Erst als ich auf Cindys Haus zuging wurde mir klar, was ich vorhin zu Jake gesagt hatte und was das für Auswirkungen auf unsere Beziehung, wenn man das überhaupt so nennen konnte, haben würde. Es stimmte, dass er mich seit wir auf dieser Schule waren, ignoriert hatte. Doch er war mir nie offensiv entgegengetreten. Offiziell waren wir nicht im Streit auseinandergegangen oder hatten etwas gegeneinander. Dadurch, dass ich ihm jetzt meine Meinung gesagt hatte, wobei ich immer noch nicht wusste wie ich das geschafft hatte, würde sich dieses halbwegs angenehme Verhältnis zwischen uns vielleicht ändern. Ich hatte aufgehört unsere Probleme totzuschweigen. Ich hatte ihm praktisch gesagt, dass er mich verletzt hatte. Wahrscheinlich würde er sich nun noch mehr auf Ginas Seite schlagen und mich noch nicht einmal mehr ihr gegenüber verteidigen. Aber sich jetzt darüber Gedanken zu machen würde auch nichts bringen. Jetzt musste ich mich erst einmal auf Cindy und ihren Hugo konzentrieren.
Als ich klingelte, machte ich mich gefasst auf eine nur halb angezogene, hysterische Cindy, die überhaupt nicht mehr weiterwusste. Deshalb war ich doch ziemlich überrascht, als ich Wes gegenüberstand, der seine Gitarre auf dem Rücken hatte und anscheinend im Begriff war das Haus zu verlassen.
„Hey, da sehen wir uns ja doch noch.“ Er grinste mich an. Was auch sonst
„Hi. Ja genau. Ist Cindy oben?“, fragte ich, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Ich fand es einfach mit ihm SMS zu schreiben, doch mit einem anständigen Gespräch hatte ich immer noch ziemlich große Schwierigkeiten.
„Ja. Am besten gehst du direkt zu ihr hoch. Sie ist ziemlich am verzweifeln. Ich habe ihr schon gesagt, dass sie sich nicht so viele Gedanken machen soll, weil dieser Hugo es sowieso nicht wert ist, aber ihre Antwort darauf war nicht besonders höflich, wie du dir vielleicht vorstellen kannst.“ Er ging an mir vorbei aus dem Haus. Aber anstatt die Tür zu schließen und zu seinem Auto zu gehen, drehte er sich im Rahmen noch einmal zu mir um.
„Übrigens habe ich eine echt coole Hose gefunden, die meine Beinprothese überdecken kann. Findest du nicht auch, dass man sie fast gar nicht mehr erkennen kann?“ Das sagte er so ernst, dass ich auf der Stelle anfangen musste zu lachen.
„Vielleicht solltest du das mal Anna und Gina erzählen. Die beiden interessieren sich brennend für dich!“
„Vielleicht werde ich das tatsächlich tun. Ich meine die beiden haben ja mit dem Mist angefangen oder? Dann kann ich ja ihre eigene Lüge auch gegen sie verwenden.“ Ich schüttelte mich immer noch vor Lachen und auch er war jetzt nicht mehr ganz so ernst wie zu Anfang unseres Gesprächs.
„Genau. Aber treib es nicht so weit mit denen. Die können auch zurückschlagen. Ich gehe jetzt mal hoch gucken, in wieweit ich Cindy noch helfen kann.“, sagte ich und verabschiedete mich von ihm. Als er weg war, hüpfte ich gut gelaunt die Treppe zu Cindys Zimmer hinauf. Als ich den Raum betrat, wurde ich erst einmal von dem Berg an Kleidung erschlagen, der ihren gesamten Fußboden bedeckte.
„Oh mein Gott. Wie gut, dass du kommst! Ich glaube ich sterbe gleich. Du musst mir unbedingt sage, was ich anziehen soll. Und Hugo hat übrigens gefragt, ob ich noch eine Freundin mit auf die Party bringen möchte, weil er auch einen Freund mitbringt. Würdest du bitte bitte mitkommen? Ich habe auch schon zugesagt, dass du kommst. Also hast du eigentlich keine andere Wahl mehr. Du kannst auch danach hier bei mir übernachten.“ Etwas überrumpelt von ihrer Begrüßung setzte ich mich auf den einzigen noch freien Fleck auf ihrem Bett.
„Hier guck mal die pinke Bluse. Soll ich die anziehen?“ Cindy hielt sich das Kleidungsstück vor den Oberkörper und blickte mir fragend entgegen.
„Klar komm ich mit auf die Party. Zeig mal her.“ Cindy zog die Bluse über und drehte sich so schnell vor mir im Kreis, dass ich überhaupt nichts mehr erkennen konnte. Sie war eindeutig viel zu aufgeregt.
„Beruhig dich erst einmal. Die Bluse ist super und dazu würde ich jetzt einfach eine schöne enge Jeans anziehen.“, schlug ich vor.
„Meinst du? Ich dachte, dass wäre vielleicht nicht sexy genug.“, fragte sie mich verunsichert. Ich antwortete so ruhig wie möglich, weil ich sie nicht noch mehr verrückt machen wollte.
„Die Bluse ist doch super sexy. Und eine enge Jeans betont deine Figur perfekt. Guck mal hier. Die hier sieht doch klasse aus.“ Ich hielt ihr eine hellblaue gelöcherte Jeans entgegen, die ich neben mir auf dem Bett gefunden hatte. Als sie sich fertig angezogen hatte und auch ihr Makeup und ihre Haare soweit fertig waren wendete sie sich mir zu: „Und jetzt du. So wie du jetzt bist kannst du unmöglich auf die Party gehen. Du bekommst was von mir zum anziehen. Hugos Freund soll doch beeindruckt sein von dir.“ Na das konnte ja was werden.