Roxa schlug die Augen auf und war sofort wach. Viel zu lange schon führte sie dieses Leben, als dass es anders sein könnte. Ein rotes Auge wanderten, sonst regte sich nichts. Sie lauschte, spähte, wartete.
Sie sondierte ihre Lage.
Um sie her befanden sich Erdwälle und darauf Büsche, ein dichtes, grünes Gewirr. Die Sonne schien, also musste sie einige Zeit bewusstlos gewesen sein. Ihr schuppiger Körper befand sich in etwas, das unangenehm kalt war. Auch ihr Gesicht war zur Hälfte darin versunken, kühle Flüssigkeit schwappte durch ihren Nüstern. Sie hörte keine verdächtigen Geräusche, nur die Vögel und witterte auch nur die üblichen Gerüche, also drehte sie den Kopf zur Seite. Das eine Auge hatte in kaltem Wasser gelegen. Jetzt perlte die Flüssigkeit ab und sie schüttelte den gehörnten Kopf. Kleine Tropfen flogen in alle Richtungen.
Schwerfällig grub Roxa sich aus dem Bach aus, in dem sie gelegen hatte. Es war ein breiter Bachlauf, nicht unbedingt tief, aber das Wasser war stark genug, um ihren unsicheren Stand auf die Probe zu stellen. Die Strömung musste sie hier abgelegt haben, auf einer kleinen Sandbank mitten in der Wildnis.
Roxa watete an Land und versuchte, das kalte Nass von ihren Schuppen zu schütteln. Sie fror. Besorgt suchte sie in ihrem Inneren nach dem Funken, und beruhigte sich erst, als sie das Feuer erneut spürte.
Das Wasser hatte ihr also nicht geschadet.
Am Flussufer richtete sie sich auf die kräftigen Hinterbeine und den Schwanz auf. In ihrer Drachenform war sie so groß wie ein Pferd und auch fast so gebaut. Ihr Rücken war mit einem kräftigen Panzer beschwert, die roten Bauchschuppen waren hart wie Obsidian. Roxas Augen, rot wie Rubine, konnten die fernen Türme der Stadt erkennen, über der sich Rauch im Himmel sammelte. Weit hatte der Fluss, in den der Brunnen offenbar mündete, sie nicht getragen.
Sie schnaufte, als sie eine Gruppe von Punkten in der Ferne entdeckte. Dort bewegten sich mehre Individuen, die die Stadt verließen und dem Flusslauf folgten.
Roxa strengte die Augen an und konnte endlich Formen erkennen. Es mussten Reiter sein. Die Sonne ließ Metall aufblitzen. Roxa sah Orange und Braun, die Farben der Jäger.
Sie drehte sich um und entdeckte ihre verräterischen Klauenspuren im weichen Uferschlamm. Vier Krallen, sowie die Daumenkralle bei allen vier Füßen, die Hinterpfoten breiter und deutlich größer, die Vorderpfoten schlank.
Roxas Herz schlug schneller. Die Jäger waren hierher unterwegs. Man hatte sie entdeckt, sie musste fliehen, so wenig ihr das behagte. Jeder Feuerdrache war ein geborener Krieger, ein starrköpfiges, wildes Tier, das sich niemals in die Enge treiben ließ.
Aber Roxa war noch jung. Um ihre Vorderpfote hing ein breiter Metallreif, schwer und kalt von dem Wasser des Flusses. Sie versuchte, ihre Gabe zu nutzen, doch ihr Körper fror und wollte sich nicht verwandeln. Roxa fluchte leicht und drehte sich dann um. Auf vier Tatzen trottete sie in das Gebüsch und schnüffelte. Sie kehrte der Stadt den Rücken und lief los, in einem langsamen Tempo, denn sie war weder ausdauernd noch schnell. Mit dem Schwanz verwischte sie, wenn auch unzulänglich, ihre Spuren. Noch wussten die Jäger nicht, wo sie ihre Beute suchen mussten.
Sie hielt sich im Schutz der Wälder auf. Trotzdem verschärfte sich das Tempo der Jagd bald. Die Jäger hatten ihre Spuren entdeckt, die Pferde wurden schneller. Roxa gab alles. Sie kletterte über schroffe Klippen, schlug Haken und Bögen, lief den Jägern sogar entgegen, ging auf ihren eigenen Spuren rückwärts und bog neu ab.
