am Straßenrand. Carla konnte im Halbdunkel nur ein einziges Haus erkennen, das wie eine alte halb verfallene Baracke aussah.
Der unfreundliche Fahrer ergriff ihren Arm und zog sie hinüber zum Eingang.
„He, lassen Sie mich gefälligst los!“, protestierte sie, doch das schien ihn nicht im Geringesten zu beeindrucken. Unsanft stieß er sie in ein abgedunkeltes Zimmer und schloss die Tür.
„Was soll der Quatsch?“, fragte sie in die Dunkelheit, und obwohl sie schreckliche Angst hatte, bemühte sie sich ihrer Stimme einen festen Klang zu geben. „Wo bin ich hier?“
„Sie befinden sich in Sicherheit, Lady. Ob das so bleibt, liegt ganz bei Ihnen“, ertönte eine Stimme aus dem Dunkel, und Carla erkannte, dass sie nicht allein war. Eine Schreibtischlampe wurde eingeschaltet und direkt auf ihr Gesicht gerichtet. Geblendet durch das grelle Licht konnte sie nur die undeutlichen Umrisse des Mannes erkennen, der dahinter stand und zu ihr sprach.
„Wer sind Sie?“
„Das tut nichts zur Sache“, erwiderte der Unbekannte. „Wichtig ist, dass ich weiß, wer Sie sind! Setzen Sie sich.“
Widerwillig kam Carla der Aufforderung nach. Sie wusste, dass ihr keine Wahl blieb. Zudem zitterten ihre Beine so stark, dass sie froh war, sich setzen zu können. „Ich möchte Ihnen einen kleinen Deal anbieten“, fuhr der Unbekannte nach kurzer Pause fort. „Wenn Sie vernünftig sind und ihn annehmen, können Sie in ein paar Minuten gehen, wohin Sie wollen.“
„Und was ist das für ein...Deal?“, fragte Carla misstrauisch und versuchte ihre Augen, die von dem grellen Licht schmerzten, mit der Hand zu schützen.
„Das Leben Ihres Partners gegen eine nette kleine Aussage von Ihnen.“
„Waaas?“ Ungläubig starrte sie auf die Silhouette des Mannes, die sich nur undeutlich hinter dem Lichtkegel abzeichnete.
„In der Zeitung wird stehen, Ihr Haus sei durch Eigenverschulden abgebrannt. Falls Sie dennoch jemand fragt, so sagen Sie einfach, Sie sind nicht ganz sicher, ob Sie gestern Abend, als sie Ihre Küche verließen, auch wirklich alles abgestellt haben. Als Gegenleistung dafür garantieren wir Ihnen, dass Ihr Partner in ein paar Tagen die Klinik wohlbehalten verlassen wird. Und dazu das hier...“ Sie hörte, wie er etwas vor ihr auf den Tisch legte. „Für einen Neuanfang. Egal, wo, aber nicht in Südkalifornien. Haben wir uns verstanden, Lady?“
„Was...“ Carla schluckte. „Was ist, wenn ich das nicht tue?“
„Nun“, meinte der Unbekannte mit sonorer Stimme. „Das wäre in der Tat äußerst dumm von Ihnen, Lady. Außerdem sehr bedauerlich, denn heutzutage kann so viel passieren. Unfälle in Krankenhäusern, sogar auf offener Straße.“ Er machte erneut eine Pause, dafür hörte sie die drohende Stimme des Mannes, der den Transporter gefahren hatte, dicht an ihrem Ohr: „Ich hoffe, du hast uns verstanden!“
Carla hatte keine Wahl. Eliots Leben stand auf dem Spiel, und dieser Preis war einfach zu hoch. Stumm nickte sie.
„Ich bin mir nicht sicher, ob ich vor dem Schlafengehen auch wirklich alles ausgeschalten habe“, sagte sie resigniert.
Ein leises, zufriedenes Lachen hinter dem Lichtkegel.
„Braves Mädchen. Vergessen Sie nicht, den Scheck mitzunehmen, Sie werden ihn brauchen.“
Das Licht verlosch und undurchdringliche Dunkelheit umgab sie. Sie vernahm Schritte, das Klappen der Tür. Kurz darauf startete draußen ein Wagen.
Dann war es still.
Sie war allein...