„H-hallo?“ Vorsichtig trete ich näher an den offenen Hof heran. Er liegt zwischen zwei Gebäuden, einmal der Mühle und auf der anderen Seite ein längliches Lager. Dazwischen liegt ein erdiger Platz, wo sich kein Gras halten kann, auch wenn es diverse Pflänzchen im Schutz der Gebäudewände versuchen und sich unter Bänke und um länger abgestellte Eimer herum vorwagen.
Alles in allem macht der Ort einen sympathischen Eindruck. Er ist nicht ganz so sauber und pflanzenleer wie andere menschliche Siedlungen. Wenn jetzt die Krähenschwärme ein wenig leiser wären, dann könnte man sich echt wohlfühlen!
Ich spähe durch eine offene Tür. „Hallo-o?“ Schritt für Schritt gehe ich näher, hebe und senke den Kopf dabei mehrmals. Das hilft, ehrlich! So nimmt man Gerüche besser auf, hört und sieht mehr! Ich sehe vor allem einen dunklen Raum hinter der Türschwelle. Groß, leer, staubig. Es riecht nach etwas, was ich nicht ganz einordnen kann.
Dann erklingen Schritte. Ich weiche zurück in den Sonnenschein draußen, der sich auf dem Hof irgendwie zu blass und kalt anfühlt. Ein Mensch huscht drinnen vorbei, ohne mich zu bemerken. Ein Junge, gekleidet in etwas, das wie ein Mehlsack aussieht.
Seine schlurfenden Schritte verhallen bald wieder. Ich wage mich wieder zur Tür vor und schiebe die Nase ins Innere. Es riecht muffig, staubig. Langsam gehe ich in die gleiche Richtung wie der Menschenwelpe eben.
„Hallo? Ist hier jemand?“
Doofe Frage, ja, aber ist das nicht irgendwie der traditionelle Ruf, wenn man einen unbekannten Ort betritt? Außerdem, wer weiß, vielleicht war der Junge eben ein Geist! Obwohl, dann wäre er immer noch ein Jemand ... Man will ja nicht vitalsistisch sein!
Ich finde einen Gang, der ein paar Stufen hinab führt. Ein lautes Knirschen und Mahlen erklingt vor mir. Das Geräusch riesiger Eisenzähne, die ineinandergreifen und die Mühle vorantreiben. Und von der Mühle vorangetrieben werden. In der Mühle. Menschensachen sind verwirrend.
Weißer Nebel wolkt mir entgegen, als ich um die Ecke am Ende des Ganges biege und einen eher engen Raum mit kalten, glatten Steinwänden betrete. Die kleine Halle eben hatte ja wenigstens noch Holzdielen. Dieser Raum ist nochmal richtig unheimlich. Die tanzenden Wolken bestehen aus Mehl, jedoch kann ich schemenhaft wankende Personen erkennen, die schwere Säcke zu einer Treppe schleppen und oben in eine Art Trichter füllen. Unten kommt der Mehlstaub raus, also ist es wohl eine Nebelmaschine.
Ich stehe eine Weile herum, bis ich merke, dass ich im Weg stehe. Das merke ich daran, dass einer der geisterhaften Sackschlepper über mich stolpert. Mit einem Schrei geht er zu Boden und hält sich den Arm.
Sofort sind wir umringt von mehreren Jungen in Mehlsackmode und einem einzigen, hageren Mann in dunkler, mehlbestäubter Kleidung.
Dieser beugt sich über den Gestürzten. „Das wird wieder“, verkündet er mit schnarrender Stimme. „Geh auf dein Zimmer.“
Der Junge rappelt sich auf, hält sich den gebrochenen Arm, nickt und eilt davon.
Dann sieht der Rest mich an. Ich lege hoffnungsvoll den Kopf schief. Hoffnungsvoll? Verdammt, ich wedele auch mit dem Schwanz. Das muss endlich mal aufhören!
