Personen, die sich nicht mit dem bei ihrer Geburt zugewiesenen Geschlecht nicht identifizieren können
AlinaxLuan Woodwalkers FF
Alina grub die Krallen in das feuchte Laub. Ihre Gedanken wanderten hin und her, während sie auf der Suche Beute durch das Unterholz tappte. Ihre weichen Pfoten erzeugten kein Geräusch. Für Außenstehende musste es seltsam aussehen, wenn ein Fuchsrüde am helllichten Tag herumstreunte. Aber sie fühlte sich nicht wie ein Fuchsrüde, ein Gedanke, der sie wach hielt. Eigentlich hatte sie einen für einen Fuchs typischen Rhythmus angewöhnt seit sie von zu Hause abgehauen war. Sie war halb als Mensch und halb als Fuchs aufgewachsen, seit sie denken konnte. Aber dann hatte sie sich als Transgender geoutet, ihre Eltern wollten das nicht akzeptieren. Sie hatten sie nicht wirklich rausgeschmissen, sie war geflüchtet. Es war zu viel geworden, ständig ihren Deadname hören zu müssen.
Sie wollte das alles hinter sich lassen. Einfach nur frei sein, niemanden haben, der sie kontrollieren konnte. Dass sie sich mit ihren 16 Jahren kleidete, wie es ihr Wunsch war. Sie hatte ihre Kleider, die sie sich gekauft hatte in ihrem Bau versteckt. Immerhin hatte ihr männlicher Geruch einen Vorteil, man hielt sie für einen Rüden, mit dem man sich nicht wirklich anlegen wollte. Was mit ihrer alten Schule war, wusste sie nicht einmal, auch nicht, was mit ihren Freunden war, die sie zurückgelassen hatte. Es waren keine Wandler, gewöhnliche Menschen. Tierische Freundschaften hatte sie bisher nicht geschlossen. Füchse waren allerdings auch eher Einzelgänger. In Paarungsstimmung wollte sie sowieso nicht kommen. Zum Glück war ihre Paarungszeit noch mehrere Monate entfernt, es war erst Oktober.
Sie hatte den Überblick verloren welchen Monat sie hatten. Aber noch hatten die Bäume einige Blätter, später als Oktober konnte es kaum sein. Es war auch bei weitem noch nicht kalt genug. Es waren noch sicher mehr als zehn Grad, vielleicht auch mehr als fünfzehn Grad in der Sonne. Sie kratzte sich mit der Pfote am Ohr. Immerhin war es nicht mehr so warm wie im Sommer, im Juni als sie geflüchtet war. Es war kurz nach Beginn der Sommerferien gewesen. Kurz nach dem sie ihr Zeugnis, mit dem Namen, der so viele Probleme machte, bekommen hatte. Ihre Eltern hatten in einer Tour mit jedem der nicht bei drei aufm Baum saß darüber gesprochen, wie stolz sie seien, dass ihr Sohn mit einem Schnitt von 1,3 in die Oberstufe kam.
Sie hatten gesagt sie hätten einen Anwalt oder Arzt als Sohn. Und als sie gemeint hatte, sie würde lieber sterben als sich mit Herr Doktor anzureden, hatten sie nur irgendwas von Erfindung der Neuzeit gelabert. Es hatte sie zutiefst verletzt. Sie hatte sich Unterstützung und Liebe erhofft. Schließlich war es schon im Kindergarten immer wieder ein Thema gewesen, dass sie lieber mit den Mädchen spielte und sich als Prinzessen verkleidete. Alina Fuchsberg wollte sie heißen, Fuchsberg war ihr familiär gegebener Nachname. Alina war der Name den sie sich schon seit der Grundschule als Vornamen wünschte. Eine Mitschülerin war damals der Grund gewesen, sie hatte Alina geheißen und hatte ihren Namen auch nicht gemocht. Sie hatten sich damals schon super verstanden.
Aber dann war Alinas Familie nach Bayern gezogen und der Kontakt war eingerissen. Sie hob den Kopf, als ein Schrei ertönte. Ein Wanderfalke kreiste über ihrem Kopf und setzte zum Landeanflug an. Er setzte sich auf den Ast einer jungen Buche dicht über ihrem Kopf. „Hallo", ertönte eine fröhliche Jungenstimme in ihrem Kopf. Sie zuckte zusammen, eigentlich sollte sie ja Gedankensprache gewöhnt sein, aber nach vier Monaten ohne Gedankengespräche war das doch ungewohnt. „Hallo", erwiderte sie etwas zögerlich und sah dem Falken in die gelben Augen. Der blinzelte ein paar Mal: „Ich wollte dich einladen, da du ja offensichtlich eine Woodwalkerin bist." Es war ungewohnt zu hören, dass man sie als Woodwalkerin bezeichnete. „Woher weißt du, dass ich eine Woodwalkerin und kein Woodwalker bin?"
