3. Kapitel
„Hanania!“ rief Hanael ungläubig aus. „Du hast gesprochen! Endlich wieder!“ Er lief zu ihr hin und schloss sie in seine Arme. Die junge Frau schmiegte sich an ihn. „Es… tut mir leid Geliebter, ich glaube, ich war wohl länger weg, als ich dachte.“ „Ja, du warst sehr lange weg. Wo nur warst du Geliebte? Ich habe dich so schrecklich vermisst.“ „Ich… bin durch einen endlosen Raum gewandelt, erfüllt von Sternen und im Lichte der silbernen Herrscherin, der Nacht. Ihre Energie und die der Sterne, war die einzige, die meinen Schmerz etwas zu lindern vermochte, bis… ich auf einmal hörte, was dieser Fremde hier… “ sie deutete auf Dinael „dir erzählt hat. Der Gedanke an die Pfeiler des Lichts , hat mich wieder zurückgebracht. Ich habe mich auf einmal erinnert, warum wir hier sind. So viel hatte ich schon vergessen, verloren in Kummer und Schmerz, doch nun… habe ich wieder neue Hoffnung, neue Kraft geschöpft. Ich glaube, wir müssen dorthin, wir müssen zu den Pfeilern des Lichts, dort kann es vielleicht Heilung geben... für uns alle.“
„Heilung? Aber Liebste, du weisst doch, dass es uns verboten ist, dorthin zu gehen.“ „Es ist verboten?“ Hanania sah ihn an, als würde sie sich nur noch ganz blass an dieses Gesetz erinnern. „Ja, das weisst du doch“ „Aber vielleicht sind es gerade die Pfeiler des Lichts, die uns retten werden.“ „Nein!“ rief Hanael eindringlich. „Dort liegt unser Verderben.“ „Das glaube ich nicht. Ich hatte eine Vision, als ich durch die endlosen Weiten des Universums streifte. Darin sah ich, wie ich ein lebendiges Kind in den Armen halte. Der Mond hat mit gezeigt, dass dies einst Wahrheit werden wird, wenn wir die Pfeiler des Lichts passieren.“ „Aber… das kann nicht sein!“
„Dennoch, kann es nicht mehr so weitergehen mit uns, da hat Dinael Recht. Wir müssen unsere Aufgabe als Führer dieser Welt, wieder mehr wahrnehmen und wir müssen allen Völkern wieder Hoffnung und Zuversicht geben.“ „Aber… nicht, indem wir die Pfeiler des Lichts passieren Hanania! Damit reissen wir sie nur mit ins Verderben. Wir werden auf die Probe gestellt und wir müssen diese Probe bestehen. Du solltest das doch am besten wissen, du bist weiser und klüger als ich. Du hast noch mehr die Verbindung zu allem, was um uns lebt. Ich kann nicht mal mehr mit den Tieren sprechen Hanania. Sie trauen mir nicht mehr. Vermutlich merken sie, wie schwach ich geworden bin. Ohne dich war alles so schwer. Wir dürfen jetzt, da du endlich wieder bei mir bist, nichts Falsches tun. Wir sind wie du sagst, die Führer dieser Welt, wir dürfen nicht versagen!“
„Jetzt aber mal langsam!“ mischte sich Dinael etwas ungehalten ins Gespräch. „Was heisst hier, ihr seid die Führer dieser Welt? Wie kommt es dann, dass ich euch noch nie gesehen habe?“ All die verschiedenen Völker organisieren ihr Leben selbst. Es gibt Häuptlinge, Fürsten, gar Könige und Kaiser! Wenn ihr wirklich diese hohen Führer seid, wo seid ihr dann die ganze Zeit abgeblieben? Ich weiss es gibt alte Legenden, worin von euch die Rede ist, aber es heisst auch, dass ihr uns verlassen habt und euch seit ewigen Zeiten, nicht mehr um unsere Belange gekümmert habt. Viele glauben, ihr seid für immer verschwunden.“ Hanael senkte beschämt das Haupt. „Ja… das stimmt. Wir haben unsere Völker im Stich gelassen. Wir sahen uns einfach nicht mehr befähigt, so eine hohe Position zu bekleiden. Ausserdem wollten wir, dass sich die verschiedenen Länder selbst organisieren lernen. Das war schon so, als wir noch in höheren Sphären lebten. Wir sahen zwar ab und zu nach dem Rechten. Aber… ich weiss, auch das haben wir die letzten Jahrhunderte versäumt. Wir hatten einfach keine Kraft mehr, wir wurden vielleicht auch irgendwie träge und gleichgültig. Es tut mir leid.