Haruna hatte versucht sich ein wenig um zu sehen, aber aus Angst sie könnte sich verlaufen blieb sie eher auf der Lichtung und sah gen Himmel. Auch ihre Anstrengung trug dazu bei, sich erst einmal nicht zu bewegen und auf der faulen Haut zu liegen fühlte sich auch einfach zu gut an. Ihr Dämon hatte sich inzwischen von den Ästen hinab zu ihr begeben und hatte es sich nun auf ihrem Bauch bequem gemacht. Die Entspannung von Rin entzückte sie. Obwohl sie sich in einer fremden Umgebung befanden, zeigte Rin keinerlei Wachsamkeit. Plötzlich hörte sie ein lautes Dröhnen und Leo kam neben ihr aus dem Gebüsch geschossen. Die Düsen bildeten sich wieder zurück, und seine Krallen sorgten für einen abrupten Stopp. Als Leo sie sah, kam er zu ihr herüber stolziert und legte behutsam ihre Tasche vor ihr ab. Danach marschierte er, wieder in das Gebüsch zurück und war schnell aus Harunas Sichtweite. Schnell packte Haruna ihre Tasche, und beförderte ein kleines Paket an die Oberfläche. Es war ein Miniatur-Haus, kaum größer als eine Hand war es äußerst präzise einem normalen Haus – von der Größe abgesehen – angeglichen. Haruna war bei der ersten Verwendung auch verwundert gewesen, doch inzwischen wusste sie, dass dieser Gegenstand ausgesprochen nützlich bei Expeditionen war. Ein weiterer Vorzugspunkt, den ein Kommandant besaß. Sie saß sich nach einer Fläche um, die groß genug war, legte das Haus dort auf den Boden, ging auf Abstand und kniete sich hin.
Laut sang sie im Sprechgesang: „Versteckt im normalen, die Normalität versteckt, ziehe ich dich, aus dem Zug der dich hält. Ruf dich zurück wie du warst, bevor du im Jetzt warst!“.
Das Haus begann zu wackeln und zu wachsen. Es wuchs auf eine beachtliche Größe und baute sich genau nach Haruna‘s Vorstellung auf. Wenn sie schon im Wald aussitzen musste, dann doch wenigstens in so einem Haus, in dem man Schutz vor dem Wetter fand. Sie trug ihre Tasche in das Haus und machte es sich gemütlich. Das weiche Bett war wie Balsam und bald fiel sie in einen tiefen Schlaf.
Als sie wieder erwachte war es immer noch hell. Und bereits wieder hell? Haruna wusste es nicht genau. Sie streckte sich die Glieder, als sie plötzlich ein tiefes Grollen unter ihr wahrnahm. Errötend hielt sich sich den Magen. Sie hatte seit Tagen nichts mehr gegessen. Schnell schleppte sie sich zur Haustür. Als sie sie öffnete, bemerkte sie sofort ein Gebüsch, was vor ihrer Tür hing. Doch Haruna bemerkte schnell, dass dies kein Gebüsch, sondern ein Beutel aus Blättern war. In diesem Beutel lagen dutzende Äpfel und sonstige Früchte. Lächelnd nahm sie ihn von der Tür mit in ihr Haus und breitete sie aus. Obwohl sie ein schlechtes Gewissen hatte, prüfte sie dennoch die Äpfel auf eine Giftigkeit oder sonst eine Gefahr. Sie merkte natürlich, dass Ken sich rührend um sie kümmerte, doch praktisch gesehen war sie auf fremden vielleicht sogar feindlichen Territorium. Als sie sich vergewissert hatte, dass die Früchte ungefährlich waren, biss sie herzlich in sie herein. Der Saft füllte ihren Mund mit einem süßen Geschmack, der ihr die Kehle herunterlief. Sofort machte sich ein Glücksgefühl in ihr breit. Es waren gute Äpfel, unberührt von Magie und Müll oder Dreck. Sie waren natürlich gewachsen. Um den Wald und seinem Bewohnern zu ernähren, und nicht künstlich entworfen um die vielen Mäuler zu stopfen, die die rasant wachsende Technologie füllen musste. Nachdem sie sich satt gegessen hatte, war nichts in dem Beutel außer den Abfallresten übrig geblieben. Sie starrte noch für kurze Zeit mit vollem Bauch, den sie sich mit ihrer linken Hand rieb, an die Decke. Wann war sie das letzte Mal so entspannt gewesen? Sie wusste es nicht mehr. Dann machte sie sich noch kurz frisch und beschloss, den Versuch zu wagen jemand aus Unicorn zu erreichen.
