EinePerson, die sich nicht im binären Geschlechtersystem identifizieren kann
AlexxJamael
Alex blieb stehen, als Jamael mit langen, schnellen Schritten auf ihn zukam. Er trug einen Oversized dunkelblauen Hoodie und eine alte graue Hose. Ihm hinterher kam Rex, ihr Familienhund ein Berner Sennenhund in Übergröße. Jamael hielt allerdings auch das Lieblingsspielzeug des monströsen Hundes in der linken Hand. Der Hund rannte dem Blonden so erst recht hinterher. Er blieb vor ihm stehen, während Rex unruhig an seiner Hand leckte. Alex seufzte und fuhr sich durch die weißblonden Haare. Marisa, seine Gastschwester war wahrscheinlich nicht einmal aufgestanden. Das hatte sich schon aus den letzten beiden Tagen hier auf der Farm ergeben. Jamael stand brav mit ihm um halb sieben auf und fütterte die Hühner und Ziegen. Das war normal in der Familie zumindest für Alex.
Marisa dagegen verweigerte jegliche Mitarbeit im Haushalt, wenn sie dafür Zigaretten bekam. Sie war verdammte 16 Jahre alt, sie sollte nicht rauchen und auch keinen Alkohol trinken. Das war ja leider in Deutschland schon ab 16 Jahren gestattet. Viele Jugendlichen hier in der amerikanischen Pampa tranken auch hier schon früh Alkohol. Aber auch hier gab es schlechte Eltern und Kinder, die die Grenzen überstrapazierten. Manche davon gingen mehr oder weniger mit ihm zur Schule. Mehr oder weniger hieß meistens, dass sie sehr gerne schwänzten. Heute war Sonntag, aber die Tiere warteten natürlich nicht auf ihr Essen. Genauso wenig warteten die Krankheiten der Tiere auf sie, das war ihr heutiges Problem nach dem Frühstück. Marisa war zum Familienfrühstück mit seinen Schwestern und seinen Eltern nicht erschienen.
Was hatte er auch anderes erwartet. „Also Jamael, Alex, ich möchte, dass ihr mit mir zu den Kühen fahrt. Julina war heute Morgen krank, der Tierarzt kommt gleich, um den Rest vorsorglich zu impfen." Alex spürte Jamaels Blick auf sich. Es war Sonntag, für ihn war es wahrscheinlich ungewohnt, dass da ein Tierarzt kam. Er faltete die Hände auf dem Tisch: „Es ist so, wir sind die einzige größere Farm hier in der Gegend. Wir versorgen hier gefühlt alle in 50 Kilometern Umkreis mit Milch, Eiern, Käse und so. Deswegen ist natürlich das Interesse groß, dass es den Tieren gut geht, das ergibt Sinn oder?" Jamael nickte daraufhin nur und zuckte zusammen, als hinter ihnen eine wütende Stimme ertönte. „Aber für die Menschen gilt das nicht was?"
Woher Marisa das englische Vokabular genommen hatte war ihm ein Rätsel. Vielleicht Google Übersetzer oder so, denn sie hielt ihr Handy in der Hand. Auf einmal bereute es Alex, dass sie den beiden Wlan gegeben hatten. Bei Jamael nicht, dessen Handy steckte aber auch gerade in dessen Hosentasche. Aber Marisa hatte einfach nur immer ihr Handy in der Hand und ließ sich auch nicht von anderen dazu bringen es wegzulegen. Immer hatte gerade irgendeine ach so wichtige Freundin etwas ach so Wichtiges geschrieben. Natürlich war das nichts Wichtiges, nur eine faule Ausrede. „Ach Marisa, schön, dass du uns auch mal Gesellschaft leistest." Alex Vater seufzte: „Du gehst mit Kate, Mary und Joana heute die Tiere füttern, ohne Handy. Du kannst es gleich hierlassen."
Es dauerte eine Weile bis Jamael es Marisa auf Deutsch deutlich gemacht hatte, was sie sollte. Das führte natürlich zu einer Diskussion. Marisa fand es unfair, dass Jamael sein Handy nicht abgeben musste. Jamael beendete die Diskussion aber einfach indem er seinem Gastvater sein Handy reichte. Den an Marisa gerichteten Kommentar auf Deutsch, verstand Alex natürlich nicht. Er nahm aber an, dass es dabei um Fairness ging. Marisa ersparte ihm aber jegliche Kommentare, als sein Vater aufstand: „Wir sollten losfahren. In einer halben Stunde ist der Tierarzt da und wir fahren eine Viertelstunde dahin. Dementsprechend möchte ich jetzt los Jungs." „Ja Dad", Alex sprang auf und eilte mit Jamael hinaus in den Flur. Sie zogen sich rasch Schuhe und Jacken an und liefen schon zum Truck.
