Die Nacht, die mein Leben veränderte stand an. Ab diesem Punkt bitte ich darum kurz innezuhalten. Werter Leser, überlege mal, wessen Schrift du hier liest. Die Aufzeichnungen eines sehr alten aber wie ich glaube, auch eines sich sehr verdient gemachten Chronisten. Mein Anspruch war immer die Wahrheit und der Tatsachenbericht. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Was hätte ich alter Mann also zu gewinnen, so einen Bericht hinter mein gesamtes Lebenswerk anzuhängen, wenn er nicht vollkommen wahr wäre? Ich würde ja alles ruinieren, mein Gedenken und den Familiennamen, den ich als Vierfron nun endlich wiedergewonnen habe und meinen Abkömmlingen vererben werde, sofort wieder beschmutzen, wenn ich hier lügen würde. Ich hätte also alles zu verlieren und nichts zu gewinnen. Trotzdem setze ich mich der Gefahr der Verurteilung aus, da meine Seele mich drängt einfach alles zu riskieren, um wahrhaftig aus dem hiesigen Leben zu scheiden.
Also glaube mir oder tu es nicht. Es ist mir einerlei.
In besagter Nacht schlief ich trotz des angeregten Gespräches schnell ein, zumindest glaubte ich das. Ich erwachte plötzlich und unerwartet heftig. Aus liegender Position wurde ich quasi in die Höhe gestemmt. Die beiden kräftigen Arme Aslawanas, die mich umfassten waren daran schuld. In meiner Zeit auf Hoshobel habe ich nicht ein einziges Mal erlebt, dass mich ein Hosho gegen meinen Willen aufgeweckt oder auch nur berührt hätte. Meine Verblüffung samt dem verwirrten Zustand kurz nach dem Aufwachen, wollten sich in einem ärgerlichen Kommentar meinerseits äußern. Doch dazu kam ich nicht mehr. Darüber bin ich sehr froh.
Aslawana zeigte auf einen Lichtpunkt, der über uns zu schweben schien und auch näherkam. Mein Mund klappte auf. Was auch immer ich zuvor sagen wollte, es war sofort dem absoluten Erstaunen gewichen. Je näher das Licht kam, um so klarer wurde mir, dass es sich um fünf einzelne Lichter handeln musste. Sollten das wirklich Engel sein, die uns einen Besuch abstatten wollten?
Eine Starre erfasste meinen Körper. Lediglich meine Augen folgten den Lichtern. Je näher sie kamen, je klarer wurde es. Das waren leuchtende Personen. Solch schöne Wesen habe ich auf all meinen Reisen nicht gesehen. Im Augenwinkel nahm ich wahr, dass die drei Hosho eine Art Tanz aufführten. Es konnte nur ein Freudentanz sein. Denn nichts anderes konnte ich bei dem Anblick der fünf Engel empfinden.
Zu dem Zeitpunkt war mein Weltbild bereits völlig erschüttert. Ich dachte nicht mal mehr über alternative Erklärungen nach, um zu deuten, was meine Augen da sahen. Um ehrlich zu sein, ergab ich mich völlig diesem Augenblick, als ob es keinen Morgen mehr gäbe. Meine Knie fingen an weich zu werden. Etwas in mir wollte niederknien und die Engel anbeten.
Doch, bevor das passieren konnte, flog einer, der leuchtenden Engel direkt auf mich zu. Ich musste meine Augen zukneifen, um die Intensität seines Strahlens zu ertragen. Vor mir stand ein Engel, leibhaftig. Er kam so nah, dass ich die Wärme seines Antlitzes spüren konnte. Alle mich umgebende Kälte war einfach wie weggeblasen.
Dann passierte etwas Erstaunliches. Der Engel küsste mich auf meine Stirn, so wie eine Mutter ihren Sohn oder vielleicht noch ein Bruder einen Bruder küsst.
Das hat mich schier umgehauen. Ich erinnere mich, dass ich dann anfing irgendetwas zu stottern. Das hier ist echt, du bist echt, das passiert wirklich. Der Engel nickte verständnisvoll. Als er sprach, war es wie das Rauschen von Wasserwellen an einem Strand. Kräftig und doch sanft. Nachfolgend werde ich die Worte wiedergeben, derer ich mich wahrhaftig erinnere, die mich für immer verändert haben und die ich mit ganzem Herzen bezeuge.
Ich bin Kalatoja, dein Schutzengel und steter Begleiter. Seit Deiner Geburt vor 344 eurer Segmentjahre, diene ich dir und deinem Geschlecht. Immer war ich bei dir. Nie war die Gefahr so groß, dass ich dich nicht hätte bewahren können. Als du gefangen warst bei den Muykroken. Ich war da und löste deine Fesseln, bereitete dir den Fluchtweg, sorgte dafür, dass deine Leute dich wiederfinden konnten. Als du darniederlagst mit schlimmen Fieberschüben in den Dschungeln Azkletas und schon aufgeben wolltest, war ich da und hielt deine Hand. Du sahst mich damals zum ersten Mal, weil ich mich dir zeigen durfte zur Ermutigung. Es war kein Fiebertraum, ich war wirklich bei dir. Als du arg gelitten hast, in den Tagen, da deine Frau von dir genommen ward. Auch da war ich an deiner Seite und sorgte dafür, dass jede deiner Tränen und Gebete aufgenommen und im Himmelreich bewahrt würden. Ich war da, als du mit 7 Jahren deiner Mutter mit ja geantwortet hast, nachdem du gefragt wurdest, ob du Gott dein Leben weihen möchtest.