Der Falke breitete die großen braunen Schwingen aus: „Deine Gedanken verraten dich. Du bezeichnest dich als eine sie. Also gehe ich davon aus, dass du eine Transgender bist und Woodwalkerin obendrein, sonst könnte ich deine Gedanken nicht lesen. Sie fluchte gedanklich, warum hatte sie auch nur ihre Gedankenschilde so weit unten gehabt? Den Falkenjungen schien das aber nicht wirklich zu stören, er sah sie nur weiter aus seinen gelben Augen an. „Was für eine Einladung ist das denn?" Wollte sie von ihm wissen. Der Falke schlug mit den Flügeln als wolle er wieder abheben, aber er bewegte sich keinen Millimeter vom Ast weg. Dann ertönte eine Mädchenstimme in ihrem Kopf: „Mensch Luan, drück dich nicht so, sie müsste doch in deinem Alter sein!" Sie sah sich um, aber fand keine Quelle zur der Stimme.
Dann bewegten sich die Zweige einer Eiche in der Nähe. Ein kleines rotbraunes Eichhörnchen spähte zwischen den Zweigen hervor. Alina war sich fast sicher, dass sie das Mädchen war, das gesprochen hatte. Auf dem Kopf des Eichhörnchens hockte etwas kleines grünes mit langen Beinen, eine Heuschrecke. „Jaja, ich mache schon", Luan sah ihr wieder in die Augen: „Also, da ist so eine Wandlerschule, wo du in die Oberstufe gehen könntest. Es ist ein Internat, das vom europäischen Woodwalkerrat unterstützt wird. „Erzähl ihr mehr Details", forderte eine Jungenstimme, die dann wohl zu der Heuschrecke gehören musste. „Ist doch gut", der Falke warf der Heuschrecke ein unanständiges Wort an den Kopf, worauf das Mädchen in ihren Gedanken anfing zu kichern.
Die Ohren des Eichhörnchens zuckten nervös: „Also das ist so mit den Wandlerschulen. Sie sind meistens als Internate getarnt, die von Organisationen gesponsort sind. In unserem Fall vom europäischen Woodwalkerrat. Das heißt wir haben nichts, wofür du bezahlen müsstest, nicht mal Bücher oder so. Deswegen kannst du einfach so bei uns dazukommen. Die Schule hat die Berechtigung, dass wir Abiturprüfungen abhalten können. Deswegen meinte der Idiot, dass du bei uns in die Oberstufe gehen kannst. Deine Eltern müssten allerdings trotzdem zustimmen. Aber das kriegen wir schon irgendwie immer hin. Sind die denn Wandler?" Alina nickte, was als Fuchs dämlich aussah: „Ja sie sind beide Fuchswandler wie ich." „Dann sollten die das eher akzeptieren." Der Falke schlug mit den Schwingen: „Also willst du mit uns kommen zum Schulauto?"
„Wenn ich meine Kleidung aus meinem Versteck holen darf." „Meinetwegen", der Falke hob von seinem Ast ab, bevor er sie mit seinen Flügeln noch weiter nervös machen konnte. Sie führte die drei zu ihrem Versteck und ließ sich dann mit der Kleidung im Maul zu einem waldgrünen VW-Bus. Dort standen bereits ein Mann in einem dunkelgrauen Anzug und eine ältere Frau mit graubraunen Locken. „Hervorragend", der Mann musterte sie alle aus seinen braunen Augen: „Würdet ihr euch denn bitte alle zurückverwandeln? Du bitte auch, wenn du das schon kannst." Er sah ihr in die Augen und sein Blick wurde sanfter: „Alina Fuchsberg oder?" „Ja", gab sie in Gedanken zurück und zog sich mit ihren Sachen in ein Gebüsch zurück, damit sie niemand beobachten konnte.
Auf zwei Beinen zu stehen war verdammt ungewohnt, aber es fühlte sich gut an, sobald sie sich angezogen hatte. Sie war froh, als sie sich ihre Jacke überstreifte und es nicht mehr so kalt war. In dem mitgebrachten Beutel den sie mit aufhob war ihr Hand samt Ladekabel und noch ein paar andere Sachen zum Anziehen. Am Bus standen bereits ein braunhaariger Junge mit gelben Augen, sie nahm an, dass es Luan war. Ein Mädchen mit langen, welligen rotbraunen Haaren und ein Junge mit wilden braunen Stachelhaaren. Die Namen der anderen beiden wusste sie davon allerdings immer noch nicht. Alle drei trugen waldgrüne Hoodies und dunkelgraue Jeans, fast als wäre es eine Schuluniform. Sie kam sich in ihrer pinken Jacke und der blauen Jeans fehl am Platz vor.