Doch die Verfolger blieben hartnäckig, obwohl Roxas Manöver ihr wieder und wieder Zeit erkauften. Sie wurde immer verzweifelter. Die Menschen waren klug geworden über die letzten Jahre. Nun wussten sie auch von der Gabe, obwohl sie deren Einschränkungen vielleicht noch nicht kannten. Roxa schnaufte schwer, als es Nachmittag wurde. Sie spürte, dass die Müdigkeit nach ihr griff. Langsam zweifelte sie an ihrer Fähigkeit, die Jäger abzuschütteln. Ihre Angst wuchs.
Die Jäger waren hartnäckig. Einmal überraschten sie Roxa, indem sie ihr plötzlich den Weg abschnitten. Sie musste sich in eine Grube voller Blätter werfen, als die Pferde plötzlich über den Weg donnerten.
Wie durch ein Wunder bemerkte man sie nicht. Ihr Herz raste später noch wie der Hufschlag der Jägerrosse.
Sie hatte den Anführer der Gruppe erkannt. Es war der, der sie bereits am Vorabend beinahe erwischt hatte. Wie er ihre Spur aufgenommen hatte, wusste sie nicht. In ihrer Brust bildete sich eine heiße, brennende Kugel aus Hass. Er würde sie nicht erwischen, nicht auch noch sie. Immer heftiger wurde die Hitze, bis sie sich fühlte, als könnte sie den ganzen Wald abbrennen.
In ihrem Kopf formte sich ein verzweifelter, wütender Plan, weil sich die Jäger einfach nicht von ihrer Spur abbringen ließen. Wenn sie begann, sich eine Richtung zu suchen, so fand man sie sofort. Die Verfolger ritten Kreise und Spiralen, fesselten sie mehr und mehr an einen Ort.
Als ihre Flucht sie zum fünften Mal an den Bachlauf führte, ließ Roxa das Feuer los.
Fauchend sprangen Funken und blauweißer Atem aus ihrem Maul. Die Hitze brach aus ihr heraus wie ein Gesang, ein flammender Schrei. Das Feuer legte sich über ihre Schuppen und sie atmete den vertrauten Rauch ein. Feuerland.
Die Bäume fingen Feuer. Schnell leckten die Flammen in die Höhe, aber Roxa bewunderte ihr rot-goldenes Werk nicht. Sie rief ihre Gabe.
Inzwischen hatte sie sich ein wenig erholt, hatte die lähmende Schwere des Wassers abgeschüttelt. Aus dem mächtigen Körper einer Feuerdrachin wurden Beine, Arme: Ein Menschenmädchen, rotes Hemd, schwarze Hose und Mantel, ein Hut über dem roten Haar, der die Hörner verbarg. Nur ihre Augen leuchteten wie zuvor.
Roxa zögerte einen Atemzug lang, drei, zehn. Sie musste sich überwinden, mit all ihrer Willenskraft, um so bald in das Wasser zurück zu kehren. Aber sie durfte keine Spuren hinterlassen. Schon hörte sie die Reiter, die das Feuermeer gesehen hatten.
Das Mädchen watete in den Bach und warf sich mit geschlossenen Augen in die Strömung. Sie tat, was die Jäger niemals erwarten würden: Sie schwamm. Das Wasser erinnerte sie an ihr wahres Gewicht, zog an ihr. Der Druck um die Brust wuchs. Roxa hatte den Kopf noch über den Wellen, aber sie keuchte. Sie hatte schreckliche Angst, wollte nicht ertrinken. Die Angst ließ ihr Herz rasen.
Schritt führ Schritt arbeitete sie sich vorwärts. Die Strömung zerrte an Kleidung und Mantel. Sie kämpfte, weil sie eine Kämpferin war. Schritt für Schritt, nicht in Richtung des Berges Stormpeak, sondern zurück zur Stadt. Denn das würden ihre Jäger niemals erwarten.
Sie war um die Biegung des Flusses, bevor die Pferde samt Reitern erschienen. Die Asche legte sich bereits auf die Spuren von Drache und Mädchen. Roxa zitterte in dem eisigen Wasser, das jeder andere nur als kühl empfunden hatte. Tief in ihrem Inneren zog sich das Feuer zusammen.
Mit fest aufeinander gepressten Zähnen entkam Roxa den Jägern.