Dem ersten Haus näherte sich Skadis Trupp noch still und leuchtfüßig, nur beschienen von den Feuerschalen, die das Hafengelände erhellten. Als die Tür sich nicht aufschieben ließ, stellte sich Magnus davor und trat mit Verlagerung seines ganzen Körpergewichts zu. Das Holz brach aus dem Rahmen, die Verriegelung löste sich, und in Windeseile standen die bewaffneten Männer über den Bewohnern, die versuchten, sich schlaftrunken aus Decken zu kämpfen und von ihren Matten zu erheben. Skadi hatte den Fellkragen soweit über ihr Gesicht gezogen, dass man nur noch blitzende Augen und dunkle Bemalung erkennen konnte, als sie brüllte: „Alle raus! Der Erste, der sich wehrt, den lassen wir Eisen schmecken!“ Ihr Irisch war passabel, auch wenn der Akzent unverleugbar durchklang. Was ansonsten zu Verständigungsschwierigkeiten gefühlt hätte, geriet ihr hier zum Vorteil. Sie klang wild.
Einen Mann im kampffähigen Alter gab es anscheinend nicht. Sie zerrten ein altes Paar, eine Frau in Skadis Alter und drei Kinder an Armen und Schultern in die Höhe und trieben sie mit weiteren Schlägen und Schubsern zur Tür, ignorierten das Jammern genauso wie die verzweifelten Rufe der Frau.
„Was habt ihr vor? Meine Kinder! Bitte, ich tue alles, aber lasst meine Kinder-“ Kjell versetzte ihr einen Schlag auf den Mund, der sie verstimmen ließ.
„Ingwio, Kjell, ihr habt ein Auge auf sie.“ Beide fügten sich, während Skadi und die anderen sich bereits dem nächsten Haus näherten. Sie würden nicht lange ohne Aufmerksamkeit bleiben, und bis dahin wollte sie ihre Herde zusammenhaben.
Währenddessen wurden am Hafen auf vorherige Anweisung hin von jedem Kapitän Wachen aufgestellt. Einige, um die Schiffe zu bewachen und andere, um die Dorfbewohner einzuschüchtern und zu verwahren, sobald sie da waren. Torreg organisierte dasNötige dafür und veranlasst Zelte aufzustellen, damit für den Fall der Fälle es genug Schlafplätze für alle gab. Seine Gedanken schweiften zu Skadi ab... wär sie doch unterwürfiger ihm gegenüber, dann hätte er sie schon längst geehelicht und sie an den Herd gestellt, so wie es sich für Frauen geziehmt! Eremfand es als unehrenhaft, dass Frauen kämpften, und konnte es nicht oft genug betonen. Leider war er einer der wenigen, die sich dran störten. Es war nunmal Tradition, das auch das Weibsvolk kämpfen durfte.... und auch zum Jarl ernannt werden konnte. "Pah! Weiber, was können die schon anderes alskochen, waschen und nähen? Nichts! Nicht mal pinkeln konnten die, ohne im Wasser zu landen!" dachte er sich im Stillen.
Reingehen, Leute aus dem Schlaf reißen, hinaustreiben. Skadi hatte aufgehört, Stiche des Mitleids zu empfunden, wenn sie die Mienen in Todesangst sah. Inzwischen gelang es ihr, das ganze mechanisch anzugehen, einfach nur eine Aufgabe, die erledigt werden musste.
Wieder hatten sie die wimmernden Leute vom Boden ihrer Schlafstube gezerrt und nach draußen gebracht, und es brauchte Skadi einen kurzen Blick, um einzuschätzen, dass es inzwischen genug waren. Kleine Mädchen und Jungen klammerten sich schutzsuchend an ihre Mütter, manche nackt, manche in fleckige Hemden gehüllt, und sie konnte das Geschrei mehrerer Kleinkinder vernehmen, genauso wie ängstliches Gemurmel.
„Vorwärts! Wir wollen die anderen doch nicht warten lassen!“ Verglichen mit den Männern hatte Skadi sicherlich nicht die eindrucksvollste Stimme, aber sie war laut und rau genug, um sich Gehör zu verschaffen. Der blitzende Stahl in den Händen der Nordleute tat sein Übriges, und gehorsam wurde die Menschenmenge von ihnen in Richtung Hafen geführt, wo sie bereits eine weitere Traube an wartenden Menschen ausmachen konnte. Nun zum zweiten Teil... Skadi betete zu den Göttern, dass sie ihr Glück noch ein bisschen weiter strapazieren konnten. Bisher lief es eigentlich zu gut.