„Ich bin Hugo Waldemar, in zweiter Gestalt Marder mir gehört das Internat, dass du vielleicht bald besuchst." Stellte sich der Mann vor und deutete dann auf die Frau: „Das ist unsere Hausmeisterin, Katharina Buchenhain, in zweiter Gestalt Wanderfalke. Wenn irgendwas kaputt ist oder man irgendwo hingebracht werden muss, zum Beispiel zur Therapie, dann bringt sie euch." Er warf einen vielsagenden Blick zu den drei anderen, die sich in der Reihe hinter ihr quetschten. „Ich bin Luan", stellte sich Luan vor: „In zweiter Gestalt Wanderfalke aber das weißt du ja." „Ich bin Marlene", setzte das Mädchen nach: „Ich bin ein Rothörnchen. Der andere kann nicht reden, aber er heißt Adrian, in zweiter Gestalt Heuschrecke. Wir sind alle Wandler, dafür gibt es die Schule."
Die Schule sah überhaupt nicht nach einer Schule aus. Irgendwie erinnerte es sie mehr an eine Jugendherberge. Von außen war es bunt gestrichen und zum höchsten Punkt führten bunte Klettergriffe an der Außenwand. Außerdem konnte sie im Wald einen Hochseilgarten, einen See und einen Fußballplatz entdecken, während sie zum Eingang liefen. „Also", ihr vielleicht Schulleiter zog die Eingangstür auf und ließ ein dunkelhaariges Mädchen im Rollstuhl hindurch. „Katharina, könntest du den Türöffner bitte demnächst mal reparieren?" Wandte diese sich an die Hausmeisterin, kaum, dass sie sie erspäht hatte. „Ich habe es versucht, erwiderte die ältere Hausmeisterin: „Der Elektriker kann aber leider erst Morgen kommen. Ich habe es nicht hinbekommen." „Okay", das Mädchen rollte den Weg entlang, bis zu dem Kiesweg in Richtung Fußballplatz.
„Wir leben Inklusion an dieser Schule", erklärte ihr Schulleiter und schob sich an einer Kuh vorbei, die direkt vor der Tür stand. „Marie, wie oft noch? Du darfst eine Kuh in dieser Schule sein, aber bitte stell dich nicht immer in den Eingang. Da stehst du deinen Mitschülern im Weg." Die Kuh gab nur ein Muhen von sich, machte dann aber Platz. Adrian hatte währenddessen einen grünlichen Stich im Gesicht, warum wurde Alina erst klar als seine Stimme ertönte. Er hatte sich teilverwandelt: „Herzlich willkommen in unserer Schule Alina." „Danke", sie sah sich um. Hier war alles hell und freundlich gestaltet mit vielen Fenstern, die man allerdings auch mit Rollläden abdecken konnte. Ein Fernseher zeigte einen Plan an, vermutlich den Vertretungsplan, falls etwas ausfiel.
Sie stießen auf dem Weg zu den Zimmern auch auf den Speisesaal. Es war Viertel vor fünf und entsprechend war auch nur wenig dort los. Nur ein Buffet, auf dem verschiedene gesunde Snacks angeboten wurden. Dazu gab ein Smartboard an der einen Wand, das die täglichen Aktivitätsangebote anzeigte. Dazu wurde auch eine Karte der Schule eingeblendet, die Alina erst richtig klar machte, wie groß diese Schule wirklich war. Sie war größer als ihr altes Gymnasium und ihre Grundschule zusammen. Aber irgendwie gab sie ihr das Gefühl einer Heimat, einer Art Safespace. Sie fühlte sich wohl in dem Lichtdurchfluteten Raum. „Du teilst dir ein Zimmer mit Luan", erklärte Herr Waldemar ihr und führte sie in das Dachgeschoss. „Er ist wie du Transgender, aber in die andere Richtung, von daher passts."
Auf Luans Seite des Zimmers waren Poster aufgehängt. Die linke und somit ihre Seite war komplett leer. Das Bett war mit einem dunkelgrünen Bezug mit einem Logo darauf bezogen. Waldläufer Akademie stand um einen Baum herum. Das war dann wohl der Name der Schule, was eind Erkenntnis.