Auf der Weide stand schon der Wagen von zwei Mitarbeitern seines Dads. Sie waren wahrscheinlich schon dabei die Kühe zusammen zu scheuchen. „Es wär super, wenn ihr Thomas und Hariet helft und Kühe hier zusammenpfercht." „Ja Dad", Alex nahm Jamaels Hand und lief mit ihm den Hügel hinauf. Von hier oben konnten sie schon Thomas und Hariet sehen. Sie lockten die Kühe hinter sich her, in dem sie die Leitkuh an der Leine führten. Sie beeilten sich den Mitarbeitern seines Dads mit Stöcken zu Hilfe zu kommen. Trotzdem dauerte das Kühe den Hügel hoch und auf der anderen Seite wieder herunter. „Tut mir leid", Thomas seufzte: „Die Kühe wollten nicht so." Alex Vater schüttelte den Kopf: „Ist nicht so schlimm, es sind halt Kühe."
Die Kühe anschließend in einem kleinen Bereich einzusperren war weniger schwer. „Danke ihr vier", sein Vater umarmte sie allesamt: „Würdet ihr weiter zur nächsten Weide fahren?" „Machen wir", Thomas stieg in das Auto und sie beobachteten mit dem Tierarzt, wie der Jeep die Straße entlangfuhr. „Dann wollen wir mal", Doktor Birkman, der Tierarzt öffnete das Tor und betrat die Weide. Sie folgten ihm zu den eingepferchten Kühen. Nach und nach wurden die Kühe herausgeholt, bekamen ihre Impfung und durften dann laufen. „Danke", sein Vater umarmte ihn fest und dann noch Jamael, der davon ziemlich verdutzt wirkte. „Bitte", murmelte er dann nur sehr undeutlich und warf einen Blick auf seine Uhr. Es war gerade einmal halb zwölf, noch lange nicht Mittagszeit, also mehr Arbeit.
Sie fuhren weiter zur Nordweide der Kühe, wo Tom und Hariet noch nicht gewesen waren. Gestern waren sie nicht hier gewesen, nur bei den Schafen. Sie füllten die Tränken mit Wasser und räumten Gestrüpp aus dem kleinen Bach im Gehege. Als sie nach noch einer weiteren Weide zum Mittagessen nach Hause fuhren. Es gab wie üblich nur Salat und Brot, sie aßen erst abends warm, wenn die Tiere versorgt waren. Das war aber auch erst gegen zwanzig Uhr. Kurz nachdem sie sich mit Broten und Salat hingesetzt hatten, kamen auch die Damen wieder nach Hause. Marisa war von oben bis unten mit Schlamm bedeckt. Jamael und Alex konnten nicht anders als lauthals loszulachen. In den künstlichen weißblonden Haaren klebte auch Schlamm und machte sie dadurch braun.
Marisa stürmte die Treppe hinauf und hinterließ eine Schlammspur auf der Treppe. „Jungs reißt euch mal ein bisschen zusammen." Sein Vater lief ihr hinterher, während die Damen dann auch mit einem entschuldigenden Blick nach oben liefen. Alex warf einen Blick auf den Arbeitsplan seines Vaters, der an der Küchentür hing. Sie waren an diesem Nachmittag für das Helfen im Hofladen eingeteilt worden. „Wir sollten uns was anständigeres anziehen", meinte er dann anschließend und zeigte Jamael den Plan. „Okay", Jamael aß sein Brot rasch auf und folgte ihm dann die Treppen nach oben. Alex huschte rasch in sein Zimmer und zog sich die dreckigen Sachen aus. Er tauschte sie gegen ein hellgraues T-Shirt und eine Jeansjacke. Mit einer schwarzen Jeans kombiniert passte es dann.