Thyra marschierte zu diesem Zeitpunkt bereits den Weg zur Burg hinauf. Sie hat unterwegs etwa 20 Leute abgestellt, dieandere Bewohner aus dem Schlaf rissen und sie Richtung Hafen trieben. Kurz bevor sie mit ihren Leuten beim Burgtor ankam, kam eine kleine Gruppe Menschen das nahestehende Wachhaus, alle gewappnet und gerüstet. Einen Momentstanden sich beide Gruppe gegenüber. Die Nordmänner rührten sich nicht, weil sie auf Befehle warteten, und der kleine Trupp Soldaten, weil er schockiert war, fremde Truppen in der Stadt zu sehen. Thyra reagierte als erste und warf ihren Speer gegen einen der Wächter. Jener konnte nicht mehr rechtzeitig reagieren und der Speer traf ihn direkt in den Hals, sofort zog Thyra ihr Schwert "Hel's Bote" und sprach ihm gebrochenem Irisch: "Ergeben euch! Sonst ihr wie er!" Dabei zeigte sie auf den toten Soldaten, "Wir haben besetzt Stadt von euch. Kämpft nicht, sonst sterben Leute!"
Doch es brachte nichts, die Wächter richteten ihre Waffen auf sie und Thyra gab ihren Leuten den Befehl ihre Speere zu werfen. Drei weitere Wächter starben, der Rest konnte sich mit ihren Schilden schützen. Sofort zogen die Nordmänner ihre Klingen und drangen auf die Soldaten ein. Thyra kämpfte wie eine Walküre und führte einen Schlag gegen einen Oberschenkel aus, der das Bein abtrennte. Schreiend fiel der Mann zu Boden. Nach nicht mal einer Minute war das Schlachten vorbei. ZehnSoldaten gegen mehr als fünfzig Nordmänner... Dabei war keine Ehre zu gewinnen. Thyra gab ihren Leuten den Befehl das Tor zu bewachen. Erst jetzt bemerkte sie den Geruch von Tod.... er roch immer gleich, immer nach Exkrementen und Eisen. Thyra setzte ihren Helm ab und schaute auf die Stadt runter. Ihre Truppen waren überall und beständig wurden die Städter zum Strand getrieben. Sie hoffte bloss, dass niemand starb...
Die Blicke der Wachen - und auch der Stadtbewohner - hingen an der Burg, und Skadi konnte die Unruhe spüren, die die Menge und die Männer im Griff hielt. Warum hatte sie noch nichts gehört? Es war geplant, die Wachen bei Überzahl in einem Kampf zu verfechten und zum Hafen zu ziehen, einerseits, weil sie hier Verstärkung hatten, und andererseits, weil der Anblick der Geiseln - Frauen und Kinder dieser Soldaten - hoffentlich für sich sprechen würde. Hatten sie gesiegt? Hatte Thyra die feindlichen Soldaten unterschätzt und sie waren von einem Pfeilhagel überrascht worden? Eine neue Gruppe Gefangener wurde über die Hauptstraße zu ihnen getrieben, darunter viele stämmige, einfältige Burschen, und Skadi ging davon aus, dass es inzwischen die Bediensteten aus der Burg waren, die sie hier sammelten. Sie blickte über einen schreckensbleichen, dürren Brünetten neben einem zitternden älteren Mann, die am Schluss der Truppe trotteten, und dann wieder zur Burg zurück, während sie ihre Hand zur Faust ballte.
"Ich kann meine Mutter nicht sehen! Aonghas, sie sollte hier sein! Warum kann ich sie nicht sehen?! Haben diese- diese-... haben sie sie-?" Die Stimme des Jungen überschlug sich beinahe, und einer der stämmigeren Burschen vor ihm zischte irgendwas von einem Connor, der sich zusammenreißen sollte, ehe die Gruppe auch schon vorüber war und die aufgeregten Stimmen verklangen. Dann, endlich, erblickte sie das vereinbarte Leuchtsignal auf einer der Zinnen. Was immer passiert war, die Burg war genommen. Blieb noch ein Hindernis.
Ein lang gezogener Hornstoß zerschmetterte die Ruhe der Nacht. Thyra blickte in Richtung Hafen, konnte dort aber keine Gefahr erkennen. "Ulfric ,durchsuch die Burg, verstanden? Nimm dir zwanzig Leute dafür! Der Rest kommt mit mir und rennt, als wären die Jötun hinter euch her, ihr lahmen Säcke!" Sie rannte sofort los in Richtung Haupttor, denn von dort musste das Signal ertönt sein. Unterwegs warf sie ihren Helm und ihren Schild beiseite, um etwas schneller zu werden. Was mag nur geschehen sein, dass fünfzig ihrer Besten Hilfe brauchten? Sie schaute kurz hinter sich und sah, dass ihre Leute das Tempo hielten. Nach einer für sie gefühlten Ewigkeit kamen sie beim Haupttor an und sie erbleichte. Dort, vor ihr im Dreck, lagen Leichen, und der Kleidung nach waren es Hadvars Leute. Einige waren von kurzen Pfeilen gespickt, andere sind von Speeren durchbort worden. "Hadvar! Was ist hier geschehen?!" Doch nicht er antwortete, sondern Galmar, einer seiner Untergebenen,schrie: "In Deckung, Herrin! Die Schweine haben sich gut verschanzt - zwei Dutzend von uns sind gefallen! Hadvar war einer der Ersten, der umkam.. Vor wenigen Momenten sind fünfMann los, um zu versuchen eine der Pforten zu öffnen, doch wir haben noch nichts von Ihnen gehört."
Thyra spürte wie der Zorn in ihr hochbrodelte und das war kein gutes Zeichen....