Aus ihrer Tasche holte sie einen etwa handgroßen Klappspiegel heraus und legte diesen auf den Tisch. Sie öffnete ihn, wie sie es bereits tausendmal davor, getan hatte, und tippte mit gekonnter Leichtigkeit, durch die altbekannte Gewohnheit das Passwort ein, dass eine Kommunikation und das einsehen geheimer Daten ermöglichte. An den Seiten des Klappspiegels waren kleine Hebel angebracht. Während sie auf der linken Seite die Kontaktdaten eingab, stellte sie rechts ihren Dienstgrad ein. Sie bestätigte den Anruf mit einem Knopf am unteren Teil des Spiegels. Zuerst passierte nichts, als das Gerät sich in dem Meer aus Bäumen versuchte zurecht zu finden. Es orientierte sich per Ortung, aber in einem zugewachsenen Landbereich, der fast nicht wieder zu erkennen war, war das nun einmal nicht so leicht. Während sie wartete und begann mit ihrem Stuhl zu kippeln, bemerkte sie Rin die sich mit ihrem Schwanz an der über Haruna hängenden Lampe festhielt und Haruna mit wachen Augen ansah. Haruna dachte in solchen innigen Momenten des Augenkontakts mit ihrem Dämon, oft an den Tag, an dem sie sich begegnet waren und Partner wurden. Sie hatte eine sogenannte Beschwörungskarte, eine kleines Rechteck aus Pergament zu ihrem 12. Geburtstag erhalten und noch am selben Tag die Dämonenbeschwörung gelernt, die es ihr ermöglichte, das ihr vorbestimmte Lebewesen zu rufen und mit diesem einen Vertrag ein zu gehen. Die Verträge waren nichts besonderes. Doch in diesem Moment wurde sie aus dem Gedanken gerissen als der Taschenspiegel beginn zu vibrieren. Während sich langsam im oberen Teil des Bildes ein Bild materialisierte ließ sich Rin von der Lampe fallen und landete zielsicher auf Harunas Schulter. Danach legte sich Haruna um den Hals, wie ein Schal und verfolgte mit ihrem Blick nun ebenfalls die Geschehnisse im oberen Teil. Nachdem sie ein Gesicht ausmachen konnte, räusperte sie sich und trug ihren Dienstgrad, Namen und die weiteren Formalitäten vor, die vorher an der Reihe waren, bevor sie mit ihrem Anliegen begingen konnte. Das Gesicht, wurde von einer großen schwarzen Brille bedeckt und die ebenfalls schwarz, lackierte und angeklebten Haare, standen im starken Gegensatz zu der kleinen Narbe die sich auf der rechten Seite seiner Lippe befand. Eine knochige, runzelige und verformte Nase rundete das ungewöhnliche Gesicht ab.
„Ich bin Oberstleutnant, Shiro! Ich habe ihre Nachfrage notiert und stehe nun für Sie bereit. Doch zuvor muss ich mir diese Frage erlauben? Wurde ihrem Trupp nicht der Rückzug angeordnet? Warum sind sie auf einem Unbekannten Gebiet? War die Eroberung etwa erfolgreich?“ begann der Leutnant.
So viel zu nur einer Frage überlegte Haruna genervt.
Dennoch antwortete sie höflich: "Ja, der Rückzug wurde angeordnet. Und meine Truppen haben sich auch zurückgezogen. Doch ich habe bei der Sicherung des Rückzugs meiner Truppen, es selbst nicht geschafft und wurde von einer Gruppe Dire-Wölfen umkreist. Sie hatten eine neue Spezies als Anführer und unterstanden anscheinend einem Jungen. Dieser Junge lebt in dem jetzigen Standort an dem ich mich jetzt befinde. Der Junge hat mich also mehr oder weniger eingeladen hier zu bleiben. Doch der Junge ist wesentlich schneller als ich. Ich werde hier nicht wieder wegkommen. Haben sie einen Vorschlag was ich machen könnte?“ .
Inzwischen war die Stimmung des Oberstleutnants umgeschlagen, und wütend grollte er:
„Sie sind also im Feindesland, mit ihrem Dämon – wie ich sehe – und schaffen den Rückweg nicht alleine?“
Haruna gefiel es gar nicht in welche Richtung dieses Gespräch lief. Soldaten mit höheren Rängen, die es nicht schafften zurück zu kommen, und an unbesiedelten Orten festgehalten wurden, sah Unicorn als potenzielle Gefahr an, die aus dem Weg geräumt werden musste. In diesem Falle wurden die stärksten Dämonen von Unicorn losgeschickt, um alles dem Erdboden gleich zu machen.
Bevor Haruna noch etwas erwidern konnte, brach die Verbindung ab, während sie die gebrüllten Befehle für einen kurzen Moment noch hören konnte: „Macht die Hydra klar, es gibt eine Informationsquelle, die versiegelt werden muss.“.
Während Haruna sich dieser Worte bewusst wurde starrte sie wie erstarrt auf den leblosen Spiegel. Sie war doch so weit gekommen, nur um jetzt von einer Hydra getötet zu werden?