„Ein Hund?“, fragt einer der unterschiedlichen Jungen verwundert. „Wo kommt denn hier ein Hund her?“
„Der ist wohl von draußen hereingewandert.“ Der scharfe Blick des Erwachsenen scheint mich durchbohren zu wollen. Er betrachtet mich nachdenklich und weit weniger freundlich als die Kinder.
„Ähm. Ich … wollte nur nach dem Weg fragen.“
Ein paar Kinder schnappen nach Luft, als ich spreche, aber nicht alle. Und der Mann wirkt überhaupt nicht überrascht. Merkwürdig, meist sind alle entweder geschockt oder nehmen meine Sprachfähigkeit kaum zur Kenntnis. So eine durchwachsene Reaktion ist selten.
„Nach dem Weg fragen?“, wiederholt der Erwachsene, während die Kinder neugierige Blicke wechseln und sich stumm fragen, ob alle gerade den ‚Hund‘ reden gehört haben.
„Ja, denn ich möchte zu einem kleineren Gott. Kennt hier jemand wen?“ Ich sehe freundlich hechelnd in die Runde. Ein Teil von mir rollt mit den Augen. Doch ich fürchte, dieser wölfische Teil wird langsam kleiner und kleiner …
Lyssa malt mir aus, wie ich als Schoßhund mit Schleife im Haar auf einem Sofa liege und Leckerli esse. Was für eine schreckliche Vorstellung! Ich bin ein Wildtier aus der Wildnis!
Der Erwachsene reibt sich das Kinn und guckt an der hageren Hakennase vorbei auf mich herab. „Ich weiß tatsächlich, wo hier in der Nähe ein kleinerer Gott wohnt. Sag ihm nicht, dass ich das gesagt habe.“
Ich stelle die Ohren auf. Und ob ich das erwähnen werde! Irgendwie muss ich den Gott ja wütend machen.
„Und wo …?“
„Bevor ich dir das sage“, der Mann hebt einen dürren Zeigefinger, „musst du deine Schuld abtragen.“
„Was für eine Schuld?!“ Und wieso klingt das so sehr nach Miss Fortune?
„Nun, du hast gerade einen meiner Arbeiter verletzt. Dass er ausfällt, musst du ausgleichen. Die Arbeit will ja erledigt werden. Wenigstens für heute, morgen kann der Junge wieder arbeiten.“
Das kommt mir reichlich schnell vor, um einen gebrochenen Arm zu heilen. Aber das ist nicht meine Sache. Ich muss mich aus einer ganz anderen Schlinge wieseln! Die Schlinge namens harte Arbeit nämlich. „Ich habe leider keine Daumen, ich glaube nicht, dass ich geeignet bin …“
[Zeitsprung.]
Es ist Abend. Völlig erschöpft und vom Mehl weiß schleppe ich mich auf den Hof, während die Jungen in einer schweigenden, geisterhaft mehlfarbenen Reihe eine Treppe hinaufsteigen, um in ihre Schlafquartiere zu kommen.
Auch jetzt noch sitzen überall Krähen und verspotten uns Bodenläufer mit heiseren Rufen. Die Zunge hängt mir aus dem Maul.
Wie habe ich denn jetzt noch einen Tag verloren? Ist ja echt nicht wahr hier!
Der Meister – so heißt der schwarzgewandete Hakennasenmann – tritt neben mich. „Ich danke dir und entlasse dich aus meinen Diensten.“
„Ähm. D-danke.“
„Der Gott, den du suchst, findest du auf einem kleinen Gehöft südlich von hier. Eine Reise von einer Stunde.“
Unfassbar. Das hätte ich heute locker schaffen können! Jetzt muss ich mir wirklich überlegen, ob meine müden Pfoten mich noch eine Stunde weitertragen können. Von unten kommt ein vierstimmiges, überzeugtes Nein, auch wenn mein Kopf gerne noch ein wenig kämpfen würde.
Aber es hilft nichts, ich brauche eine Pause. Am Ende, so versuche ich mich zu beruhigen, ist ja noch lange nicht alles verloren. Hey, der erste Teil hatte auch 30 Kapitel – ich habe sicher noch Zeit!