„Dass du noch mal auftauchst!“ Mr. Kittel wirkt erleichtert, trotz seines unfreundlichen Tonfalls. Er hat die hohe, schmale Tür geöffnet und starrt mich immer noch etwas verwundert an.
Ich spucke ihm die Augen vor die Füße. „Zwei feuerfeste Augen, bitte sehr.“
„Tatsächlich.“ Er geht in die Hocke und nimmt die beiden dunklen Steine auf. Dann wirft er einen in eine nahe Fackel – eine große, eiserne Fackel mit so einem kleinen Korb oben, in dem der Stein hängen bleibt. Kritisch begutachtet der Kittelträger meine Ausbeute. „Sehr gut. Es verbrennt nicht.“
„Natürlich nicht!“ Ich sehe ihn ernst an. „Du wolltest doch feuerfeste Augen. Warum bist du jetzt so überrascht, dass ich feuerfeste Augen liefere?“
„Na, weil ich mehrere hundert Volt in das Halsband gejagt hatte. Wieso lebst du noch?“
„Du hast was?!“
„Als ich nichts von dir gehört habe, dachte ich, du wärst mit dem Geheimnis meiner Forschungen abgehauen!“, verteidigt sich der Kittelträger. „Ich wollte meine Arbeit schützen!“
Ich starre ihn sprachlos an. Er hätte mich einfach so getötet! „Es ist übrigens nicht so einfach, feuerfeste Augen zu finden!“, empöre ich mich.
„Ja, ja, ja. Hör mal, es war nicht persönlich gemeint. Ich bin froh, dass du noch lebst. Und meine Forschungsergebnisse offenbar auch nicht verraten hast. Ich habe es geschafft, Leben zu erschaffen! Dieses Wissen darf nicht in die falschen Hände geraten. Jedenfalls nicht, bevor ich es patentiert habe.“
Das klingt verdächtig danach, dass es ihm nur ums Geld geht. „Nun schön. Ich nehme deine Entschuldigung an. Nimm mir einfach das Halsband ab, und wir sind quitt.“
„Natürlich.“ Er beugt sich herab und greift nach dem Verschluss. Ich setze mich und hebe eine Hinterpfote, um mich am Hals zu kratzen. Oder, genauer, am Halsband, als der Kittelträger es berührt.
„Au!“ Er fährt zurück.
„Korrigiere, jetzt sind wir quitt.“ Ich grinse, obwohl ich mir auch einen Stromschlag verpasst habe. „Das tut nämlich echt weh!“
„Böser Hund!“ Der Kittelträger schlägt meine Hinterpfote beiseite und zieht mir das Halsband mit einer schnellen Bewegung ab. Sofort fühlt sich ein Teil von mir hilflos, wie ein ausgesetzter Hund am Straßenrand. Ich muss diesen dämlichen Hundefluch loswerden!
„So, und jetzt verschwinde“, sagt der Kittelträger. Er macht eine scheuchende Bewegung. „Oder brauchst du noch was?“
„Um ehrlich zu sein, da wäre noch eine Sache.“ Ich mache einen vorsichtigen Schritt zurück. „Was genau hast du mit deiner Forschung jetzt erreicht?“
„Ich habe es geschafft, Leben zu erschaffen.“ Ha, auf die Eitelkeit eines Wissenschaftlers kann man sich immer verlassen!
„Kannst du das noch ein drittes Mal sagen, etwas lauter vielleicht?“
Irritiert sieht er mich an, zuckt dann mit den Schultern und brüllt triumphierend in den Himmel: „Ich bin der Herr über Leben und Toood!“
Im nächsten Moment fährt ein Blitz in die Erde, direkt in die Türöffnung. Er versengt den Kittel auf einen Schlag und schlägt wurzelartig in das Gras ringsum aus. Lustigerweise steht der Wissenschaftler danach noch, nun pechschwarz verkohlt und mit zu Berge stehenden Haaren. Seine Brille sitzt auch schief. Er stöhnt leise.
Am Himmel rollt donnernd eine Wolke vor. Dann erscheinen ein paar andere Personen. Der Gott der kreativen Beleidigungen, mit Cornflakes an seiner Seite, der entspannte Gott aus dem magischen Zen-Hain und der Gott der Evolution. Sie bauen sich drohend vor dem Kittelträger auf.