Jamael wartete schon vor seiner Tür auf ihn. Er trug wieder einen oversized Pullover, diesmal allerdings in grün. Es passte damit perfekt zu seinen hellgrünen Augen, die er betonte. Dazu trug er dunkelgraue Jeans und seine normalen Turnschuhe, statt der Gummistiefel. Ihm wurde unangenehm heiß unter seiner Haut bei dem Anblick seines Gastbruders. „Du siehst gut aus", brachte er dann mühsam hervor. „Danke du auch", Jamael lächelte ihn auf eine Art und Weise an, die ihm Farbe ins Gesicht steigen ließ. Er lächelte zurück: „Danke." Alex seufzte und wandte das Gesicht ab, damit Jamael die Gesichtsfarbe nicht mehr sah. „Hey schon gut", Jamael legte ihm die Arme um die Schulter und schob ihn dann sanft die Treppe herunter vor sich her. Alex seufzte einfach nur.
Die Arbeit im Laden war wie immer reichlich langweilig. Es kamen zwar immer wieder Kunden, die aber mehr quatschten, als dass sie einkauften. Für den introvertierten Jamael war das ein absoluter Albtraum. Alex war das einfach nur egal gefühlt, er sortierte einfach die Regale und ließ sich von den Kunden nicht ablenken. Anne, die den Laden leitete, saß eh an der Kasse und ließ sich von diesen auch freiwillig zudröhnen. Damit blieb es ihnen die Waren zu sortieren und den Kunden mit dem Finden von jenen zu finden. Aber immerhin hatten sie so Ruhe vor Marisas Gemecker. Die musste laut dem Plan seinem Vater und Joana in der Molkerei helfen. Morgen würden sie die allerdings erst recht nicht los. Sie würden mit an seine Schule kommen.
Nicht genug, Marisa hasste absolut die Schule. Jamaels Meinung dazu kannte er nicht, er wirkte aber eher der Schule zugeneigt. Er freute sich mit seinem neuen Freund in die Schule zu gehen. Aber irgendwie waren da mehr Gefühle für den Deutschen Gastbruder. Er wohnte einfach über zehn Stunden Flug entfernt und mit Sicherheit wollte er nichts von ihm. Er hatte zwar gesagt, dass er schwul sei, aber doch nicht für eine nicht-binäre Person, die in Alaska wohnte. Er wusste ja noch nicht einmal, dass er nicht-binär war. Er hatte es dem blonden Deutschen nie gesagt und irgendwie, war er sich nicht wirklich sicher, wann der das wissen sollte. Er seufzte nur noch einmal mehr und wandte sich dann einem Kunden zu, der hinter ihm stand.
„Guten Morgen", er klopfte bei Jamael an die Zimmertür. Ein müder Jamael öffnete ihm die Tür. Aber er war immerhin schon wieder angezogen und folgte ihm brav nach draußen, wo sie die Hühner und Ziegen fütterten. Dann gingen sie sich umziehen und trafen drinnen auch auf Marisa. Die saß schon geschminkt am Frühstückstisch und futterte Rührei. Joana und Mary kamen in dem Moment auch in die Küche. „Willst du wirklich so zur Schule?" meinte Joana skeptisch bei der knappen Kleidung von Marisa. Sie trug ein wollenes Winterkleid und Winterstiefel, nichts Ungewöhnliches in Alaska im Frühling. „Ja", keifte Marisa sie daraufhin derart an, dass Joana zurückzuckte. Alex musterte Jamael, der einen dunkelblauen Hoodie und eine schwarze Jeans trug. Er sah einfach nur absolut normal aus in seinen Augen.
„Was", Jamael hatte wohl seinen Blick bemerkt und er wurde rot. „Nichts", nuschelte er nur undeutlich und wog seine Chancen noch einmal ab. Dann schaufelte er rasch seine Pancakes in sich hinein. „Der Bus kommt in zehn Minuten wir sollten los." Merkte Mary an und alle außer Marisa wurden dann sehr beschäftigt. Alex lief sich seine sauberen Schuhe anziehen und Jamael wuschelte sich kurz noch durch die Haare, bevor sie sich auf den Weg machten. „Marisa, komm jetzt", kommandierte Joana: „In der Schule ist eh kein Internet und erst recht kein Netz. Da kannst du dein Handy nicht benutzen. Geht schonmal vor." Sie nickte ihren beiden jüngeren Geschwistern zu. Sie stiegen in den Bus, der zum Glück fast direkt vor ihrer Haustür hielt.
Joana schrieb ihnen während der Fahrt, dass sie mit Marisa mit dem Auto nachkam. Sie sollten dem Lehrer schonmal Bescheid, dass sie später kamen. Jamael hatte von seinem Vater heimlich das Handy wiederbekommen. Aber er hörte gerade im Bus lediglich Musik über seine Kopfhörer darüber. Es ließ ihn unglaublich süß wirken.