Ja, was hätte er denn machen sollen?
Es war halt schon alles ein bisschen viel auf einmal. Für einen Dorfpolizisten. Ein halbes Jahr vor dem Ruhestand.
Zuerst hatte er feststellen müssen, dass er innerhalb der letzten Woche mehr als zwei Kilo schwerer geworden war. Und das, obwohl er seine Salatdiät voll durchgezogen hatte. Da war er beinhart, der Bichlberger!
Und dann brüllte Morgens um 4.30h die Oma vom Reisebus-Karli hysterisch in sein Telefon, der Osterhase hätte sich in ihrer Garage erhängt.
Nicht, dass es ihn interessiert hätte.
Aber aus beruflichen Gründen hatte er der Sache nachgehen müssen.
Bichlbergers Hoffnung, Karlis Oma wäre einfach wieder blau gewesen, hatte sich vor Ort leider zerschlagen. Es gab einen Hasen. Oder vielmehr: einen Toten mit Hasenohren auf dem Kopf. Er hing von einem Stahlträger.
Angesichts der riesigen Blutlache darunter und der Tatsache, dass Männer mit Hasenohren eher nicht zum gängigen Ortsbild gehörten, schon gar nicht Mitte Juni, war auch für das kriminalistisch weniger geschulte Auge eines Bichlberger ein Problem ersichtlich.
Der Bichlberger sagte zu all dem übrigens mehr, als es seiner Natur entsprach: "Jaaa..."
Und wenn es ihm an jenem Morgen auch nicht passte: Er hatte etwas entscheiden müssen.
Als erstes hatte er entschieden, die Salatdiät aufzugeben. Nicht nur, weil sie augenscheinlich nicht funktionierte, sondern auch, weil er keinen Wurstsalat mehr sehen konnte.
Und dann hatte er die Kripo angerufen.
Vor ein paar Tagen hatte alles noch ganz anders ausgesehen. Alexander Salinger hatte Gott und der Bundesregierung für die Einführung der Frauenquote im öffentlichen Dienst gedankt, die es einem gutaussehenden Kerlchen wie ihm ermöglicht hatte, sich in relativ kurzer Zeit nach oben zu schlafen.
Zugegeben, es war nicht gerade seine Sternstunde gewesen, als ihm vor zwei Wochen diese "Sache" passiert war. Schon wieder. Zumal er diesmal wirklich fast nichts hatte dafür können! Und darum fand er die Reaktion auch maßlos überzogen. Aber wirklich!
Denn obwohl er gerade - quasi im Alleingang - einen Islamisten hatte auffliegen lassen, der aus einem Gemeindebau heraus reihenweise orientierungslose Gesellschaftsversager für den heiligen Krieg rekrutierte (und dabei, das musste er zugeben, effizienter war als das AMS) stand er keine drei Tage später vor der Frage: Where the fuck is Vöcklabruck?
Sie hatten ihm diese winzige Dienstwohnung zugewiesen. Unter dem Dach. Sie wäre ohne weiteres als schwarzes Loch durchgegangen, hätte er es nicht doch noch geschafft, eines der beiden Giebelfenster aufzustemmen. Was sich rückblickend jedoch als fataler Fehler herausstellte. Keines der abgewohnten Möbel passte zu einem anderen. Da und dort hingen Bilder in klobigen Rahmen, die hauptsächlich Hirsche und verschneite Berggipfel zeigten, an einer bestimmt 60 Jahre alten Tapete in fifty shades of braun. Der Plastikbodenbelag tat wenigstens gar nicht erst so, als wäre er etwas anderes. Irgendwo tropfte ein Wasserhahn. Dieses stete Geräusch irritierte ihn. Es kam etwa von da, wo er das Badezimmer vermutete. Hinein traute er sich nicht.
Und dieser Geruch! Es roch genau wie es aussah: Alt. Fertig. Verloren.
Alex war in eine Art Schock-starre verfallen. Vielleicht geschah ein Wunder. Und er würde erblinden...
Im direkten Vergleich dazu erschien ihm der alternative Ausblick auf die unverputzte graue Wand des Nachbargebäudes schon fast bezaubernd.
Da war er nun also. An einem Samstagmorgen, irgendwo in diesem Bezirk - ja, Bezirk! Sie hatte ihn ernsthaft in ein Bezirksstädtchen versetzt - und musste sich in einer Busgarage mit einem lächerlichen Todesfall befassen, während die Angeber von der Kobra seine Lorbeeren kassierten.
Dazu hatte er keine Ahnung, wo er eigentlich war! Sicher, da war irgendwo ein Ortsschild gewesen. Zwischen dem schwarzen Loch und hier.
Aber bei dem Sauwetter, der Geschwindigkeit und dem Zorn ...
Dass es für seine maßgefertigten Schuhe außerhalb der Garage keine realistischen Überlebensschancen geben konnte, war das Schlimmste von allem.