„So, so. Du meinst also, du könntest einfach so Schöpfungsmacht besitzen, hm?“
Der Wissenschaftler schluckt schwer.
Ich betrachte meine Pfote, die etwas kribbelt. Einer der Ausläufer des Blitzes hat sie nämlich getroffen. Fein und rötlich kann ich winzige Adern unter meinem Fell erahnen.
Der Gotteszorn. Bingo!
„Nun, ich gehe dann mal.“ Ich hüstele. „Oder möchte jemand hier seinen Fluch zurücknehmen, da ich euch geholfen habe, diesen bösen Frevler zu finden?“
Die Götterhorde dreht sich zu mir um. Der Gott der Evolution seufzt als erster und schnippst. „Ich hab den Fluch mal angehalten.“
„Angehalten? Mach den rückgängig!“
„Angehalten. Mit dir befasse ich mich später, Grauwolf!“
Der Gott der Flüche macht einen Wink und entlässt mich damit offenbar aus meinem anderen Fluch. Aber er guckt auch so streng.
Jepp, es wird höchste Zeit, hier zu verduften! Niemand von denen ist besonders gut auf mich zu sprechen. Noch sind die Götter zum Glück mit dem Wissenschaftler beschäftigt, der gerade panisch nach seinem Diener ruft. Den Igor nicht noch einmal sehen zu müssen – brrr! – ist ein weiteres Argument, das für eine rasche Flucht spricht.
Ich eile zum nächsten Hügel. Bergan werde ich etwas langsamer. Aber hinter dem Hügel, in einem weiten, flachen Tal, kann ich innehalten und meine kribbelnde Pfote heben.
Ja, ich habe den Gotteszorn. Endlich!
„Miss Fortune?“ Ich sehe in den dunklen Himmel. „Hallo?“
Es pufft hinter mir und die Wolke mit meiner mysteriösen Freundin erscheint. „Deine Zeit läuft ab, Grauwolf!“
„Ich habe den Zorn!“ Stolz präsentiere ich meine Pfote.
„Hm. Nicht übel.“ Miss Fortune klingt trotzdem etwas enttäuscht. Warum bloß?
Sie beugt sich herab und streicht über meine Pfote, worauf die roten Äderchen verschwinden. Es kitzelt etwas.
Miss Fortune schließt genießerisch die Augen. „Oh, das ist gut. Sehr gut.“
„Ähm. Gerne.“
Sie schlägt die Augen erschrocken wieder auf, als hätte sie meine Anwesenheit kurz vergessen. „Schön. Was deinen dritten Auftrag angeht, du musst …“
Ein Donnergrollen unterbricht sie. Wir sehen im gleichen Moment zur Seite und entdecken eine Horde, die über den nächsten Hügel gewalzt kommt. Eine Götterhorde. Zwar ist der orangegekleidete Gott der Friedfertigkeit nicht dabei, aber dafür sind ein paar andere hinzu gekommen.
Und sie sehen echt verdammt zornig aus.
„Da! Da ist der Wolf!“, ruft der Gott der Evolution.
„Und da, neben ihm! Das ist dieser gestaltwandlerische Beutel voll Krötendreck!“, ruft der Gott der kreativen Beleidigungen.
Miss Fortune wird blass. „Du hast die Götter auf meine Spur gebracht!“
„Schnappt sie euch!“, heult die Horde. „Schnappt sie euch beide.“
Rosa Wolken ballen sich um Miss Fortune zusammen.
„Nein! Puff jetzt nicht weg!“, rufe ich warnend. „Das darfst du mir nicht antun! Für den Zorn schuldest du mir doch was.“ Angesichts dieser wütenden Götter möchte ich nicht alleine zurückbleiben. Mir steht noch zu gut vor Augen, wie einfallsreich und brutal göttliche Strafen sind.
Miss Fortune schwebt auf ihrer Wolke höher, sie zittert vor Angst. Was ich im Moment gut verstehen kann.
„Lass mich hier nicht alleine“, flehe ich. „Bitte! Die sind deinetwegen sauer auf mich!“
Und dann? Tja, dann macht es leise ‚Puff‘.
~ Ende von Buch Zwei ~
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Das ist natürlich kein Zwang und du solltest das nur tun, wenn du gerade etwas entbehren kannst.
So oder so bedanke ich mich vielmals für's Lesen!