An der Stelle liefen mir bereits die Tränen, wie Wasserbäche die Wangen herunter. Kalatoja wartete liebevoll und fürsorglich einen Augenblick, damit ich ergreifen konnte, was soeben gesagt wurde. Ich dachte an all die Geschehnisse zurück, die Kalatoja aufgezählt hatte. Solche Details konnte man nur wissen, wenn man dabei gewesen war und gleichzeitig tief in mein Herz hätte schauen können. Wovon ich bei einem übernatürlichen Engelwesen einfach auch ausgehen möchte. Mir war so warm ums Herz. Alter Schmerz, der tief in meiner Seele verankert war, schien endlich von mir abzulassen. Ich hatte einen tiefen Wunsch in meinem Herzen. Und ehe ich mich versah, erfüllte Kalatoja ihn mir. Seine Umarmung war herrlich und glanzvoll, wohltuend und zärtlich. Ich schluchzte an der Schulter meines Schutzengels, wie ein kleines Kind. Im Übrigen, was auch immer die 3 Hosho gerade erlebten, war mir in diesem Moment wirklich egal. Später habe ich sie natürlich zu ihren Erlebnissen befragt. Kalatoja nahm meinen Kopf in beide Hände und sprach weiter auf mich ein. Eigentlich wollte ich mich für meinen Unglauben entschuldigen, mich bei Gott für meine Fehlentscheidungen entschuldigen. Doch Kalatoja schien dies einfach zu wissen und zu akzeptieren, ohne, dass es meiner Worte bedurfte.
Kemlin, dein Gott, der in den Himmeln thront wacht über dich. Ich weiß, dass dein Name im Buch des Lebens geschrieben steht, weil ich es selbst gesehen habe, vor Anbeginn deines Lebens. Und ich weiß auch, dass du viele Jahrhunderte deines Lebens nicht am festen Glauben, der in deiner Mutter Frania wirksam war, festgehalten hast. Ihre Gebete überdauern jedoch dein Leben, wodurch dir Gnade widerfahren ist. Doch nun ist es an der Zeit umzukehren. Schlage den Weg ein, der dir vorherbestimmt ist. Dein vieles Studieren und Forschen und Niederschreiben war nötig und wird vielen helfen. Auch wird dein Name auf Generationen hin gerühmt werden. Doch dein wahres Schicksal ist die heilige Berufung, die auf deinem Leben liegt. Suche und liebe Gott von ganzem Herzen, mit ganzem Verstand, aus tiefster Seele und mit aller Kraft. Tue es von jetzt an und immerdar und du wirst glückselig werden. Du weißt nicht, wie wenig Zeit dir noch bleibt.
Nach diesen bedeutsamen Worten küsste mich Kalatoja erneut auf die Stirn und ließ mich los. Eigentlich wollte ich ihn für immer festhalten oder besser gesagt diesen Augenblick an sich für immer festhalten. Aber das schien nicht der Plan Gottes zu sein. Jetzt erst nahm ich wieder wahr, was um mich herum geschah. Die Hosho standen mit erhobenen Händen unter den schwebenden Engeln. Um die Engel näher betrachten zu können, ging ich entschlossen auf die Gruppe zu. Dann wandten sich alle Engel mit ihrem leuchtenden Blick mir zu. Ich erstarrte in meiner Bewegung und fragte mich unweigerlich, ob ich etwas falsch gemacht hatte, ob ich zu weit gegangen war oder zu aufdringlich war. Das erlösende Lächeln, dass sich in den Gesichtern der 5 Engel zeigte, nahm mir dann die Last. Sie winkten mir mit beiden Händen zu und flogen unfassbar schnell in Richtung des Sternenzeltes davon.
Noch Stunden später hätte ich dort, wie angewurzelt gestanden, in den Himmel geblickt und mich gefragt, was das alles zu bedeuten hatte, wenn mich nicht Aslawana angestupst hätte. Nach einem kurzen Schütteln, dass mich durchfuhr, fixierte ich sein Gesicht mit meinen Augen und wartete auf die Worte, die er offensichtlich loswerden wollte. Nie wieder habe ich solch strahlende und wache Augen bei ihm wahrgenommen, wie in diesem Moment. Auch er hatte etwas ganz Besonderes erlebt, das konnte ich spüren. Er fragte mich, ob ich dankbar wäre, dass Yashawa dieses Treffen für uns ermöglicht hatte. In seinen Worten lagen weder Vorwurf noch Kalkül. Sie waren einfach ehrlich gemeint. Und Gott sei der Dank dafür, ich konnte mit ja antworten. Dann sagte er, wie schön er das fand und dass ich diese Dankbarkeit für immer in meinem Herzen bewahren sollte. Ich nickte einfach. Mehr gab es in diesem Moment nicht zu sagen.