“ „Es tut dir leid?“ In Dinaels Augen lag auf einmal ein wütendes Funkeln. „Ich wart die ganze Zeit am Leben, doch ihr habt euch um überhaupt nichts mehr gekümmert! Wisst ihr eigentlich, wie viel Elend seit eurem Verschwinden in den fünf Landen herrscht? Krieg, Kummer, Streit, Machtgier, Hoffnungslosigkeit! Doch ihr habt nichts getan, um zu helfen. Ihr… habt euch hier in diesem kleinen Dorf versteckt, euch dem schlichten, zurückgezogenen Leben verschrieben, während die Welt um euch bereits in Flammen steht!“ „Ist es denn so schlimm?“ fragte Hanania erschüttert.“ „Ja, natürlich! Viele sind ganz und gar orientierungslos geworden. Es heisst in den Legenden, ihr hättet einen direkten Draht zu den göttlichen Eltern gehabt und den Leuten ihre Worte auch stets vermittelt. Dass half ihnen, sich nach etwas zu richten. Doch nun… da ihr einfach weggegangen seid, geht alles vor die Hunde!“ „Ich verstehe deinen Zorn Dinael“, erwiderte Hanael traurig. „Doch… wir konnten die Worte der göttlichen Eltern, nicht mehr an die andren vermitteln, weil sie schon lange nicht mehr mit uns gesprochen haben. Es gibt nichts, nach dem wir uns noch orientieren können, ausser den Gesetzestafeln. Wir sind schon längst keine wirklichen Führer mehr. Wir haben versagt.“ Dinael sah Hanael an und in seinen dunklen Augen, lag Enttäuschung und Schmerz. Er erhob sich und ging zu einem Fenster, von wo aus man die ganze Lichtung überblicken konnte. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Hanael betrachtete ihn und auch sein Herz wurde von Schmerz und Trauer ergriffen.
„Es ist so betrüblich, Dinael so zu sehen. In ihm zeigt sich die ganze Enttäuschung, über unser Versagen. Er ist der Spiegel, der uns vorgehalten wird und uns aufzeigt, wie elend wir selbst schon geworden sind. Nun will Hanania sogar zu den Pfeilern des Lichts und ich selbst habe nicht wirklich die Kraft, mich dagegen zu stellen, weil auch bei mir so viele Hoffnungen mit diesem Ort verbunden sind. Ich sehe, wie alles aus dem Ruder läuft und kann nicht wirklich etwas dagegen tun. Wir haben noch die Gesetzestafeln. Doch diese Gesetze, sind sie überhaupt noch gültig? Alles hat sich doch so gewandelt. Nichts ist mehr wie es einst war und wird es wohl auch nie mehr werden. Was können wir schon ausrichten? Was für Lösungen gibt es für all die Probleme, die sich im Laufe all der Äonen, da wir nun hier leben, angehäuft haben? Auch wenn wir unsere Aufgabe als Führer wieder mehr wahrnehmen würden, ist nicht schon zu vieles zerstört worden? Ich kann ja nicht mal mehr selbst sagen, was richtig ist. Ich weiss dass das Göttliche uns unendlich liebt und uns nicht leiden sehen will. Dennoch leiden wir. Hanania sagte, sie habe gesehen, dass sie ein lebendiges Kind im Arm hält. Dass die Pfeiler des Lichts ihr vielleicht ermöglichen könnten, Mutter zu werden. Das wäre so wundervoll und darum weiss ich nicht, ob ich die Reise dorthin nicht doch mit ihr antreten soll. Vielleicht liegen bei den Pfeilern des Lichts auch neue Erkenntnisse, welche uns weiterhelfen, vielleicht… spricht dann das Göttliche wieder einmal mit mir. Ich glaub, ich muss es einfach versuchen! Besser, als hier einfach nur vor sich hinzuvegetieren.“