An Schlafen war diese Nacht nicht mehr zu denken. Obwohl die gefühlte Kälte um mich herum wieder zunahm, ging ich stundenlang im Kreis spazieren und umrundete das Plateau sicherlich an die 100 Mal. Ich schüttete im wahrsten Sinne des Wortes mein Herz bei Gott aus und wahr mir völlig gewahr, dass er mir zuhörte. Als der Morgen anbrach und Brawanas Licht die Wolkenformationen unter dem Plateau mit herrlichen Farbtönen umspielte, war meine Seele so rein und leicht, wie die eines Neugeborenen.
Unser Abstieg und die Rückfahrt zogen wie im Flug an mir vorbei. Wir waren alle sehr schweigsam, wechselten kaum ein Wort miteinander. Jeder hatte für sich genug zu verarbeiten, das haben wir einfach stillschweigend gegenseitig hingenommen.
Kurz vor meinem Abflug von Hoshobel, verstarb Aslawana plötzlich und unerwartet an einer sich schnell im Körper ausbreitenden Krankheit, die von den Hosho als Schneefieber bezeichnet wurde.
Wie üblich, wurde sein Körper von allen Flüssigkeiten und Organen befreit, sodass die Knochen und das Fell bewahrt werden konnten. Das war Tradition und auch überlebensnotwendig für die Hosho. Zu diesem Zeitpunkt empfand ich schon lange keinen Anstoß mehr daran, weil ich verstanden hatte, warum sie es taten.
Außerdem werde ich ihn dereinst wiedersehen, auf der anderen Seite.
Zu meiner Freude und Überraschung gleichermaßen, erklärten sich Luibwa und Dudulok, die beiden jüngeren Hosho bereit dazu mich eine Zeit lang auf meinen Reisen im Kosmos zu begleiten. Ob sie die ersten Hosho waren, die den Kosmos bereisen würden, wusste ich nicht, ich weiß es bis heute nicht. Aber dass sie treue Begleiter auf meinen Reisen waren und im Anschluss viele neue Geschichten zu erzählen hatten, dass weiß ich ganz genau. Die Hosho lieben nämlich Geschichten.
Wenn ich zu einem fähig bin, dann zu gründlichem Nachdenken. Nach all den Jahren habe ich oft an jenes dramatische Erlebnis denken müssen. Was es für mich bedeutet und was es mit mir gemacht hat. Wie die Worte, die Kalatoja zu mir sprach mich für immer verändert haben und mich stets begleiten würden.
Jetzt, kurz vor dem Ende meines hiesigen Lebens, wartet das große Abenteuer Ewigkeit auf mich. Ich scheide mit großer Freude und Dankbarkeit nach einem langen, erfüllenden Leben voller Abenteuer aus dieser Welt.
Eingangs schrieb ich, dass es mir egal ist, ob du mir glaubst oder nicht. So leicht möchte ich es dir allerdings doch nicht machen. Darum schreibe ich im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte, dass jeder, der dieses Zeugnis hier verwirft, auch alle anderen Werke, die aus meiner Feder stammen verwerfen muss.
Ich verbleibe in diesem Sinne und wünsche allen Gottes reichen Segen.
Kemlin Lo Rasor, ein heiliger Zeuge der Wahrheit, ein Emblischon und Vierfron-Chronist des großzügigen Lords Achdorn von Ith, dem Ersten.
Anmerkung:
Vielleicht ist dir bekannt, dass ich im Laufe meines Lebens ca. 2000 Bücher, Aufsätze, Abhandlungen und Sammelbände herausgebracht habe, falls nicht, umso besser. Denn die meisten Werke dienen nur der Wissensmehrung und der Eitelkeit. Aber einige wenige Exemplare möchte ich dir schon empfehlen, da sie den Geist erhellen und die Seele ernähren.
Meinen Kommentar zu den drei Büchern Kasparins, der großen Estshaa Legende und seiner Erlebnisse mit dem Schöpfer. Darin gehe ich vor allem auf die geistlichen Aspekte der Legende ein und befasse mich weniger über historisch-kritische Elemente.
Meine Auslegung der Fahatma Fabel, soll gerade bei Kindern und Jugendlichen sehr beliebt sein.
Mein Andachts- und Hilfsbuch „Gebete in der Nacht“ kann dir helfen, deinen Glauben mit Unerschütterlichkeit zu ummanteln, selbst in großer Not.
Aber vor allem bitte ich dich die Heiligen Schriften zu lesen und Gott wirklich zu suchen.
Danke für deine Aufmerksamkeit